Balladenjahr 1797 - die Balladen

Balladen von Schiller - Balladenjahr 1797


Balladen von Goethe im Balladenjahr 1797

Der neue Pausias und sein Blumenmädchen (Goethe)
Der Zauberlehrling (Goethe)
Der Schatzgräber (Goethe)
Die Braut von Korinth (Goethe)
Der Gott und die Bajadere (Goethe)
Legende vom Hufeisen (Goethe)

Wie entsteht das Balladenjahr?

Goethe und Schiller lernten sich 1794 kennen. Beide Dichter beschäftigen sich mit literarischen Gattungen, insbesondere aber mit der Ballade. Die Ballade als Kunstballade (kunstvolle Ballade) sollte sich stärker von der Volksballade unterscheiden. Leser sollten an den Themen der Balladen Anteil nehmen und urteilen können. Im "Musenalmanach auf das Jahr 1797"  erscheinen die meisten Balladen beider Dichter.

Woher stammt der Begriff Balladenjahr?

In einem Brief Schillers an Goethe vom 22. 09.1797 findet sich folgender Satz: „Auch ist dieses einmal das Balladenjahr (…)". Dieser Begriff wurde dann von Literaturwissenschaftlern aufgegriffen und weiterverwendet.

Was war das Ungewöhnliche daran?

Schiller und Goethe standen in einem künstlerischen Wettstreit. Vor der Veröffentlichung von Texten diskutierten sie ihre Werke durch den Wechsel von Briefen. Durch die Diskussion fanden in mancher eigentlich fertigen Ballade doch noch Änderungen statt, bevor sie im darauffolgenden Jahr im "Musenalmanach auf das Jahr 1798" erschienen.

Hier gibt es Unterrichtsmaterial, Übungen, Interpretationen zum Balladenjahr...

Friedrich von Schiller

Der Taucher

„Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp,
Zu tauchen in diesen Schlund?
Einen goldnen Becher werf ich hinab,
Verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.
Wer mir den Becher kann wieder zeigen,
Er mag ihn behalten, er ist sein eigen."

Der König spricht es und wirft von der Höh
Der Klippe, die schroff und steil
hinausdrängt in die unendliche See,
Den Becher in der Charybde Geheul.
„Wer ist der Beherzte, ich frage wieder,
Zu tauchen in diese Tiefe nieder?"

Und die Ritter, die Knappen um ihn her
Vernehmen's und schweigen still,
Sehen hinab in das wilde Meer,
Und keiner den Becher gewinnen will.
Und der König zum drittenmal wieder fraget:
„ist keiner, der sich hinunter waget?"

Doch alles noch stumm bleibt wie zuvor;
Und ein Edelknecht, sanft und keck,
Tritt aus der Knappen zagendem Chor,
Und den Gürtel wirft er, den Mantel weg.
Und alle die Männer umher und Frauen
Auf den herrlichen Jüngling verwundert schauen.

Und wie er tritt an des Felsen Hang
Und blickt in den Schlund hinab,
Die Wasser, die sie hinunterschlang,
Die Charybde jetzt brüllend wiedergab.
Und wie mit des fernen Donners Getose
Entstürzen sie schäumend dem finstern Schoße.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Flut auf Flut sich ohn' Ende drängt,
Und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
Als wollte das Meer noch ein Meer gebären.

Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt,
Und schwarz aus dem weißen Schaum
Klafft hinunter ein gähnender Spalt,
Grundlos, als ging's in den Höllenraum,
Und reißend sieht man die brandenden Wogen
Hinab in den strudelnden Trichter gezogen.

Jetzt schnell, eh die Brandung wiederkehrt,
Der Jüngling sich Gott befiehlt,
Und - ein Schrei des Entsetzens wird rings gehört,
Und schon hat ihn der Wirbel hinweggespült,
Und geheimnisvoll über dem kühnen Schwimmer
Schließt sich der Rachen; er zeigt sich nimmer.

Und stille wird's über dem Wasserschlund,
In der Tiefe nur brauset es hohl,
Und bebend hört man von Mund zu Mund:
„Hochherziger Jüngling, fahre wohl!"
Und hohler und hohler hört man's heulen,
Und es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem Weilen.

Und wärfst Du die Krone selber hinein
Und sprächst: wer mir bringet die Kron',
Er soll sie tragen und König sein -
Mich gelüstete nicht nach dem teuren Lohn.
Was die heulende Tiefe da unten verhehle,
Das erzählt keine lebende gückliche Seele.

Wohl manches Fahrzeug, vom Strudel gefasst,
Schoß jäh in die Tiefe hinab,
Doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und Mast
Hervor aus dem alles verschlingenden Grab. -
Und heller und heller, wie Sturmes Sausen,
Hört man's näher und immer näher brausen.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Well' auf Well' sich ohn' Ende drängt,
Und wie mit des fernen Donners Getose
Entstürzt es brüllend dem finstern Schoße.

Und sieh! aus dem finster flutenden Schoß
Da hebet sich's schwanenweiß,
Und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloß,
Und es rudert mit Kraft und mit emsigen Fleiß,
Und er ist's, und hoch in seiner Linken
Schwinkt er den Becher mit freudigem Winken.

Und atmete lang und atmete tief
Und begrüßte das himmlische Licht.
Mit Frohlocken es einer dem andern rief:
„Er lebt! er ist da! es behielt ihn nicht!
Aus dem Grab, aus der strudelnden Wasserhöhle
Hat der Brave gerettet die lebende Seele!"

Und er kommt; es umringt ihn die jubelnde Schar;
Zu des Königs Füßen er sinkt,
Den Becher reicht er ihm kniend dar,
Und der König der lieblichen Tochter winkt,
Die füllt ihn mit funkelndem Wein bis zum Rande,
Und der Jüngling sich also zum König wandte:

„Lang lebe der König! Es freue sich,
Wer da atmet im rosigen Licht!
Da unten aber ist's fürchterlich,
Und der Mensch versuche die Götter nicht
Und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
Was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen.

Es riß mich hinunter blitzesschnell,
Da stürzt mir aus felsichtem Schacht
Wildflutend entgegen ein reißender Quell:
Mich packte des Doppelstroms wütende Macht,
Und wie einen Kreisel mit schwindelndem Drehen
Trieb mich's um, ich konnte nicht widerstehen.

Da zeigte mir Gott, zu dem ich rief,
In der höchsten schrecklichen Not,
Aus der Tiefe ragend ein Felsenriff,
Das erfasst ich behend und entrann dem Tod -
Und da hing auch der Becher an spitzen Korallen.
Sonst wär er ins Bodenlose gefallen.

Denn unter mir lag's noch bergetief
In purpurner Finsternis da,
Und ob's hier dem Ohre gleich ewig schlief,
Das Auge mit Schaudern hinunter sah,
Wie's von Salamandern und Molchen und Drachen
Sich regt in dem furchtbaren Höllenrachen.

Schwarz wimmelten da in grausem Gemisch
Zu scheußlichen Klumpen geballt,
Der stachlichte Roche, der Klippenfisch,
Des Hammers greuliche Ungestalt,
Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne
Der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne.

Und da hing ich und war's mir mit Grausen bewußt,
Von der menschlichen Hilfe so weit,
Unter Larven die einzige fühlende Brust,
Allein in der grässlichen Einsamkeit,
Tief unter dem Schall der menschlichen Rede
Bei den Ungeheuern der traurigen Öde.

Und schaudernd dacht ich's, da kroch's heran,
Regte hundert Gelenke zugleich,
Will schnappen nach mir - in des Schreckens Wahn
Laß ich los der Koralle umklammerten Zweig;
Gleich faßt mich der Strudel mit rasendem Toben,
Doch es war mir zum Heil, er riß mich nach oben."

Der König darob sich verwundert schier
und spricht: „Der Becher ist dein,
Und diesen Ring noch bestimm' ich dir,
Geschmückt mit dem köstlichen Edelgestein,
Versuchst du's noch einmal und bringst mir Kunde,
Was du sahst auf des Meers tiefunterstem Grunde."

Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl,
Und mit schmeichelndem Munde sie fleht:
„Lasst, Vater, genug sein das grausame Spiel!
Er hat Euch bestanden, was keiner besteht,
Und könnt Ihr des Herzens Gelüsten nicht zähmen,
So mögen die Ritter den Knappen beschämen."

Drauf der König greift nach dem Becher schnell,
In den Strudel ihn schleudert hinein:
„Und schaffst du den Becher mir wieder zur Stell',
So sollst du der trefflichste Ritter mir sein
Und sollst sie als Ehgemahl heut noch umarmen,
Die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen."

Da ergreift's ihm die Seele mit Himmelsgewalt,
Und es blitzt aus den Augen ihm kühn,
Und er siehet erröten die schöne Gestalt
Und sieht sie erbleichen und sinken hin -
Da treibt's ihn, den köstlichen Preis zu erwerben,
Und stürzt hinunter auf Leben und Sterben.

Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück,
Sie verkündigt der donnernde Schall -
Da bückt sich's hinunter mit liebendem Blick:
Es kommen, es kommen die Wasser all,
Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
Den Jüngling bringt keines wieder.

Friedrich von Schiller (Balladen)

Der Handschuh

Vor seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf hohem Balkone
Die Damen in schönem Kranz.
Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der zweite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt,
Und sieht sich stumm
Rings um
Mit langem Gähnen
Und schüttelt die Mähnen
Und streckt die Glieder
Und legt sich nieder.

Und der König winkt wieder. -
Da öffnet sich behend
Ein zweites Tor,
Daraus rennt
Mit wildem Sprunge
Ein Tiger hervor.
Wie er den Löwen erschaut,
Brüllt er laut,
Schlägt mit dem Schweif
Einen furchtbaren Reif
Und recket die Zunge,
Und im Kreise scheu
Umgeht er den Leu,
Grimmig schnurrend;
Drauf streckt er sich murrend
Zur Seite nieder.

Und der König winkt wieder. -
Da speit das doppelt geöffnete Haus
Zwei Leoparden auf einmal aus.
Die stürzen mit mutiger Kampfbegier
Auf das Tigertier;
Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen.
Und der Leu mit Gebrüll
Richtet sich auf, da wird's still;
Und herum im Kreis,
Von Mordsucht heiß,
Lagern sich die gräulichen Katzen.

Da fällt von des Altans Rand
Ein Handtuch von schöner Hand
Zwischen den Tiger und den Leu'n
Mitten hinein.

Und zu Ritter Delorges, spottender Weis',
Wendet sich Fräulein Kunigunde:
"Herr Ritter, ist eure Liebe so heiß,
Wie ihr mir's schwört zu jeder Stunde,
Ei, so hebt mir den Handschuh auf!"

Und der Ritter in schnellem Lauf
Steigt hinab in den furchtbar'n Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der Ungeheuer Mitte
Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.

Und mit Erstaunen und mit Grauen
Sehen's die Ritter und Edelfrauen,
Und gelassen bringt er den Handschuh zurück.
Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde.
Aber mit zärtlichem Liebesblick -
Er verheißt ihm sein nahes Glück -
Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und er wirft ihr den Handschuh in's Gesicht.
"Den Dank, Dame, begehr' ich nicht!"
Und verlässt sie zur selben Stunde.

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Friedrich Schiller

Der Gang nach dem Eisenhammer.

Ein frommer Knecht war Fridolin,
Und in der Furcht des Herrn
Ergeben der Gebieterin,
Der Gräfin von Savern.
Sie war so sanft, sie war so gut;
Doch auch der Launen Übermuth
Hätt' er geeifert zu erfüllen
Mit Freudigkeit, um Gottes willen.
Früh von des Tages erstem Schein,
Bis spät die Vesper schlug,
Lebt' er nur ihrem Dienst allein,
That nimmer sich genug.
Und sprach die Dame: »Mach dir's leicht!«
Da wurd' ihm gleich das Auge feucht,
Und meinte, seiner Pflicht zu fehlen,
Durft' er sich nicht im Dienste quälen.

Drum vor dem ganzen Dienertroß
Die Gräfin ihn erhob;
Aus ihrem schönen Munde floß
Sein unerschöpftes Lob.
Sie hielt ihn nicht als ihren Knecht,
Es gab sein Herz ihm Kindesrecht;
Ihr klares Auge mit Vergnügen
Hing an den wohlgestalten Zügen.

Darob entbrennt in Roberts Brust,
Des Jägers, gift'ger Groll,
Dem längst von böser Schadenlust
Die schwarze Seele schwoll;
Und trat zum Grafen, rasch zur That
Und offen des Verführers Rath,
Als einst vom Jagen heim sie kamen,
Streut' ihm ins Herz des Argwohns Samen:

»Wie seid Ihr glücklich, edler Graf,«
Hub er voll Arglist an,
»Euch raubet nicht den goldnen Schlaf
Des Zweifels gift'ger Zahn;
Denn Ihr besitzt ein edles Weib,
Es gürtet Scham den keuschen Leib.
Die fromme Treue zu berücken,
Wird nimmer dem Versucher glücken.«

Da rollt der Graf die finstern Brau'n:
»Was redst du mir, Gesell?
Werd' ich auf Weibestugend bau'n,
Beweglich wie die Well'?
Leicht locket sie des Schmeichlers Mund;
Mein Glaube steht auf festerm Grund.
Vom Weib des Grafen von Saverne
Bleibt, hoff' ich, der Versucher ferne.

Der Andre spricht: »So denkt Ihr recht.
Nur Euren Spott verdient
Der Thor, der, ein geborner Knecht,
Ein Solches sich erkühnt
Und zu der Frau, die ihm gebeut,
Erhebt der Wünsche Lüsternheit« –
»Was?« fällt ihm Jener ein und bebet,
»Red'st du von Einem, der da lebet?« –

»Ja doch, was Aller Mund erfüllt,
Das bärg' sich meinem Herrn!
Doch, weil Ihr's denn mit Fleiß verhüllt,
So unterdrück' ich's gern« –
»Du bist des Todes, Bube, sprich!«
Ruft Jener streng und fürchterlich.
»Wer hebt das Aug zu Kunigonden?« –
»Nun ja, ich spreche von dem Blonden.

»Er ist nicht häßlich von Gestalt,«
Fährt er mit Arglist fort,
Indem's den Grafen heiß und kalt
Durchrieselt bei dem Wort.
»Ist's möglich, Herr? Ihr saht es nie,
Wie er nur Augen hat für sie?
Bei Tafel Eurer selbst nicht achtet,
An ihren Stuhl gefesselt schmachtet?

»Seht da die Verse, die er schrieb
Und seine Gluth gesteht« –
»Gesteht!« – »Und sie um Gegenlieb,
Der freche Bube! fleht.
Die gnäd'ge Gräfin, sanft und weich,
Aus Mitleid wohl verbarg sie's Euch;
Mich reuet jetzt, da mir's entfahren,
Denn Herr, was habt Ihr zu befahren?«

Da ritt in seines Zornes Wuth
Der Graf ins nahe Holz,
Wo ihm in hoher Öfen Gluth
Die Eisenstufe schmolz.
Hier nährten früh und spat den Brand
Die Knechte mit geschäft'ger Hand;
Der Funke sprüht, die Bälge blasen,
Als gält' es, Felsen zu verglasen.

Des Wassers und des Feuers Kraft
Verbündet sieht man hier;
Das Mühlrad, von der Fluth gerafft,
Umwälzt sich für und für;
Die Werke klappern Nacht und Tag,
Im Takte pocht der Hämmer Schlag,
Und bildsam von den mächt'gen Streichen
Muß selbst das Eisen sich erweichen.

Und zweien Knechten winket er,
Bedeutet sie und sagt:
»Den Ersten, den ich sende her,
Und der auch also fragt:
»»Habt ihr befolgt des Herren Wort?««
Den werft mir in die Hölle dort,
Daß er zu Asche gleich vergehe,
Und ihn mein Aug nicht weiter sehe!«

Deß freut sich das entmenschte Paar
Mit roher Henkerslust,
Denn fühllos, wie das Eisen, war
Das Herz in ihrer Brust.
Und frischer mit der Bälge Hauch
Erhitzen sie des Ofens Bauch
Und schicken sich mit Mordverlangen,
Das Todesopfer zu empfangen.

Drauf Robert zum Gesellen spricht
Mit falschem Heuchelschein:
»Frisch auf, Gesell, und säume nicht,
Der Herr begehret dein.«
Der Herr, der spricht zu Fridolin:
»Mußt gleich zum Eisenhammer hin
Und frage mir die Knechte dorten,
Ob sie gethan nach meinen Worten?«

Und Jener spricht: »Es soll geschehn!«
Und macht sich flugs bereit.
Doch sinnend bleibt er plötzlich stehn:
»Ob sie mir nichts gebeut?«
Und vor die Gräfin stellt er sich:
»Hinaus zum Hammer schickt man mich;
So sag, was kann ich dir verrichten?
Denn dir gehören meine Pflichten.«

Darauf die Dame von Savern
Versetzt mit sanftem Ton:
»Die heil'ge Messe hört' ich gern,
Doch liegt mir krank der Sohn.
So gehe denn, mein Kind, und sprich
In Andacht ein Gebet für mich,
Und denkst du reuig deiner Sünden,
So laß auch mich die Gnade finden.«

Und froh der vielwillkommnen Pflicht,
Macht er im Flug sich auf,
Hat noch des Dorfes Ende nicht
Erreicht in schnellem Lauf,
Da tönt ihm von dem Glockenstrang
Hellschlagend des Geläutes Klang,
Das alle Sünder, hochbegnadet,
Zum Sacramente festlich ladet.

»Dem lieben Gotte weich' nicht aus,
Findst du ihn auf dem Weg!« –
Er spricht's und tritt ins Gotteshaus:
Kein Laut ist hier noch reg';
Denn um die Ernte war's, und heiß
Im Felde glüht der Schnitter Fleiß.
Kein Chorgehülfe war erschienen,
Die Messe kundig zu bedienen.

Entschlossen ist er alsobald
Und macht den Sacristan;
»Das,« spricht er, »ist kein Aufenthalt,
Was fördert himmelan.«
Die Stola und das Cingulum
Hängt er dem Priester dienend um,
Bereitet hurtig die Gefäße,
Geheiliget zum Dienst der Messe.

Und als er dies mit Fleiß gethan,
Tritt er als Ministrant
Dem Priester zum Altar voran,
Das Meßbuch in der Hand,
Und knieet rechts und knieet links
Und ist gewärtig jedes Winks,
Und als des Sanctus Worte kamen,
Da schellt er dreimal bei dem Namen.

Drauf als der Priester fromm sich neigt
Und, zum Altar gewandt,
Den Gott, den gegenwärt'gen, zeigt
In hocherhobner Hand,
Da kündet es der Sacristan
Mit hellem Glöcklein klingend an,
Und Alles kniet und schlägt die Brüste,
Sich fromm bekreuzend vor dem Christe.

So übt er Jedes pünktlich aus
Mit schnell gewandtem Sinn;
Was Brauch ist in dem Gotteshaus,
Er hat es alles inn
Und wird nicht müde bis zum Schluß,
Bis beim Vobiscum Dominus
Der Priester zur Gemein' sich wendet,
Die heil'ge Handlung segnend endet.

Da stellt er Jedes wiederum
In Ordnung säuberlich;
Erst reinigt er das Heiligthum,
Und dann entfernt er sich
Und eilt, in des Gewissens Ruh,
Den Eisenhütten heiter zu,
Spricht unterwegs, die Zahl zu füllen,
Zwölf Paternoster noch im Stillen.

Und als er rauchen sieht den Schlot
Und sieht die Knechte stehn,
Da ruft er: »Was der Graf gebot,
Ihr Knechte, ist's geschehn?«
Und grinsend zerren sie den Mund
Und deuten in des Ofens Schlund:
»Der ist besorgt und aufgehoben,
Der Graf wird seine Diener loben.«

Die Antwort bringt er seinem Herrn
In schnellem Lauf zurück.
Als der ihn kommen sieht von fern,
Kaum traut er seinem Blick:
»Unglücklicher! wo kommst du her?« –
»Vom Eisenhammer.« – »Nimmermehr!
So hast du dich im Lauf verspätet?« –
»Herr, nur so lang, bis ich gebetet.

»Denn, als von Eurem Angesicht
Ich heute ging, verzeiht!
Da fragt' ich erst, nach meiner Pflicht,
Bei Der, die mir gebeut.
Die Messe, Herr, befahlt sie mir
Zu hören; gern gehorcht' ich ihr
Und sprach der Rosenkränze viere
Für Euer Heil und für das ihre.«

In tiefes Staunen sinket hier
Der Graf, entsetzet sich:
»Und welche Antwort wurde dir
Am Eisenhammer? sprich!« –
»Herr, dunkel war der Rede Sinn,
Zum Ofen wies man lachend hin:
Der ist besorgt und aufgehoben,
Der Graf wird seine Diener loben.« –

»Und Robert?« fällt der Graf ihm ein,
Es überläuft ihn kalt,
»Sollt' er dir nicht begegnet sein?
Ich sandt' ihn doch zum Wald.« –
»Herr, nicht im Wald, nicht in der Flur
Fand ich von Robert eine Spur« –
»Nun,« ruft der Graf und steht vernichtet,
»Gott selbst im Himmel hat gerichtet!«

Und gütig, wie er nie gepflegt,
Nimmt er des Dieners Hand,
Bringt ihn der Gattin, tiefbewegt,
Die nichts davon verstand:
»Dies Kind, kein Engel ist so rein,
Laßt's Eurer Huld empfohlen sein!
Wie schlimm wir auch berathen waren,
Mit dem ist Gott und seine Schaaren.«
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Friedrich von Schiller (Ballade)
Der Ring des Polykrates


Er stand auf seines Daches Zinnen,
Er schaute mit vergnügten Sinnen
Auf das beherrschte Samos hin.
»Dies alles ist mir untertänig,«
Begann er zu Ägyptens König,
»Gestehe, dass ich glücklich bin.«

»Du hast der Götter Gunst erfahren!
Die vormals deinesgleichen waren,
Sie zwingt jetzt deines Zepters Macht.
Doch einer lebt noch, sich zu rächen;
Dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen,
Solang des Feindes Auge wacht.«

Und eh der König noch geendet,
Da stellt sich, von Milet gesendet,
Ein Bote dem Tyrannen dar:
»Lass, Herr, des Opfers Düfte steigen,
Und mit des Lorbeers muntern Zweigen
Bekränze dir dein festlich Haar!

Getroffen sank dein Feind vom Speere,
Mich sendet mit der frohen Märe
Dein treuer Feldherr Polydor –«
Und nimmt aus einem schwarzen Becken,
Noch blutig, zu der beiden Schrecken,
Ein wohl bekanntes Haupt hervor.

Der König tritt zurück mit Grauen.
»Doch warn ich dich, dem Glück zu trauen«,
Versetzt er mit besorgtem Blick.
»Bedenk, auf ungetreuen Wellen,
Wie leicht kann sie der Sturm zerschellen,
Schwimmt deiner Flotte zweifelnd Glück.«

Und eh er noch das Wort gesprochen,
Hat ihn der Jubel unterbrochen,
Der von der Reede jauchzend schallt.
Mit fremden Schätzen reich beladen,
Kehrt zu den heimischen Gestaden
Der Schiffe mastenreicher Wald.

Der königliche Gast erstaunet:
»Dein Glück ist heute gut gelaunet,
Doch fürchte seinen Unbestand!
Der Kreter waffenkundge Scharen
Bedräuen dich mit Kriegsgefahren;
Schon nahe sind sie diesem Strand.«

Und eh ihm noch das Wort entfallen,
Da sieht man's von den Schiffen wallen,
Und tausend Stimmen rufen: »Sieg!
Von Feindesnot sind wir befreiet,
Die Kreter hat der Sturm zerstreuet,
Vorbei, geendet ist der Krieg!«

Das hört der Gastfreund mit Entsetzen:
»Fürwahr, ich muss dich glücklich schätzen,
Doch«, spricht er, »zittr' ich für dein Heil.
Mir grauet vor der Götter Neide:
Des Lebens ungemischte Freude
Ward keinem Irdischen zuteil.

Auch mir ist alles wohl geraten,
Bei allen meinen Herrschertaten
Begleitet mich des Himmels Huld;
Doch hatt ich einen teuren Erben,
Den nahm mir Gott, ich sah in sterben,
Dem Glück bezahlt ich meine Schuld.

Drum, willst du dich vor Leid bewahren,
So flehe zu den Unsichtbaren,
Dass sie zum Glück den Schmerz verleihn.
Noch keinen sah ich fröhlich enden,
Auf den mit immer vollen Händen
Die Götter ihre Gaben streun.

Und wenn's die Götter nicht gewähren,
So acht auf eines Freundes Lehren
Und rufe selbst das Unglück her,
Und was von allen deinen Schätzen
Dein Herz am höchsten mag ergetzen,
Das nimm und wirf's in dieses Meer!«

Und jener spricht, von Furcht beweget:
»Von allem, was die Insel heget,
Ist dieser Ring mein höchstes Gut.
Ihn will ich den Erinnen weihen,
Ob sie mein Glück mir dann verzeihen –«
Und wirft das Kleinod in die Flut.

Und bei des nächsten Morgens Lichte,
Da tritt mit fröhlichem Gesichte
Ein Fischer vor den Fürsten hin:
»Herr, diesen Fisch hab ich gefangen,
Wie keiner noch ins Netz gegangen,
Dir zum Geschenke bring ich ihn.«

Und als der Koch den Fisch zerteilet,
Kommt er bestürzt herbeigeeilet
Und ruft mit hocherstauntem Blick:
»Sieh, Herr, den Ring, den du getragen,
Ihn fand ich in des Fisches Magen,
O, ohne Grenzen ist dein Glück!«

Hier wendet sich der Gast mit Grausen:
»So kann ich hier nicht ferner hausen,
Mein Freund kannst du nicht weiter sein.
Die Götter wollen dein Verderben –
Fort eil ich, nicht mit dir zu sterben.«
Und sprach's und schiffte schnell sich ein.

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Friedrich Schiller

Ritter Toggenburg.

„Ritter, treue Schwesterliebe
Widmet euch dieß Herz,
Fodert keine andre Liebe,
Denn es macht mir Schmerz.
Ruhig mag ich euch erscheinen,
Ruhig gehen sehn.
Eurer Augen stilles Weinen
Kann ich nicht verstehn.“

Und er hörts mit stummem Harme,
Reißt sich blutend los,
Preßt sie heftig in die Arme,
Schwingt sich auf sein Roß,
Schickt zu seinen Mannen allen
In dem Lande Schweitz,
Nach dem heilgen Grab sie wallen,
Auf der Brust das Kreutz.

Große Thaten dort geschehen
Durch der Helden Arm,
Ihres Helmes Büsche wehen
In der Feinde Schwarm,
Und des Toggenburgers Nahme
Schreckt den Muselmann,
Doch das Herz von seinem Grame
Nicht genesen kann.

Und ein Jahr hat ers getragen,
Trägts nicht länger mehr,
Ruhe kann er nicht erjagen,
Und verläßt das Heer,
Sieht ein Schiff an Joppe’s Strande
Das die Segel bläht,
Schiffet heim zum theuren Lande,
Wo ihr Athem weht.

Und an ihres Schlosses Pforte
Klopft der Pilger an,
Ach! und mit dem Donnerworte
Wird sie aufgethan:
„Die ihr suchet, trägt den Schleier,
Ist des Himmels Braut,
Gestern war des Tages Feyer
Der sie Gott getraut.“

Da verlässet er auf immer
Seiner Väter Schloß,
Seine Waffen sieht er nimmer,
Noch sein treues Roß,
Von der Toggenburg hernieder
Steigt er unbekannt,
Denn es deckt die edeln Glieder
Härenes Gewand.

Und erbaut sich eine Hütte
Jener Gegend nah
Wo das Kloster aus der Mitte
Düstrer Linden sah;
Harrend von des Morgens Lichte
Bis zu Abends Schein,
Stille Hofnung im Gesichte,
Saß er da allein.

Blickte nach dem Kloster drüben
Blickte Stundenlang,
Nach dem Fenster seiner Lieben,
Bis das Fenster klang,
Bis die Liebliche sich zeigte,
Bis das theure Bild
Sich ins Thal herunterneigte,
Ruhig, engelmild.

Und dann legt er froh sich nieder,
Schlief getröstet ein,
Still sich freuend, wenn es wieder
Morgen würde seyn.
Und so saß er viele Tage
Saß viel Jahre lang,
Harrend ohne Schmerz und Klage
Bis das Fenster klang,

Bis die Liebliche sich zeigte,
Bis das theure Bild
Sich ins Thal herunter neigte,
Ruhig, engelmild.
Und so saß er, eine Leiche,
Eines Morgens da,
Nach dem Fenster noch das bleiche
Stille Antlitz sah.

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Friedrich Schiller

Die Kraniche des Ibykus

Zum Kampf der Wagen und Gesänge,
Der auf Korinthus' Landesenge
Der Griechen Stämme froh vereint,
Zog Ibykus, der Götterfreund.
Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
Der Lieder süßen Mund Apoll,
So wandert' er, an leichtem Stabe,
Aus Rhegium, des Gottes voll.

Schon winkt auf hohem Bergesrücken
Akrokorinth des Wandrers Blicken,
Und in Poseidons Fichtenhain
Tritt er mit frommem Schauder ein.
Nichts regt sich um ihn her, nur Schwärme
Von Kranichen begleiten ihn,
Die fernhin nach des Südens Wärme
In graulichtem Geschwader ziehn.

"Seid mir gegrüßt, befreundte Scharen!
Die mir zur See Begleiter waren,
Zum guten Zeichen nehm ich euch,
Mein Los, es ist dem euren gleich.
Von fernher kommen wir gezogen
Und flehen um ein wirtlich Dach.
Sei uns der Gastliche gewogen,
Der von dem Fremdling wehrt die Schmach!"

Und munter fördert er die Schritte
Und sieht sich in des Waldes Mitte,
Da sperren, auf gedrangem Steg,
Zwei Mörder plötzlich seinen Weg.
Zum Kampfe muß er sich bereiten,
Doch bald ermattet sinkt die Hand,
Sie hat der Leier zarte Saiten,
Doch nie des Bogens Kraft gespannt.

Er ruft die Menschen an, die Götter,
Sein Flehen dringt zu keinem Retter,
Wie weit er auch die Stimme schickt,
Nicht Lebendes wird hier erblickt.
"So muß ich hier verlassen sterben,
Auf fremdem Boden, unbeweint,
Durch böser Buben Hand verderben,
Wo auch kein Rächer mir erscheint!"

Und schwer getroffen sinkt er nieder,
Da rauscht der Kraniche Gefieder,
Er hört, schon kann er nichts mehr sehn,
Die nahen Stimmen furchtbar krähn.
"Von euch, ihr Kraniche dort oben,
Wenn keine andre Stimme spricht,
Sei meines Mordes Klag erhoben!"
Er ruft es, und sein Auge bricht.

Der nackte Leichnam wird gefunden,
Und bald, obgleich entstellt von Wunden,
Erkennt der Gastfreund in Korinth
Die Züge, die ihm teuer sind.
"Und muß ich dich so wiederfinden,
Und hoffte mit der Fichte Kranz
Des Sängers Schläfe zu umwinden,
Bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!"

Und jammernd hören's alle Gäste,
Versammelt bei Poseidons Feste,
Ganz Griechenland ergreift der Schmerz,
Verloren hat ihn jedes Herz.
Und stürmend drängt sich zum Prytanen
Das Volk, es fordert seine Wut,
Zu rächen des Erschlagnen Manen,
Zu sühnen mit des Mörders Blut.

Doch wo die Spur, die aus der Menge,
Der Völker flutendem Gedränge,
Gelocket von der Spiele Pracht,
Den schwarzen Täter kenntlich macht?
Sind's Räuber, die ihn feig erschlagen?
Tat's neidisch ein verborgner Feind?
Nur Helios vermag's zu sagen,
Der alles Irdische bescheint.

Er geht vielleicht mit frechem Schritte
Jetzt eben durch der Griechen Mitte,
Und während ihn die Rache sucht,
GeniePt er seines Frevels Frucht.
Auf ihres eignen Tempels Schwelle
Trotzt er vielleicht den Göttern, mengt
Sich dreist in jene Menschenwelle,
Die dort sich zum Theater drängt.

Denn Bank an Bank gedränget sitzen,
Es brechen fast der Bühne Stützen,
Herbeigeströmt von fern und nah,
Der Griechen Völker wartend da,
Dumpfbrausend wie des Meeres Wogen;
Von Menschen wimmelnd, wächst der Bau
In weiter stets geschweiftem Bogen
Hinauf bis in des Himmels Blau.

Wer zählt die Völker, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammenkamen?
Von Theseus' Stadt, von Aulis' Strand,
Von Phokis, vom Spartanerland,
Von Asiens entlegener Küste,
Von allen Inseln kamen sie
Und horchen von dem Schaugerüste
Des Chores grauser Melodie,

Der streng und ernst, nach alter Sitte,
Mit langsam abgemeßnem Schritte,
Hervortritt aus dem Hintergrund,
Umwandelnd des Theaters Rund.
So schreiten keine irdschen Weiber,
Die zeugete kein sterblich Haus!
Es steigt das Riesenmaß der Leiber
Hoch über menschliches hinaus.

Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden,
Sie schwingen in entfleischten Händen
Der Fackel düsterrote Glut,
In ihren Wangen fließt kein Blut.
Und wo die Haare lieblich flattern,
Um Menschenstirnen freundlich wehn,
Da sieht man Schlangen hier und Nattern
Die giftgeschwollenen Bäuche blähn.

Und schauerlich gedreht im Kreise
Beginnen sie des Hymnus Weise,
Der durch das Herz zerreißend dringt,
Die Bande um den Sünder schlingt.
Besinnungsraubend, herzbetörend
Schallt der Errinyen Gesang,
Er schallt, des Hörers Mark verzehrend,
Und duldet nicht der Leier Klang:

Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle
Bewahrt die kindlich reine Seele!
Ihm dürfen wir nicht rächend nahn,
Er wandelt frei des Lebens Bahn.
Doch wehe, wehe, wer verstohlen
Des Mordes schwere Tat vollbracht,
Wir heften uns an seine Sohlen,
Das furchtbare Geschlecht der Nacht!

Und glaubt er fliehend zu entspringen,
Geflügelt sind wir da, die Schlingen
Ihm werfend um den flüchtgen Fuß,
DaP er zu Boden fallen muß.
So jagen wir ihn, ohn Ermatten,
Versöhnen kann uns keine Reu,
Ihn fort und fort bis zu den Schatten
Und geben ihn auch dort nicht frei.

So singend, tanzen sie den Reigen,
Und Stille wie des Todes Schweigen
Liegt überm ganzen Hause schwer,
Als ob die Gottheit nahe wär.
Und feierlich, nach alter Sitte
Umwandelnd des Theaters Rund
Mit langsam abgemePnem Schritte,
Verschwinden sie im Hintergrund.

Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet
Noch zweifelnd jede Brust und bebet
Und huldigt der furchtbarn Macht,
Die richtend im Verborgnen wacht,
Die unerforschlich, unergründet
Des Schicksals dunklen Knäuel flicht,
Dem tiefen Herzen sich verkündet,
Doch fliehet vor dem Sonnenlicht.

Da hört man auf den höchsten Stufen
Auf einmal eine Stimme rufen:
"Sieh da! Sieh da, Timotheus,
Die Kraniche des Ibykus!" –
Und finster plötzlich wird der Himmel,
Und über dem Theater hin
Sieht man in schwärzlichtem Gewimmel
Ein Kranichheer vorüberziehn.

"Des Ibykus!" – Der teure Name
Rührt jede Brust mit neuem Grame,
Und, wie im Meere Well auf Well,
So läuft's von Mund zu Munde schnell:
"Des Ibykus, den wir beweinen,
Den eine Mörderhand erschlug!
Was ist's mit dem? Was kann er meinen?
Was ist's mit diesem Kranichzug?" –

Und lauter immer wird die Frage,
Und ahnend fliegt's mit Blitzesschlage
Durch alle Herzen. "Gebet acht!
Das ist der Eumeniden Macht!
Der fromme Dichter wird gerochen,
Der Mörder bietet selbst sich dar!
Ergreift ihn, der das Wort gesprochen,
Und ihn, an den's gerichtet war."

Doch dem war kaum das Wort entfahren,
Möcht er's im Busen gern bewahren;
Umsonst, der schreckenbleiche Mund
Macht schnell die Schuldbewußten kund.
Man reißt und schleppt sie vor den Richter,
Die Szene wird zum Tribunal,
Und es gestehn die Bösewichter,
Getroffen von der Rache Strahl.

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Johann Wolfgang von Goethe (Balladen)

Der neue Pausias und sein Blumenmädchen.

Pausias von Sicyon, der Maler, war als Jüngling in Glyceren, seine Mitbürgerin, verliebt, welche Blumenkränze zu winden einen sehr erfinderischen Geist hatte. Sie wetteiferten mit einander, und er brachte die Nachahmung der Blumen zur größten Mannichfaltigkeit. Endlich malte er seine Geliebte, sitzend, mit einem Kranze beschäftigt. Dieses Bild wurde für eins seiner besten gehalten, und die Kranzwinderin oder Kranzhändlerin genannt, weil Glycere sich auf diese Weise als ein armes Mädchen ernährt hatte. Lucius Lucullus kaufte eine Copie in Athen für zwei Talente. Plinius B. XXXV, C. XI.

Sie.
Schütte die Blumen nur her zu meinen Füßen und deinen!
Welch ein chaotisches Bild holder Verwirrung du streust!

Er.
Du erscheinest als Liebe, die Elemente zu knüpfen;
Wie du sie bindest, so wird nun erst ein Leben daraus.

Sie.
Sanft berühre die Rose, sie bleib' im Körbchen verborgen;
Wo ich dich finde, mein Freund, öffentlich reich' ich sie dir.

Er.
Und ich thu', als kennt' ich dich nicht, und danke dir freundlich;
Aber dem Gegengeschenk weichet die Geberin aus.

Sie.
Reiche die Hyazinthe mir nun, und reiche die Nelke,
Daß die frühe zugleich neben der späteren sei.

Er.
Laß im blumigen Kreise zu deinen Füßen mich sitzen,
Und ich fülle den Schooß dir mit der lieblichen Schaar.

Sie.
Reiche den Faden mir erst; dann sollen die Gartenverwandten,
Die sich von ferne nur sahn, neben einander sich freun.

Er.
Was bewundr' ich zuerst? was zuletzt? die herrlichen Blumen?
Oder der Finger Geschick? oder der Wählerin Geist?

Sie.
Gieb auch Blätter, den Glanz der blendenden Blumen zu mildern;
Auch das Leben verlangt ruhige Blätter im Kranz.

Er.
Sage, was wählst du so lange bei diesem Strauße? Gewiß ist
Dieser Jemand geweiht, den du besonders bedenkst.

Sie.
Hundert Sträuße vertheil' ich des Tags, und Kränze die Menge;
Aber den schönsten doch bring' ich am Abende dir.

Er.
Ach! wie wäre der Maler beglückt, der diese Gewinde
Malte, das blumige Feld, ach! und die Göttin zuerst!

Sie.
Aber doch mäßig beglückt ist der, mich dünkt, der am Boden
Hier sitzt, dem ich den Kuß reichend noch glücklicher bin.

Er.
Ach, Geliebte, noch einen! Die neidischen Lüfte des Morgens
Nahmen den ersten sogleich mir von den Lippen hinweg.

Sie.
Wie der Frühling die Blumen mir giebt, so geb' ich die Küsse
Gern dem Geliebten; und hier sei mit dem Kusse der Kranz!

Er.
Hätt' ich das hohe Talent des Pausias glücklich empfangen,
Nachzubilden den Kranz wär' ein Geschäfte des Tags!

Sie.
Schön ist er wirklich. Sieh ihn nur an! Es wechseln die schönsten
Kinder Florens um ihn, bunt und gefällig, den Tanz.

Er.
In die Kelche versenkt' ich mich dann, und erschöpfte den süßen
Zauber, den die Natur über die Kronen ergoß.

Sie.
Und so fänd' ich am Abend noch frisch den gebundenen Kranz hier;
Unverwelklich spräch' uns von der Tafel er an.

Er.
Ach, wie fühl' ich mich arm und unvermögend! wie wünscht' ich
Fest zu halten das Glück, das mir die Augen versengt!

Sie.
Unzufriedener Mann! Du bist ein Dichter, und neidest
Jenes Alten Talent? Brauche das deinige doch!

Er.
Und erreicht wohl der Dichter den Schmelz der farbigen Blumen?
Neben deiner Gestalt bleibt nur ein Schatten sein Wort!

Sie.
Aber vermag der Maler wohl auszudrücken: Ich liebe!
Nur dich lieb' ich, mein Freund, lebe für dich nur allein!

Er.
Ach! und der Dichter selbst vermag nicht zu sagen: Ich liebe!
Wie du, himmlisches Kind, süß mir es schmeichelst in's Ohr.

Sie.
Viel vermögen sie Beide; doch bleibt die Sprache des Kusses
Mit der Sprache des Blicks nur den Verliebten geschenkt.

Er.
Du vereinigest Alles; du dichtest und malest mit Blumen:
Florens Kinder sind dir Farben und Worte zugleich.

Sie.
Nur ein vergängliches Werk entwindet der Hand sich des Mädchens
Jeden Morgen; die Pracht welkt vor dem Abende schon.

Er.
Auch so geben die Götter vergängliche Gaben, und locken
Mit erneutem Geschenk immer die Sterblichen an.

Sie.
Hat dir doch kein Strauß, kein Kranz des Tages gefehlet,
Seit dem ersten, der dich mir so von Herzen verband.

Er.
Ja, noch hängt er zu Hause, der erste Kranz, in der Kammer,
Welchen du mir, den Schmaus lieblich umwandelnd, gereicht.

Sie.
Da ich den Becher dir kränzte, die Rosenknospe hineinfiel,
Und du trankest, und riefst: Mädchen, die Blumen sind Gift!

Er.
Und dagegen du sagtest: Sie sind voll Honig, die Blumen;
Aber die Biene nur findet die Süßigkeit aus.

Sie.
Und der rohe Timanth ergriff mich, und sagte: Die Hummeln
Forschen des herrlichen Kelchs süße Geheimnisse wohl?

Er.
Und du wandtest dich weg, und wolltest fliehen; es stürzten,
Vor dem täppischen Mann Körbchen und Blumen hinab.

Sie.
Und du riefst ihm gebietend: Das Mädchen laß nur! die Sträuße,
So wie das Mädchen selbst sind für den feineren Sinn.

Er.
Aber fester hielt er dich nur; es grins'te der Lacher,
Und dein Kleid zerriß oben vom Nacken herab.

Sie.
Und du warfst in begeisterter Wuth den Becher hinüber,
Daß er am Schädel ihm, häßlich vergossen, erklang.

Er.
Wein und Zorn verblendeten mich; doch sah ich den weißen
Nacken, die herrliche Brust, die du bedecktest, im Blick.

Sie.
Welch ein Getümmel ward und ein Aufstand! Purpurn das Blut lief,
Mit dem Weine vermischt, gräulich dem Gegner vom Haupt.

Er.
Dich nur sah ich, nur dich am Boden knieend, verdrießlich;
Mit der einen Hand hieltst das Gewand du hinauf.

Sie.
Ach, da flogen die Teller nach dir! Ich sorgte, den edeln
Fremdling träfe der Wurf kreisend geschwungnen Metalls.

Er.
Und doch sah ich nur dich, wie rasch mit der anderen Hand du
Körbchen, Blumen und Kranz sammeltest unter dem Stuhl.

Sie.
Schützend tratest du vor. daß nicht mich verletzte der Zufall
Oder der zornige Wirth, weil ich das Mahl ihm gestört.

Er.
Ja, ich erinnre mich noch; ich nahm den Teppich wie Einer,
Der auf dem linken Arm gegen den Stier ihn bewegt.

Sie.
Ruhe gebot der Wirth und sinnige Freunde. Da schlüpft' ich
Sachte hinaus; nach dir wendet' ich immer den Blick.

Er.
Ach, du warst mir verschwunden! vergebens sucht' ich in allen
Winkeln des Hauses herum, so wie auf Straßen und Markt.

Sie.
Schamhaft blieb ich verborgen. Das unbescholtene Mädchen,
Sonst von den Bürgern geliebt, war nun das Mährchen des Tags.

Er.
Blumen sah ich genug und Sträuße, Kränze die Menge;
Aber du fehltest mir, aber du fehltest der Stadt.

Sie.
Stille saß ich zu Hause. Da blätterte los sich vom Zweige
Manche Rose, so auch dorrte die Nelke dahin.

Er.
Mancher Jüngling sprach auf dem Platz: Da liegen die Blumen!
Aber die liebliche fehlt, die sie verbände zum Kranz.

Sie.
Kränze band ich indessen zu Haus' und ließ sie verwelken.
Siehst du? da hangen sie noch neben dem Herde für dich.

Er.
Auch so welkte der Kranz, dein erstes Geschenk! Ich vergaß nicht
Ihn im Getümmel, ich hing neben dem Bett mir ihn auf.

Sie.
Abends betrachtete ich mir die welkenden, saß noch und weinte,
Bis in der dunkelen Nacht Farbe nach Farbe verlosch.

Er.
Irrend ging ich umher, und fragte nach deiner Behausung;
Keiner der Eitelsten selbst konnte mir geben Bescheid.

Sie.
Keiner hat je mich besucht, und Keiner weiß die entlegne
Wohnung; die Größe der Stadt birget die Aermere leicht.

Er.
Irrend lief ich umher und flehte zur spähenden Sonne:
Zeige mir, mächtiger Gott, wo du im Winkel ihr scheinst!

Sie.
Große Götter hörten dich nicht; doch Penia hört' es.
Endlich trieb die Noth nach dem Gewerbe mich aus.

Er.
Trieb nicht noch dich ein anderer Gott, den Beschützer zu suchen?
Hatte nicht Amor für uns wechselnde Pfeile getauscht?

Sie.
Spähend sucht' ich dich auf bei vollem Markt, und ich sah dich!

Er.
Und es hielt das Gedräng' keines der Liebenden auf.

Sie.
Schnell wir theilten das Volk, wir kamen zusammen, du standest.

Er.
Und du standest vor mir, ja! und wir waren allein.

Sie.
Mitten unter den Menschen! sie schienen mir Sträucher und Bäume.

Er.
Und mir schien ihr Getös' nur ein Geriesel des Quells.

Sie.
Immer allein sind Liebende sich in der größten Versammlung;
Aber sind sie zu Zwei'n, stellt auch der Dritte sich ein.

Er.
Amor, ja! er schmückt sich mit diesen herrlichen Kränzen.
Schütte die Blumen nun doch fort, aus dem Schooße den Rest!

Sie.
Nun, ich schüttle sie weg, die schönen. In deiner Umarmung,
Lieber, geht mir auch heut wieder die Sonne nur auf.

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Johann Wolfgang von Goethe (Balladen)

Der Zauberlehrling

Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben;
Seine Wort' und Werke
Merkt' ich, und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu' ich Wunder auch.

Walle! Walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe,
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
Bist schon lange Knecht gewesen;
Nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
Oben sein ein Kopf,
Eile nun und gehe
Mit dem Wassertopf.

Walle! Walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe,
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Seht, er läuft zum Ufer nieder;
Wahrlich! Ist schon an dem Flusse
Und mit Blitzesschnelle wieder
Ist er hier im raschen Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
Voll mit Wasser füllt!

Stehe! sehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! -
Ach, ich merk' es! Wehe! wehe!
Hab' ich doch das Wort vergessen!

Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen.
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
Bringt er schnell herein,
Ach! und hundert Flüsse
Stürzen auf mich ein.

Rein, nicht länger
Kann ich's lassen;
Will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach! nun wird im immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!

O, du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh' ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
Der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
Steh doch wieder still!

Willst's am Ende
Gar nicht lassen?
Will dich fassen
Will dich halten,
Und das alte Holz behende
Mit dem scharfen Beile spalten.

Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nun auf dich werfe,
Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
Krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich! Brav getroffen!
Steht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
Und ich atme frei!

Wehe! wehe!
Beide Teile
Stehn in Eile
Schon, als Knechte,
Völlig fertig in der Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

Und sie laufen! Nass und nässer
Wird's im Saal und auf den Stufen.
Welch' entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! Hör' mich rufen! -
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd' ich nun nicht los.

"In die Ecke,
Besen! Besen!
Seid's gewesen.
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister."

top

Johann Wolfgang von Goethe

Der Schatzgräber

Arm am Beutel, krank am Herzen,
Schleppt ich meine langen Tage.
Armuth ist die größte Plage,
Reichthum ist das höchste Gut!
Und zu enden meine Schmerzen,
Ging ich einen Schatz zu graben.
Meine Seele sollst du haben!
Schrieb ich hin mit eignem Blut.

Und so zog ich Kreis um Kreise,
Stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
Und auf die gelernte Weise
Grub ich nach dem alten Schatze
Auf dem angezeigten Platze;
Schwarz und stürmisch war die Nacht.

Und ich sah ein Licht von weiten,
Und es kam gleich einem Sterne,
Hinten aus der fernsten Ferne.
Eben als es zwölfe schlug.
Und da galt kein Vorbereiten:
Heller ward's mit einemmale
Von dem Glanz der vollen Schale,
Die ein schöner Knabe trug.

Holde Augen sah ich blinken
Unter dichtem Blumenkranze;
In des Trankes Himmelsglanze
Trat er in den Kreis herein.
Und er hieß mich freundlich trinken,
Und ich dacht' es kann der Knabe
Mit der schönen, lichten Gabe
Wahrlich nicht der Böse sein.

Trinke Muth des reinen Lebens!
Dann verstehst du die Belehrung,
Kommst, mit ängstlicher Beschwörung,
Nicht zurück an diesen Ort.
Grabe hier nicht mehr vergebens!
Tages Arbeit, Abends Gäste!
Saure Wochen, frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.

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Johann Wolfgang von Goethe

Die Braut von Korinth

Nach Korinthus von Athen gezogen
kam ein Jüngling, dort noch unbekannt.
Einen Bürger hofft er sich gewogen;
beide Väter waren gastverwandt,
hatten frühe schon
Töchterchen und Sohn
Braut und Bräutigam voraus genannt.

Aber wird er auch willkommen scheinen,
wenn er teuer nicht die Gunst erkauft?
Er ist noch ein Heide mit den Seinen,
und sie sind schon Christen und getauft.
Keimt ein Glaube neu,
wird oft Lieb und Treu
wie ein böses Unkraut ausgerauft.

Und schon lag das ganze Haus im Stillen,
Vater, Töchter, nur die Mutter wacht;
sie empfängt den Gast mit bestem Willen,
gleich ins Prunkgemach wird er gebracht.
Wein und Essen prangt,
eh er es verlangt:
so versorgend wünscht sie gute Nacht.

Aber bei dem wohlbestellten Essen
wird die Lust der Speise nicht erregt:
Müdigkeit läßt Speis und Trank vergessen,
dass er angekleidet sich aufs Bette legt;
und er schlummert fast,
als ein seltner Gast
sich zur offnen Tür herein bewegt.

Denn er, sieht bei seiner Lampe Schimmer,
tritt, mit weißem Schleier und Gewand,
sittsam still ein Mädchen in das Zimmer,
um die Stirn ein schwarz' und goldnes Band.
Wie sie ihn erblickt,
hebt sie, die erschrickt,
mit Erstaunen eine weiße Hand.

Bin ich, rief sie aus, so fremd im Hause,
dass ich von dem Gaste nichts vernahm!
Ach, so hält man mich in meiner Klause,
Und nun überfällt mich hier die Scham.
Ruhe nur so fort
auf dem Lager dort,
und ich gehe schnell, so wie ich kam.

Bleibe, schönes Mädchen! ruft der Knabe,
rafft von seinem Lager sich geschwind:
hier ist Ceres', hier ist Bacchus' Gabe,
und du bringst den Amor, liebes Kind!
Bist vor Schrecken blaß!
Liebe, komm und laß,
laß uns sehn, wie froh die Götter sind.

Ferne bleib, o Jüngling! bleibe stehen;
ich gehöre nicht den Freuden an.
Schon der letzte Schritt ist, ach! geschehen,
durch der guten Mutter kranken Wahn,
die genesend schwur,
Jugend und Natur
sei dem Himmel künftig untertan.

Und der alten Götter bunt Gewimmel
hat sogleich das stille Haus geleert;
unsichtbar wird einer nur im Himmel
und ein Heiland wird am Kreuz verehrt.
Opfer fallen hier,
weder Lamm noch Stier,
aber Menschenopfer unerhört.

Und er fragt und wäget alle Worte,
deren keines seinem Geist entgeht.
Ist es möglich, dass am stillen Orte
die geliebte Braut hier vor mir steht?
Sei die meine nur!
Unsrer Väter Schwur
hat vom Himmel Segen uns erfleht.

Mich erhälst du nicht, du gute Seele!
Meiner zweiten Schwester gönnt man dich.
Wenn ich mich in stiller Klause quäle,
ach! in ihren Armen denk an mich,
die an dich nur denkt,
die sich liebend kränkt;
in die Erde bald verbirgt sie sich.

Nein! bei dieser Flamme sei's geschworen,
gütig weist sie Hymen uns voraus;
bist der Freude nicht und mir verloren,
kommst mit mir in meines Vaters Haus.
Liebchen, bleibe hier!
Feire gleich mit mir
unerwartet unsern Hochzeitsschmaus.

Und schon wechseln sie der Treue Zeichen;
golden reicht sie ihm die Kette dar,
und er will ihr eine Schale reichen,
silbern, künstlich, wie nicht eine war.
Die ist nicht für mich;
doch ich bitte dich,
eine Locke gib von deinem Haar.

Eben schlug die dumpfe Geisterstunde,
und nun schien es ihr erst wohl zu sein,
gierig schlürfte sich mit blassem Munde
nun den dunkel blutgefärbten Wein;
doch vom Weizenbrot,
das er freundlich bot,
nahm sie nicht den kleinsten Bissen ein.

Und dem Jüngling reichte sie die Schale,
der wie sie nun hastig lüsternd trank.
Liebe fordert er beim stillen Mahle;
ach, sein armes Herz war liebekrank.
Doch sie widersteht,
wie er immer fleht,
bis er weinend auf das Bette sank.

Und sie kommt und wirft sich zu ihm nieder.
Ach, wie ungern seh ich dich gequält,
aber ach, berührst du meine Glieder,
fühlst du schaudernd, was ich dir verhehlt:
Wie der Schnee so weiß,
aber kalt wie Eis,
ist das Liebchen, dass du dir erwählt.

Heftig faßt er sie mit starken Armen,
von der Liebe Jugendkraft durchmannt:
Hoffe doch, bei mir noch zu erwarmen,
wärst du selbst mir aus dem Grab gesandt!
Wechselhauch und Kuß!
Liebesüberfluß!
Brennst du nicht und fühlest mich entbrannt?

Liebe schließet fester sie zusammen,
Tränen mischen sich in ihre Lust;
gierig saugt sie seines Mundes Flammen,
eins ist nur im andern sich bewußt.
Seine Liebeswut
wärmt ihr starres Blut,
doch es schlägt kein Herz in ihrer Brust.

Unterdessen schleichet auf dem Gange
häuslich spät die Mutter noch vorbei,
horchet an der Tür und horchet lange,
welch ein sonderbarer Ton es sei:
Klag- und Wonnelaut
Bräutigams und Braut
und des Liebestammelns Raserei.

Unbeweglich bleibt sie an der Türe,
weil sie erst sich überzeugen muß,
und sie hört die höchsten Liebesschwüre,
Lieb- und Schmeichelworte mit Verdruß:
Still! der Hahn erwacht! -
aber morgen Nacht
bist du wieder da? - und Kuß auf Kuß.

Länger hält die Mutter nicht das Zürnen,
öffnet das bekannte Schloß geschwind:
Gibt es hier im Hause solche Dirnen,
die dem Fremden gleich zu Willen sind?
So zur Tür herein.
Bei der Lampe Schein
sieht sie - Gott! sie sieht ihr eigen Kind.

Und der Jüngling will im ersten Schrecken
mit des Mädchens eignem Schleierflor,
mit dem Teppich die Geliebte decken;
doch sie windet gleich sich selbst hervor.
Wie mit Geists Gewalt,
hebt sich die Gestalt
lang und langsam sich im Bett empor.

Mutter! Mutter! spricht sie hohle Worte,
so mißgönnt Ihr mir die schöne Nacht,
ihr vertriebt mich von dem warmen Orte!
Bin ich zur Verzweiflung nur erwacht?
Ist's Euch nicht genug,
dass ins Leichentuch,
dass Ihr früh mich in das Grab gebracht?

Aber aus der schwerbedeckten Enge
treibet mich ein eigenes Gericht.
Eurer Priester summende Gesänge
und ihr Segen haben kein Gewicht;
Salz und Wasser kühlt
nicht, wo Jugend fühlt,
Ach! die Erde kühlt die Liebe nicht!

Dieser Jüngling war mir erst versprochen,
als noch Venus' heitrer Tempel stand.
Mutter, habt ihr doch das Wort gebrochen,
weil ein fremd, ein falsch Gelübd Euch band!
Doch kein Gott erhört,
wenn die Mutter schwört,
zu versagen ihrer Tochter Hand.

Aus dem Grabe werd ich ausgetrieben,
noch zu suchen das vermißte Gut
und den schon verlornen Mann zu lieben
und zu saugen seines Herzens Blut.
Ist's um den geschehn
muß nach andern gehn,
und das junge Volk erliegt der Wut.

Schöner Jüngling, kannst nicht länger leben;
du versiechest nun an diesem Ort.
Meine Kette hab ich dir gegeben;
deine Locke nehm ich mit mir fort.
Sieh sie an genau!
Morgen bist du grau,
und nur braun erscheinst du wieder dort.

Höre, Mutter, nun die letzte Bitte:
Einen Scheiterhaufen schichte du;
Öffne meine bange, kleine Hütte,
bring in Flammen Liebende zur Ruh!
Wenn der Funke sprüht,
wenn die Asche glüht,
eilen wir den alten Göttern zu.

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Johann Wolfgang von Goethe

Der Gott und die Bajadere

(Indische Legende)

Mahadöh, der Herr der Erde,
Kommt herab zum sechsten Mal,
Daß er unsersgleichen werde,
Mitzufühlen Freud und Qual.
Er bequemt sich, hier zu wohnen,
Läßt sich alles selbst geschehn.
Soll er strafen oder schonen,
Muß er Menschen menschlich sehn.
Und hat er die Stadt sich als Wandrer betrachtet,
Die Großen belauert, auf Kleine geachtet,
Verläßt er sie abends, um weiterzugehn.

Als er nun hinausgegangen,
Wo die letzten Häuser sind,
Sieht er, mit gemalten Wangen,
Ein verlornes schönes Kind.
>>Grüß dich, Jungfrau !<< - >>Dank der Ehre!<<
Wart, ich komme gleich hinaus.<< -
>>Und wer bist du?<< ->>Bajadere,
Und dies ist der Liebe Haus.<<
Sie rührt sich, die Zimbeln zum Tanze zu schlagen,
Sie weiß sich so lieblich im Kreise zu tragen,
Sie neigt sich und biegt sich und reicht ihm den Strauß.

Schmeichelnd zieht sie ihn zur Schwelle,
Lebhaft ihn ins Haus hinein:
>>Schöner Fremdling, lampenhelle
Soll sogleich die Hütte sein.
Bist du müd, ich will dich laben,
Lindern deiner Füße Schmerz.
Was du willst, das sollst du haben,
Ruhe, Freuden oder Scherz.<<
Sie lindert geschäftig geheuchelte Leiden.
Der Göttliche lächelt; er siehet mit Freuden
Durch tiefes Verderben ein menschliches Herz.

Und er fordert Sklavendienste;
Immer heitrer wird sie nur,
Und des Mädchens frühe Künste
Werden nach und nach Natur.
Und so stellet auf die Blüte
Bald und bald die Frucht sich ein;
Ist Gehorsam im Gemüte,
Wird nicht fern die Liebe sein.
Aber, sie wird schärfer und schärfer zu prüfen,
Wählet der Kenner der Höhen und Tiefen
Lust und Entsetzen und grimmige Pein.

Und er küßt die bunten Wangen,
Und sie fühlt der Liebe Qual,
Und das Mädchen steht gefangen,
Und sie weint zum erstenmal,
Sinkt zu seinen Füßen nieder,
Nicht um Wollust noch Gewinst,
Ach! und die gelenken Glieder,
Sie versagen allen Dienst.
Und so zu des Lagers vergnüglicher Feier
Bereiten den dunklen, behaglichen Schleier
Die nächtlichen Stunden, das schöne Gespinst.

Spät entschlummert unter Scherzen,
Früh erwacht nach kurzer Rast,
Findet sie an ihrem Herzen
Tot den vielgeliebten Gast.
Schreiend stürzt sie auf ihn nieder;
Aber nicht erweckt sie ihn,
Und man trägt die starren Glieder
Bald zur Flammengrube hin.
Sie höret die Priester. die Totengesänge,
Sie raset und rennet und teilet die Menge.
>>Wer bist du? Was drängt zu der Grube dich hin?<<

Bei der Bahre stürzt sie nieder,
Ihr Geschrei durchdringt die Luft:
>>Meinen Gatten will ich wieder!
Und ich such ihn in der Gruft.
Soll zu Asche mir zerfallen
Dieser Glieder Götterpracht?
Mein! er war es, mein vor allen!
Ach, nur Eine süße Nacht!<<
Es singen die Priester: >>Wir tragen die Alten,
Nach langem Ermatten und spätem Erkalten,
Wir tragen die Jugend, noch eh sie's gedacht.

Höre deiner Priester Lehre:
Dieser war dein Gatte nicht.
Lebst du doch als Bajadere,
Und so hast du keine Pflicht.
Nur dem Körper folgt der Schatten
In das stille Totenreich;
Nur die Gattin folgt dem Gatten:
Das ist Pflicht und Ruhm zugleich. –
Ertöne, Drommete, zu heiliger Klage!
O nehmet, ihr Götter! die Zierde der Tage,
O nehmet den Jüngling in Flammen zu euch!<<

So das Chor, das ohn Erbarmen
Mehret ihres Herzens Not;
Und mit ausgestreckten Armen
Springt sie in den heißen Tod.
Doch der Götterjüngling hebet
Aus der Flamme sich empor,
Und in seinen Armen schwebet
Die Geliebte mit hervor.
Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder;
Unsterbliche heben verlorene Kinder
Mit feurigen Armen zum Himmel empor.

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Johann Wolfgang von Goethe (Balladen)

Legende vom Hufeisen

Als noch, verkannt und sehr gering,
Unser Herr auf der Erden ging
Und viele Jünger sich zu ihm fanden,
Die sehr selten sein Wort verstanden,
Liebt er sich gar über die Maßen,
Seinen Hof zu halten auf der Straßen,
Weil unter des Himmels Angesicht
Man immer besser und freier spricht.
Er ließ sie da die höchsten Lehren
Aus seinem heiligen Munde hören;
Besonders durch Gleichnis und Exempel
Macht' er einen jeden Markt zum Tempel.

So schlendert er in Geistes Ruh
Mit ihnen einst einem Städtchen zu,
Sah etwas blinken auf der Straß',
Das ein zerbrochen Hufeisen was.
Er sagte zu Sankt Peter drauf:
,Heb doch einmal das Eisen auf!'
Sankt Peter war nicht aufgeräumt,
Er hatte soeben im Gehen geträumt,
So was vom Regiment der Welt,
Was einem jeden wohlgefällt:
Denn im Kopf hat das keine Schranken;
Das waren so seine liebsten Gedanken.

Nun war der Fund ihm viel zu klein,
Hätte müssen Kron und Zepter sein;
Aber wie sollt er seinen Rücken
Nach einem halben Hufeisen bücken?
Er also sich zur Seite kehrt
Und tut, als hätte er's nicht gehört.

Der Herr, nach seiner Langmut, drauf
Hebt selber das Hufeisen auf
Und tut auch weiter nicht dergleichen.
Als sie nun bald die Stadt erreichen,
Geht er vor eines Schmiedes Tür,
Nimmt von dem Mann drei Pfennig dafür.
Und als sie über den Markt nun gehen,
Sieht er daselbst schöne Kirschen stehen,
Kauft ihrer so wenig oder so viel,
Als man für einen Dreier geben will,
Die er sodann nach seiner Art
Ruhig im Ärmel aufbewahrt.

Nun ging's zum andern Tor hinaus,
Durch Wies und Felder ohne Haus,
Auch war der Weg von Bäumen bloß;
Die Sonne schien, die Hitz war groß,
So daß man viel an solcher Stätt
Für einen Trunk Wasser gegeben hätt.
Der Herr geht immer voraus vor allen,
Läßt unversehens eine Kirsche fallen.
Sankt Peter war gleich dahinter her,
Als wenn es ein goldener Apfel wär;
Das Beerlein schmeckte seinem Gaum.

Der Herr, nach einem kleinen Raum,
Ein ander Kirschlein zur Erde schickt,
Wonach Sankt Peter schnell sich bückt.
So läßt der Herr ihn seinen Rücken
Gar vielmal nach den Kirschen bücken.
Das dauert eine ganze Zeit.
Dann sprach der Herr mit Heiterkeit:
"Tätst du zur rechten Zeit dich regen,
Hättst du's bequemer haben mögen.
Wer geringe Dinge wenig acht't,
Sich um geringere Mühe macht."

Arbeitsblätter zu Balladen
Unterrichtseinheit zum Thema Balladen für Klasse 7, Klasse 8, Klasse 9 und Klasse 10.

Balladenjahr 1797

Balladenjahr 1797. Balladen im Unterricht. Unterrichtseinheit und Unterrichtsmaterial zu Balladen. Die bekanntesten Balladen von Goethe und Schiller im Balladenjahr 1797.

Diese Themen werden im Kapitel "Balladen" behandelt: Balladen im Unterricht. Balladentexte, Klassenarbeiten Unterrichtseinheit und Unterrichtsmaterial zu Balladen. Die bekanntesten Balladen von Goethe, Droste-Hülshoff, Schwab, Schiller und Fontane. Balladen für Klasse 7, Klasse 8, Klasse 9 und Klasse 10.

Die Interpretation einer Ballade in einer Klassenarbeit. Die Ballade im Deutschunterricht. Unterrichtseinheit und Unterrichtsmaterial zu Balladen.