Grimms Märchen

Aschenputtel
Das arme Mädchen (Sterntaler)
Das singende, springende Löweneckerchen
Das tapfere Schneiderlein
Der Arme und der Reiche
Der Bauer und der Teufel
Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich
Der gestiefelte Kater
Hans im Glück


Frau Holle
Hänsel und Gretel
Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen
Rotkäppchen und der Wolf
Vom Fischer und seiner Frau
Von dem Fischer un sine Fru

Grimms Märchen Aschenputtel      Kreuzworträtsel zu Aschenputtel  Märchen drucken
Einem reichen Manne wurde seine Frau krank, und als sie fühlte, dass ihr Ende heran kam, rief sie ihr einziges Töchterlein zu sich ans Bett und sprach: „Bleib fromm und gut, so wird dir der liebe Gott immer beistehen, und ich will vom Himmel auf dich blicken, und um dich sein.“ Darauf tat sie die Augen zu und verschied. Das Mädchen ging jeden Tag hinaus zu dem Grabe der Mutter und weinte, und blieb fromm und gut. Der Schnee aber deckte ein weißes Tüchlein auf das Grab, und als die Sonne im Frühjahr es wieder herabgezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere Frau.

Die Frau hatte zwei Töchter, die sie mit ins Haus brachte, und die schön und weiß von Angesicht waren, aber garstig und schwarz von Herzen. Da ging eine schlimme Zeit für das arme Stiefkind an. „Was will der Unnütz (das unnütze Stiefkind)“, sprachen sie, „wer Brot essen will, muss es verdienen, fort mit der Küchenmagd.“ Da nahmen ihm die Schwestern seine schönen Kleider, gaben ihm einen grauen alten Kittel anzuziehen, und dann lachten sie es aus, und führten es in die Küche. Nun musste es so schwere Arbeit tun, früh vor Tag aufstehen, Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen. Dabei taten ihm die Schwestern alles Herzeleid an, spotteten (verspotteten) es und schütteten ihm die Erbsen und Linsen in die Asche, so dass es sitzen und sie wieder auslesen musste. Abends, wenn es müde war, kam es in kein Bett, sondern musste sich neben dem Herd in die Asche legen. Und weil es darum immer staubig und schmutzig aussah, nannten sie es Aschenputtel.

Es trug sich zu, dass der Vater einmal in die Messe ziehen wollte. Da fragte er die beiden Stieftöchter, was er ihnen mitbringen sollte. „Schöne Kleider“, sagte die Eine, und „Perlen und Edelsteine“ die Zweite. „Nun, Aschenputtel“, sprach er, „was willst du haben?“ „Vater, das erste Reis, das euch auf eurem Heimweg an den Hut stößt“, antwortete Aschenputtel. Er kaufte nun für die beiden Stiefschwestern die Kleider, Perlen und Edelsteine, und auf dem Rückweg, als er durch einen grünen Busch ritt, streifte ihn ein Haselreis und stieß ihm den Hut ab. Da brach er das Reis (ab) und als er nach Haus kam, gab er den Stieftöchtern, was sie sich gewünscht hatten, und dem Aschenputtel gab er das Reis von dem Haselbusch. Aschenputtel nahm es, ging zu seiner Mutter Grab und pflanzte es darauf, und weinte so sehr, dass das Reis von seinen Tränen begossen ward. Es wuchs aber und ward ein schöner Baum. Aschenputtel ging alle Tage dreimal darunter, weinte und betete, und allemal kam ein Vöglein auf den Baum, und das Vöglein gab ihm, was es sich wünschte.

Es begab sich aber, dass der König ein Fest anstellte, das drei Tage dauern sollte, damit sich sein Sohn eine Braut aussuchen könnte. Die zwei Stiefschwestern waren auch dazu eingeladen, riefen Aschenputtel und sprachen: „Nun kämme uns die Haare, bürste uns die Schuhe und schnalle uns die Schnallen, wir tanzen auf des Königs Fest.“ Das tat Aschenputtel und weinte, weil es auch gern zum Tanz mitgegangen wäre, und bat die Stiefmutter gar sehr, sie möchte es ihm erlauben. „Du Aschenputtel“, sprach sie, „hast nichts am Leib und hast keine Kleider und kannst nicht tanzen und willst zur Hochzeit?“ Als es noch weiter bat, sprach sie endlich: „Ich will dir eine Schüssel Linsen in die Asche schütten, und wenn du die in zwei Stunden wieder ausgelesen (herausgesucht) hast, so sollst du mitgehen.“ Nun schüttete sie ihm die Linsen in die Asche, aber das Mädchen ging durch die Hintertür nach dem Garten zu und rief: „Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen,

die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen!“

Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein, und danach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit den Köpfchen und fingen an: pick, pick, pick, pick. Und da fingen die Übrigen auch an: pick, pick, pick, pick. Und lasen alle guten Körnlein in die Schüssel. Wie eine Stunde herum war, waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da brachte das Mädchen die Schüssel der Stiefmutter und freute sich und glaubte, nun dürfte es mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie sprach: „Nein, Aschenputtel, du hast keine Kleider und du kannst nicht tanzen, du sollst nicht mitgehen.“ Als es nun weinte, sprach sie: „Wenn du mir zwei Schüsseln voll Linsen in einer Stunde aus der Asche rein lesen kannst, so sollst du mitgehen“, und dachte dabei: „das kann es ja nimmermehr.“ Nun schüttete sie zwei Schüsseln Linsen in die Asche; aber das Mädchen ging durch die Hintertür nach dem Garten zu und rief: „Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen,

die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen!“

Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein und danach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit ihren Köpfchen und fingen an: pick, pick, pick, pick. Und da fingen die Übrigen auch an: pick, pick, pick, pick. Und lasen alle guten Körner in die Schüsseln. Und ehe eine halbe Stunde herum war, waren sie schon fertig, und flogen alle wieder hinaus. Da brachte das Mädchen der Stiefmutter die Schüsseln, freute sich und glaubte, nun dürfte es mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie sprach: „Es hilft dir alles nichts, du kommst nicht mit, du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen und wir müssten uns nur schämen.“ Darauf ging sie mit ihren zwei Töchtern fort. Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel zu seiner Mutter Grab unter den Haselbaum und rief :

„Bäumchen, rüttle dich und schüttele dich,
wirf Gold und Silber über mich!“

Da warf ihm der Vogel ein golden und silbern Kleid herunter und mit Seide und Silber ausgestickte Pantoffeln. Das zog es an und ging zur Hochzeit. Ihre Schwestern aber und die Stiefmutter kannten es nicht und meinten, es müsse eine fremde Königstochter sein, so schön sah es in den reichen Kleidern aus. An Aschenputtel dachten sie gar nicht und glaubten, es läge  daheim im Schmutz. Der Königssohn kam ihm entgegen, nahm es bei der Hand und tanzte mit ihm. Er wollte auch sonst mit niemand tanzen, also dass er ihm die Hand nicht losließ, und wenn ein anderer kam, es aufzufordern, sprach er: „Das ist meine Tänzerin.“ Es tanzte, bis es Abend war, da wollte es nun nach Hause gehen. Der Königssohn aber sprach: „Ich gehe mit und begleite dich“, denn er wollte sehen, wem das schöne Mädchen angehörte. Sie entwischte ihm aber und sprang in das Taubenhaus. Nun wartete der Königssohn, bis der Vater kam, und sagte ihm, das fremde Mädchen wäre in das Taubenhaus gesprungen. Da dachte der Alte: „Sollte es Aschenputtel sein?“ Sie mussten ihm Axt und Hacken bringen, damit er das Taubenhaus entzwei schlagen konnte, aber es war niemand darin. Und als sie ins Haus kamen, lag Aschenputtel in seinen schmutzigen Kleidern in der Asche und ein trübes Öllämpchen brannte im Schornstein, denn Aschenputtel war geschwind aus dem Taubenhaus hinten gesprungen, und war zu dem Haselbäumchen gelaufen. Da hatte es die schönen Kleider ausgetan und aufs Grab gelegt und der Vogel hatte sie wieder weggenommen, und dann hatte es sich in seinem grauen Kittelchen in die Küche zur Asche gesetzt.

Am andern Tag, als das Fest von neuem anhub, und die Eltern und Stiefschwestern wieder fort waren, ging Aschenputtel zu dem Haselbaum und sprach:

„Bäumchen, rüttle dich und schüttele dich,
wirf Gold und Silber über mich!“

Da warf der Vogel ein noch viel stolzeres Kleid herab als am vorigen Tag. Und als es mit diesem Kleide auf der Hochzeit erschien, erstaunte jedermann über seine Schönheit. Der Königssohn aber hatte gewartet, bis es kam, nahm es gleich bei der Hand und tanzte nur allein mit ihm. Wenn die andern kamen und es aufforderten, sprach er: „Das ist meine Tänzerin.“ Als es nun Abend war, wollte es fort und der Königssohn ging ihm nach und wollte sehen, in welches Haus es ging, aber es sprang ihm fort und in den Garten hinter dem Haus. Darin stand ein schöner großer Baum, an dem die herrlichsten Birnen hingen, es kletterte so behänd wie ein Eichhörnchen und der Königssohn wusste nicht, wo es hingekommen war. Er wartete aber, bis der Vater kam, und sprach zu ihm: „Das fremde Mädchen ist mir entwischt, und ich glaube, es ist auf den Birnbaum gesprungen.“ Der Vater dachte: „Sollte es Aschenputtel sein?“ Er ließ sich die Axt holen und hieb den Baum um, aber es war niemand darauf. Und als sie in die Küche kamen, lag Aschenputtel da in der Asche, wie sonst auch, denn es war auf der andern Seite vom Baum herab gesprungen, hatte dem Vogel auf dem Haselbäumchen die schönen Kleider wiedergebracht und sein graues Kittelchen angezogen.

Am dritten Tag, als die Eltern und Schwestern fort waren, ging Aschenputtel wieder zu seiner Mutter Grab und sprach zu dem Bäumchen:

„Bäumchen, rüttle dich und schüttele dich,
wirf Gold und Silber über mich!“

Nun warf ihm der Vogel ein Kleid herab, das war so prächtig, wie es noch keins gehabt hatte, und die Pantoffeln waren ganz golden. Als es in dem Kleid zu der Hochzeit kam, wussten sie alle nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten. Der Königssohn tanzte ganz allein mit ihm, und wenn es einer aufforderte, sprach er: „Das ist meine Tänzerin.“

Als es nun Abend war, wollte Aschenputtel fort, und der Königssohn wollte es begleiten, aber es entsprang ihm so geschwind, dass er nicht folgen konnte. Der Königssohn hatte aber eine List gebraucht, und hatte die ganze Treppe mit Pech bestreichen lassen: da war der linke Pantoffel des Mädchens hängen geblieben. Der Königssohn nahm ihn weg und er war klein und zierlich und ganz golden. Am nächsten Morgen ging er damit zu dem Mann und sagte zu ihm: „Keine andere soll meine Gemahlin werden als die, an deren Fuß dieser goldene Schuh passt.“ Da freuten sich die beiden Schwestern, denn sie hatten schöne Füße. Die Älteste ging mit dem Schuh in die Kammer und wollte ihn anprobieren, und die Mutter stand dabei. Aber sie konnte mit der großen Zehe nicht hineinkommen, und der Schuh war ihr zu klein, da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: „Hau die Zehe ab, wenn du Königin bist, so brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.“ Das Mädchen hieb die Zehe ab, zwängte den Fuß in den Schuh, verbiss den Schmerz und ging heraus zum Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd und ritt mit ihr fort. Sie mussten aber an dem Grabe vorbei, da saßen die zwei Täubchen auf dem Haselbäumchen und riefen:

„Rucke di guh, rucke di guh,
Blut ist im Schuh,
Der Schuh ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim.“

Da blickte er auf ihren Fuß und sah, wie das Blut herausquoll. Er wendete sein Pferd um, brachte die falsche Braut wieder nach Hause und sagte, das wäre nicht die rechte, die andere Schwester solle den Schuh anziehen. Da ging diese in die Kammer und kam mit den Zehen glücklich in den Schuh, aber die Ferse war zu groß. Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: „Hau ein Stück von der Ferse ab, wenn du Königin bist, brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.“ Das Mädchen hieb ein Stück von der Ferse ab, zwängte den Fuß in den Schuh, verbiss den Schmerz und ging heraus zum Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd und ritt mit ihr fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, saßen die zwei Täubchen darauf und riefen:

„Rucke di guh, rucke di guh,
Blut ist im Schuh,
Der Schuh ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim.“

Er blickte nieder auf ihren Fuß und sah, wie das Blut aus dem Schuh quoll und an den weißen Strümpfen ganz rot heraufgestiegen war. Da wendete er sein Pferd und brachte die falsche Braut wieder nach Haus. „Das ist auch nicht die Rechte“, sprach er, „habt ihr keine andere Tochter?“ „Nein“, sagte der Mann, „nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein kleines verbuttetes Aschenputtel da; das kann unmöglich die Braut sein.“ Der Königssohn sprach, er sollte es heraufschicken, die Mutter aber antwortete: „Ach nein, das ist viel zu schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen.“ Er wollte es aber durchaus haben und Aschenputtel musste gerufen werden. Da wusch es sich erst Hände und Angesicht rein, ging dann hin und neigte sich vor dem Königssohn, der ihm den goldenen Schuh reichte. Nun streifte es den schweren Schuh vom linken Fuß ab, setzte diesen auf den goldenen Pantoffel, und drückte ein wenig, so stand es darin, als war er ihm angegossen. Und als es sich aufbückte, erkannte er es im Angesicht und sprach: „Das ist die rechte Braut!“ Die Stiefmutter und die beiden Schwestern erschraken und wurden bleich vor Arger; er aber nahm Aschenputtel aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, riefen die zwei weißen Täubchen:

„Rucke di guh, rucke di guh
kein Blut im Schuh
Der Schuh ist nicht zu klein,
die rechte Braut, die führt er heim.“

Und als sie das gerufen hatten, kamen sie beide herab geflogen und setzten sich dem Aschenputtel auf die Schultern, eine rechts, die andere links, und blieben da sitzen.

Als die Hochzeit mit dem Königssohn sollte gehalten werden, kamen die falschen Schwestern, wollten sich einschmeicheln und teil an seinem Glück nehmen. Als die Brautleute nun zur Kirche gingen, war die Älteste zur rechten, die Jüngste zur linken Seite, da pickten die Tauben einer jeden das eine Auge aus. Hernach, als sie herausgingen, war die Älteste zur Linken und die Jüngste zur Rechten, da pickten die Tauben einer jeden das andere Auge aus. Und waren sie also für ihre Bosheit und Falschheit mit Blindheit auf ihr Lebtag bestraft.
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Das singende, springende Löweneckerchen (Lerche).


Es war einmal ein Mann, der hatte eine große Reise vor und beim Abschied fragte er seine drei Töchter, was er ihnen mitbringen sollte. Da wollte die älteste Perlen, die zweite wollte Diamanten, die dritte aber sprach: „Lieber Vater, ich wünsche mir ein singendes, springendes Löweneckerchen (Lerche).“ Der Vater sagte: „Ja, wenn ich es kriegen kann, sollst du es haben“, küsste alle drei und zog fort. Als nun die Zeit kam, dass er wieder auf dem Heimweg war, hatte er Perlen und Diamanten für die zwei Ältesten gekauft, aber das singende, springende Löweneckerchen für die Jüngste hatte er umsonst aller Orten gesucht und das tat ihm leid, denn sie war sein liebstes Kind. Da führte ihn sein Weg durch einen Wald und mitten darin war ein prächtiges Schloss und nah am Schloss stand ein Baum, ganz oben auf der Spitze des Baums aber sah er ein Löweneckerchen singen und springen. „Ei, du kommst mir gerade recht“, sagte er ganz vergnügt und rief seinem Diener, er sollte hinaufsteigen und das Tierchen fangen. Wie er aber an den Baum herantrat, sprang ein Löwe darunter auf, schüttelte sich und brüllte, dass das Laub an den Bäumen zitterte: „Wer mir mein singendes springendes Löweneckerchen stehlen will“, rief er, „den fresse ich auf.“

Da sagte der Mann: „Ich habe nicht gewusst, dass der Vogel dir gehört; ich will mein Unrecht wieder gut machen und mich mit schwerem Gold loskaufen, lass mir nur das Leben. „Der Löwe sprach: „Dich kann nichts retten, als wenn du mir zu eigen versprichst, was dir daheim zuerst begegnet; willst du das aber tun, so schenke ich dir das Leben und den Vogel für deine Tochter obendrein.“ Der Mann aber weigerte sich, und sprach: „Das könnte meine jüngste Tochter sein, die hat mich am liebsten und läuft mir immer entgegen, wenn ich nach Haus komme.“ Dem Diener aber war Angst, und er sagte: „Muss euch denn gerade eure Tochter begegnen, es könnte ja auch eine Katze oder ein Hund sein.“ Da ließ sich der Mann überreden, nahm das singende, springende Löweneckerchen und versprach dem Löwen zu eigen, was ihm daheim zuerst begegnen würde. Wie er daheim anlangte und in sein Haus eintrat, war das Erste, was ihm begegnete, niemand anders, als seine jüngste liebste Tochter; die kam gelaufen, und küsste und herzte ihn und als sie sah, dass er ein singendes springendes Löweneckerchen mitgebracht hatte, freute sie sich noch mehr. Der Vater aber konnte sich nicht freuen, sondern fing an zu weinen und sagte: „Mein liebstes Kind, den kleinen Vogel habe ich teuer gekauft, ich habe dich dafür einem wilden Löwen versprechen müssen und wenn er dich hat, wird er dich zerreißen und fressen“, und erzählte ihr da alles, wie es zugegangen war und bat sie nicht hinzugehen, es möchte auch kommen, was da wollte. Sie tröstete ihn aber, und sprach: „Liebster Vater, was ihr versprochen habt, muss auch gehalten werden; ich will hingehen und will den Löwen schon besänftigen, dass ich wieder gesund zu euch heim komme.“ Am andern Morgen ließ sie sich den Weg zeigen, nahm Abschied und ging getrost in den Wald hinein. Der Löwe aber war ein verzauberter Königssohn und war bei Tag ein Löwe und mit ihm wurden alle seine Leute Löwen, in der Nacht aber hatten sie ihre natürliche menschliche Gestalt wieder. Als sie nun ankam, empfing er sie freundlich und es ward Hochzeit gehalten, und in der Nacht war er ein schöner Mann, und da wachten sie in der Nacht, und schliefen am Tag, und lebten eine lange Zeit vergnügt miteinander. Zu einer Zeit kam er und sagte: „ Morgen ist ein Fest in deines Vaters Haus, weil deine älteste Schwester sich verheiratet und wenn du Lust hast hinzugehen, so sollen dich meine Löwen hinführen.“ Da sagte sie „Ja“, sie möchte gern ihren Vater wiedersehen und fuhr hin, und wurde von den Löwen begleitet. Da war große Freude, als sie ankam, denn sie hatten alle geglaubt, sie wäre schon lange tot und wäre von dem Löwen zerrissen worden. Sie erzählte aber wie gut es ihr ginge und blieb bei ihnen, so lang die Hochzeit dauerte, dann fuhr sie wieder zurück in den Wald. Wie die zweite Tochter heiratete und sie wieder zur Hochzeit eingeladen war, sprach sie zum Löwen: „Diesmal will ich nicht allein sein, du musst mitgehen.“ Der Löwe aber wollte nichts und sagte es wäre zu gefährlich für ihn, denn wenn dort der Strahl eines brennenden Lichts ihn berührte, so würde er in eine Taube verwandelt, und müsste sieben Jahre lang mit den Tauben fliegen. Sie ließ ihm aber keine Ruhe und sagte, sie wollte ihn schon hüten und vor allem Licht bewahren. Also zogen sie zusammen und nahmen auch ihr kleines Kind mit.
Sie aber ließ dort einen Saal mauern, so stark und dick, dass kein Strahl durchdringen konnte, darin sollt er sitzen, wenn die Hochzeitslichter angesteckt würden. Die Tür aber war von frischem Holz gemacht, das sprang und bekam einen kleinen Ritz, den kein Mensch bemerkte. Nun ward die Hochzeit mit Pracht gefeiert, wie aber der Zug aus der Kirche zurückkam, mit den vielen Fackeln und Lichtern an dem Saal vorbei, da fiel ein haarbreiter Strahl auf den Königssohn und wie dieser Strahl ihn berührt hatte, in dem Augenblick war er auch verwandelt und als sie hineinkam und ihn suchte, sah sie ihn nicht, aber es saß da eine weiße Taube. Die Taube sprach zu ihr: „Sieben Jahre muss ich nun in die Welt fortfliegen, alle sieben Schritte aber will ich einen roten Blutstropfen und eine weiße Feder fallen lassen, die sollen dir den Weg zeigen und wenn du der Spur folgst, kannst du mich erlösen.“
Da flog die Taube zur Tür hinaus und sie folgte ihr nach und alle sieben Schritte fiel ein rotes Blutströpfchen und ein weißes Federchen herab, und zeigte ihr den Weg. So ging sie immerzu in die weite Welt hinein und schaute nicht um sich, und ruhte sich nicht, und waren fast die sieben Jahre herum; da freute sie sich, und meinte, sie wären bald erlöst, und war noch so weit davon. Einmal, als sie so fort ging, fiel kein Federchen mehr und auch kein rotes Blutströpfchen, und als sie die Augen aufschlug, so war die Taube verschwunden. Und weil sie dachte: „Menschen können dir da nichts helfen“, so stieg sie zur Sonne hinauf und sagte zu ihr: „Du scheinst in alle Ritzen und über alle Spitzen, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?“ „Nein“, sagte die Sonne, „ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Kästchen, das mach auf, wenn du in großer Not bist.“ Da dankte sie der Sonne, und ging weiter bis es Abend war und der Mond schien, da fragte sie ihn: „Du scheinst ja die ganze Nacht, durch alle Felder und Wälder, hast du keine weiße Taube stiegen sehen?“ „Nein“, sagte der Mond, ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Ei, das zerbrich, wenn du in großer Not bist.“ Da dankte sie dem Mond und ging weiter, bis der Nachtwind wehte, da sprach sie zu ihm: Du wehst ja über alle Bäume und unter allen Blätterchen weg, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?“ „Nein“, sagte der Nachtwind, „ich habe keine gesehen, aber ich will die drei andern Winde fragen, die haben sie vielleicht gesehen.“ Der Ostwind und der Westwind kamen und sagten, sie hätten nichts gesehen, der Südwind aber sprach: „Die weiße Taube habe ich gesehen, sie ist zum roten Meer geflogen, da ist sie wieder ein Löwe geworden, denn die sieben Jahre sind herum, und der Löwe steht dort im Kampf mit einem Lindwurm, der Lindwurm ist aber eine verzauberte Königstochter.“ Da sagte der Nachtwind zu ihr: „Ich will dir Rat geben, geh zum roten Meer, am rechten Ufer da stehen große Ruten, die zähle und die elfte schneid dir ab und schlag den Lindwurm damit, dann kann ihn der Löwe bezwingen und beide bekommen auch ihren menschlichen Leib wieder; hernach schau dich um und du wirst den Vogel Greif sehen, der am roten Meer sitzt, schwing dich mit deinem Liebsten auf seinen Rücken, der Vogel wird euch übers Meer nach Hause tragen. Da hast du auch eine Nuss, wenn du mitten über dem Meer bist, lass sie herab fallen, alsbald wird sie aufgehen und ein großer Nussbaum aus dem Wasser hervor wachsen, auf dem sich der Greif ausruht und könnte er nicht ruhen, so wäre er nicht stark genug euch hinüber zu tragen und wenn du vergisst, die Nuss herab zu werfen, so lässt er euch ins Meer fallen.“
Da ging sie hin und fand alles, wie der Nachtwind gesagt hatte. Sie zählte die Ruten am Meer und schnitt die elfte ab, damit schlug sie den Lindwurm und der Löwe bezwang ihn, alsbald hatten beide ihren menschlichen Leib wieder. Aber wie die Königstochter, die vorher ein Lindwurm gewesen war, vom Zauber frei war, nahm sie den Jüngling in den Arm, setzte sich auf den Vogel Greif und führte ihn mit sich fort. Da stand die arme Weitgewanderte und war wieder verlassen und setzte sich nieder und weinte; endlich aber ermutigte sie sich und sprach: „Ich will noch so weit gehen als der Wind weht und so lange als der Hahn kräht, bis ich ihn finde.“ Und ging fort, lange lange Wege, bis sie endlich zu dem Schloss kam, wo beide zusammen lebten, da hörte sie dass bald ein Fest wäre, wo sie Hochzeit miteinander machen wollten. Sie sprach aber: „Gott hilft mir noch“, und nahm das Kästchen, das ihr die Sonne gegeben hatte, da lag ein Kleid darin, so glänzend wie die Sonne selber. Da nahm sie es heraus und zog es an, und ging hinauf in das Schloss und alle Leute und die Braut selber sahen sie mit Verwunderung an; und das Kleid gefiel der Braut so gut, dass sie dachte, es könnte ihr Hochzeitskleid geben und fragte, ob es nicht feil wäre? „Nicht für Geld und Gut“, antwortete sie, „aber für Fleisch und Blut.“ Die Braut fragte, was sie damit meinte? Da sagte sie: „Lasst mich eine Nacht in der Kammer schlafen, wo der Bräutigam schläft.“ Die Braut wollte nicht und wollte doch gerne das Kleid haben, endlich willigte sie ein, aber der Kammerdiener musste dem Königssohn einen Schlaftrunk geben. Als es nun Nacht war und der Jüngling schon schlief, ward sie in die Kammer geführt. Da setzte sie sich ans Bett und sagte: Ich bin dir nachgefolgt sieben Jahre, bin bei Sonne und Mond und beiden Winden gewesen und habe nach dir gefragt und habe dir geholfen gegen den Lindwurm, willst du mich denn ganz vergessen?“ Der Königssohn aber schlief so hart, dass es ihm nur vorkam, als rauschte der Wind draußen in den Tannenbäumen. Wie nun der Morgen anbrach, da ward sie wieder hinausgeführt, und musste das goldene Kleid hingeben. Und als auch das nichts geholfen hatte, ward sie traurig, ging hinaus auf eine Wiese, setzte sich da hin und weinte, Und wie sie so saß, da fiel ihr das Ei noch ein, das ihr der Mond gegeben hatte; sie schlug es auf, da kam eine Glucke heraus mit zwölf Küchlein ganz von Gold, die liefen herum und piepten und krochen der Alten wieder unter die Flügel, so dass nichts Schöneres auf der Welt zu sehen war. Da stand sie auf, trieb sie auf der Wiese vor sich her, so lange, bis die Braut aus dem Fenster sah, und da gefielen ihr die kleinen Küchlein so gut, dass sie gleich herab kam und fragte, ob sie nicht feil wären? Nicht für Geld und Gut, aber für Fleisch und Blut; lasst mich noch eine Nacht in der Kammer schlafen, wo der Bräutigam schläft.“ Die Braut sagte „ja“ und wollte sie betrügen wie am vorigen Abend. Als aber der Königssohn zu Bett ging, fragte er seinen Kammerdiener, was das Murmeln und Rauschen in der Nacht gewesen sei. Da erzählte der Kammerdiener alles, dass er ihm einen Schlaftrunk hätte geben müssen, weil ein armes Mädchen heimlich in der Kammer geschlafen hätte und heute Nacht sollte er ihm wieder einen geben. Sagte der Königssohn: Gieß den Trank neben dem Bett aus.“ Zur Nacht wurde sie wieder hereingeführt, und als sie anfing zu erzählen, wie es ihr traurig ergangen wäre, da erkannte er gleich an der Stimme seine liebe Gemahlin, sprang auf, und rief: „Jetzt bin ich erst recht erlöst, mir ist gewesen, wie in einem Traum, denn die fremde Königstochter hatte mich bezaubert, dass ich dich vergessen musste, aber Gott hat noch zu rechter Stunde die Betörung von mir genommen.“ Da gingen sie beide in der Nacht heimlich aus dem Schloss, denn sie fürchteten sich vor dem Vater der Königstochter, der ein Zauberer war und setzten sich auf den Vogel Greif, der trug sie über das rote Meer und als sie in der Mitte waren, ließ sie die Nuss fallen. Alsbald wuchs ein großer Nussbaum, darauf ruhte sich der Vogel aus und dann führte er sie nach Haus, wo sie ihr Kind fanden, das war groß und schön geworden und sie lebten von nun an vergnügt bis an ihr Ende.
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Der Arme und der Reiche.
Vor alten Zeiten, als der liebe Gott noch selber auf Erden unter den Menschen wandelte, trug es sich zu, dass er eines Abends müde war, und ihn die Nacht überfiel, eh er zu einer Herberge kommen konnte. Nun standen auf dem Weg vor ihm zwei Häuser einander gegenüber, das eine groß und schön, das andere klein und ärmlich anzusehen, und gehörte das große einem Reichen, das kleine einem armen Manne. Da dachte unser Herr Gott: „Dem Reichen werde ich nicht beschwerlich fallen, bei ihm will ich anklopfen.“ Der Reiche, als er an seine Tür klopfen hörte, machte das Fenster auf und fragte den Fremdling, was er suche? Der Herr antwortete: „Ich bitte nur um ein Nachtlager.“ Der Gleiche guckte den Wandersmann von Haupt bis zu den Füßen an und weil der liebe Gott schlichte Kleider trug und nicht aussah wie einer, der viel Geld in der Tasche hat, schüttelte er mit dem Kopf, und sprach: „Ich kann euch nicht aufnehmen, meine Kammern liegen voll Kräuter und Samen und sollte ich einen jeden beherbergen, der an meine Türe klopft, so könnte ich selber den Bettelstab in die Hand nehmen. Sucht anderswo ein Auskommen.“ Schlug damit sein Fenster zu und ließ den lieben Gott stehen. Also kehrte ihm der liebe Gott den Rücken, ging hinüber zu dem kleinen Haus und klopfte an. Kaum hatte er angeklopft, so klinkte der Arme schon sein Türchen auf und bat den Wandersmann einzutreten und bei ihm die Nacht über zu bleiben. „Es ist schon finster“, sagte er, „und heute könnt ihr doch nicht weiter kommen.“ Das gefiel dem lieben Gott und er trat zu ihm ein: Die Frau des Armen reichte ihm die Hand, hieß ihn willkommen und sagte, er möchte sich's bequem machen und vorlieb nehmen, sie hätten nicht viel, aber was es wäre, gäben sie von Herzen gerne. Dann setzte sie Kartoffeln ans Feuer und derweil sie kochten, melkte sie ihre Ziege, damit sie ein bisschen Milch dazu hätten. Und als der Tisch gedeckt war, setzte sich der liebe Gott zu ihnen und aß mit, und schmeckte ihm die schlechte Kost gut, denn es waren vergnügte Gesichter dabei. Nachdem sie gegessen hatten und Schlafenszeit war, rief die Frau heimlich ihren Mann und sprach: „Hör, lieber Mann, wir wollen uns heute Nacht eine Streu machen, damit der arme Wanderer sich in unser Bett legen und ausruhen kann, er ist den ganzen Tag über gegangen, da wird einer müde.“ „Von Herzen gern“, antwortete er, „ich will's ihm anbieten“, ging zu dem lieben Gott, und bat ihn, wenn's ihm recht wäre, möcht er sich in ihr Bett legen und seine Glieder ordentlich ausruhen. Der liebe Gott wollte den beiden Alten ihr Lager nicht nehmen, aber sie ließen nicht ab, bis er es endlich tat und sich in ihr Bett legte: Sich selbst aber machten sie eine Streu auf die Erde. Am andern Morgen standen sie vor Tag schon auf und kochten dem Gast ein Frühstück, so gut sie es hatten. Als nun die Sonne durchs Fensterlein schien und der liebe Gott aufgestanden war, aß er wieder mit ihnen und wollte dann seines Weges ziehen. Als er in der Türe stand, sprach er: „Weil ihr so mitleidig und fromm seid, so wünscht euch dreierlei, das will ich euch erfüllen.“ Da sagte der Arme: „Was soll ich mir sonst wünschen, als die ewige Seligkeit, und dass wir zwei, so lang wir leben, gesund sind und unser notdürftiges tägliches Brot haben; fürs Dritte weiß ich mir nichts zu wünschen.“ Der liebe Gott sprach: „Willst du dir nicht ein neues Haus für das alte wünschen?“ Da sagte der Mann ja, wenn das ginge, wär's ihm wohl lieb. Nun erfüllte der Herr ihre Wünsche und verwandelte ihr altes Haus in ein schönes neues, und als das geschehen war, verließ er sie und zog weiter.

Als es voller Tag war, der Reiche aufstand und sich ins Fenster legte, sah er gegenüber ein schönes neues Haus, da wo sonst eine alte Hütte gestanden hatte. Da machte er Augen, rief seine Frau, und sprach: „Frau, sieh einmal, wie ist das zugegangen? Gestern Abend stand dort eine elende Hütte und nun ist's ein schönes neues Haus; lauf doch einmal hinüber und höre, wie das gekommen ist.“ Die Frau ging hin und fragte den Armen aus, der erzählte ihr: „Gestern Abend kam ein Wanderer, der suchte Nachtherberge und heute Morgen beim Abschied hat er uns drei Wünsche gewährt, die ewige Seligkeit, Gesundheit in diesem Leben und das notdürftige tägliche Brot dazu und statt unserer alten Hütte ein schönes neues Haus.“ Als die Frau des Reichen das gehört hatte, lief sie fort und erzählte ihrem Manne wie es gekommen war. Der Mann sprach: „Ich möchte mich zerreißen und zerschlagen; hätt' ich das nur gewusst! Der Fremde ist auch bei mir gewesen, ich habe ihn aber abgewiesen.“ „Eil dich“, sprach die Frau, „und setze dich auf dein Pferd, der Mann ist noch nicht weit, du musst ihn einholen und dir auch drei Wünsche gewähren lassen.“

Da setzte sich der Gleiche auf und holte den lieben Gott ein, redete fein und lieblich zu ihm, und sprach, er möcht es nicht übel nehmen dass er nicht gleich wäre eingelassen worden, er hätte den Schlüssel zur Haustüre gesucht, derweil wäre er weggegangen: Wenn er des Weges zurück käme, müsste er bei ihm einkehren. „Ja“, sprach der liebe Gott, „wenn ich einmal zurückkomme, will ich es tun.“ Da fragte der Reiche, ob er nicht auch drei Wünsche tun dürfte, wie sein Nachbar. „Ja“, sagte der liebe Gott, „das dürfte er wohl, es wäre aber nicht gut für ihn und er sollte sich lieber nichts wünschen.“ Der Reiche aber meinte, er wollte sich schon etwas Gutes aussuchen, wenn es nur gewiss erfüllt würde. Sprach der liebe Gott: „Reit nur heim und drei Wünsche, die du tust, die sollen erfüllt werden.“

Nun hatte der Reiche, was er wollte, ritt heimwärts und besann sich, was er sich wünschen sollte. Wie er so nachdachte und die Zügel fallen ließ, fing das Pferd an zu springen, so dass er immerfort in seinen Gedanken gestört wurde und sie gar nicht zusammen bringen konnte. Da ward er über das Pferd ärgerlich und sprach in Ungeduld: „So wollt ich, dass du den Hals zerbrächst!“ Und wie er das Wort ausgesprochen hatte, plump, fiel er auf die Erde und lag das Pferd tot und regte sich nicht mehr und damit war der erste Wunsch erfüllt. Weil er aber geizig war, wollte er das Sattelzeug nicht im Stich lassen, schnitt es ab, hing es auf den Rücken und musste nun zu Fuß nach Haus gehen. Doch tröstete er sich damit, dass ihm noch zwei Wünsche übrig waren. Wie er nun dahin ging durch den Sand und als zu Mittag die Sonne heiß brannte, ward es ihm so warm und verdrießlich zu Mut: Der Sattel drückte ihn dabei auf den Rücken, auch war ihm noch immer nicht eingefallen, was er sich wünschen sollte. „Wenn ich mir auch alle Reiche und Schätze der Welt wünsche“, dachte er bei sich selbst, „so habe ich hernach doch noch allerlei Wünsche, dieses und jenes, das weiß ich im Voraus: Ich will aber meinen Wunsch so einrichten, dass mir gar nichts mehr übrig bleibt, wonach ich noch Verlangen hätte“, meinte er diesmal, hätte er was, so schien es ihm hernach doch viel zu wenig und zu gering. Da kam ihm so in die Gedanken, was es doch seine Frau jetzt gut habe, sie sitze daheim in einer kühlen Stube, und lasse sich's wohl schmecken. Das ärgerte ihn ordentlich und ohne dass er's wusste, sprach er so hin: „Ich wollte, die säße daheim auf dem Sattel und könnte nicht herunter, statt dass ich ihn da mit mir auf dem Rücken schleppe.“ Und wie das letzte Wort aus seinem Munde kam, so war der Sattel von seinem Rücken verschwunden und er merkte, dass sein zweiter Wunsch auch in Erfüllung gegangen war. Da ward ihm erst recht heiß, und er fing an zu laufen und wollte sich daheim ganz einsam hinsetzen und auf was Großes für den letzten Wunsch nachdenken. Wie er aber ankommt und seine Stubentür aufmacht, sitzt da seine Frau mitten drein auf dem Sattel, und kann nicht herunter, jammert und schreit. Da sprach er: „Gib dich zufrieden, ich will dir alle Reichtümer der Welt herbei wünschen, nur bleib da sitzen.“ Sie antwortete aber: „Was helfen mir alle Reichtümer der Welt, wenn ich auf dem Sattel sitze; hast mich darauf gewünscht, du musst mir auch wieder herunter helfen.“ Nun  mochte wollen oder nicht, er musste den dritten Wunsch tun, dass sie vom Sattel ledig wäre und heruntersteigen könnte; und der Wunsch ward auch erfüllt. Also hatte er nichts davon als Ärger, Mühe und ein verlornes Pferd: Die Armen aber lebten vergnügt still und fromm bis an ihr seliges Ende.
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Grimms Märchen
Der Bauer und der Teufel   Online-Übung   Märchen drucken

Es war einmal ein kluges und verschmitztes Bäuerlein, von dessen Streichen viel zu erzählen wäre: Die schönste Geschichte ist aber doch, wie er den Teufel einmal dran gekriegt und zum Narren gehabt hat.

Das Bäuerlein hatte eines Tages seinen Acker bestellt und rüstete sich zur Heimfahrt, als die Dämmerung schon eingetreten war. Da erblickte er mitten auf seinem Acker einen Haufen feuriger Kohlen und als er voll Verwunderung hinzuging, so saß oben auf der Glut ein kleiner schwarzer Teufel. „Du sitzest wohl auf einem Schatz“, sprach das Bäuerlein. „Jawohl“, antwortete der Teufel, „auf einem Schatz, der mehr Gold und Silber enthält, als du dein Lebtag gesehen hast.“ „Der Schatz liegt auf meinem Feld und gehört mir“, sprach das Bäuerlein. „Er ist dein“, antwortete der Teufel, „wenn du mir zwei Jahre lang die Hälfte von dem gibst, was dein Acker hervorbringt: Geld habe ich genug, aber ich trage Verlangen nach den Früchten der Erde.“ Das Bäuerlein ging auf den Handel ein. „Damit aber kein Streit bei der Teilung entsteht“, sprach es, „so soll dir gehören, was über der Erde ist und mir, was unter der Erde ist.“ Dem Teufel gefiel das wohl, aber das listige Bäuerlein hatte Rüben gesät. Als nun die Zeit der Ernte kam, so erschien der Teufel und wollte seine Frucht holen, er fand aber nichts als die gelben welken Blätter, das Bäuerlein aber ganz vergnügt, grub seine Rüben aus. „Einmal hast du den Vorteil gehabt“, sprach der Teufel, „aber für das nächste Mal soll das nicht gelten. Dein ist, was über der Erde wächst und mein, was darunter ist.“ „Mir auch recht“, antwortete das Bäuerlein. Als aber die Zeit zur Aussaat kam, säte das Bäuerlein nicht wieder Rüben, sondern Weizen. Die Frucht ward reif, das Bäuerlein ging auf den Acker und schnitt die vollen Halme bis zur Erde ab. Als der Teufel kam, fand er nichts als die Stoppeln und fuhr wütend in eine Felsenschlucht hinab. „So muss man die Füchse prellen“, sprach das Bäuerlein, ging hin und holte sich den Schatz. top

Grimms Märchen  Märchen drucken
Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich.

Es war einmal eine Königstochter, die saß daheim und wusste nicht, was sie vor langer Weile anfangen sollte. Da stand sie auf, nahm eine goldene Kugel, womit sie schon oft gespielt hatte und ging hinaus in den Wald. Mitten in dem Wald aber war ein reiner, kühler Brunnen, dabei setzte sie sich nieder, warf die Kugel in die Höhe, fing sie wieder und das war ihr so ein Spielwerk. Es geschah aber, als die Kugel einmal recht hoch geflogen war und die Königstochter schon den Arm in die Höhe hielt und die Fingerchen streckte, um sie zu fangen, dass sie neben vorbei auf die Erde schlug und geradezu ins Wasser hinein rollte.

Erschrocken sah ihr die Königstochter nach; aber die Kugel sank hinab und der Brunnen war so tief, dass kein Grund zu erkennen war. Als sie nun ganz verschwand, da fing das Mädchen gar jämmerlich an zu weinen und rief: „Ach! Meine goldene Kugel! Hätte ich sie wieder, ich wollte alles darum hingeben: meine Kleider, meine Edelsteine, meine Perlen, ja meine goldene Krone noch dazu.“ Wie es das gesagt hatte, tauchte ein Frosch mit seinem dicken Kopf aus dem Wasser heraus und sprach: „Königstochter, was jammerst du so erbärmlich?“ „Ach“, sagte sie, „du garstiger Frosch, was kannst du mir helfen! Meine goldne Kugel ist mir da in den Brunnen gefallen.“ Der Frosch sprach weiter: Deine Kleider, deine Edelsteine, deine Perlen, ja deine goldne Krone, die mag ich nicht; aber wenn du mich willst zu deinem Freund und Gesellen annehmen, wenn ich soll an deinem Tischlein sitzen zu deiner rechten Seite, von deinem goldenen Tellerlein mit dir essen, aus deinem Becherlein trinken und in deinem Bettlein schlafen, so will ich dir deine Kugel wieder herauf holen.“ Die Königstochter dachte in ihrem Herzen: Was der einfältige Frosch wohl schwätzt! Ein Frosch ist keines Menschen Gesell und muss im Wasser bei Seinesgleichen bleiben, vielleicht aber kann er mir die Kugel herauf holen; und sprach zu ihm: „Ja meinetwegen, schaff mir nur erst meine goldene Kugel, es soll dir alles versprochen sein.“

Als sie das gesagt hatte, tauchte der Frosch seinen Kopf unter das Wasser, sank hinab und über ein Weilchen kam er wieder in die Höhe gerudert, hatte die Kugel im Maul und warf sie heraus ins Gras. Da freute sich das Königskind, wie es wieder sein Spielwerk in den Händen hielt. Der Frosch rief: „Nun warte, Königstochter, und nimm mich mit!“ Aber das war in den Wind gesprochen, sie hörte nicht darauf, lief mit ihrer Goldkugel nach Haus und dachte gar nicht wieder an den Frosch.

Am andern Tag, als sie mit dem König und allen Hofleuten an der Tafel saß und von ihrem goldnen Tellerlein aß, kam, plitsch, platsch! plitsch, platsch!, etwas die Marmortreppe herauf gekrochen und als es oben war, klopfte es an der Tür und rief: „Königstochter, Jüngste, mach mir auf!“ Sie lief und wollte sehen, wer draußen war, als sie aber die Tür aufmachte, so saß der Frosch davor. Da warf sie die Türe hastig zu und setzte sich ganz erschrocken wieder an den Tisch. Der König sah, dass ihr das Herz gewaltig klopfte und sprach: „Ei, was fürchtest du dich, steht etwa ein Riese vor der Tür und will dich holen?“ „Ach nein“, sprach das Kind, „es ist kein Riese, sondern ein garstiger Frosch, der hat mir gestern im Wald meine goldene Kugel aus dem Wasser geholt, dafür versprach ich ihm, er sollte mein Geselle werden, ich dachte aber nimmermehr, dass er aus seinem Wasser heraus könnte, nun ist er draußen und will zu mir herein.“ Jndem klopfte es zum zweiten Mal und rief draußen:
„Königstochter, Jüngste,
mach mir auf!
weißt du nicht, was gestern
du zu mir gesagt
bei' dem kühlen Brunnen-Wasser?
Königstochter, Jüngste,
mach mir auf!“
Da sagte der König: „Hast du's versprochen, musst du's auch halten, geh und mach ihm auf.“ Sie ging und öffnete die Türe, da hüpfte der Frosch herein, ihr immer auf dem Fuße nach, bis zu ihrem Stuhl. Da saß er und rief: „Heb mich herauf zu dir!“ Sie wollte nicht, bis es der König befahl. Als der Frosch nun oben auf einem Stuhl neben ihr saß, sprach er: „Nun schiebe mir dein goldenes Tellerlein näher, damit wir zusammen essen.“ Das tat sie auch, aber man sah wohl, dass sie's nicht gerne tat. Der Frosch ließ sich's nun schmecken, während ihr fast jedes Bisslein im Hals blieb. Dann sprach er: „Nun hab ich mich satt gegessen und bin müde, trag mich hinauf in dein Kämmerlein und mach dein seiden Bettlein zurecht, da wollen wir uns schlafen legen.“ Da fing die Königstochter an zu weinen und fürchtete sich vor dem kalten Frosch, den getraute sie sich nicht anzurühren und der sollte nun in ihrem schönen, reinen Bettlein schlafen. Der König aber blickte sie zornig an und sprach: „Was du versprochen hast, sollst du auch halten und der Frosch ist dein Geselle.“ Da half nichts mehr, sie mochte wollen oder nicht, sie musste den Frosch mitnehmen. Sie war aber in ihrem Herzen bitterböse, packte ihn mit zwei Fingern und trug ihn hinauf und als sie im Bett lag, statt ihn hinein zu heben, warf sie ihn aus allen Kräften an die Wand: „Nun wirst du Ruhe haben, du garstiger Frosch!“

Was aber herunter fiel, war nicht ein toter Frosch, sondern ein lebendiger, junger Königssohn mit schönen und freundlichen Augen. Der war nun von Recht und mit ihres Vaters Wille ihr lieber Geselle und Gemahl. Da schliefen sie nun vergnügt zusammen ein und am andern Morgen, als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen herangefahren mit acht weißen Pferden bespannt, die waren mit Federn geschmückt und gingen in goldenen Ketten und hinten stand der Diener des jungen Königs, das war der treue Heinrich. Der treue Heinrich hatte sich so betrübt, als sein Herr war in einen Frosch verwandelt worden, dass er drei eiserne Bande hatte müssen um sein Herz legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge. Der Wagen sollte den jungen König in sein Reich abholen, der treue Heinrich hob beide hinein und stellte sich wieder hinten auf, voller Freude über die Erlösung. Und als sie ein Stück Wegs gefahren waren, hörte der Königssohn hinter sich, dass es krachte, als wär etwas zerbrochen. Da drehte er sich um und rief: „Heinrich, der Wagen bricht!“ —

„Nein, Herr, der Wagen nicht,
es ist ein Band von meinem Herzen,
das da lag in großen Schmerzen,
als ihr in dem Brunnen saßt,
als ihr eine Fretsche (Frosch) wart.“ Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg und der Königssohn meinte immer, der Wagen bräche und es waren doch nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr wieder erlöst und glücklich war.
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Grimms Märchen
Der gestiefelte Kater    Online-ÜbungMärchen drucken

Es war einmal ein Müller, der hatte drei Söhne, seine Mühle, einen Esel und einen Kater; die Söhne mussten mahlen, der Esel Getreide holen und Mehl forttragen, die Katze dagegen die Mäuse wegfangen. Als der Müller starb, teilten sich die drei Söhne in die Erbschaft: der älteste bekam die Mühle, der zweite den Esel, der dritte den Kater; weiter blieb nichts für ihn übrig. Da war er traurig und sprach zu sich selbst: „Mir ist es doch recht schlimm ergangen, mein ältester Bruder kann mahlen, mein zweiter auf seinem Esel reiten – was kann ich mit dem Kater anfangen? Ich lass mir ein Paar Pelzhandschuhe aus seinem Fell machen, dann ist's vorbei.“

„Hör“, fing der Kater an, der alles verstanden hatte, „du brauchst mich nicht zu töten, um ein Paar schlechte Handschuhe aus meinem Pelz zu kriegen; lass mir nur ein Paar Stiefel machen, dass ich ausgehen und mich unter den Leuten sehen lassen kann, dann soll dir bald geholfen sein.“ Der Müllersohn verwunderte sich, dass der Kater so sprach, weil aber eben der Schuster vorbeiging, rief er ihn herein und ließ ihm die Stiefel anmessen. Als sie fertig waren, zog sie der Kater an, nahm einen Sack, machte dessen Boden voll Korn, band aber eine Schnur drum, womit man ihn zuziehen konnte, dann warf er ihn über den Rücken und ging auf zwei Beinen, wie ein Mensch, zur Tür hinaus.

Damals regierte ein König im Land, der aß so gerne Rebhühner: es war aber eine Not, dass keine zu kriegen waren. Der ganze Wald war voll, aber sie waren so scheu, dass kein Jäger sie erreichen konnte. Das wusste der Kater, und gedachte seine Sache besser zu machen; als er in den Wald kam, machte er seinen Sack auf, breitete das Korn auseinander, die Schnur aber legte er ins Gras und leitete sie hinter eine Hecke. Da versteckte er sich selber, schlich herum und lauerte. Die Rebhühner kamen bald gelaufen, fanden das Korn – und eins nach dem andern hüpfte in den Sack hinein. Als eine gute Anzahl drinnen war, zog der Kater den Strick zu, lief herbei und drehte ihnen den Hals um; dann warf er den Sack auf den Rücken und ging geradewegs zum Schloss des Königs. Die Wache rief. „Halt! Wohin?“ – „Zum König!“ antwortete der Kater kurzweg. „Bist du toll, ein Kater und zum König?“ – „Lass ihn nur gehen“, sagte ein anderer, „der König hat doch oft Langeweile, vielleicht macht ihm der Kater mit seinem Brummen und Spinnen Vergnügen.“ Als der Kater vor den König kam, machte er eine tiefe Verbeugung und sagte: „Mein Herr, der Graf“ – dabei nannte er einen langen und vornehmen Namen – „lässt sich dem Herrn König empfehlen und schickt ihm hier Rebhühner“; wusste der sich vor Freude nicht zu fassen und befahl dem Kater, soviel Gold aus der Schatzkammer in seinen Sack zu tun, wie er nur tragen könne: „Das bringe deinem Herrn, und danke ihm vielmals für sein Geschenk.“

Der arme Müllersohn aber saß zu Haus am Fenster, stützte den Kopf auf die Hand und dachte, dass er nun sein letztes Geld für die Stiefel des Katers weggegeben habe, und der ihm wohl nichts Besseres dafür bringen könne. Da trat der Kater herein, warf den Sack vom Rücken, schnürte ihn auf und schüttete das Gold vor den Müller hin: „Da hast du etwas Gold vom König, der dich grüßen lässt und sich für die Rebhühner bei dir bedankt.“ Der Müller war froh über den Reichtum, ohne dass er noch recht begreifen konnte, wie es zugegangen war. Der Kater aber, während er seine Stiefel auszog, erzählte ihm alles; dann sagte er: „Du hast jetzt zwar Geld genug, aber dabei soll es nicht bleiben; morgen ziehe ich meine Stiefel wieder an, dann sollst du noch reicher werden; dem König habe ich nämlich gesagt, dass du ein Graf bist.“ Am andern Tag ging der Kater, wie er gesagt hatte, wohl gestiefelt, wieder auf die Jagd, und brachte dem König einen reichen Fang. So ging es alle Tage, und der Kater brachte alle Tage Gold heim und ward so beliebt beim König, dass er im Schlosse ein- und ausgehen durfte. Einmal stand der Kater in der Küche des Schlosses beim Herd und wärmte sich, da kam der Kutscher und fluchte: „Ich wünsche, der König mit der Prinzessin wäre beim Henker! Ich wollte ins Wirtshaus gehen, einmal einen trinken und Karten spielen, da sollt ich sie spazieren fahren an den See.“ Wie der Kater das hörte, schlich er nach Haus und sagte zu seinem Herrn: „Wenn du ein Graf und reich werden willst, so komm mit mir hinaus an den See und bade darin.“ Der Müller wusste nicht, was er dazu sagen sollte, doch folgte er dem Kater, ging mit ihm, zog sich splitternackt aus und sprang ins Wasser. Der Kater aber nahm seine Kleider, trug sie fort und versteckte sie. Kaum war er damit fertig, da kam der König daher gefahren; der Kater fing sogleich an, erbärmlich zu lamentieren: „Ach! Allergnädigster König! Mein Herr, der hat sich hier im See zum Baden begeben, da ist ein Dieb gekommen und hat ihm die Kleider gestohlen, die am Ufer lagen; nun ist der Herr Graf im Wasser und kann nicht heraus, und wenn er sich noch länger darin aufhält, wird er sich erkälten und sterben.“ Wie der König das hörte, ließ er anhalten und einer seiner Leute musste zurückjagen und von des Königs Kleider holen. Der Herr Graf zog dann auch die prächtigen Kleider an, und weil ihm ohnehin der König wegen der Rebhühner, die er meinte, von ihm empfangen zu haben, gewogen war, so musste er sich zu ihm in die Kutsche setzen. Die Prinzessin war auch nicht bös darüber, denn der Graf war jung und schön, und er gefiel ihr recht gut.

Der Kater aber war vorausgegangen und zu einer großen Wiese gekommen, wo über hundert Leute waren und Heu machten. „Wem ist die Wiese, ihr Leute?“, fragte der Kater. „Dem großen Zauberer.“ – „Hört, jetzt wird gleich der König vorbeifahren, wenn er wissen will, wem die Wiese gehört, so antwortet: dem Grafen; und wenn ihr das nicht tut, so werdet ihr alle erschlagen.“ Darauf ging der Kater weiter und kam an ein Kornfeld, so groß, dass es niemand übersehen konnte; da standen mehr als zweihundert Leute und schnitten das Korn. „Wem gehört das Korn, ihr Leute?“ – „Dem Zauberer.“ – „Hört, jetzt wird gleich der König vorbeifahren, wenn er wissen will, wem das Korn gehört, so antwortet: dem Grafen; und wenn ihr das nicht tut, so werdet ihr alle erschlagen.“ Endlich kam der Kater an einen prächtigen Wald, da standen mehr als dreihundert Leute, fällten die großen Eichen und machten Holz. „Wem ist der Wald, ihr Leute?“ – „Dem Zauberer.“ – „Hört, jetzt wird gleich der König vorbeifahren, wenn er wissen will, wem der Wald gehört, so antwortet: dem Grafen; und wenn ihr das nicht tut, so werdet ihr alle erschlagen.“ Der Kater ging noch weiter, die Leute sahen ihm alle nach, und weil er so wunderlich aussah, und wie ein Mensch in Stiefeln daher ging, fürchteten sie sich vor ihm. Er kam bald an des Zauberers Schloss, trat keck hinein und vor diesen hin. Der Zauberer sah ihn verächtlich an, dann fragte er ihn, was er wolle. Der Kater verbeugte sich tief und sagte: „Ich habe gehört, dass du dich in jedes Tier ganz nach deinem Belieben verwandeln könntest; was einen Hund, Fuchs oder auch Wolf betrifft, da will ich es wohl glauben, aber von einem Elefant, das scheint mir ganz unmöglich, und deshalb bin ich gekommen, um mich selbst zu überzeugen.“ Der Zauberer sagte stolz: „Das ist für mich eine Kleinigkeit“, und war in dem Augenblick in einen Elefant verwandelt. „Das ist viel“, sagte der Kater, „aber auch in einen Löwen?“ – „Das ist auch nichts“, sagte der Zauberer, dann stand er als Löwe vor dem Kater. Der Kater stellte sich erschrocken und rief: „Das ist unglaublich und unerhört, dergleichen hätte ich mir nicht im Traume in die Gedanken kommen lassen; aber noch mehr, als alles andere, wäre es, wenn du dich auch in ein so kleines Tier, wie eine Maus ist, verwandeln könntest. Du kannst gewiss mehr, als irgendein Zauberer auf der Welt, aber das wird dir doch zu hoch sein.“ Der Zauberer ward ganz freundlich von den süßen Worten und sagte: „O ja, liebes Kätzchen, das kann ich auch“, und sprang als eine Maus im Zimmer herum. Der Kater war hinter ihm her, fing die Maus mit einem Satz und fraß sie auf.

Der König aber war mit dem Grafen und der Prinzessin weiter spazieren gefahren, und kam zu der großen Wiese. „Wem gehört das Heu?“, fragte der König. „Dem Herrn Grafen!“, riefen alle, wie der Kater ihnen befohlen hatte. „Ihr habt da ein schönes Stück Land, Herr Graf“, sagte der König. Danach kamen sie an das große Kornfeld. „Wem gehört das Korn, ihr Leute?“ – „Dem Herrn Grafen.“ – „Ei! Herr Graf! Große, schöne Ländereien!“ – Darauf zu dem Wald: „Wem gehört das Holz, ihr Leute?“ – „Dem Herrn Grafen.“ Der König verwunderte sich noch mehr und sagte: „Ihr müsst ein reicher Mann sein, Herr Graf, ich glaube nicht, dass ich einen so prächtigen Wald habe.“ Endlich kamen sie an das Schloss, der Kater stand oben an der Treppe, und als der Wagen unten hielt, sprang er herab, machte die Türe auf und sagte: „Herr König, Ihr gelangt hier in das Schloss meines Herrn, des Grafen, den diese Ehre für sein Lebtag glücklich machen wird.“ Der König stieg aus und verwunderte sich über das prächtige Gebäude, das fast größer und schöner war als sein Schloss; der Graf aber führte die Prinzessin die Treppe hinauf in den Saal, der ganz von Gold und Edelsteinen flimmerte.

Da ward die Prinzessin mit dem Grafen versprochen, und als der König starb, ward er König, der gestiefelte Kater aber erster Minister.
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Grimms Märchen  Märchen “Hans im Glück drucken
Hans im Glück
Hans hatte sieben Jahre bei seinem Herrn gedient, da sprach er zu ihm: „Herr, meine Zeit ist herum, nun wollte ich gern wieder heim zu meiner Mutter, gebt mir meinen Lohn.“ Der Herr antwortete: „Du hast mir treu und ehrlich gedient, wie der Dienst, so soll der Lohn sein;“ und gab ihm ein Stück Gold, das so groß als Hansens Kopf war. Hans zog sein Tüchlein, wickelte den Klumpen hinein, setzte ihn auf die Schulter und machte sich auf den Weg nach Haus. Wie er so dahin ging und immer ein Bein vor das andere setzte, kam ihm ein Reiter in die Augen, der frisch und fröhlich auf einem munteren Pferd vorbei trabte. „Ach“, sprach Hans ganz laut, „was das Reiten ein schönes Ding ist, da sitzt einer wie auf einem Stuhl, stößt sich an keinen Stein, spart die Schuh und kommt fort, er weiß nicht wie!“ Der Reiter, der das gehört hatte, rief ihm zu: „Ei, Hans, warum läufst du auch zu Fuß?“ „Ach, da muss ich den Klumpen heim tragen, es ist zwar Gold, aber ich kann den Kopf dabei nicht gerade halten und es drückt mir auch auf die Schulter.“ „Weißt du was“, sagte der Reiter und hielt an, „wir wollen tauschen, ich gebe dir mein Pferd und du gibst mir deinen Klumpen.“ „Von Herzen gern“, sprach Hans, „aber ich sage euch, ihr müsst euch damit schleppen.“ Der Reiter stieg ab, nahm das Gold und half dem Hans hinauf, gab ihm die Zügel fest in die Hände und sprach: „Wenn’s nun recht geschwind soll gehen, so musst du mit der Zunge schnalzen und hopp, hopp! rufen.“
Hans war seelenfroh, als er auf dem Pferd saß und so frank und frei dahin ritt. Über ein Weilchen fiel’s ihm ein, es sollte noch schneller gehen und er fing an, mit der Zunge zu schnalzen, und hopp, hopp! zu rufen. Das Pferd setzte sich in starken Trab, und eh' sich’s Hans versah, war er abgeworfen und lag in einem Graben, der die Äcker von der Landstraße trennte. Das Pferd wär' auch durchgegangen, wenn es nicht ein Bauer aufgehalten hätte, der des Weges kam und eine Kuh vor sich trieb. Hans suchte seine Glieder zusammen und machte sich wieder auf die Beine. Er war aber verdrießlich und sprach zu dem Bauer: „Es ist ein schlechter Spaß, das Reiten, dazu, wenn man auf so eine Mähre gerät wie diese, die stößt und einen herabwirft, dass man sich den Hals brechen kann; ich setze mich nun und nimmermehr wieder auf. Da lob' ich mir eure Kuh, da kann einer mit Gemächlichkeit hinterher gehen und hat obendrein seine Milch, Butter und Käse jeden Tag gewiss. Was gäbe ich drum, wenn ich so eine Kuh hätte!“ „Nun“, sprach der Bauer, „geschieht euch so ein großer Gefallen, so will ich euch wohl die Kuh für das Pferd vertauschen.“ Hans willigte mit tausend Freuden ein; der Bauer schwang sich aufs Pferd und ritt eilig davon.
Hans trieb seine Kuh ruhig vor sich her und bedachte den glücklichen Handel. „Hab ich nur ein Stück Brot, und daran wird mir’s doch nicht fehlen, so kann ich, so oft mir's beliebt, Butter und Käse dazu essen; hab ich Durst, so melk' ich meine Kuh und trinke Milch: Herz, was verlangst du mehr?“ Als er zu einem Wirtshaus kam, machte er Halt, aß in der großen Freude alles, was er bei sich hatte, sein Mittags- und Abendbrot rein auf und ließ sich für seine letzten paar Heller ein halbes Glas Bier einschenken. Dann trieb er seine Kuh weiter, immer nach dem Dorfe seiner Mutter zu. Die Hitze wurde aber drückender, je näher der Mittag kam und Hans befand sich in einer Heide, die wohl noch eine Stunde dauerte. Da ward es ihm ganz heiß, so dass ihm vor Durst die Zunge am Gaumen klebte. „Dem Ding ist zu helfen“, dachte Hans, „jetzt will ich meine Kuh melken, und mich an der Milch laben.“ Er band sie an einen dürren Baum und stellte seine Leder-Mütze darunter, aber so sehr er sich auch abmühte, es kam kein Tropfen Milch zum Vorschein. Weil er sich aber ungeschickt dabei anstellte, so gab ihm das ungeduldige Tier endlich mit einem der Hinterfüße einen solchen Schlag vor den Kopf, dass er zu Boden taumelte und eine Zeitlang sich gar nicht besinnen konnte, wo er war. Glücklicherweise kam gerade ein Metzger des Weges, der auf einem Schubkarren ein junges Schwein liegen hatte. „Was sind das für Streiche?“, rief er, und half dem guten Hans auf. Hans erzählte, was vorgefallen war. Der Metzger reichte ihm seine Flasche und sprach: „Da trinkt einmal und erholt euch; die Kuh will euch wohl keine Milch geben, das ist ein altes Tier, das höchstens noch zum Ziehen taugt oder zum Schlachten.“ „Ei, ei“, sprach Hans und strich sich die Haare über den Kopf, „wer hätte das gedacht! Es ist freilich gut, wenn man so ein Tier ins Haus abschlachten kann, was gibt’s für Fleisch! Aber ich mache mir aus dem Kuhfleisch nicht viel, es ist mir nicht saftig genug. Ja, wer so ein junges Schwein hätte, das schmeckt anders, dabei noch die Würste!“ „Hört Hans“, sprach da der Metzger, „euch zu Lieb' will ich tauschen und will euch das Schwein für die Kuh lassen.“ „Gott lohn' euch eure Freundschaft“, sprach Hans, übergab ihm die Kuh und ließ sich das Schweinchen vom Karren losmachen und den Strick, woran es gebunden war, in die Hand geben.
Hans zog weiter und überdachte, wie ihm doch alles nach Wunsch ginge, begegnete ihm ja eine Verdrießlichkeit, so würde sie doch gleich wieder gut gemacht. Es gesellte sich danach ein Bursche zu ihm, der trug eine schöne, weiße Gans unter dem Arm. Sie verweilten miteinander und Hans fing an, ihm von seinem Glück zu erzählen und wie er immer so vorteilhaft getauscht hätte. Der Bursch sagte, dass er die Gans zu einem Fest für eine Kindertaufe bringe: „Hebt einmal“, fuhr er fort und packte sie bei den Flügeln, „wie sie schwer ist, sie ist aber auch acht Wochen lang genudelt worden. Wer in den Braten beißt, muss sich das Fett von beiden Seiten abwischen.“ „Ja“, sprach Hans, und wog sie mit der einen Hand, „die hat ihr Gewicht, aber mein Schwein ist auch keine Sau.“ Indessen sah sich der Bursche nach allen Seiten ganz bedenklich um, schüttelte auch wohl mit dem Kopf. „Hört“, fing er darauf an, „mit eurem Schweine mag’s nicht ganz richtig sein. In dem Dorfe, durch das ich gekommen bin, ist eben dem Bürgermeister eins aus dem Stall gestohlen worden. Ich fürchte, ich fürchte, ihr habt’s da in der Hand, es wäre ein schlimmer Handel, wenn sie euch damit fänden, das Geringste ist, dass ihr ins finstere Loch gesteckt werdet.“ Dem guten Hans ward bang: „Ach Gott“, sprach er, „helft mir aus der Not, ihr wisst hier herum besser Bescheid, nehmt mein Schwein da, und lasst mir eure Gans.“ „Ich muss schon etwas aufs Spiel setzen“, antwortete der Bursche, „aber ich will doch nicht Schuld sein, dass ihr ins Unglück geratet.“ Er nahm also das Seil in die Hand und trieb das Schwein schnell auf einem Seitenweg fort; der gute Hans aber ging seiner Sorgen entledigt mit der Gans unter dem Arm seiner Heimat zu. „Wenn ich’s gut überlege“, sprach er mit sich selbst, „habe ich noch einen Vorteil bei dem Tausch, erst den guten Braten, hernach die Menge von Fett, die herausträufeln wird, das gibt Gänsfettbrot für ein Vierteljahr und endlich die schönen weißen Federn, die lass ich mir in mein Kopfkissen stopfen, und darauf will ich wohl ungewiegt einschlafen. Was wird meine Mutter eine Freude haben!“
Als er durch das letzte Dorf gekommen war, stand da ein Scherenschleifer mit seinem Karren, und sang zu seiner schnurrenden Arbeit:
„Ich schleife die Schere und drehe geschwind und hänge mein Mäntelchen nach dem Wind!“ Hans blieb stehen und sah ihm zu; endlich redete er ihn an und sprach: „Euch geht’s auch wohl, weil ihr so lustig bei eurem Schleifen seid.“ „Ja, antwortete der Scherenschleifer, das Handwerk hat einen goldenen Boden. Ein rechter Schleifer ist ein Mann, der, so oft er in die Tasche greift, auch Geld darin findet. Aber wo habt ihr die schöne Gans gekauft.“ — „Die hab' ich nicht gekauft, sondern für mein Schwein eingetauscht“, — „Und das Schwein?“ — „Das hab' ich für eine Kuh gekriegt.“ — „Und die Kuh?“ — „Die hab' ich für ein Pferd bekommen.“ — „Und das Pferd?“ — „Dafür hab' ich einen Klumpen Gold, so groß als mein Kopf gegeben.“ — „Und das Gold?“ — „Ei, das war mein Lohn für sieben Jahre Dienst.“ „Ihr habt euch jederzeit zu helfen gewusst“, sprach der Schleifer, „könnt ihrs nun dahin bringen, dass ihr das Geld in der Tasche springen hört, wenn ihr aufsteht, so habt ihr euer Glück gemacht.“ „Wie soll ich das anfangen?“, sprach Hans. „Ihr müsst ein Schleifer werden, wie ich, dazu gehört eigentlich nichts, als ein Wehstein, das andere findet sich schon von selbst. Da hab' ich einen, der ist ein wenig schadhaft, dafür sollt ihr mir aber auch weiter nichts, als eure Gans geben, wollt ihr das?“ „Wie könnt ihr noch fragen“, antwortete Hans, „ich werde ja zum glücklichsten Menschen auf Erden, habe ich Geld, so oft ich in die Tasche greife, was brauche ich da zu sorgen!“ und reichte ihm die Gans hin. „Nun“, sprach der Schleifer und hob einen schweren, gewöhnlichen Feldstein, der neben ihm lag, auf, „da habt ihr auch noch einen tüchtigen Stein dazu, auf dem sich’s gut schlagen lässt und ihr eure alten Nägel gerade klopfen könnt. Nehmt ihn und hebt ihn ordentlich auf.“
Hans lud den Stein auf und ging mit vergnügtem Herzen weiter, seine Augen leuchteten vor Freude und er sprach für sich: „Ich muss in einer Glückshaut geboren sein, alles was ich wünsche, tritt ein, wie bei einem Sonntagskind.“ Indessen, weil er seit Tagesanbruch auf den Beinen gewesen, begann er müde zu werden; auch plagte ihn der Hunger, da er allen Vorrat auf einmal in der Freude über die erhandelte Kuh aufgezehrt hatte. Er konnte endlich nur mit Mühe weiter gehen und musste jeden Augenblick Halt machen, dabei drückten ihn die Steine ganz erbärmlich. Da konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, wie gut es wäre, wenn er sie gerade jetzt nicht zu tragen brauchte. Wie eine Schnecke kam er zu einem Feldbrunnen geschlichen, da wollte er ruhen und sich mit einem frischen Trunk laben; damit er aber die Steine im Niedersitzen nicht beschädigte, legte er sie bedächtig neben sich auf den Rand des Brunnens. Darauf drehte er sich um und wollte sich zum Trinken bücken, da versah er sich, stieß ein klein wenig an und beide Steine plumpsten hinab. Hans, als er sie mit seinen Augen in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor Freuden auf, kniete dann nieder und dankte Gott mit Tränen in den Augen, dass er ihm auch diese Gnade erwiesen und auf eine so gute Art von den Steinen befreit hatte, das sei das Einzige, was ihm noch zu seinem Glück gefehlt hatte. „So glücklich wie ich“, rief er aus, „gibt es keinen Menschen unter der Sonne.“ Mit leichtem Herzen und frei von aller Last lief er nun, bis er daheim bei seiner Mutter war.
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Grimms Märchen
Frau Holle     Online-Übung zu: Frau Holle   Märchen drucken

Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleißig, die andere hässlich und faul. Sie hatte aber die Hässliche und Faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere musste alle Arbeit tun und der Aschenputtel im Hause sein. Es musste sich täglich hinaus auf die große Straße bei einem Brunnen setzen und so viel spinnen, dass ihm das Blut aus den Fingern sprang. Nun trug es sich zu, dass die Spule einmal ganz blutig war, da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte sie abwaschen, sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab. Es weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück, sie schalt es aber heftig  und war so unbarmherzig, dass sie sprach: „Hast du die Spule hinunterfallen lassen, so hol sie auch wieder herauf!“ Da ging das Mädchen zu dem Brunnen zurück und wusste nicht, was es anfangen sollte und sprang in seiner Angst in den Brunnen hinein. Als es erwachte und wieder zu sich selber kam, war es auf einer schönen Wiese, da schien die Sonne und waren viel tausend Blumen. Auf der Wiese ging es fort und kam zu einem Backofen, der war voller Brot; das Brot aber rief: „Ach! Zieh mich 'raus, zieh mich 'raus, sonst verbrenn' ich, ich bin schon längst ausgebacken!“ Da trat es fleißig herzu und holte alles heraus. Danach ging es weiter und kam zu einem Baum, der hing voll Äpfel und rief ihm zu: „Ach! Schüttel mich! Schüttel mich! Wir Äpfel sind alle mit einander reif!“ Da schüttelt es den Baum, dass die Äpfel fielen, als regneten sie, so lange, bis keiner mehr oben war, danach ging es wieder fort. Endlich kam es zu einem kleinen Haus, daraus guckte eine alte Frau, weil sie aber so große Zähne hatte, ward ihm angst und es wollte fortlaufen. Die alte Frau aber rief ihm nach: „Fürchte dich nicht, liebes Kind, bleib bei mir, wenn du alle Arbeit im Haus ordentlich tun willst, so soll dir es gut gehen, nur musst du Acht geben, dass du mein Bett gut machst und es fleißig aufschüttelst, dass die Federn fliegen, dann schneit es in der Welt; ich bin die Frau Holle.“ Weil die Alte so gut ihm zusprach, willigte das Mädchen ein und begab sich in ihren Dienst. Es besorgte auch alles nach ihrer Zufriedenheit und schüttelte ihr das Bett immer gewaltig auf, dafür hatte es auch ein gut Leben bei ihr, kein böses Wort und alle Tage Gesottenes und Gebratenes. Nun war es eine Zeitlang bei der Frau Holle, da ward es traurig in seinem Herzen, und ob es hier gleich viel tausendmal besser war, als zu Haus, so hatte es doch ein Verlangen dahin; endlich sagte es zu ihr: „Ich habe den Jammer nach Haus kriegt und wenn es mir auch noch so gut hier geht, so kann ich doch nicht länger bleiben.“ Die Frau Holle sagte: „Du hast Recht und weil du mir so treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder hinaufbringen.“ Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es vor ein großes Tor. Das ward aufgetan und wie das Mädchen darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen und alles Gold blieb an ihm hängen, so dass es über und über davon bedeckt war. „Das sollst du haben, weil du so fleißig gewesen bist“, sprach die Frau Holle und gab ihm auch noch die Spule wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war. Darauf ward das Tor verschlossen, und das Mädchen befand sich oben auf der Welt, nicht weit von seiner Mutter Haus und als es in den Hof kam, saß der Hahn auf dem Brunnen und rief:

„Kikeriki!
unsere goldene Jungfrau ist wieder hie!“
Da ging es hinein zu seiner Mutter und weil es so mit Gold bedeckt ankam, ward es gut aufgenommen.

Als die Mutter hörte, wie es zu dem Reichtum gekommen, wollte sie der andern hässlichen und faulen Tochter gern dasselbe Glück verschaffen und sie musste sich auch an den Brunnen setzen und spinnen. Damit ihr die Spule blutig ward, stach sie sich in die Finger, und zerstieß sich die Hand an der Dornenhecke. Darnach warf sie sie in den Brunnen und sprang selber hinein. Sie kam, wie die andere, auf die schöne Wiese und ging auf demselben Pfad weiter. Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brot wieder: „Ach! Zieh mich 'raus, zieh mich 'raus, sonst verbrenn' ich, ich bin schon längst ausgebacken!“ Die Faule aber antwortete: „Da hätt' ich Lust, mich schmutzig zu machen!“ und ging fort. Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief: „Ach! Schüttel mich! Schüttel mich! Wir Äpfel sind alle mit einander reif.“ Sie antwortete aber: „Du kommst mir recht, es könnt' mir einer auf den Kopf fallen!“ und ging damit weiter. Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen schon gehört hatte und verdingte sich ihr gleich. Am ersten Tag tat sie sich Gewalt an und war fleißig und folgte der Frau Holle, wenn sie ihr etwas sagte, denn sie dachte an das viele Gold, das sie ihr schenken würde; am zweiten Tag aber fing sie schon an zu faulenzen, am dritten noch mehr, da wollte sie morgens gar nicht aufstehen, sie machte auch der Frau Holle das Bett schlecht und schüttelte es nicht recht, dass die Federn aufflogen. Das ward es die Frau Holle bald müde und sagte der Faulen den Dienst auf. Die war es wohl zufrieden und meinte, nun werde der Goldregen kommen, die Frau Holle führte sie auch zu dem Tor, als sie aber darunter stand, ward statt des Goldes ein großer Kessel voll Pech ausgeschüttet. „Das ist zur Belohnung deiner Dienste“, sagte die Frau Holle, und schloss das Tor zu. Da kam die Faule heim, ganz mit Pech bedeckt und das hat ihr Lebtag nicht wieder abgehen wollen. Der Hahn aber auf dem Brunnen, als er sie sah, rief:

„Kikeriki!
unsere schmutzige Jungfrau ist wieder hie!“
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Grimms Märchen
Hänsel und Gretel.    Online-Übung   Märchen drucken

Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker, der hatte nichts zu beißen und zu brechen und kaum das tägliche Brot für seine Frau und seine zwei Kinder, Hänsel und Gretel. Endlich kam die Zeit, da konnte er auch das nicht schaffen und wusste keine Hülfe mehr für seine Not. Wie er sich nun abends vor Sorge im Bett herumwälzte, sprach seine Frau zu ihm: „Höre, Mann, morgen früh nimm die beiden Kinder, gib jedem noch ein Stückchen Brot, dann führ sie hinaus in den Wald, mitten hinein, wo er am dicksten ist, da mach ihnen ein Feuer an, dann geh weg und lass sie dort allein, wir können sie nicht länger ernähren.“ „Nein, Frau“, sagte der Mann, „wie soll ich übers Herz bringen, meine eigenen lieben Kinder den wilden Tieren im Wald zu bringen, die würden sie bald zerrissen haben!“ „Wenn du das nicht tust“, sprach die Frau, „so müssen wir alle miteinander Hungers sterben.“ Dies ließ ihm keine Ruhe, bis er einwilligte.

Die zwei Kinder waren auch noch vor Hunger wach gewesen und hatten mit angehört, was die Mutter zum Vater gesagt hatte. Gretel dachte, nun ist es um mich geschehen, und fing erbärmlich an zu weinen, Hänsel aber sprach: „Sei still, Gretel, und gräme dich nicht, ich will uns schon helfen.“ Damit stand er auf, zog sein Röcklein an, machte die Untertüre auf und schlich hinaus. Da schien der Mond hell und die weißen Kieselsteine glänzten wie lauter Batzen. Hänsel bückte sich und steckte so viel in sein Rocktäschlein, als nur hinein wollten, dann ging er zurück ins Haus. „Tröste dich, Gretel, und schlaf nur ruhig“, sprach er, legte sich wieder ins Bett und schlief ein.

Morgens früh, ehe die Sonne noch aufgegangen war, kam die Mutter und weckte die beiden Kinder: „Steht auf, wir wollen in den Wald gehen; da hat jedes von euch ein Stücklein Brot, hebt's euch für den Mittag auf.“ Gretel nahm das Brot unter die Schürze, weil Hänsel die Steine in der Tasche hatte, dann machten sie sich auf den Weg zum Wald hinein. Wie sie ein Weilchen gegangen waren, stand Hänsel still und guckte nach dem Haus zurück, bald darauf wieder und immer wieder. Der Vater sprach: „Hänsel, was guckst du zurück und hältst dich auf, hab Acht und heb deine Beine auf.“ — „Ach, Vater, ich sehe nach meinem weißen Kätzchen, das sitzt oben auf dem Dach und will mir Ade sagen.“ Die Mutter sprach: „Ei Narr, das ist dein Kätzchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein scheint.“ Hänsel aber hatte nicht nach dem Kätzchen gesehen, sondern immer einen von den blanken Kieselsteinen aus seiner Tasche auf den Weg geworfen.

Wie sie mitten in den Wald gekommen waren, sprach der Vater: „Nun sammelt Holz, ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, dass wir nicht frieren.“ Hänsel und Gretel trugen Reisig zusammen, einen kleinen Berg hoch. Da steckten sie es an und wie die Flamme recht groß brannte, sagte die Mutter: „Nun legt euch ans Feuer und schlaft, wir wollen in dem Wald das Holz fällen; wartet, bis wir wieder kommen und euch abholen.“

Hänsel und Gretel saßen bis Mittag an dem Feuer, da aß jedes sein Stücklein Brot; sie glaubten, der Vater wäre noch im Wald, weil sie die Schläge seiner Art horten, aber das war ein Ast, den er an einen Baum gebunden hatte und den der Wind hin und her schlug. Nun warteten sie bis zum Abend, aber Vater und Mutter blieben aus und niemand wollte kommen und sie abholen. Wie es nun finstere Nacht wurde, fing Gretel an zu weinen, Hänsel aber sprach: „Wart nur ein Weilchen, bis der Mond aufgegangen ist.“ Und als der Mond aufgegangen war, fasste er die Gretel bei der Hand, da lagen die Kieselsteine und schimmerten wie neu geschlagene Batzen und zeigten ihnen den Weg. Da gingen sie die ganze Nacht durch und wie es Morgen war, kamen sie wieder bei ihres Vaters Haus an. Der Vater freute sich, als er seine Kinder wieder sah, denn es war ihm zu Herzen gegangen, wie er sie so allein gelassen hatte; die Mutter stellte sich auch, als wenn sie sich freute, heimlich aber war sie bös.

Nicht lange danach war wieder kein Brot im Hause und Hänsel und Gretel hörten, wie abends die Mutter zum Vater sagte: „Einmal haben die Kinder den Weg zurückgefunden und da habe ich's gut sein lassen; aber jetzt ist wieder nichts, als nur noch ein halber Laib Brot im Haus, du musst sie morgen tiefer in den Wald führen, dass sie den Weg nicht zurück finden, es gibt sonst keine Hilfe mehr für uns.“ Dem Manne fiel es schwer aufs Herz und er dachte, es wäre doch besser, wenn du den letzten Bissen mit deinen Kindern teiltest; weil er es aber einmal getan hatte, so dürfte er nicht nein sagen. Als die Kinder das Gespräch gehört hatten, stand Hänsel auf und wollte wieder Kieselsteine auflesen, wie er aber an die Türe kam, da hatte sie die Mutter zugeschlossen. Doch tröstete er die Gretel und sprach: „Schlaf nur, Gretel, der liebe Gott wird uns schon helfen.“

Morgens früh erhielten sie ihr Stücklein Brot, noch kleiner als das vorige Mal. Auf dem Wege bröckelte es Hänsel in der Tasche, stand oft still, und warf ein Bröcklein an die Erde. „Was bleibst du immer stehen, Hänsel, und guckst dich um“, sagte der Vater, „geh deiner Wege.“ — „Ach! Ich sehe nach meinem Täubchen, das sitzt auf dem Dach und will mir Ade sagen.“ — „Du Narr“, sagte die Mutter, „das ist dein Täubchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein oben scheint.“ Hänsel aber zerbröckelte all sein Brot, und warf die Bröcklein auf den Weg.

Die Mutter führte sie noch tiefer in den Wald hinein, wo sie ihr Lebtag nicht gewesen waren, da sollten sie wieder bei einem großen Feuer sitzen und schlafen, und abends wollten die Eltern kommen und sie abholen. Zu Mittag teilte Gretel ihr Brot mit Hänsel, weil der seins all auf den Weg gestreut hatte, aber der Mittag verging und der Abend verging und niemand kam zu den armen Kindern. Hänsel tröstete die Gretel und sagte: „Wart, wenn der Mond aufgeht, dann sehe ich die Bröcklein Brot, die ich ausgestreut habe, die zeigen uns den Weg nach Haus.“ Der Mond ging auf, wie aber Hänsel nach den Bröcklein sah, da waren sie weg, die viel tausend Vöglein in dem Wald, die hatten sie gefunden und aufgepickt. Hänsel meinte doch den Weg nach Haus zu finden und zog die Gretel mit sich, aber sie verirrten sich bald in der großen Wildnis, und gingen die Nacht und den ganzen Tag, da schliefen sie vor Müdigkeit ein. Dann gingen sie noch einen Tag, aber kamen nicht aus den Wald heraus und waren so hungrig, denn sie hatten nichts zu essen als ein paar kleine Beeren, die auf der Erde standen.

Als sie am dritten Tage wieder bis zu Mittag gegangen waren, da kamen sie an ein Häuslein, das war ganz aus Brot gebaut und war mit Kuchen gedeckt, und die Fenster waren von hellem Zucker. „Da wollen wir uns niedersetzen und uns satt essen“, sagte Hänsel; „ich will vom Dach essen, iss du vom Fenster, Gretel, das ist fein süß für dich.“ Wie nun Gretel an dem Zucker knusperte, rief drinnen eine feine Stimme:

„Knusper, knusper, Knäuschen!
„Wer knuspert an meinem Häuschen!“
Die Kinder antworteten:
„Der Wind! Der Wind!
„Das himmlische Kind!“
Und aßen weiter. Gretel brach sich eine ganze runde Fensterscheibe heraus und Hänsel riss sich ein großes Stück Kuchen vom Dach ab. Da ging die Türe auf und eine steinalte Frau kam heraus geschlichen. Hänsel und Gretel erschraken so gewaltig, dass sie fallen ließen, was sie in Händen hatten. Die Alte aber wackelte mit dem Kopf, und sagte: „Ei, ihr lieben Kinder, wo seid ihr denn hergelaufen, kommt herein mit mir, ihr sollt es gut haben.“ Sie fasste beide an der Hand und führte sie in ihr Häuschen. Da ward gutes Essen aufgetragen, Milch und Pfannkuchen mit Zucker, Äpfel und Nüsse und dann wurden zwei schöne Bettlein bereitet, da legten sich Hänsel und Gretel hinein und meinten, sie waren im Himmel.

Die Alte aber war eine böse Hexe, die lauerte den Kindern auf und hatte bloß um sie zu locken ihr Brodhäuslein gebaut und wenn eins in ihre Gewalt kam, da machte sie es tot, kochte es und aß es und das war ihr ein Festtag. Da war sie nun recht froh, wie Hänsel und Gretel ihr zugelaufen kamen. Früh, ehe sie noch erwacht waren, stand sie schon auf, ging an ihre Bettlein und wie sie die zwei so lieblich ruhen sah, freute sie sich und murmelte: „Das wird ein guter Bissen für mich sein!“ Darauf packte sie den Hänsel und steckte ihn in einen kleinen Stall. Wie er nun aufwachte, war er von einem Gitter umschlossen, wie man junge Hühner einsperrt und konnte nur ein paar Schritte gehen. Das Gretel aber schüttelte sie und rief: „Steh auf, du Faulenzerin, hol Wasser, geh in die Küche und koch was Gutes zu essen, dort steckt dein Bruder in einem Stall, den will ich erst fett machen und wenn er fett ist, dann will ich ihn essen; jetzt sollst du ihn füttern.“ Gretel erschrak und weinte, musste aber tun, was die Hexe verlangte. Da ward nun alle Tage dem Hänsel das beste Essen gekocht, dass er fett werden sollte, Gretel aber bekam nichts als die Krebsschalen, und alle Tage kam die Alte und sagte: „Hänsel, streck deine Finger heraus, dass ich fühle, ob du fett genug bist.“ Hänsel streckte ihr aber immer ein Knöchlein heraus, da wunderte sie sich, dass er gar nicht zunehmen wollte.

Nach vier Wochen sagte sie eines Abends zu Gretel: „Sei flink, geh und trag Wasser herbei, dein Brüderchen mag nun fett sein oder nicht, morgen will ich es schlachten und sieden, ich will inzwischen den Teig anmachen, dass wir auch dazu backen können.“ Da ging Gretel mit traurigem Herzen und trug das Wasser, worin Hänsel sollte gesotten werden. Früh morgens musste Gretel aufstehen, Feuer anmachen und den Kessel mit Wasser aufhängen. „Gib nun Acht“, sagte die Hexe, „ich will Feuer im Backofen machen und das Brot hinein schieben.“ Gretel stand in der Küche, weinte blutige Tränen und dachte, hätten uns lieber die wilden Tiere im Walde gefressen, so wären wir zusammen gestorben, und müssten nun nicht das Herzeleid tragen, und ich müsste nicht selber das Wasser sieden, zu dem Tode meines lieben Bruders: „Du lieber Gott, hilf uns armen Kindern aus der Not!“

Da rief die Alte: „Gretel, komm gleich hierher zu dem Backofen.“ Wie Gretel kam, sagte sie: „Guck hinein, ob das Brot schon hübsch braun und gar ist, meine Augen sind schwach, ich kann nicht so weit sehen und wenn du auch nicht kannst, so setz dich auf das Brett, so will ich dich hinein schieben, da kannst du darin herumgehen und nachsehen.“ Wenn aber Gretel darin war, da wollte sie zumachen, Gretel sollte in dem heißen Ofen backen und sie wollte es auch aufessen: Das dachte die böse Hexe und darum hatte sie Gretel gerufen. Gott gab es aber dem Mädchen ein, dass es sprach: „Ich weiß nicht, wie ich das anfangen soll, zeige mir es erst und setz dich auf, ich will dich hinein schieben.“ Da setzte sich die Alte auf das Brett und weil sie leicht war, schob Gretel sie hinein, so weit es konnte, dann machte es geschwind die Türe zu und steckte den eisernen Riegel vor. Nun fing die Alte an in dem heißen Backofen zu schreien und zu jammern, Gretel aber lief fort, und sie musste elendiglich verbrennen.

Da lief Gretel zum Hänsel, machte ihm sein Türchen auf, und rief: „Spring heraus, Hänsel, wir sind erlöst!“ Da sprang Hänsel heraus wie ein eingesperrtes Vöglein aus dem Käfig springt, wenn ihm das Türchen geöffnet wird. Sie weinten vor Freude und küssten einander herzlich. Das ganze Häuschen aber war voll von Edelsteinen und Perlen, damit füllten sie ihre Taschen, gingen fort und suchten den Weg nach Haus. Sie kamen aber vor ein großes Wasser und konnten nicht hinüber. Da sah das Schwesterchen ein weißes Entchen hin und her schwimmen, dem rief es zu: „Ach, liebes Entchen, nimm uns auf deinen Rücken.“ Als das Entchen das hörte, kam es geschwommen, trug Gretel hinüber und hernach holte es auch Hänsel. Danach fanden sie bald ihre Heimat. Der Vater freute sich herzlich, als er sie wieder sah, denn er hatte keinen vergnügten Tag gehabt, seit seine Kinder fort waren. Die Mutter aber war gestorben. Nun brachten die Kinder Reichtümer genug mit und sie brauchten für Essen und Trinken nicht mehr zu sorgen.
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Grimms Märchen
Das arme Mädchen (Sterntaler)  Märchen drucken

Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben und es war so arm, dass es kein Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen und kein Bettchen mehr, darin zu schlafen und gar nichts mehr, als die Kleider, die es auf dem Leib trug und ein Stückchen Brot, das es in der Hand hielt und das ihm ein mitleidiges Herz noch geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld; da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach: „Ach, gib mir doch etwas zu essen, ich bin so hungrig.“ Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot und sagte: „Gott segne dirs!“ und ging weiter. Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: „Es friert mich so an meinem Kopf, schenk mir doch etwas, womit ich ihn bedecken kann!“ Da tat es seine Mütze ab und gab sie ihm. Und als es noch ein bisschen gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen an und fror, da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Röcklein, das gab es auch von sich hin. Endlich kam es in einen Wald und es war schon dunkel geworden, da kam noch eins und bat um ein Hemdlein und das fromme Mädchen dachte: Es ist dunkle Nacht, da kannst du wohl dein Hemd weggeben.  Und gab es auch noch hin. Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel und waren lauter harte, blanke Taler und ob es gleich sein Hemdlein weggegeben, so hatte es ein neues an vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte es sich die Taler hinein und ward reich für sein Lebtag.
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Grimms Märchen
Das tapfere Schneiderlein    Märchen drucken

An einem Sommermorgen saß ein Schneiderlein auf seinem Tisch am Fenster, war guter Dinge und nähte aus Leibeskräften. Da kam eine Bauersfrau die Straße herab und rief: „Gut Mus feil! Gut Mus feil!“

Das klang dem Schneiderlein lieblich in die Ohren, er steckte sein zartes Haupt zum Fenster hinaus und rief: „Hierherauf, liebe Frau, hier wird Sie Ihre Ware los.“

Die Frau stieg die drei Treppen mit ihrem schweren Korbe zu dem Schneider herauf und musste die Töpfe sämtlich vor ihm auspacken. Er besah sie alle, hob sie in die Höhe, hielt die Nase dran und sagte endlich: „Das Mus scheint mir gut, wieg Sie mir doch vier Lot ab, liebe Frau, wenn's auch ein Viertelpfund ist, kommt es mir nicht darauf an.“

Die Frau, welche gehofft hatte, einen guten Absatz zu finden, gab ihm, was er verlangte, ging aber ganz ärgerlich und brummig fort.

„Nun, das Mus soll mir Gott segnen“, rief das Schneiderlein, „und soll mir Kraft und Stärke geben“, holte das Brot aus dem Schrank, schnitt sich ein Stück über den ganzen Laib und strich das Mus darüber. „Das wird nicht bitter schmecken“, sprach er, „aber erst will ich den Wams fertig machen, eh ich anbeiße.“

Er legte das Brot neben sich, nähte weiter und machte vor Freude immer größere Stiche. Indes stieg der Geruch von dem süßen Mus hinauf an die Wand, wo die Fliegen in großer Menge saßen, so dass sie herangelockt wurden und sich scharenweise darauf niederließen. „Ei, wer hat euch eingeladen?“, sprach das Schneiderlein und jagte die ungebetenen Gäste fort. Die Fliegen aber, die kein Deutsch verstanden, ließen sich nicht abweisen, sondern kamen in immer größerer Gesellschaft wieder. Da lief dem Schneiderlein endlich, wie man sagt, die Laus über die Leber, es langte aus seiner Hölle nach einem Tuchlappen, und „Wart, ich will es euch geben!“ schlug es unbarmherzig drauf. Als es abzog und zählte, so lagen nicht weniger als sieben vor ihm tot und streckten die Beine.

„Bist du so ein Kerl?“, sprach er und musste selbst seine Tapferkeit bewundern. „Das soll die ganze Stadt erfahren.“ Und in der Hast schnitt sich das Schneiderlein einen Gürtel, nähte ihn und stickte mit großen Buchstaben darauf „Siebene auf einen Streich!“

„Ei was, Stadt!“, sprach er weiter, „die ganze Welt soll's erfahren!“ Und sein Herz wackelte ihm vor Freude wie ein Lämmerschwänzchen. Der Schneider band sich den Gürtel um den Leib und wollte in die Welt hinaus, weil er meinte, die Werkstätte sei zu klein für seine Tapferkeit. Eh er abzog, suchte er im Haus herum, ob nichts da wäre, was er mitnehmen könnte. Er fand aber nichts als einen alten Käs, den steckte er ein. Vor dem Tore bemerkte er einen Vogel, der sich im Gesträuch gefangen hatte, der musste zu dem Käse in die Tasche.

Nun nahm er den Weg tapfer zwischen die Beine, und weil er leicht und behände war, fühlte er keine Müdigkeit. Der Weg führte ihn auf einen Berg, und als er den höchsten Gipfel erreicht hatte, so saß da ein gewaltiger Riese und schaute sich ganz gemächlich um. Das Schneiderlein ging beherzt auf ihn zu, redete ihn an und sprach: „Guten Tag, Kamerad, gelt, du sitzest da und besiehst dir die weitläufige Welt? Ich bin eben auf dem Weg dahin und will mich versuchen. Hast du Lust, mitzugehen?“

Der Riese sah den Schneider verächtlich an und sprach: „Du Lump! Du miserabler Kerl!“

„Das wäre!“, antwortete das Schneiderlein, knöpfte den Rock auf und zeigte dem Riesen den Gürtel. „Da kannst du lesen, was ich für ein Mann bin.“

Der Riese las „Siebene auf einen Streich“, meinte, das wären Menschen gewesen, die der Schneider erschlagen hätte, und kriegte ein wenig Respekt vor dem kleinen Kerl. Doch wollte er ihn erst prüfen, nahm einen Stein in die Hand und drückte ihn zusammen, dass das Wasser heraustropfte.

„Das mach mir nach“, sprach der Riese, „wenn du Stärke hast.“

„Ist's weiter nichts?“, sagte das Schneiderlein. „Das ist bei unsereinem Spielwerk“, griff in die Tasche, holte den weichen Käs und drückte ihn, dass der Saft herauslief. „Gelt“, sprach er, „das war ein wenig besser?“

Der Riese wusste nicht, was er sagen sollte, und konnte es von dem Männlein nicht glauben. Da hob der Riese einen Stein auf und warf ihn so hoch, dass man ihn mit Augen kaum noch sehen konnte.

„Nun, du Erpelmännchen, das tu mir nach.“

„Gut geworfen“, sagte der Schneider, „aber der Stein hat doch wieder zur Erde herabfallen müssen. Ich will dir einen werfen, der soll gar nicht wiederkommen“, griff in die Tasche, nahm den Vogel und warf ihn in die Luft. Der Vogel, froh über seine Freiheit, stieg auf, flog fort und kam nicht wieder. „Wie gefällt dir das Stückchen, Kamerad?“, fragte der Schneider.

„Werfen kannst du wohl“, sagte der Riese, „aber nun wollen wir sehen, ob du imstande bist, etwas Ordentliches zu tragen.“ Er führte das Schneiderlein zu einem mächtigen Eichbaum, der da gefällt auf dem Boden lag, und sagte. „Wenn du stark genug bist, so hilf mir den Baum aus dem Wald heraustragen.“

„Gerne“, antwortete der kleine Mann, „nimm du nur den Stamm auf deine Schulter, ich will die Äste mit dem Gezweig aufheben und tragen, das ist doch das schwerste.“

Der Riese nahm den Stamm auf die Schulter, der Schneider aber setzte sich auf einen Ast, und der Riese, der sich nicht umsehen konnte, musste den ganzen Baum und das Schneiderlein noch obendrein forttragen. Es war dahinten ganz lustig und guter Dinge, pfiff das Liedchen „Es ritten drei Schneider zum Tore hinaus“, als wäre das Baumtragen ein Kinderspiel. Der Riese, nachdem er ein Stück Wegs die schwere Last fortgeschleppt hatte, konnte nicht weiter und rief: „Hör, ich muss den Baum fallen lassen.“ Der Schneider sprang behände herab, fasste den Baum mit beiden Armen, als wenn er ihn getragen hätte, und sprach zum Riesen: „Du bist ein so großer Kerl und kannst den Baum nicht einmal tragen.“

Sie gingen zusammen weiter, und als sie an einem Kirschbaum vorbeikamen, fasste der Riese die Krone des Baumes, wo die zeitigsten Früchte hingen, bog sie herab, gab sie dem Schneider in die Hand und hieß ihn essen. Das Schneiderlein aber war viel zu schwach, um den Baum zu halten, und als der Riese losließ, fuhr der Baum in die Höhe, und der Schneider ward mit in die Luft geschnellt. Als er wieder ohne Schaden herab gefallen war, sprach der Riese: „Was ist das, hast du nicht die Kraft, die schwache Gerte zu halten?“

„An der Kraft fehlt es nicht“, antwortete das Schneiderlein, “meinst du, das wäre etwas für einen, der siebene mit einem Streich getroffen hat? Ich bin über den Baum gesprungen, weil die Jäger da unten in das Gebüsch schießen. Spring nach, wenn du's vermagst.“

Der Riese machte den Versuch, konnte aber nicht über den Baum kommen, sondern blieb in den Ästen hängen, also dass das Schneiderlein auch hier die Oberhand behielt.

Der Riese sprach: „Wenn du ein so tapferer Kerl bist, so komm mit in unsere Höhle und übernachte bei uns.“

Das Schneiderlein war bereit und folgte ihm. Als sie in der Höhle anlangten, saßen da noch andere Riesen beim Feuer, und jeder hatte ein gebratenes Schaf in der Hand und aß davon. Das Schneiderlein sah sich um und dachte, es ist doch hier viel weitläufiger als in meiner Werkstatt.

Der Riese wies ihm ein Bett an und sagte, er solle sich hineinlegen und ausschlafen. Dem Schneiderlein war aber das Bett zu groß, es legte sich nicht hinein, sondern kroch in eine Ecke. Als es Mitternacht war und der Riese meinte, das Schneiderlein läge in tiefem Schlafe, so stand er auf, nahm eine große Eisenstange, schlug das Bett mit einem Schlag durch und meinte, er hätte dem Grashüpfer den Garaus gemacht. Mit dem frühsten Morgen gingen die Riesen in den Wald und hatten das Schneiderlein ganz vergessen, da kam es auf einmal ganz lustig und verwegen daher geschritten. Die Riesen erschraken, fürchteten, es schlüge sie alle tot, und liefen in einer Hast fort.

Das Schneiderlein zog weiter, immer seiner spitzen Nase nach. Nachdem es lange gewandert war, kam es in den Hof eines königlichen Palastes, und da es Müdigkeit empfand, so legte es sich ins Gras und schlief ein. Während es da lag, kamen die Leute, betrachteten es von allen Seiten und lasen auf dem Gürtel „Siebene auf einen Streich.“

„Ach“, sprachen sie, „was will der große Kriegsheld hier mitten im Frieden? Das muss ein mächtiger Herr sein.“

Sie gingen und meldeten es dem König und meinten, wenn Krieg ausbrechen sollte, wäre das ein wichtiger und nützlicher Mann, den man um keinen Preis fortlassen dürfte. Dem König gefiel der Rat, und er schickte einen von seinen Hofleuten an das Schneiderlein ab, der sollte ihm, wenn es aufgewacht wäre, Kriegsdienste anbieten.

Der Abgesandte blieb bei dem Schläfer stehen, wartete, bis er seine Glieder streckte und die Augen aufschlug, und brachte dann seinen Antrag vor.

„Eben deshalb bin ich hierher gekommen“, antwortete das Schneiderlein, „ich bin bereit, in des Königs Dienste zu treten.“ Also ward er ehrenvoll empfangen und ihm eine besondere Wohnung angewiesen.

Die Kriegsleute aber waren dem Schneiderlein aufgesessen und wünschten, es wäre tausend Meilen weit weg.

„Was soll daraus werden“, sprachen sie untereinander, „wenn wir Zank mit ihm kriegen und er haut zu, so fallen auf jeden Streich siebene. Da kann unsereiner nicht bestehen.“

Also fassten sie einen Entschluss, begaben sich allesamt zum König und baten um ihren Abschied.

„Wir sind nicht gemacht“, sprachen sie, „neben einem Mann auszuhalten, der siebene auf einen Streich schlägt.“

Der König war traurig, dass er um des einen willen alle seine treuen Diener verlieren sollte, wünschte, dass seine Augen ihn nie gesehen hätten, und wäre ihn gerne wieder los gewesen. Aber er getraute sich nicht, ihm den Abschied zu geben, weil er fürchtete, er möchte ihn samt seinem Volke totschlagen und sich auf den königlichen Thron setzen. Er sann lange hin und her, endlich fand er einen Rat. Er schickte zu dem Schneiderlein und ließ ihm sagen, weil er ein so großer Kriegsheld wäre, so wollte er ihm ein Anerbieten machen. In einem Walde seines Landes hausten zwei Riesen, die mit Rauben, Morden, Sengen und Brennen großen Schaden stifteten, niemand dürfte sich ihnen nahen, ohne sich in Lebensgefahr zu setzen. Wenn er diese beiden Riesen überwände und tötete, so wollte er ihm seine einzige Tochter zur Gemahlin geben und das halbe Königreich zur Ehesteuer; auch sollten hundert Reiter mitziehen und ihm Beistand leisten.

Das wäre so etwas für einen Mann, wie du bist, dachte das Schneiderlein, eine schöne Königstochter und ein halbes Königreich wird einem nicht alle Tage angeboten.

„O ja“, gab er zur Antwort, „die Riesen will ich schon bändigen und habe die hundert Reiter dabei nicht nötig; wer siebene auf einen Streich trifft, braucht sich vor zweien nicht zu fürchten.“

Das Schneiderlein zog aus, und die hundert Reiter folgten ihm. Als es zu dem Rand des Waldes kam, sprach es zu seinen Begleitern: „Bleibt hier nur halten, ich will schon allein mit den Riesen fertig werden.“

Dann sprang er in den Wald hinein und schaute sich rechts und links um. Über ein Weilchen erblickte er beide Riesen: Sie lagen unter einem Baume und schliefen und schnarchten dabei, dass sich die Äste auf und nieder bogen. Das Schneiderlein, nicht faul, las beide Taschen voll Steine und stieg damit auf den Baum. Als es in der Mitte war, rutschte es auf einen Ast, bis es gerade über die Schläfer zu sitzen kam, und ließ dem einen Riesen einen Stein nach dem andern auf die Brust fallen. Der Riese spürte lange nichts, doch endlich wachte er auf, stieß seinen Gesellen an und sprach: „Was schlägst du mich?“

„Du träumst“, sagte der andere, „ich schlage dich nicht.“

Sie legten sich wieder zum Schlaf, da warf der Schneider auf den zweiten einen Stein herab.

„Was soll das?“, rief der andere. „Warum wirfst du mich?“

„Ich werfe dich nicht“, antwortete der erste und brummte.

Sie zankten sich eine Weile herum, doch weil sie müde waren, ließen sie's gut sein, und die Augen fielen ihnen wieder zu. Das Schneiderlein fing sein Spiel von neuem an, suchte den dicksten Stein aus und warf ihn dem ersten Riesen mit aller Gewalt auf die Brust.

„Das ist zu arg!“, schrie er, sprang wie ein Unsinniger auf und stieß seinen Gesellen wider den Baum, dass dieser zitterte. Der andere zahlte mit gleicher Münze, und sie gerieten in solche Wut, dass sie Bäume ausrissen, aufeinander losschlugen, so lange, bis sie endlich beide zugleich tot auf die Erde fielen.

Nun sprang das Schneiderlein herab.

„Ein Glück nur“, sprach es, „dass sie den Baum, auf dem ich saß, nicht ausgerissen haben, sonst hätte ich wie ein Eichhörnchen auf einen andern springen müssen: Doch unsereiner ist flüchtig!“ Es zog sein Schwert und versetzte jedem ein paar tüchtige Hiebe in die Brust, dann ging es hinaus zu den Reitern und sprach: „Die Arbeit ist getan, ich habe beiden den Garaus gemacht; aber hart ist es hergegangen, sie haben in der Not Bäume ausgerissen und sich gewehrt, doch das hilft alles nichts, wenn einer kommt wie ich, der siebene auf einen Streich schlägt.“

„Seid Ihr denn nicht verwundet?“, fragten die Reiter.

„Das hat gute Wege“, antwortete der Schneider, „kein Haar haben sie mir gekrümmt.“

Die Reiter wollten ihm keinen Glauben beimessen und ritten in den Wald hinein: Da fanden sie die Riesen in ihrem Blute schwimmen, und ringsherum lagen die ausgerissenen Bäume.

Das Schneiderlein verlangte von dem König die versprochene Belohnung, den aber reute sein Versprechen, und er sann aufs Neue, wie er sich den Helden vom Halse schaffen könnte.

„Ehe du meine Tochter und das halbe Reich erhältst“, sprach er zu ihm, „musst du noch eine Heldentat vollbringen. In dem Walde läuft ein Einhorn, das großen Schaden anrichtet. Das musst du erst einfangen.“

„Vor einem Einhorne fürchte ich mich noch weniger als vor zwei Riesen; siebene auf einen Streich, das ist meine Sache.“ Er nahm sich einen Strick und eine Axt mit, ging hinaus in den Wald und hieß abermals die, welche ihm zugeordnet waren, außen warten. Er brauchte nicht lange zu suchen, das Einhorn kam bald daher und sprang geradezu auf den Schneider los, als wollte es ihn ohne Umstände aufspießen. „Sachte, sachte“, sprach er, „so geschwind geht das nicht“, blieb stehen und wartete, bis das Tier ganz nahe war, dann sprang er behände hinter den Baum. Das Einhorn rannte mit aller Kraft gegen den Baum und spießte sein Horn so fest in den Stamm, dass es nicht Kraft genug hatte, es wieder herauszuziehen, und so war es gefangen. „Jetzt hab ich das Vöglein“, sagte der Schneider, kam hinter dem Baum hervor, legte dem Einhorn den Strick erst um den Hals, dann hieb er mit der Axt das Horn aus dem Baum, und als alles in Ordnung war, führte er das Tier ab und brachte es dem König.

Der König wollte ihm den verheißenen Lohn noch nicht gewähren und machte eine dritte Forderung. Der Schneider sollte ihm vor der Hochzeit erst ein Wildschwein fangen, das in dem Wald großen Schaden tat; die Jäger sollten ihm Beistand leisten.

„Gerne“, sprach der Schneider, „das ist ein Kinderspiel.“

Die Jäger nahm er nicht mit in den Wald, und sie waren's wohl zufrieden, denn das Wildschwein hatte sie schon mehrmals so empfangen, dass sie keine Lust hatten, ihm nachzustellen.

Als das Schwein den Schneider erblickte, lief es mit schäumendem Munde und wetzenden Zähnen auf ihn zu und wollte ihn zur Erde werfen. Der flüchtige Held aber sprang in eine Kapelle, die in der Nähe war, und gleich oben zum Fenster in einem Satze wieder hinaus. Das Schwein war hinter ihm hergelaufen, er aber hüpfte außen herum und schlug die Tür hinter ihm zu; da war das wütende Tier gefangen, das viel zu schwer und unbehilflich war, um zu dem Fenster hinauszuspringen. Das Schneiderlein rief die Jäger herbei, die mussten den Gefangenen mit eigenen Augen sehen. Der Held aber begab sich zum Könige, der nun, er mochte wollen oder nicht, sein Versprechen halten musste und ihm seine Tochter und das halbe Königreich übergab. Hätte er gewusst, dass kein Kriegsheld, sondern ein Schneiderlein vor ihm stand, es wäre ihm noch mehr zu Herzen gegangen. Die Hochzeit ward also mit großer Pracht und kleiner Freude gehalten und aus einem Schneider ein König gemacht.

Nach einiger Zeit hörte die junge Königin in der Nacht, wie ihr Gemahl im Traume sprach: „Junge, mach mir den Wams und flick mir die Hosen, oder ich will dir die Elle über die Ohren schlagen.“ Da merkte sie, in welcher Gasse der junge Herr geboren war, klagte am anderen Morgen ihrem Vater ihr Leid und bat, er möchte ihr von dem Manne helfen, der nichts anderes als ein Schneider wäre. Der König sprach ihr Trost zu und sagte: „Lass in der nächsten Nacht deine Schlafkammer offen, meine Diener sollen außen stehen und, wenn er eingeschlafen ist, hineingehen, ihn binden und auf ein Schiff tragen, das ihn in die weite Welt führt.“ Die Frau war damit zufrieden, des Königs Waffenträger aber, der alles mit angehört hatte, war dem jungen Herrn gewogen und hinterbrachte ihm den ganzen Anschlag.

„Dem Ding will ich einen Riegel vorschieben“, sagte das Schneiderlein. Abends legte es sich zu gewöhnlicher Zeit mit seiner Frau zu Bett. Als sie glaubte, er sei eingeschlafen, stand sie auf, öffnete die Tür und legte sich wieder. Das Schneiderlein, das sich nur stellte, als wenn es schliefe, fing an mit heller Stimme zu rufen: „Junge, mach mir den Wams und flick mir die Hosen, oder ich will dir die Elle über die Ohren schlagen! Ich habe siebene mit einem Streich getroffen, zwei Riesen getötet, ein Einhorn fortgeführt und ein Wildschwein gefangen und sollte mich vor denen fürchten, die draußen vor der Kammer stehen!“

Als diese den Schneider also sprechen hörten, überkam sie eine große Furcht, sie liefen, als wenn das wilde Heer hinter ihnen wäre, und keiner wollte sich mehr an ihn wagen.

Also war und blieb das Schneiderlein sein Lebtag ein König.
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Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug und gescheit, und wusste sich in alles wohl zu schicken, der Jüngste aber war dumm, konnte nichts begreifen und lernen und wenn ihn die Leute sahen, sprachen sie: „Mit dem wird der Vater noch seine Last haben!“ Wenn nun etwas zu tun war, so musste es der Älteste allzeit ausrichten, hieß ihn aber der Vater noch spät oder gar in der Nacht etwas holen und der Weg ging dabei über den Kirchhof oder sonst einen schaurigen Ort, so antwortete er wohl: „Ach nein, Vater, ich gehe nicht dahin, es gruselt mir“, denn er fürchtete sich. Oder, wenn abends beim Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen die Zuhörer manchmal: „Ach, es gruselt mir!“ Der Jüngste saß in einer Ecke und hörte das mit an und konnte nicht begreifen, was es heißen sollte. „Immer sagen sie: Es gruselt mir! Es gruselt mir! Mir gruselt's nicht: Das wird wohl eine Kunst sein, von der ich auch nichts verstehe.“

Nun geschah es, dass der Vater einmal zu ihm sprach: „Hör du in der Ecke dort, du wirst groß und stark, du musst auch etwas lernen, womit du dein Brot verdienst. Siehst du, wie dein Bruder sich Mühe gibt, aber an dir ist Hopfen und Malz verloren.“ „Ei, Vater“, antwortete er, „ich will gerne was lernen; ja, wenn's anginge, so möchte ich lernen, dass mir es gruselte; davon verstehe ich noch gar nichts.“ Der Älteste lachte, als er das hörte und dachte bei sich „Du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird sein Lebtag nichts: Was ein Häkchen werden will, muss sich beizeiten krümmen.“ Der Vater seufzte und antwortete ihm: „Das Gruseln, das sollst du schon lernen, aber dein Brot wirst du damit nicht verdienen.“

Bald danach kam der Küster zum Besuch ins Haus, da klagte ihm der Vater seine Not und erzählte, wie sein jüngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre, er wisse nichts und lerne nichts. „Denkt Euch, als ich ihn fragte, womit er sein Brot verdienen wollte, hat er gar verlangt, das Gruseln zu lernen.“ „Ei“, antwortete der Küster, „das kann er bei mir lernen; tut ihn nur zu mir, ich werde ihn schon abhobeln.“ Der Vater war es zufrieden, weil er dachte: „Der Junge wird doch ein wenig zugestutzt.“ Der Küster nahm ihn also ins Haus und er musste die Glocke läuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn aufstehen, in den Kirchturm steigen und läuten. „Du wirst schon lernen, was Gruseln ist“, dachte er, doch um ihm noch einen rechten Schrecken einzujagen ging er heimlich voraus und stellte sich ins, da sollte der Junge meinen, er wär ein Gespenst. Der Junge stieg ruhig in den Turm hinauf, als er oben ankam sah er eine Gestalt im Schalloch. „Wer steht dort?“, rief er, aber es regte und bewegte sich nicht. Da sprach er: „Was willst du hier in der Nacht? Mach, dass du fort kommst, oder ich werfe dich hinunter.“ Der Küster dachte: „Es wird so arg nicht gemeint sein“. Er schwieg und blieb unbeweglich stehen. Da rief ihn der Junge zum dritten Mal an und als er immer noch keine Antwort erhielt, nahm er einen Anlauf und stieß das Gespenst hinab, dass es sich Hals und Bein brach. Darauf läutete er die Glocke und wie das geschehen war, stieg er wieder hinab, legte sich, ohne ein Wort zu sagen, ins Bett und schlief fort. Die Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber der kam nicht wieder. Da ward ihr endlich Angst, dass sie den Jungen weckte und fragte: „Weißt du nicht, wo mein Mann geblieben ist? Er ist mit auf den Turm gestiegen.“ „Nein“, antwortete der Junge, „aber da hat einer im Schalloch gestanden und weil er nicht weggehen und keine Antwort geben wollte, so habe ich ihn hinunter geschmissen. Geht einmal hin, so werdet Ihr sehen ob er's gewesen ist.“ Die Frau eilte voll Angst auf den Kirchhof fand ihren Mann tot auf der Erde liegen.

Da lief sie schreiend zu dem Vater des Jungen und weckte ihn und sprach: „Ach, was hat euer Taugenichts für ein Unglück angerichtet, meinen Mann hat er zum Schallloch hinunter gestürzt, dass er tot auf dem Kirchhof liegt!“ Der Vater erschrak, kam herbeigelaufen und schalt den Jungen: „Was sind das für gottlose Streiche, die muss dir der Böse eingegeben haben.“ „Ei, Vater“, antwortete er, „hört nur an, ich bin ganz unschuldig: er stand da in der Nacht wie einer, der Böses vorhat. Ich wusste nicht, wer's war, ich  hab ihn ja dreimal ermahnt, warum ist er nicht weggegangen.“ „Ach“, sprach der Vater, „mit dir erleb ich nur Unglück, geh mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr ansehen.“ „Ja, Vater, recht gerne, wartet nur, bis Tag ist, da will ich ausgehen und das Gruseln lernen, so versteh ich doch eine Kunst, die mich ernähren kann.“ „Lerne, was du willst“, sprach der Vater, „mir ist alles einerlei. Da hast du fünfzig Taler, damit geh mir aus den Augen und sage keinem Menschen, wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich muss mich deiner schämen.“ „Ja, Vater, wie ihrs haben wollt, wenn Ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in Acht behalten.“

Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine fünfzig Taler in die Tasche, ging hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin: „Wenn mir's nur gruselte! Wenn mir's nur gruselte!“ Da ging ein Mann neben ihm, der hörte das Gespräch mit an und als sie ein Stück weiter waren, dass man den Galgen sehen konnte, sagte er zu dem Jungen: „Siehst du, dort ist der Baum, wo siebene mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben, setz dich darunter und warte, bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen.“ „Wenn weiter nichts dazu gehört“, antwortete der Junge, „das will ich gern tun; lerne ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du meine fünfzig Taler haben, komm nur morgen früh wieder zu mir.“ Da ging der Junge zu dem Galgen, setzte sich darunter und wartete, bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an, aber um Mitternacht ging der Wind so kalt, dass er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegeneinander stieß, dass sie sich hin und her bewegten, so dachte er: „Du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln.“ Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer  blies es an und setzte sie herum, dass sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er: „Nehmt euch in Acht, sonst häng ich euch wieder hinauf.“ Die Toten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen brennen. Da ward er bös und sprach: „Wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen“ und hing sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die fünfzig Taler haben und sprach: „Nun, weißt du, was Gruseln ist?“ „Nein“, antwortete er, „woher sollte ich's wissen? Die da droben haben das Maul nicht aufgetan und waren so dumm, dass sie die paar alten Lappen, die sie am Leibe haben, brennen ließen.“ Da sah der Mann, dass er die fünfzig Taler heute nicht davontragen würde, ging fort und sprach: „So einer ist mir noch nicht vorgekommen.“

Der Junge ging auch seines Wegs und fing wieder an vor sich hin zu reden: „Ach, wenn mir's nur gruselte! Ach, wenn mir's nur gruselte!“ Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm herschritt, und fragte: „Wer bist du?“ „Ich weiß nicht“, antwortete der Junge. Der Fuhrmann fragte weiter: „Wo bist du her?“ „Ich weiß nicht.“ „Wer ist dein Vater?“ „Das darf ich nicht sagen.“ „Was brummst du so in den Bart hinein?“ „Ei“, antwortete der Junge, „ich wollte, dass mir's gruselte, aber niemand kann es mich lehren.“ „Lass dein dummes Geschwätz“, sprach der Fuhrmann, „komm, geh mit mir, ich will sehen, dass ich dich unterbringe.“ Der Junge ging mit dem Fuhrmann,  abends gelangten sie zu einem Wirtshaus, wo sie übernachten wollten, da  sprach er beim Eintritt in die Stube wieder ganz laut: „Wenn mir's nur gruselte! Wenn mir's nur gruselte!“ Der Wirt, der das hörte, lachte und sprach: „Wenn dich danach lüstet, dazu sollte hier wohl Gelegenheit sein.“ „Ach schweig stille“, sprach die Wirtsfrau, „so mancher Vorwitzige hat schon sein Leben eingebüßt, es wäre Jammer und Schade um die schönen Augen, wenn die das Tageslicht nicht wieder sehen sollten.“ Der Junge aber sagte: „Wenn's noch so schwer wäre, ich will's einmal lernen, dazu bin ich ja ausgezogen.“ Er ließ dem Wirt auch keine Ruhe, bis dieser erzählte, nicht weit davon stände ein verwünschtes Schloss, worin einer wohl lernen könnte, was Gruseln wäre, wenn er drei Nächte darin wachen wollte. Der König hätte dem, der es wagen sollte, seine Tochter zur Frau versprochen, und die wäre die schönste Jungfrau, welche die Sonne beschien: in dem Schlosse steckten auch große Schätze, von bösen Geistern bewacht, die würden dann frei. Schon viele wären wohl hinein-, aber noch keiner wieder herausgekommen. Da ging der Junge am andern Morgen vor den König und sprach: „Wenn's erlaubt wäre, so wollte ich wohl drei Nächte in dem verwünschten Schlosse wachen.“ Der König sah ihn an und weil er ihm gefiel, sprach er: „Du darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein und das darfst du mit ins Schloss nehmen.“ Da antwortete er: „So bitt ich um ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit dem Messer.“

Der König ließ ihm das alles bei Tage in das Schloss tragen. Als es Nacht werden wollte, ging der Junge hinauf, machte sich in einer Kammer ein helles Feuer an, stellte die Schnitzbank mit dem Messer daneben und setzte sich auf die Drehbank. „Ach, wenn mir's nur gruselte!“, sprach er, „aber hier werde ich's auch nicht lernen.“ Gegen Mitternacht wollte er sich sein Feuer einmal aufschüren. Wie er so hineinblies, da schrie es plötzlich aus einer Ecke: „Au, miau! Was uns friert!“ „Ihr Narren“, rief er, „was schreit ihr? Wenn euch friert, kommt, setzt euch ans Feuer und wärmt euch.“ Und wie er das gesagt hatte, kamen zwei große schwarze Katzen in einem gewaltigen Sprunge herbei, setzten sich ihm zu beiden Seiten und sahen ihn mit ihren feurigen Augen ganz wild an. Über ein Weilchen, als sie sich gewärmt hatten, sprachen sie: „Kamerad, wollen wir eins in der Karte spielen?“ „Ja“, antwortete er, „aber zeigt einmal eure Pfoten her.“ Da streckten sie die Krallen aus. „Ei“, sagte er, „was habt ihr lange Nägel! Wartet, die muss ich euch erst abschneiden.“ Damit packte er sie beim Kragen, hob sie auf die Schnitzbank und schraubte ihnen die Pfoten fest. „Euch habe ich auf die Finger gesehen“, sprach er, „ da vergeht mir die Lust zum Kartenspiel“, schlug sie tot und warf sie hinaus ins Wasser. Als er aber die Zwei zur Ruhe gebracht hatte und sich wieder zu seinem Feuer setzen wollte, da kamen aus allen Ecken und Enden schwarze Katzen und schwarze Hunde an glühenden Ketten, immer mehr und mehr, dass er sich nicht mehr bergen konnte: die schrieen gräulich, traten ihm auf sein Feuer, zerrten es auseinander und wollten es ausmachen. Das sah er ein Weilchen ruhig mit an, als es ihm aber zu arg ward, fasste er sein Schnitzmesser: „Du Gesindel, fort mit dir“, und hieb hinein. Ein Teil sprang weg, die andern schlug er tot und trug sie hinaus in den Teich. Als er wiedergekommen war, blies er aus den Funken sein Feuer frisch an und wärmte sich. Und als er so saß, wollten ihm die Augen nicht länger offen bleiben, und er bekam Lust zu schlafen. Da blickte er um sich und sah in der Ecke ein großes Bett, ging und legte sich hinein. Als er aber die Augen zu tun wollte, so fing das Bett von selbst an zu fahren, und fuhr im ganzen Schloss herum. „Recht so“, sprach er, „nur besser zu.“ Da fing das Bett an zu fahren, als wären sechs Pferde vorgespannt, über Schwellen und Treppen auf und ab: auf einmal hopp, hopp! Warf es um, das Unterste zu oberst und er lag mitten drunter. Aber er schleuderte Decken und Kissen in die Höhe, stieg heraus und sagte: „Nun mag fahren, wer Lust hat“, legte sich an sein Feuer und schlief, bis es Tag war. Am Morgen kam der König und als er ihn da auf der Erde liegen sah, meinte er, die Gespenster hätten ihn umgebracht und er wäre tot. Da sprach er: „Es ist doch schade um den schönen Menschen.“ Das hörte der Junge, richtete sich auf und sprach: „So weit ist's noch nicht!“ Da verwunderte sich der König, freute sich aber und fragte, wie es ihm gegangen wäre. „Recht gut“, antwortete er, „eine Nacht wäre herum, die zwei andern werden auch herumgehen.“ Als er zum Wirt kam, da machte der große Augen und sprach: „Ich dachte nicht, dass ich dich wieder lebendig sehen würde; hast du nun gelernt, was Gruseln ist?“ „Nein“, sagte er, „ich weiß es nicht: Wenn mir es nur einer sagen könnte!'

Die zweite Nacht ging er wieder hinauf ins alte Schloss, setzte sich zum Feuer und fing sein altes Lied wieder an: „Wenn mir's nur gruselte!“ Wie Mitternacht herankam, ließ sich ein Lärm und Gepolter hören, erst sachte, dann immer stärker, dann war's ein bisschen still, endlich kam mit lautem Geschrei ein halber Mensch den Schornstein herab und fiel vor ihm hin. „Heda!“, rief er, „noch ein Halber gehört dazu, das ist zu wenig.“ Da ging der Lärm von Frischem an, es tobte und heulte und fiel die andere Hälfte auch herab. „Wart“, sprach er, „ich will dir erst das Feuer ein wenig anblasen.“ Wie er das getan hatte und sich wieder umsah, da waren die beiden Stücke zusammengefahren und es saß da ein gräulicher Mann auf seinem Platz. „So ist's nicht gemeint“, sprach der Junge, „die Bank ist mein.“ Der Mann wollte ihn wegdrängen, aber der Junge ließ sich's nicht gefallen, schob ihn mit Gewalt weg und setzte sich wieder auf seinen Platz. Da fielen noch mehr Männer herab, einer nach dem andern, die hatten neun Totenbeine und zwei Totenköpfe, setzten auf und spielten Kegel. Der Junge bekam auch Lust und fragte: „Hört ihr, kann ich mit sein?“ „Ja, wenn du Geld hast.“ „Geld genug“, antwortete er, „aber eure Kugeln sind nicht recht rund.“ Da nahm er die Totenköpfe, setzte sie in die Drehbank und drehte sie rund. „So, jetzt werden sie besser schüppeln“, sprach er, „heida, nun geht's lustig!“ Er spielte mit und verlor etwas von seinem Geld, als es aber zwölf schlug, war alles vor seinen Augen verschwunden. Er legte sich nieder und schlief ruhig ein. Am andern Morgen kam der König und wollte sich erkundigen. „Wie ist dir es diesmal ergangen?“, fragte er. „Ich habe gekegelt“, antwortete er, „und ein paar Heller verloren.“ „Hat dir denn nicht gegruselt?“ „Ei was“, sprach er, „lustig hab ich mich gemacht. Wenn ich nur wüsste, was Gruseln wäre!“

In der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich: „Wenn es mir nur gruselte!“ Als es spät ward, kamen sechs große Männer und brachten eine Totenlade herein getragen. Da sprach er: „Ha ha, das ist gewiss mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist“, winkte mit dem Finger und rief: „Komm Vetterchen, komm.“ Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber ging hinzu und nahm den Deckel ab, da lag ein toter Mann darin. Er fühlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. „Wart“, sprach er, „ich will dich ein bisschen wärmen“, ging ans Feuer, wärmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht, aber der Tote blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer und legte ihn auf seinen Schoß und rieb ihm die Arme, um ihn zu erwärmen. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein: Wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich, brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu und legte sich neben ihn. Über ein Weilchen ward auch der Tote warm und fing an sich zu regen. Da sprach der Junge: „Siehst du, Vetterchen, hätt’ ich dich nicht gewärmt!“ Der Tote aber hub an und rief: „Jetzt will ich dich erwürgen.“ „Was“, sagte er, „ist das mein Dank? Gleich sollst du wieder in deinen Sarg“, hob ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu. Da kamen die sechs Männer und trugen ihn wieder fort. „Es will mir nicht gruseln“, sagte er, „hier lerne ich's mein Lebtag nicht.“

Da trat ein Mann herein, der war größer als alle anderen und sah fürchterlich aus; doch war er schon alt und hatte einen langen weißen Bart. „O du Wicht“, rief er, „nun sollst du bald lernen, was Gruseln ist, denn du sollst sterben.“ „Nicht so schnell“, antwortete der Junge, „soll ich sterben, so muss ich auch dabei sein.“ Sprach der Mann: „Dich will ich schon packen.“ „Nun sachte, mach dich nicht gar zu breit; so stark wie du bin ich auch und wohl noch stärker.“ „Das will ich sehen“, sprach der Alte, „bist du stärker als ich, so will ich dich gehen lassen; komm, wir wollen es versuchen.“ Da führte er ihn durch dunkle Gänge zu einem Schmiedefeuer, nahm eine Axt und schlug den einen Amboss mit einem Schlag in die Erde. „Das kann ich noch besser“, sprach der Junge und ging zu dem andern Amboss. Der Alte stellte sich neben hin, wollte zusehen und sein weißer Bart hing herab. Da fasste der Junge die Axt, spaltete den Amboss auf einen Hieb und klemmte den Bart mit hinein. „Nun hab ich dich“, sprach der Junge, „jetzt ist das Sterben an dir.“ Dann fasste er eine Eisenstange und schlug auf den Alten los, bis er wimmerte und bat, er möchte aufhören, er wollte ihm große Reichtümer geben. Der Junge zog die Axt raus und ließ ihn los. Der Alte führte ihn wieder ins Schloss zurück und zeigte ihm in einem Keller drei Kasten voll Gold. „Davon“, sprach er, „ist ein Teil den Armen, der andere dem König, der dritte dein.“ Indem schlug es zwölfe und der Geist verschwand, also dass der Junge im Finstern stand. „Ich werde mir doch heraushelfen können“, sprach er, tappte herum, fand den Weg in die Kammer und schlief dort bei seinem Feuer ein. Am andern Morgen kam der König und sagte: „Nun wirst du gelernt haben, was Gruseln ist?“ „Nein“, antwortete er, „was ist's nur? Mein toter Vetter war da und ein bärtiger Mann ist gekommen, der hat mir da unten viel Geld gezeigt, aber das Gruseln hat mir keiner gelehrt.“ Da sprach der König: „Du hast das Schloss erlöst und sollst meine Tochter heiraten.“ „ Das ist all recht gut“, antwortete er, „aber ich weiß noch immer nicht, was Gruseln ist.“

Da ward das Gold gehoben und die Hochzeit gehalten, aber der junge König, so lieb er seine Gemahlin hatte und so vergnügt er war, sagte doch immer: „Wenn mir nur gruselte, wenn mir nur gruselte.“ Das verdross sie endlich. Ihr Kammermädchen sprach: „Ich will Hilfe schaffen, das Gruseln soll er schon lernen.“ Sie ging hinaus zum Bach und ließ sich einen ganzen Eimer voll Gründlinge holen. Nachts, als der junge König schlief, musste seine Gemahlin ihm die Decke wegziehen und den Eimer voll kaltem Wasser mit den Gründlingen über ihn herschütten, dass die kleinen Fische um ihn herum zappelten. Da wachte er auf und rief: „Ach was gruselt mir, was gruselt mir, liebe Frau! Ja, nun weiß ich, was Gruseln ist.“
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Rotkäppchen (Rotkäppchen und der Wolf)  

Es war einmal ein kleines süßes Mädchen, das hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, die wusste gar nicht, was sie alles dem Kinde geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen von rotem Samt. Weil ihm das so wohl stand und es nichts anders mehr tragen wollte, hieß es nur das Rotkäppchen. Da sagte einmal seine Mutter zu ihm: „Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, die bring der Großmutter hinaus, weil sie krank und schwach ist, wird sie sich daran laben; sei aber hübsch artig und grüß sie von mir, geh auch ordentlich und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas, dann hat die kranke Großmutter nichts.“

Rotkäppchen sagte: „Ja, ich will alles recht gut ausrichten“, und versprach es der Mutter in die Hand. Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf, Rotkäppchen aber wusste nicht, was es für ein böses Tier war und fürchtete sich nicht vor ihm. „Guten Tag, Rotkäppchen“, sprach er. — „Schönen Dank, Wolf.“ — „Wo willst du so früh hinaus, Rotkäppchen?“ — „Zur Großmutter.“ — „Was trägst du unter der Schürze?“ — „Kuchen und Wein für die kranke und schwache Großmutter; gestern haben wir gebacken, da soll sie sich etwas Gutes tun und sich stärken.“ — „Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?“ — „Noch eine gute Viertelstunde im Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus, unten sind die Nusshecken, das wirst du ja wissen“, sagte Rotkäppchen. Der Wolf dachte bei sich: „Das junge, zarte Mädchen, das ist ein guter, fetter Bissen für dich, wie fängst du's an, dass du den kriegst?“ Da ging er ein Weilchen neben Rotkäppchen her, dann sprach er: „Rotkäppchen, sieh' einmal die schönen Blumen, die im Walde stehen, warum guckst du nicht um dich; ich glaube, du hörst gar nicht darauf, wie die Vöglein so lieblich singen? Du gehst ja für dich hin, als wie zur Schule und es ist so lustig draußen in dem Wald.“

Rotkäppchen schlug die Augen auf und als es sah, wie die Sonne durch die Bäume hin und her sprang und alles voll schöner Blumen stand, dachte es: „Ei! Wenn ich der Großmutter einen Strauß mitbringe, der wird ihr auch lieb sein; es ist noch früh, dass ich doch zu rechter Zeit ankomme und sprang in den Wald und suchte Blumen. Und wenn es eine gebrochen hatte, meinte es, dort stand noch eine schönere Blume und lief danach und lief weiter in den Wald hinein. Der Wolf aber ging geradewegs zu dem Haus der Großmutter und klopfte an die Türe. „Wer ist draußen?“ — „Rotkäppchen, das bringt dir Kuchen und Wein, mach mir auf.“ — „Drück nur auf die Klinke“, rief die Großmutter, „ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen.“ Der Wolf drückte an der Klinke und er trat hinein, ohne ein Wort zu sprechen, geradezu an das Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann nahm er ihre Kleider, tat sie an, setzte sich ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge vor.

Rotkäppchen aber war herumgelaufen nach Blumen und als es so viel hatte, dass es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein und es machte sich auf den Weg zu ihr. Wie es ankam, stand die Türe auf, darüber verwunderte es sich und wie es in die Stube kam, sah es so seltsam darin aus, dass es dachte: „Ei! Du mein Gott, wie ängstlich wird mir es heut zu Mut und bin sonst so gern bei der Großmutter.“ Drauf ging es zum Bett und zog die Vorhänge zurück, da lag die Großmutter, hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. ,,Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!“ — „Dass ich dich besser hören kann.“ — „Ei, Großmutter, was hast du für große Augen!“ — „Dass ich dich besser sehen kann.“ — „Ei, Großmutter, was hast du für große Hände!“ — „Dass ich dich besser packen kann.“ — „Aber Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!“ — „Dass ich dich besser fressen kann.“ Und wie der Wolf das gesagt hatte, sprang er aus dem Bette und auf das arme Rotkäppchen und verschlang es.
Wie der Wolf den fetten Bissen im Leibe hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fing an überlaut zu schnarchen. Der Jäger ging eben vorbei und dachte bei sich: „Wie kann die alte Frau so schnarchen, du musst einmal nachsehen, ob ihr etwas fehlt.“ Da trat er in die Stube und wie er vors Bett kam, so lag der Wolf darin, den er lange gesucht hatte. Nun wollte er seine Büchse anlegen, da fiel ihm ein, dass er vielleicht die Großmutter gefressen hatte und er könne sie noch erretten. Darum schoss nicht, sondern nahm eine Schere und schnitt dem schlafenden Wolf den Bauch auf. Wie er ein paar Schnitte getan, da sah er das rote Käppchen leuchten und wie er noch ein wenig geschnitten, da sprang das Mädchen heraus und rief: „Ach, wie war ich erschrocken, was war es so dunkel in dem Wolf seinem Leib!“ Dann kam die Großmutter auch lebendig heraus. Rotkäppchen aber holte große schwere Steine, damit füllten sie dem Wolf den Leib und wie er aufwachte, wollte er fortspringen, aber die Steine waren so schwer, dass er gleich niedersank und tot zu Boden fiel.
Da waren alle drei vergnügt, der Jäger nahm den Pelz vom Wolf, die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein, den Rotkäppchen gebracht hatte. Rotkäppchen dachte bei sich: „Du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Wege ab in den Wald laufen, wenn dir es die Mutter verboten hat.“

Es wird auch erzählt, dass einmal, als Rotkäppchen der alten Großmutter wieder Gebackenes brachte, ein anderer Wolf ihm zugesprochen und es vom Wege habe ableiten wollen. Rotkäppchen aber hütete sich und ging gerade fort seines Wegs. Sie sagte der Großmutter, dass es den Wolf gesehen und ihm einen guten Tag gewünscht habe, aber er habe so bös aus den Augen geguckt. „Wenn es nicht auf offner Straße gewesen wäre, er hätte mich gefressen.“ — „Komm“, sagte die Großmutter, „wir wollen die Türe verschließen, dass er nicht herein kann.“ Bald danach klopfte der Wolf an und rief: „Mach auf, Großmutter, ich bin das Rotkäppchen, ich bring dir Gebackenes.“ Sie schwiegen aber still und machten die Türe nicht auf. Da ging der Böse etliche Mal um das Haus und sprang endlich aufs Dach und wollte warten, bis Rotkäppchen abends nach Haus ging, dann wollt' er ihm nachschleichen und wollt’ es in der Dunkelheit fressen. Aber die Großmutter merkte, was er im Sinn hatte. Nun stand vor dem Haus ein großer Steintrog, da sprach sie zu dem Kind: „Hol' den Eimer, Rotkäppchen, gestern hab ich Würste gekocht, da trag das Wasser, worin sie gekocht sind, in den Trog.“ Rotkäppchen trug so lange, bis der große, große Trog ganz voll war. Da stieg der Geruch von den Würsten dem Wolf in die Nase, er schnupperte und guckte hinab, endlich machte er den Hals so lang, dass er sich nicht mehr halten konnte und anfing zu rutschen; so rutschte er vom Dach herab und gerade in den großen Trog hinein und ertrank. Rotkäppchen aber ging fröhlich nach Haus und es tat ihm niemand etwas zu Leid.

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Vom Fischer und seiner Frau

Es war einmal ein Fischer und seine Frau, die wohnten zusammen in einer kleinen Fischerhütte, dicht an der See, und der Fischer ging alle Tage hin und angelte; und er angelte und angelte.
So saß er auch einmal mit seiner Angel und sah immer in das klare Wasser hinein; und so saß er nun und saß.

Da ging die Angel auf den Grund, tief hinunter, und als er sie heraufholte, da holte er einen großen Butt heraus. Da sagte der Butt zu ihm: „Hör mal, Fischer, ich bitte dich, lass mich leben, ich bin gar kein richtiger Butt, ich bin ein verwünschter Prinz. Was hilft dir’s, wenn du mich totmachst? Ich würde dir doch nicht recht schmecken; setz mich wieder ins Wasser und lass mich schwimmen!“ „Nun“, sagte der Mann, „du brauchst nicht so viele Worte zu machen; einen Butt, der sprechen kann, werde ich doch wohl schwimmen lassen.“ Damit setzte er ihn wieder in das klare Wasser; da ging der Butt auf den Grund und ließ einen langen Streifen Blut hinter sich. Da stand der Fischer auf und ging zu seiner Frau in die kleine Hütte.

„Mann“, sagte die Frau, „hast du heute nichts gefangen?“ „Nein“, sagte der Mann, „ich fing einen Butt, der sagte, er wäre ein verwunschener Prinz, da hab ich ihn wieder schwimmen lassen.“ „Hast du dir denn nichts gewünscht?“, sagte die Frau. „Nein“, sagte der Mann, „was sollt ich mir denn wünschen?“ „Ach“, sagte die Frau, „das ist doch bös, immer hier in dem Hüttchen zu wohnen, das stinkt und ist so eklig; du hättest uns doch ein kleines Häuschen wünschen können. Geh noch mal hin und ruf ihn! Sag ihm, wir wollten ein kleines Häuschen haben, er tut das gewiss.“ „Ach“, sagte der Mann, „was soll ich da noch mal hingehen?“, „I“, sagte die Frau, „du hattest ihn doch gefangen und hast ihn wieder schwimmen lassen, er tut das gewiss. Geh gleich hin!“ Der Mann wollte noch nicht recht, wollte aber auch seiner Frau nicht zuwiderhandeln und ging hin an die See.

Als er dorthin kam, war die See ganz grün und gelb und gar nicht mehr so klar. So stellte er sich hin und sagte:

„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will.“

Da kam der Butt angeschwommen und sagte: „Na, was will sie denn?“ „Ach“, sagte der Mann, „ich hab dich doch gefangen gehabt; nun sagt meine Frau, ich hätte mir doch was wünschen sollen. Sie mag nicht mehr in ihrer Hütte wohnen, sie will gern ein kleines Häuschen.“ „Geh nur hin“, sagte der Butt, „sie hat es schon.“

Da ging der Mann hin, und seine Frau saß nicht mehr in dem Fischerhüttchen; an seiner Stelle stand jetzt ein kleines Häuschen, und seine Frau saß vor der Türe auf einer Bank. Da nahm ihn seine Frau bei der Hand und sagte zu ihm: „Komm nur herein, sieh, nun ist das doch viel besser!“ Da gingen sie hinein, und in dem Häuschen war ein kleiner Vorplatz und eine kleine, allerliebste Stube und Kammer, wo jedem sein Bett stand, und Küche und Speisekammer, alles aufs beste mit Gerätschaften versehen und aufs schönste aufgestellt, Zinnzeug und Messing, was eben so dazu gehört. Und dahinter war auch ein kleiner Hof mit Hühnern und Enten und ein kleiner Garten mit Grünzeug und Obst. „Sieh“, sagte die Frau, „ist das nicht nett?“ „Ja“, sagte der Mann, „so soll es bleiben; nun wollen wir recht vergnügt leben.“ „Das wollen wir uns bedenken“, sagte die Frau. Dann aßen sie etwas und gingen zu Bett.

So ging das wohl nun acht oder vierzehn Tage; da sagte die Frau: „Hör, Mann, das Häuschen ist auch gar zu eng, und der Hof und der Garten ist so klein; der Butt hätte uns auch wohl ein größeres Haus schenken können. Ich möchte wohl in einem großen, steinernen Schloss wohnen. Geh hin zum Butt, er soll uns ein Schloss schenken!“ „Ach, wir in einem Schlosse wohnen?“ „I was“, sagte die Frau, „geh du nur hin, der Butt kann das schon tun!“ „Nein, Frau“, sagte der Mann, „der Butt hat uns erst das Häuschen gegeben; ich mag nun nicht gleich wiederkommen, den Butt könnte das verdrießen.“ „Geh doch“, sagte die Frau, „er kann das recht gut und tut es auch gern; geh du nur hin!“

Dem Mann war sein Herz so schwer, und er wollte nicht; er sagte zu sich selber: „Das ist nicht recht“ - aber ging doch hin.

Als er an die See kam, war das Wasser ganz violett und dunkelblau und grau und dick und gar nicht mehr so grün und gelb; doch war es noch still. Da stellte er sich nun hin und sagte:

„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will.“

„Na, was will sie denn?“, sagte der Butt. „Ach“, sagte der Mann halb bedrückt, „sie will in einem großen, steinernen Schloss wohnen.“

„Geh nur hin, sie steht vor der Tür“, sagte der Butt.

Da ging der Mann hin und dachte, er wollte nach Haus gehen; als er aber dahin kam, da stand dort ein großer, steinerner Palast, und seine Frau stand oben auf der Treppe und wollte hineingehen; da nahm sie ihn bei der Hand und sagte: „Komm mal herein!“ Damit ging er mit ihr hinein, und in dem Schloss war eine große Diele mit einem Estrich aus Marmelstein, und da waren so viele Bediente, die rissen die großen Türen auf; und die Wände waren alle blank und mit schönen Tapeten, und in den Zimmern lauter goldene Stühle und Tische, und kristallene Kronenleuchter hingen von der Decke, und alle Stuben und Kammern waren mit Fußdecken belegt; und das Essen und der allerbeste Wein stand auf den Tischen, als ob sie brechen wollten. Und hinter dem Hause war auch ein großer Hof mit einem Pferde- und Kuhstall und Kutschwagen - alles vom Besten; auch war da ein großer herrlicher Garten mit den schönsten Blumen und seinen Obstbäumen und ein herrlicher Park, wohl eine halbe Meile lang; da waren Hirsche und Rehe und Hasen drin und alles, was man sich nur immer wünschen mochte. „Na“, sagte die Frau, „ist das nun nicht schön?“ „Ach ja“, sagte der Mann, „so soll es auch bleiben; nun wollen wir auch in dem schönen Schloss wohnen und zufrieden sein.“ „Das wollen wir uns bedenken“, sagte die Frau, „und wollen es beschlafen.“ Darauf gingen sie zu Bett.

Am andern Morgen wachte die Frau zuerst auf, es war eben Tag geworden, und sah von ihrem Bett aus das herrliche Land vor sich liegen. Der Mann dehnte und reckte sich noch, da stieß sie ihn mit dem Ellenbogen in die Seite und sagte: „Mann steh auf und guck mal aus dem Fenster! Sieh, könnten wir nicht König werden über das ganze Land? Geh hin zum Butt, wir wollen König sein!“ „Ach, Frau“, sagte der Mann, „warum wollen wir König sein? Ich mag nicht König sein.“ „Nun“, sagte die Frau, „willst du nicht König sein, so will ich König sein. Geh hin zum Butt, ich will König sein!“ „Ach, Frau“, sagte der Mann, „was willst du König sein? Das mag ich ihm nicht sagen.“ „Warum nicht?“, sagte die Frau, „geh augenblicklich hin, ich muss König sein!“ Da ging der Mann hin und war ganz bedrückt, dass seine Frau König werden wollte. Das ist und ist nicht recht, dachte der Mann. Er wollte nicht hingehen, ging aber doch hin.

Und als er an die See kam, da war die See ganz schwarzgrau, und das Wasser quoll so von unten herauf und stank auch ganz faul. Da stellte er sich hin und sagte:

„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will.“

„Na, was will sie denn?“, sagte der Butt. „Ach“, sagte der Mann, „sie will König werden.“ „Geh nur hin, sie ist es schon“, sagte der Butt. Da ging der Mann hin, und als er nach dem Palast kam, da war das Schloss viel größer geworden, mit einem großen Turm und herrlichem Zierrat daran; und die Schildwacht stand vor dem Tor, und da waren so viele Soldaten und Pauken und Trompeten. Und als er in das Haus kam, da war alles von purem Marmelstein und Gold und samtne Decken mit großen, goldenen Quasten. Da gingen die Türen von dem Saal auf, wo der ganze Hofstaat war, und seine Frau saß auf einem hohen Thron von Gold und Diamanten und hatte eine große, goldene Krone auf und den Zepter in der Hand von purem Gold und Edelstein. Und auf beiden Seiten von ihr standen sechs Jungfern in einer Reihe, immer eine einen Kopf kleiner als die andere. Da stellte er sich nun hin und sagte: „Ach, Frau, bist du nun König?“ „Ja“, sagte die Frau, „nun bin ich König.“ Da stand er nun und sah sie an, und als er sie nun eine Zeitlang so angesehen hatte, sagte er: „Ach, Frau, was steht dir das gut, dass du König bist. Nun wollen wir uns auch nichts mehr wünschen.“ „Nein, Mann“, sagte die Frau und war ganz unruhig, „mir wird schon Zeit und Weile lang, ich kann das nicht mehr aushalten. Geh hin zum Butt; König bin ich, nun muss ich auch Kaiser werden!“ „Ach, Frau“, sagte der Mann, „warum willst du Kaiser werden?“ „Mann“, sagte sie, „geh zum Butt, ich will Kaiser sein!“ „Ach, Frau“, sagte der Mann, „Kaiser kann er nicht machen, ich mag dem Butt das nicht sagen; Kaiser ist nur einmal im Reich; Kaiser kann der Butt nicht machen; das kann und kann er nicht!“

„Was“, sagte die Frau, „ich bin König, und du bist doch mein Mann; willst du gleich hingehen? Gleich geh hin! Kann er Könige machen, so kann er auch Kaiser machen; ich will und will Kaiser sein; gleich geh hin!“ Da musste er hingehen. Als der Mann aber hinging, war ihm ganz bang; und als er so ging, dachte er bei sich: Das geht und geht nicht gut: Kaiser ist zu ausverschämt, der Butt wird am Ende müde.

Indes kam er an die See. Da war die See noch ganz schwarz und dick und fing an, so von unten herauf zu schäumen, dass sie Blasen warf, und es ging so ein Wirbelwind über die See hin, dass sie sich nur so drehte. Und den Mann ergriff ein Grauen. Da stand er nun und sagte:

„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will.“

„Na, was will sie denn?“, sagte der Butt. „Ach, Butt“, sagte er, „meine Frau will Kaiser werden.“ „Geh nur hin“, sagte der Butt, „sie ist es schon.“ Da ging der Mann hin, und als er ankam, da war das ganze Schloss von poliertem Marmelstein mit Figuren aus Alabaster und goldenen Zierraten. Vor der Tür marschierten die Soldaten, und sie bliesen Trompeten und schlugen Pauken und Trommeln. Aber in dem Hause, da gingen die Barone und Grafen und Herzöge grad so, als ob sie Diener wären, herum; die machten ihm die Türen auf, die von lauter Gold waren. Und als er hereinkam, da saß seine Frau auf einem Thron, der war von einem Stück Gold und war wohl zwei Meilen hoch; und sie hatte eine große, goldene Krone auf, die war drei Ellen hoch und mit Brillanten und Karfunkelsteinen besetzt. In der einen Hand hatte sie den Zepter und in der anderen den Reichsapfel, und auf beiden Seiten neben ihr, da standen die Trabanten so in zwei Reihen, immer einer kleiner als der andere, von dem allergrößten Riesen, der war zwei Meilen hoch, bis zu dem allerwinzigsten Zwerg, der war so groß wie mein kleiner Finger. Und vor ihr standen so viele Fürsten und Herzöge. Da ging nun der Mann hin und stand zwischen ihnen und sagte: „Frau, bist du nun Kaiser?“ „Ja“, sagte sie, „ich bin Kaiser.“ Da stellte er sich nun hin und besah sie sich so recht; und als er sie so eine Zeitlang angesehen hatte, da sagte er: „Ach, Frau, wie steht dir das schön, dass du Kaiser bist!“ „Mann“, sagte sie, „was stehst du da? Ich bin nun Kaiser; nun will ich aber auch Papst werden, geh hin zum Butt!“ „Ach, Frau“, sagte der Mann, „was willst du denn nicht noch alles werden?“ Papst kannst du nicht werden; den Papst gibt’s doch nur einmal in der Christenheit - das kann er doch nicht machen.“ „Mann“, sagte sie, „ich will Papst werden, geh gleich hin, ich muss heut noch Papst werden!“ „Nein, Frau“, sagte der Mann, „das mag ich ihm nicht sagen, das geht nicht gut aus, das ist zuviel verlangt, zum Papst kann dich der Butt nicht machen.“ „Mann, schwatz kein dummes Zeug!“, sagte die Frau, „kann er Kaiser machen, so kann er auch Päpste machen. Geh sofort hin! Ich bin Kaiser, und du bist doch mein Mann - willst du wohl hingehen?“ Da wurde ihm ganz bang zumute, und er ging hin. Ihm war aber ganz flau, er zitterte und bebte, und die Knie und Waden schlotterten ihm. Und da strich so ein Wind über das Land, und die Wolken flogen, und es wurde so düster wie gegen den Abend zu; die Blätter wehten von den Bäumen, und das Wasser ging hoch und brauste so, als ob es kochte, und platschte an das Ufer, und in der Ferne sah er die Schiffe, die gaben Notschüsse ab und tanzten und sprangen auf den Wogen. Doch der Himmel war in der Mitte noch so ein bisschen blau, aber an den Seite, da zog es so recht rot auf wie ein schweres Gewitter. Da ging er ganz verzagt hin und stand da in seiner Angst und sagte:

„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will.“

„Na, was will sie denn?“, sagte der Butt. „Ach“, sagte der Mann, „sie will Papst werden.“ „Geh nur hin, sie ist es schon“, sagte der Butt.

Da ging er hin, und als er ankam, da war da wie eine große Kirche, von lauter Palästen umgeben. Da drängte er sich durch das Volk; inwendig war aber alles mit tausend und aber tausend Lichtern erleuchtet, und seine Frau war ganz in Gold gekleidet und saß auf einem noch viel höheren Thron und hatte drei große, goldene Kronen auf, und um sie herum, da war so viel geistlicher Staat, und zu beiden Seiten von ihr, da standen zwei Reihen Lichter, das größte so dick und groß wie der allergrößte Turm, bis zu dem allerkleinsten Küchenlicht. Und all die Kaiser und Könige, die lagen vor ihr auf den Knien und küssten ihr den Pantoffel. „Frau“, sagte der Mann und sah sie so recht an, „bist du nun Papst?“ „Ja“, sagte sie, „ich bin Papst.“ Da ging er hin und sah sie recht an, und da war ihm, als ob er in die helle Sonne sähe. Als er sie so eine Zeitlang angesehen hatte, sagte er: „Ach, Frau, wie gut steht dir das, dass du Papst bist!“ Sie saß aber ganz steif wie ein Baum und rührte und regte sich nicht. Da sagte er: „Frau, nun sein zufrieden, dass du Papst bist! Nun kannst du doch nichts mehr werden.“ „Das will ich mir bedenken“, sagte die Frau. Damit gingen sie beide zu Bett; aber sie war nicht zufrieden, und die Gier ließ sie nicht schlafen, sie dachte immer, was sie noch werden könnte.

Der Mann schlief gut und fest, er hatte am Tag viel laufen müssen; die Frau aber konnte nicht einschlafen und warf sich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere und dachte immer drüber nach, was sie wohl noch werden könnte, und konnte sich doch auf nichts mehr besinnen. Indessen wollte die Sonne aufgehen, und als sie das Morgenrot sah, setzte sie sich aufrecht im Bett hin und sah starr da hinein. Und als sie aus dem Fenster die Sonne so heraufkommen sah: „Ha“, dachte sie, „kann ich nicht auch die Sonne und den Mond aufgehen lassen?“ „Mann“, sagte sie und stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Rippen, „wach auf, geh hin zum Butt, ich will werden wie der liebe Gott!“ Der Mann war noch ganz schlaftrunken, aber er erschrak so, dass er aus dem Bett fiel. Er meinte, er hätte sich verhört und rieb sich die Augen aus und sagte: „Ach, Frau, was sagst du?“ „Mann“, sagte sie, „wenn ich nicht die Sonne und den Mond kann aufgehen lassen - das kann ich nicht aushalten, und ich habe dann keine ruhige Stunde mehr, dass ich sie nicht selbst kann aufgehen lassen.“ Dabei sah sie ihn ganz böse an, dass ihn ein Schauder überlief. „Gleich geh hin; ich will werden wie der liebe Gott!“ „Ach, Frau“, sagte der Mann und fiel vor ihr auf die Knie, „das kann der Butt nicht. Kaiser und Papst kann er machen; ich bitte dich, geh in dich und bleibe Papst!“ Da kam die Bosheit über sie; die Haare flogen ihr so wild um den Kopf, und sie schrie: „Ich halte das nicht aus! Und ich halte das nicht länger aus; willst du hingehen?“ Da zog er sich die Hosen an und lief davon wie unsinnig.

Draußen aber ging der Sturm und brauste, dass er kaum auf den Füßen stehen konnte. Die Häuser und die Bäume wurden umgeweht, und die Berge bebten, und die Felsenstücke rollten in die See, und der Himmel war ganz pechschwarz, und es donnerte und blitzte, und die See ging in so hohen schwarzen Wogen wie Kirchtürme und Berge, und oben hatten sie alle eine weiße Schaumkrone. Da schrie er, und er konnte sein eigenes Wort nicht hören:

„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will.“

„Na, was will sie denn?“, sagte der Butt. „Ach“, sagte er, „sie will werden wie der liebe Gott.“ „Geh nur hin, sie sitzt schon wieder in der Fischerhütte.“

Da sitzen sie noch bis auf den heutigen Tag.

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Das Märchen für  Klasse 3, Klasse 4, Klasse 5 und Klasse 6.

Das Märchen

Unterrichtseinheit für Märchen mit Merkmalen, Beispielen und Übungen. Stationenlernen für Märchen im Deutschunterricht - Unterrichtseinheit und Unterrichtsmaterial für Märchen. Zerschnittene Märchen. Ein Märchen wieder zusammensetzen. Zwei verschiedene Märchen wieder richtig zusammensetzen. Märchen im Unterricht. Ein eigenes Märchen schreiben. Der gestiefelte Kater und Frau Holle.

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