Märchen aus Italien - italienische Märchen

Der Hahnenstein
Der wilde Mann
Die drei Tierbrüder

Der Hahnenstein
Es war einmal in der Stadt Grottanegra ein gewisser Thomas Aniello, welchen das Unglück so verfolgte, dass all' seine bewegliche und unbewegliche Habe in einem einzigen Hahn bestand, den er mit Brosamen aufgezogen hatte. Da er sich aber eines Morgens vom Hunger mehr als sonst gepeinigt fühlte, und da der Hunger auch den Wolf

aus dem Walde jagt, so fasste er mit schwerem Herzen den Entschluss, den Hahn zu verkaufen. Als er ihn nun zu Markte gebracht, findet er daselbst zwei Erzhexenmeister, welche das Tier für einen halben Gulden erhandeln, mit dem Beding, dass Aniello ihnen den Hahn nach Haufe trage, woselbst er den Kaufpreis empfangen sollte. Indem nun die beiden Hexenmeister vorangingen und Thomas Aniello hinterher ging, hörte er, dass sie auf Rotwelsch mit einander redeten und sagten: „Wer hätte uns das gesagt, dass wir diesen Tölpel hier finden würden, Januarius? Dieser Hahn wird ohne Weiteres unser Glück machen, denn du weißt ja, dass er den bewussten Stein im Kopfe hat. Wir wollen ihn sogleich in einen Ring fassen lassen, durch seinen Besitz werden wir alles erlangen können, was wir nur wünschen.“ Januarius antwortete: „Stille, Jakobchen, nicht die Rechnung ohne den Wirt gemacht; wir wollen dem Hahn auf das Schleunigste den Kopf umdrehen, um unsere Armut endlich über Bord zu werfen, und uns was Ordentliches zu gute tun; denn wenig geehrt wird die Tugend ohne Geldwert, das Kleid macht den Mann und den Bettelmann bellen die Hunde an.“

Aniello, der sich in der Welt umgesehen und sich kein X für ein U machen ließ, verstand das Rotwelsch, und als sie in eine enge Straße gekommen, entwischte er ihnen und nahm Reißaus. Kaum zu Haufe angelangt, dreht er dem Hahn den Hals um, nimmt den Stein und lässt ihn in einen messingen Ring fassen. Um nun die Kraft desselben zu prüfen, spricht er: „Ich wünschte ein junger Bursche von achtzehn Jahren zu werden!“, und kaum hat er das gesagt, so fließt das Blut ihm rascher durch die Adern, die Nerven werden ihm stärker, die Beine kräftiger, das Fleisch frischer, die Augen heller, die Silberhaare werden golden, der Mund, welcher vorher wie ein geplündertes Kastell aussah, bevölkert sich mit Zähnen; der Bart, der einem sorgfältig gepflegten Jagdgehege glich, wird glatt wie Saatland, und mit einem Wort: Thomas Aniello verwandelt sich in einen sehr hübschen jungen Menschen.

Hierauf sagte er von neuem: „Nun wünscht' ich einen prächtigen Palast zu besitzen und der Schwiegersohn des Königs zu werden.“

Alsobald erscheint ein Palast von unglaublicher Schönheit; Zimmer befanden sich darin zum Verwundern, Säulen zum Erstaunen und Gemälde, um außer sich zu geraten. Alles starrte von Silber; Gold trat man mit Füßen, Edelsteine blitzten einem von überall in die, Augen, es wimmelte von Dienern, die Pferde und Wagen waren zahllos, mit, einem Wort: die Pracht und der Reichtum waren so groß, dass der König die Augen weit aufsperrte und mit Vergnügen einwilligte, ihm seine Tochter Natalizia zur Frau zu geben.

Da um diese Zeit aber die Zauberer das große Glück des Aniello entdeckt hatten, fassten sie sogleich einen Plan, ihm dasselbe wieder zu entreißen. Zu dem Zweck verfertigten sie eine künstliche Marionette, welche vermittelst eines Uhrwerks spielte und tanzte, verkleideten sich in ein Paar Kaufleute und gingen zu Pentella, der Tochter des Aniello, unter dem Vorwande, ihr die Puppe zu verkaufen. Als das junge Mädchen die hübsche Puppe erblickte, fragte sie nach dem Preise; allein die vorgeblichen Kaufleute erwiderten, um keinen Preis sei ihnen dieses Kunstwerk feil, doch wollten sie ihr gern die Puppe schenken, wenn sie zum Dank ihnen eine andere kleine Gefälligkeit erwiese, nämlich ihnen die Arbeit des Ringes zu zeigen, welchen ihr Vater besitze, damit sie einen andern nach demselben Modell verfertigen lassen könnten. Sie würden ihr dann die Puppe gleich überlassen.

Als Pentella dieses Anerbieten hörte, dachte sie nicht an das Sprichwort - bei einem wohlfeilen Kauf merke wohl auf! - ging alsbald darauf ein und sagte, sie möchten nur den andern Morgen wieder kommen, denn sie würde sich den Ring vom Vater geben lassen. Nachdem nun die Zauberer fort gegangen und der Vater nach Hanse gekommen war, sagte sie ihm so viel Schmeicheleien und ging ihm so um den Bart, bis sie zuletzt den Ring in ihre Hände bekam, indem sie vorgab, sie wäre sehr betrübt und wollte sich ein wenig das Herz daran erfreuen.

Den Tag darauf mit Sonnenaufgang kamen auch die Zauberer, die nicht sobald den Ring in ihren Händen hatten, als sie wie Rauch verschwanden, so dass die arme Pentella vor Angst fast vergangen wäre.

Nachdem sie in einem dunkeln, dicht verwachsenen Walde angelangt waren, sagten sie zum Ringe, er solle nun augenblicklich die ganze Erfindung des verjüngten Greises wieder zerstören.

Aniello befand sich grade zur selben Zeit bei dem Könige, als diese neue Verwandlung mit ihm vorging, die Haare wieder grau und dünn, die Stirne runzlig, die Augenbraunen borstig, die Augen triefend wurden, das Gesicht eingefallen, der Mund zahnlos, der Bart buschig; die Beine zitterten, und die blitzenden Kleider verwandelten sich wiederum in Lumpen und Lappen, die er früher gehabt hatte.

Kaum nahm der König diese abschreckende Veränderung wahr und sah diesen hässlichen Bettler in vertraulichem Gespräche bei sich sitzen, so ließ er ihn auf der Stelle unter Stockschlägen und Schimpfreden aus dem Palast jagen. Aniello, welcher so mit einem Mal, er wusste nicht wie, aus seinem Himmel herab gefallen war, ging weinend zur Tochter und verlangte seinen Ring, um diesen Unfall wieder gut zu machen. Da vernahm er den Streich, welchen die vorgeblichen Kaufleute ihr gespielt hatten. Es fehlte wenig, dass er sich nicht zum Fenster hinausstürzte. Tausendmal die Albernheit der Tochter verwünschend, die um einer lumpigen Puppe Willen ihn selbst zum Lumpen gemacht hatte, entschloss er sich, so lange in der Welt hin und herzuziehen, bis er diese vermeintlichen Kaufleute entdeckt hätte. Mit diesem festen Entschluss zog er sich einen alten Kittel an, steckte ein Paar Holzschuhe an die Füße, nahm einen Quersack über den Buckel, einen Stock in die Hand, und die Tochter ganz starr vor Schrecken zurücklassend, begann er wie verzweifelt darauf los zu stiefeln, und schritt so tapfer vorwärts, dass er nach einiger Zeit in das Königreich Tiefloch gelangte. Dieses Königreich wurde von Mäusen bewohnt, und da ihn diese für einen Spion der Katze hielten, so führten sie ihn alsbald vor ihren König Nagerich.

Befragt, wer er sei, woher er käme und was er in diesem Lande zu schaffen hätte, überreichte Aniello zuvörderst dem Könige eine Speckschwarte als Zeichen seiner Untertänigkeit, erzählte ihm darauf der Reihe nach alle seine Unglücksfälle und schloss damit, er werde seine unselige Wanderschaft so lange fortsetzen, bis er jene verdammten Spitzbuben aufgefunden, die ihm einen so kostbaren Edelstein und damit zugleich die Blüte der Jugend, die Quelle des Reichtums und die Stütze der Ehre geraubt hätten.

König Nagerich fühlte sich bei diesen jammervollen Worten von Mitleid ergriffen und voll Verlangen, den armen Mann irgendwie zu trösten, berief er sogleich die ältesten und erfahrendsten seiner Mäuse zu einer geheimen Sitzung, fragte sie um Rat für den unglücklichen Aniello und befahl ihnen, sich alle mögliche Mühe zu geben, jene angeblichen Kaufleute ausfindig zu machen. Glücklicherweise befanden sich unter den Räten auch Beißerich und Springrich, zwei in den Vorfällen der Welt sehr erfahrene Mäuse, die gegen sechs Jahre lang in einem Wirtshause an der Landstraße gelebt hatten, diese sagten:

„Sei guten Muts, Kamerad, denn es wird besser gehn, als du glaubst. Wisse nämlich, dass, als wir eines Tages uns in dem Zimmer des Wirtshauses zum Horn befanden, wo die angesehendsten Leute weit und breit verkehren, zwei Männer aus Kastell Rampino daselbst einkehrten. Nachdem sie tüchtig gegessen und dem Weinkrug bis auf den Grund gesehen, unterhielten sie sich von dem Streich, den sie einem alten Mann aus Grottanegra gespielt hatten, da sie ihm einen Stein von großer Zauberkraft entwendeten. Und einer von ihnen, welcher Januarius hieß, sagte, er wahrhaftig wolle den Ring nie vom Finger ziehen, ihm solle kein solches Unglück damit begegnen, wie jenem alten, verblendeten Narren, der diesen kostbaren Stein durch die Einfalt seiner Tochter so bald verloren habe. Als Aniello dieses vernahm, fragte er die beiden Mäuse, ob sie ihn wohl in das Land jener Gauner begleiten und ihm wieder zum Besitz seines Ringes verhelfen wollten. Er versprach ihnen zur Belohnung eine ganze Fracht von Käse und Pökelfleisch, die sie alsdann zusammen mit ihrem Herrn Könige gemeinschaftlich verzehren könnten.

Da die Mäuse von dieser köstlichen Belohnung hörten, erboten sie sich sogleich, Land und Meer zu durchwandern, und nachdem sie von der Mausemajestät Erlaubnis erhalten, begaben sie sich auf die Reise. Nach einer tüchtigen Wanderschaft langten sie endlich im Kastell Rampino an, ließen den Aniello bei einem kleinen Gehölz in der Nähe eines Flusses zurück, und spürten das Haus der beiden Zauberer auf. Da sie indes fanden, dass Januarius zu keiner Zeit den Ring vom Finger zog, ersannen sie eine andere List, um ihren Zweck zu erreichen.

Sie warteten ab, bis die Nacht das Antlitz des Himmels überzogen, und als sich Januarius zu Bett gelegt, schlüpft Beißerich herbei und fängt an, ihm den Ringfinger zu benagen. Der Zauberer, welchem dies weh tat, zog den Ring ab und legte ihn neben sich auf ein Tischchen an seinem Bett, Als Springrich dies bemerkte, sprang er rasch hinauf, nahm ihn in den Mund und in vier Sprüngen waren sie fort und bei Aniello.

Ein zum Tode Verdammter, wenn er begnadigt wird, kann keine größere Freude empfinden, als Aniello; er verwandelte die beiden Zauberer in Esel, breitete über einen derselben seinen Mantel und ritt auf ihm, wie ein Graf; den andern belud er mit Speck und Käse und machte sich auf den Weg nach Tiefloch, woselbst er den König und seine Räche herrlich bewirtete, ihnen für alles ihm angetane Gute dankte und den Himmel bat, dass ihnen nie ein Hausherr eine Falle in den Weg lege, nie eine Katze ihnen ein Leid zufüge, noch Arsenik sie um's Leben brächte.

Hierauf reiste er ab nach Grottanegra und da er noch viel schöner als früher zurückkehrte, wurde er von dem König und dessen Tochter mit den größten Schmeicheleien von der Welt empfangen, und nachdem er die Esel von der Höhe eines Berges hatte herunterstürzen lassen, genoss er mit seiner Frau eines fröhlichen Lebens und zog sich nie wieder den Ring vom Finger, um nicht auf's Neue etwa seines Glückes verlustig zu werden, denn
„Ein Hund, der einmal schon gebrüht,
Sogar das kalte Wasser flieht.“
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Der wilde Mann

Es war einmal in dem Lande Maregliano eine wackere Frau, genannt Masella, welche außer sechs netten Töchtern, die so gerade waren, wie die Tannen, auch einen Sohn hatte, der so einfältig und tölpelhaft war, dass er nicht einen Hund vom Ofen locken konnte. Kein Tag verging, dass nicht die Mutter zu ihm sagte: „Was machst du hier im Hause, du nichtsnutziger Bube, du Unheilstifter, Tölpel, pack dich fort, du Bärenhäuter, Schlingel, Tunichtgut!“

Trotz alledem, so viel Masella auch reden mochte, fuhr er in seinen Albernheiten von Tage zu Tage fort. Da sie nun sah, dass alle Hoffnung verloren war und Antonio, so hieß der Sohn, durchaus zu nichts Gutem Lust hatte, nahm sie eines Tages, nachdem sie ihm den Kopf gehörig ohne Seife gewaschen, einen Stock und fing an, ihm die Jacke tüchtig auszuklopfen. Antonio, der sich so unversehens bürsten, striegeln und kämmen sah, machte sich, sobald er diesem Unwetter nur entkommen konnte, aus dem Staube und ging so lange, bis die vierundzwanzig Stunden vorüber waren, und im Himmelssaal die Lichterchen angezündet wurden. Hierauf gelangte er an den Fuß eines ungeheuer hohen Berges, der den Wolken geradezu an die Nase stieß, und woselbst in dem Schatten einiger Pappeln, beim Eingang einer in Bernstein gehauenen Grotte, ein wilder Mann saß.

O Herr, wie hässlich war der!

Er hatte einen ungeheuer großen Kopf, eine runzlige Stirn, zusammengewachsene Augenbraunen, schielende Augen, eine breit gequetschte Nase, einen Abgrund von Mund, aus dem zwei Hauer hervorkamen, die ihm bis an die Augen emporragten, eine haarige Brust, ungeheure Arme, Beine wie eine Säbelklinge und Füße platt wie die einer Gans. Er war mit einem Wort, das abscheulichste und zugleich lächerlichste Geschöpf, das man auf Gottes Erden nur finden konnte.

Aber Antonio, der sich nicht eben leicht in Furcht setzen ließ, nahm den Hut ab und sagte: „Guten Tag, Meister, wie geht's, wie steht's, ist euch etwas gefällig, wie weit ist's von hier bis dahin, wohin ich zu gehen habe?“

Der wilde Mann, als er diese seltsame Anrede hörte, fing an zu lachen und weil ihm die Manier dieses Menschen gefiel, sagte er zu ihm: „Willst du bei mir in Dienst treten?“ — „Was gebt ihr den Monat?“,antwortete Antonio. Der wilde Mann versetzte: „Diene mir nur ehrlich, wir werden dann schon fertig werden und du wirst bei mir einen guten Tag leben.“

Der Vertrag wurde geschlossen und Antonio blieb im Dienste des wilden Mannes, wo er Essen die Hülle und Fülle bekam, dagegen Arbeit so gut wie gar nicht zu tun hatte, so dass, nach vier Tagen schon, Antonio fett wurde wie eine Wachtel, rund wie eine Tonne, keck wie ein Hahn, rot wie ein Krebs, breit wie ein Walisisch.

Es waren aber nicht zwei Jahre vergangen, als Antonio dieses faulen Lebens überdrüssig wurde, und ein große Lust bekam, einen Abstecher nach Paskarola zu machen, ja, sobald er an seine Heimat dachte, wär' er fast ohne Weiteres davon gelaufen.

Der wilde Mann, der ihm in's Herz blickte und ihm an der Nase die Unruhe ansah, welche den armen Burschen wie auf glühenden Kohlen stehen und wie auf Nadeln sitzen ließ, rief ihn bei Seite und sagte zu ihm: „Mein lieber Antonio, ich weiß, dass du ein großes Verlangen trägst, deine Schwesterchen einmal wieder zu sehen; weil ich dich nun wie meinen Augapfel lieb habe, so bin ich's zufrieden, dass du einen Ausflug machst und dir diese Freude antust. Nimm also diesen Esel, damit du nicht nötig habest, zu Fuß zu gehen, sieh dich aber ja vor, dass du nie zu ihm sagst: Bricklebrit!, denn das würde dir großen Schaden tun!“

Antonio nimmt den Grauen und ohne Adieu zu sagen, setzt er sich auf und fängt an zu traben. Er war aber noch nicht hundert Schritte weit gekommen, als er wieder abstieg und „Bricklebrit!“ ruft.

Doch kaum dass er den Mund geöffnet hatte, so fängt auch der Esel an, Rubinen, Smaragde, Diamanten, Perlen, so groß wie die Walnüsse, fallen zulassen.

Ganz verdutzt sah Antonio diese kostbare Bescherung, füllte mit großer Freudigkeit feinen Quersack voll Perlen und Edelsteine, setzte sich wieder auf und tüchtig darauf lostrabend, gelangte er zu einem Wirtshaufe. Dort steigt er ab und sagt vor allen Dingen zum Wirt: „Hurtig, binde mir den Esel an die Krippe und gib ihm gut zu fressen; sieh dich aber wohl vor, dass du nicht etwa sagst: Bricklebrit!, denn es würde dir sehr leid tun; auch hebe mir diese Sachen hier wohl auf.

Der Wirt, welcher nicht auf den Kopf gefallen war, bekam, als er die seltsame Warnung vernahm und die Edelsteine sah, welche funkelten und blitzten, große Lust zu erfahren, was diese Worte bedeuteten. Er gab daher dem Antonio so gut zu essen und zu trinken, wie er nur irgend vermochte, bereitete ihm sein Lager auf einer weichen Matratze, und sah ihn nicht sobald die Augen schließen, und hörte ihn aus Leibeskräften schnarchen, als er zum Stall lief und zum Esel sagte: „Bricklebrit!“, worauf denn der Esel vermittelst dieses Wortes die gewöhnliche Operation vornahm und seinen Leib von Gold und Edelsteinen leer machte.

Als der Wirt diese kostbare Ware erblickte, empfand er großes Verlangen, den Esel in seinen Besitz zu bringen und den Tölpel von Antonio zu prellen. Sobald der Morgen angebrochen war und Antonio sich die Augen ausgerieben und eine halbe Stunde lang sich gedehnt und hundertmal gereckt hatte, rief er den Wirt und sprach:

„Komm her, mein Freund, bezahlte Rechnungen erhalten lange Freundschaft.“

Als jener ihm nun gesagt: „So viel für Brod, so viel für Wein, das für Suppe, dies für Fleisch, fünf Dreier für den Stall, zehn Dreier für das Bett, und so viel für Trinkgeld.“, rückt Antonio mit den Groschen heraus und nachdem er den untergeschobenen Esel mit einem Sack Bimsstein statt der Kostbarkeiten in Empfang genommen, macht er sich auf den Weg nach seiner Heimat. Bevor er aber noch einen Fuß in's Haus gesetzt, fängt er aus vollem Halse an zu schreien: „Mutter, komm herbei, jetzt sind wir reich; bring' Servietten, breit' Laken aus, leg' Tischdecken unter, jetzt wirst du Schätze sehen!“

Die Mutter in größter Eile öffnet die Kiste, worin sich die Ausstattung ihrer Töchter befand, zerrt das rein gewaschene Zeug heraus und breitet es recht hübsch und glatt auf die Erde, auf welche Antonio den Esel stellt; dann fängt er an zurufen: „Bricklebrit!“

Aber Bricklebrit hin und Bricklebrit her, der Esel kümmert sich so wenig um diese Worte, als um den Klang der Lyra. Zwar werden diese Worte drei oder viermal wiederholt, es war aber alles ganz umsonst und ebenso gut als in den Wind gesprochen.

Da ergreift denn Antonio einen dicken Knüppel und fängt an, das arme Tier dermaßen zu bearbeiten, zu zerdreschen, ihm die Knochen im Leibe entzwei zu brechen, dass der unglückliche Esel vor Angst und Schreck über eine solche Behandlung, statt der Perlen und Edelsteine, das weiße Zeug auf die jämmerlichste Weise beschmutzt.

Die arme Masella, als sie dieses Unglück erblickt, und statt reich zu werden, einen so reichlichen Anlass zum Ärger bekommt, fasst einen andern Prügel und ohne noch Antonio Zeit zu geben, seine Bimssteine vorzuzeigen, gibt sie ihm so eine derbe Tracht Prügel, dass er sich augenblicklich auf den Weg zum wilden Manne zurück macht.

Als dieser ihn mehr im Trabe als im Schritt ankommen sieht, und da er wohl wusste, was ihm zugestoßen war, sagt ihm tüchtig die Wahrheit, dass er sich dergestalt von dem Wirt hätte übertölpeln lassen, und wirft ihm alle Arten von Schmähreden an den Hals, weil er für einen Schätze speienden Esel sich ein nichtsnutziges Tier habe anschmieren lassen.

Antonio verspricht ihm hierauf auf das Heiligste, er wolle sich nie wieder von einem lebenden Menschen betrügen lassen. Indes, kaum war ein Jahr vergangen, als ihn dasselbe Gelüst anwandelte, indem er fast vor Sehnsucht starb, seine Familie wieder zu sehen.

Der wilde Mann, welcher zwar hässlich von Ansehen, aber gut von Herzen war, gab ihm die Erlaubnis und beschenkte ihn außerdem mit einem schönen Tellertuch, wobei er ihm sagte: „Bring dies deiner Mutter, sieh dich aber vor, dass du hiermit nicht eben so verfährst, wie mit dem Esel, und bevor du nicht zu Haufe bist, etwa sagst: Mach' dich auf und mach' dich zu, Tüchlein! Denn wenn dir irgendein Unfall zustößt, so ist der Schaden dein. Jetzt geh' in Gottes Namen und komm bald wieder.“

Antonio machte sich auf den Weg, aber nicht weit von der Grotte entfernt, legt er das Tellertuch auf die Erde und sagt: „Mach' dich auf, Tüchlein!“ Auf der Stelle öffnet sich dasselbe und er sieht darin so viel Herrlichkeiten, Kleinode, Kostbarkeiten, wie kaum zu glauben ist.

Als Antonio dies wahrnimmt, sagt er alsobald: „Mach dich zu, Tüchlein!“, setzt hierauf seinen Weg fort, kehrt in dem nämlichen Wirtshause ein und spricht zum Wirte: „Hebe mir dieses Tellertuch wohl auf und sage ja nicht etwa: Mach' dich auf und mach dich zu, Tüchlein!“

Der Wirt, welcher ein durchtriebener Gauner war, erwiderte: „Lass mich nur machen!“ Und nachdem er ihn mit Essen und Trinken gut bewirtet und zu Bett gebracht, nimmt er das Tellertuch und sagt: „Mach' dich auf, Tüchlein!“ Da öffnete es sich und zeigte ihm so viel kostbare Sachen, dass er vor Erstaunen ganz außer sich geriet.

Als Antonio am andern Morgen aufgestanden war, erhielt er von dem Wirt ein dem andern ähnliches Tellertuch und kam mit diesem in das Haus seiner Mutter, zu der er sagte:

„Jetzt fürwahr sind wir der Armut los und ledig; jetzt fürwahr bedürfen wir dieser Lappen, Lumpen und Fetzen nicht mehr.“

Und nach diesen Worten breitet er das Tuch auf die Erde aus und spricht: Mach' dich auf, Tüchlein!“

Er mochte aber sagen, was er wollte, es war verlorne Zeit und er brachte nichts zu Wege. Da er also sah, dass die Sache wider Erwarten schlecht ging, sagte er zur Mutter: „Meiner Treu, der Gastwirt hat mir wieder einen schlechten Streich gespielt, aber es soll ihm nicht so hingehen; besser wär' es ihm, er hätte ein Rad vom Wagen verloren. Ich möge das Liebste auf der Welt verlieren, wenn ich ihm nicht, sollte ich je noch einmal in dieses Wirtshaus kommen, einen viel schlimmeren Streich spiele, um mich für meine Edelsteine und den Esel bezahlt zu machen.“

Als die Mutter diese neue Eselei vernahm, spie sie Feuer und Flammen und sagte zu ihm: „Geh' zu allen Teufeln, du nichtswürdiger Taugenichts, ich kann dich nicht mehr vor Augen sehen, so steigt mir die Galle, mach' dich fort, denn ich erkenne dich nicht mehr für meinen Sohn.“

Der niedergeschlagene und traurige Antonio, da er den Blitz sah, wollte den Donner nicht abwarten und indem er sich mit gesenktem Haupt und wie ein Dieb aus dem Staube machte, begab er sich zurück zu dem wilden Manne, der, als er ihn so trübselig daherkommen sah, ihm einen neuen tüchtigen Aufwischer gab und sprach: „Ich weiß nicht, was mich abhält, dir den Kopf einzuschlagen, nichtsnutziger Kerl, der alle Sachen so laut ausschreit und sein Maul nicht halten kann. Wenn du in dem Wirtshaufe ruhig geblieben wärest, so wär' dir das nicht zugestoßen, was dir zugestoßen ist. Weil aber deine Zunge wie ein Mühlrad geht, hast du das Glück, das dir aus meinen Händen gekommen, dir selbst zermahlen.

Der traurige Antonio stand da wie ein abgebrühter Hund und schwieg.

Nachdem noch andere drei Jahre im Dienste des wilden Mannes vergangen waren, dachte er wiederum an seine Heimat und er bekam aufs Neue ein solches Verlangen, dass es ihm fast das Herz abstieß, wenn er daran dachte.

Darum bat er den wilden Mann um Erlaubnis, ihn gehen zu lassen; und der, um sich diesen Tölpel vom Halse zu schaffen, gab sie ihm auch und zugleich einen hübsch gearbeiteten Stock, wobei er sagte: „Nimm diesen Stock als Andenken mit, sieh' dich aber wohl vor, dass du nicht sagst: Steh' auf, Prügel! und: Leg' dich nieder, Prügel! Denn ich wollte nichts mit dem zu schaffen haben, was dir dann zu Teil würde.“

Antonio nahm den Stock und sagte: „Lasst euch das nicht kümmern, denn ich weiß, wie viel zwei mal zwei ist. Ich bin kein Kind mehr und wer den Antonio prellen will, muss früh aufstehen.“ Worauf der wilde Mann antwortete: „Das Werk lobt den Meister. Die Worte sind Weiber, die Taten sind Männer. Wir werden sehen; du hast gehört, was ich dir gesagt habe. Ein wohlberatener Mensch ist halb gerettet.“

Hierauf machte sich Antonio auf den Weg nach Hause, war aber kaum eine halbe Meile weit entfernt, als er sagte: „Steh' auf, Prügel!“

Doch kaum dass er dieses Wort aus dem Munde hatte, als der Prügel, wie wenn er Quecksilber im Leibe hätte, anfing mit Blitzesschnelligkeit dem armen Antonio den Rücken zu bearbeiten, dass die Hiebe wie ein Regen über ihn herabströmten und einer nicht den andern erwartete.

Der arme Bursche, der sich so arg zerdroschen und wie Saffian durchgegerbt sah, sagte sogleich: „Leg' dich nieder, Prügel!“ und augenblicklich hörte derselbe auf, seinen Rücken für eine Geige anzusehen. Obgleich auf seine eigenen Unkosten belehrt, sagte Antonio doch voller Freuden: „Ich will mir das wohl merken und gesagt sein lassen; der liegt noch nicht im Bette, der heute gewiss einen schlechten Abend haben wird.“

Unter solchen Worten und Gedanken kommt er an das einsame Wirtshaus, wo er mit der größten Freundlichkeit von der Welt empfangen wurde, weil man wohl wusste, was seine Schwarte für Saft habe.

Kaum war Antonio angelangt, so sagte er zum Wirt: „Da nimm den Stock, sprich aber ja nicht: Steh' auf, Prügel! Denn der Schaden wäre dein und beklage dich dann nicht über Antonio! Ich wasche meine Hände in Unschuld.“

Der Wirt, ganz erfreut über dieses dritte Glück, gab ihm vollauf zu essen und zu trinken und nachdem er ihn zu Bette gebracht, lief er zum Stocke, rief seine Frau zu dem schönen Feste herbei und sagte: „Steh' auf, Prügel!“

Sogleich fängt dieser an das Hinterteil des Wirtes zu bearbeiten und klipp klapp fährt er über ihn her bald da, bald dort, so dass der Wirt, um einer so übeln Behandlung zu entgehen, er und die Frau, mit dem Prügel hinter sich, zu Antonio liefen, ihn aufweckten und um Gnade baten.

Als dieser die Sache nach Wunsch gehen und die Maccaroni im Käse und den jungen Kohl im Speck sah, sagte er: „Da ist nichts zu tun! Ihr werdet unter dem Stocke sterben müssen, wenn ihr mir meine Sachen nicht wiedergebt.“

Der Wirt, der von dieser Prügelsuppe genug genossen hatte, rief aus: „Nimm alles hin, was ich habe, nur nimm mir diesen Prügel vom Leibe;“ und um den Antonio sicher zu stellen, ließ er alles herbeibringen, um was er ihn früher betrogen hatte.

Sobald Antonio das Seinige wieder in Händen hatte, sprach er: „Leg' dich nieder, Prügel!“,und sogleich hält dieser ein und geht bei Seite. Hierauf nahm nun Antonio den Esel und die andern Dinge, begab sich in das Haus seiner Mutter und machte daselbst einen herrlichen Versuch mit dem Esel, eine köstliche Probe mit dem Tellertuch, verheiratete seine Schwestern, bereicherte seine Mutter und machte wahr das Sprichwort:
Gott ist der Dummen Vormund!
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Die drei Tierbrüder

Es war einmal ein König von Verdecolle, der hatte drei Töchter, wahre Kleinode von Schönheit. In diese verliebten sich die drei Söhne des Königs von Belprat, welche durch Verwünschung einer Fee sämtlich in Tiere verwandelt waren, so dass der König von Verdecolle sie ihnen nicht zu Gattinnen geben wollte.

Deshalb berief der älteste, welcher ein schöner Falke und mit Zauberkraft begabt war, alle Vögel zu einer Beratung. Da kamen die Finken, Zeisige, Sperlinge, Stare, Lerchen, Kuckucke, und anderes Gevögel und diesen befahl er, alle Bäume in Verdecolle zu verwüsten, so dass nicht Laub noch Blüten blieben.

Der Zweite, welcher ein Hirsch war, berief die Ziegen, Kaninchen, Hasen und Schweine, und alle andere vierfüßigen Tiere und befahl ihnen, die Felder und Saaten zu verheeren, dass auch nicht Stumpf noch Stiel übrig blieben.

Der dritte, welcher ein Delfin war, versammelte alle Meerungeheuer und erregte einen solchen Sturm an den Küsten, dass auch nicht eine Barke unversehrt blieb.

Als der König sah, dass das Übel ärger ward, und er den Schaden, welchen die wilden Freiwerber ihm taten, nicht abwehren konnte, beschloss er, dem Unheil ein Ende zu machen, und willigte ein, ihnen seine Töchter zu Frauen zu geben.

Die Freier wollten sie ohne Hochzeitfest, ohne Sang und Klang, aus dem Reiche heimführen. Beim Abschiede aber gab die Königin Grazola den drei Töchtern drei gleiche Ringe, jeder einen, und sagte ihnen dabei, wenn sie sich nun trennten, und nach langer Zeit sich wieder fänden, oder irgend einen andern aus ihrem Geblüte sähen, so sollten sie sich vermittelst der Ringe erkennen.

Damit nahmen sie Abschied, und reisten fort. Der Falke trug Fabiella, welche die älteste Schwester war, auf einen hohen Berg, der über die Wolken emporragte, und hier, auf dem sonnigen Gipfel, wo es nie regnete, gab er ihr den prächtigsten Palast, und hielt sie wie eine Königin.

Der Hirsch trug Vasta, die zweite Schwester, in einen so dicht verwachsenen Wald, dass die Strahlen der Sonne nicht hindurch dringen konnten; und hier, in einem wundervollen Haufe und Garten, so dass man nichts Schöneres sehen konnte, wohnte er mit ihr.

Der Delfin schwamm mit Rita, welche die jüngste Schwester war, auf seinem Rücken, mitten durch das Meer, bis zu einem anmutigen Felsen, auf welchem er sie in ein Haus führte, dass drei gekrönte Könige darin hätten wohnen können.

Unterdessen gebar Grazola einen schönen Sohn, welchen sie Tittone nannte. Als dieser fünfzehn Jahr alt war, und seine Mutter stets ihre Töchter beklagte, welche an drei Tiere verheiratet wären, und von welchen sie seitdem nichts mehr vernommen hätte, fasste er den kühnen Gedanken, die ganze Welt zu durchstreifen, bis er einige Kunde von ihnen fände. Nach nicht langem Bitten deshalb bei Vater und Mutter, gab diese ihm auch einen Ring, ganz denen ähnlich, welche sie den drei Töchtern gegeben hatte, und beide entließen ihn, ausgerüstet mit aller Bequemlichkeit und Begleitung, die nötig war, und einem Königssohne, wie er, gebührte. So reiste er fort und ließ keine Ecke Italiens, keinen Schlupfwinkel. Frankreichs, keinen Teil Spaniens undurchsucht; und nachdem er England durchzogen, Slowenien durchstreift und sich in Polen umgesehen, kurz das Morgenland und Abendland durchreiset, und zuletzt alle seine Diener, teils in den Herbergen, teils in den Spitälern, zurückgelassen hatte und keinen Panzerring mehr besaß, gelangte er endlich auf den Berg, welchen der Falke mit Fabiella bewohnte, und wo er, wie außer sich, stand und die Schönheit des Palastes dort bewunderte, die Pfeiler von Porphyr, die Mauern von Alabaster, die Fenster von Gold, das Dach von Silber.

Die Schwester erblickte ihn, ließ ihn rufen und fragte ihn, wer er wäre, woher er käme, und welcher Zufall ihn in dieses Land geführt hätte. Nachdem Tittone ihr Vaterland, Vater und Mutter genannt hatte, erkannte Fabiella ihn für ihren Bruder, umso mehr, als sie den Ring, welchen die Mutter ihr gegeben, mit dem verglich, welchen er am Finger trug. Sie umarmte ihn mit großen Freuden: weil sie aber fürchtete, dass ihr Gemahl mit seiner Ankunft unzufrieden sein möchte, verbarg sie ihn.

Als nun der Falke heim kam, begann Fabiella zu ihm, es wäre ihr große Sehnsucht nach ihren Verwandten angekommen. Der Falke antwortete ihr: „Lass sie dir vergehen, liebe Frau; denn sie kann nicht eher erfüllt werden, als bis ich wieder ein Mensch werde.“ — „In Ermangelung dessen“, sagte Fabiella, „lass uns hinsenden und einen von meinen Verwandten einladen, mich zu trösten.“ Der Falke fragte sie: „Wer möchte denn wohl so weit her kommen, dich zu sehen?“ — „Und wenn nun schon einer gekommen wäre“, sagte Fabiella, „würde es dir unlieb sein?“ — „Warum sollte es mir unlieb sein?“,antwortete der Falke, „es genügt, dass er von deinem Geblüte ist, um mir ihn so lieb zu machen, wie meinen Augapfel.“ Als Fabiella das hörte, fasste sie sich ein Herz, zog ihren Bruder hervor, und zeigte ihn dem Falken. Dieser sagte: „Sei gegrüßt zu beiden Händen! Die Liebe dringt durch den Handschuh, wie das Wasser durch den Stiesel. Sei willkommen, und betrachte dich als den Herrn dieses Hauses; gebiete und ruh' nach Belieben.“ Und zugleich gab er Befehl, dass sein Schwager geehrt und bedient würde, wie er selber.

Als aber Tittone vierzehn Tage auf diesem Berge gewesen war, gedachte er, auch die beiden andern Schwestern zu suchen. Er bat deshalb die Schwester und den Schwager um Urlaub, und der Falke gab ihm eine von seinen Federn, und sprach: „Nimm diese Feder, lieber Tittone, und halte sie wert; denn sie könnte dir einst in solcher Not dienen, dass du sie für einen Schatz achten würdest: genug, bewahre sie wohl; und wenn dir irgendein Unfall zustößt, so wirf sie auf die Erde und rufe: Komm herbei, komm herbei! so werde ich es hören.“ Tittone wickelte die Feder in ein Papier und steckte sie in eine Börse; darauf nahm er unter tausend Danksagungen Abschied, und ging hinweg..

Nach einem unsäglich langen Wege, gelangte er in den Wald, wo der Hirsch mit Vasta wohnte; und weil er vor Hunger fast verschmachtete, ging er dort in den Garten, sich ein paar Früchte abzubrechen. Die Schwester erblickte ihn, und erkannte ihn auf dieselbe Weise, wie Fabiella; sie stellte ihn ihrem Gemahle vor, welcher ihn freudig aufnahm und wahrhaft wie einen Fürsten behandelte.

Als Tittone nach vierzehn Tagen abermals weiter ziehen wollte, um auch die dritte Schwester zu suchen, gab der Hirsch ihm eines von seinen Haaren mit denselben Worten, die der Falke bei der Feder gesprochen hatte.

So machte Tittone sich auf den Weg, und mit dem Gelde, welches der Falke und der Hirsch ihm gegeben hatten, reiste er so weit, dass er das äußerste Ende der Erde erreichte, wo das Meer seiner Wanderung ein Ziel setzte, und er ein Schiff nahm, um auch alle Inseln nach seiner Schwester zu durchsuchen. Er ging unter Segel, und schiffte so lange umher, bis er an die Insel gelangte, wo der Delfin mit Rita wohnte. Kaum war er hier an's Land gestiegen, als seine Schwester ihn erblickte und ihn auf dieselbe Weise erkannte, wie die andern. Nachdem er von dem Schwager auch alles Liebes empfangen hatte, und abreisen wollte, um nach so langer Zeit, auch die Mutter und den Vater wieder zu sehen, gab der Delfin ihm eine von seinen Schuppen, mit denselben Worten, wie zuvor. Am Lande bestieg Tittone ein Ross, und ritt fürder.

Aber kaum war er eine halbe Meile von der Küste entfernt, und in einen Wald gekommen, dessen finstere Schatten der Sitz des Grauens und Schreckens waren, da erblickte er einen Turm mitten in einem See, welcher ringsum von hohen Bäumen beschattet war, damit die Sonne seine Gräuel nicht beschiene. Am Fenster sah Tittone ein schönes Fräulein zu den Füßen eines scheußlichen Drachen, welcher schlief. Als sie den Ritter erblickte, rief sie mit kläglicher Stimme: „O schöner Jüngling, du bist vom Himmel zum Tröste meines Elends hierher geführt, wo man nie ein christliches Antlitz sah; befreie mich aus den Klauen dieses grimmigen Drachen, welcher mich meinem Vater, dem Könige von Merovalle, entführt und in diesen finstern Turm getragen hat, wo ich vor Gestank fast erstickt bin.“ — „Wehe mir“, antwortete Tittone, „was kann ich tun, dir zu helfen, schöne Jungfrau, wer kann über diesen See? Wer kann sich diesem schrecklichen Drachen nahen, dessen Anblick erschreckt, und der Furcht und Entsetzen um sich verbreitet? Aber halt, warte ein wenig, wir wollen sehen, ob wir diesen Lindwurm mit fremder Hülfe vertreiben können. Es kommt auf einen Versuch an?“

Und als er dies gesagt hatte, warf er die Feder, das Haar und die Schuppe, welche die Schwäger ihm gegeben hatten, zusammen auf die Erde, ausrufend: „Komm herbei! Komm herbei!“ Und siehe, wie ein Platzregen im Sommer, welcher die Frösche mitbringt, erschienen der Falke, der Hirsch und der Delfin, und schrieen zugleich: „Da sind wir!

Was willst du?“

Tittone, welcher mit großen Freuden diese sah, sprach: „Nichts Anderes möchte ich, als diese arme Jungfrau aus den Klauen jenes Drachen befreien, ihn aus diesem Turme vertreiben. Alles hier zerstören und die Schöne als meine Gemahlin heimführen.“ „Still“, antwortete der Falke, „ohne Geschrei hebt man den Schatz: bald wollen wir sie dir auf einem Wagen durch die Luft herführen. — Lass uns keine Zeit verlieren“, rief er dem Hirsch zu, „man muss das Eisen schmieden, wenn es heiß ist.“

Also sprach der Falke und ließ sogleich ein Heer von Greifen erscheinen, die an das Fenster des Turmes flogen, die Jungfrau ergriffen, und sie über den See trugen dahin, wo Tittone mit seinen Schwägern stand. Und wenn sie von ferne wie ein Mond erschien, so leuchtete sie in der Nähe wie eine Sonne, so wunderschön war sie.

Aber während Tittone sie umarmte und süße Worte zu ihr redete, erwachte der Drache, schwang sich aus dem Fenster, und schoss auf Tittone los, um ihn zu verschlingen. Da ließ der Hirsch eine Herde von Löwen, Tigern, Panthern, Bären und wilden Katzen erscheinen, welche den Drachen angriffen, und mit ihren Klauen in Stücken rissen.

Als solches geschehen war, und Tittone nun weiter ziehen wollte, sprach der Delfin: „Auch ich will etwas tun, dir zu dienen.“ Und damit kein Andenken eines so verfluchten und schauervollen Ortes bliebe, ließ er das Meer so hoch anschwellen, dass es seine Ufer überstieg, und mit solcher Wut gegen den Turm stieß, dass er von Grund aus zusammenstürzte.

Für dies Alles dankte Tittone seinen Schwägern höflich, und mahnte auch die Jungfrau, ein Gleiches zu tun, weil sie durch dieselben aus so großer Gefahr befreit worden. Aber die Tiere erwiderten: „Vielmehr müssen wir dem schönen Fräulein danken, weil sie die Ursache ist, dass wir unsere Gestalt wieder erhalten. Denn weil eine Fee, deren Unwillen unsere Mutter auf sich gezogen hatte, bei der Geburt uns verwünschte, dass wir diese Tiergestalt so lange behalten sollten, bis wir eine Königstochter aus einer großen Not befreit hätten, so ist jetzt der von uns so lange ersehnte Augenblick gekommen und schon fühlen wir einen neuen Geist in der Brust und neues Blut in den Adern.“ Und indem sie dies sagten, wurden sie zu drei schönen Jünglingen, welcher einer nach dem andern ihren Schwager herzlich umarmten, und dem Fräulein die Hand reichten, welche vor Staunen und Freuden selber fast verwandelt war.

Tittone betrachtete dies mit einem großen Seufzer, und sprach: „O guter Gott, warum kann mein Mütterlein und mein Vater an dieser Lust nicht auch teilnehmen? Wie würden sich beide nicht freuen, wenn sie ihre Schwiegersöhne so anmutig und schön vor sich sähen!“ — „Noch ist es nicht Nacht“, antworteten hierauf die Schwäger, „die Scheu, uns also verwandelt zu sehen, hatte uns dahin gebracht, den Anblick der Menschen zu fliehen; aber jetzt, da wir durch die Gnade des Himmels wieder unter den Leuten erscheinen können, wollen wir alle zugleich mit unsern Frauen wieder hervorgehen und fröhlich leben. Darum lasst uns alsbald abreisen; denn bevor Morgen früh noch die Sonne ihre Strahlen im Aufgange aussendet, müssen wir insgesmt bei unsern Frauen sein.“

Hierauf, weil sie nicht zu Fuße gehen mochten, und kein Ross weiter da war, als eine schäbige Mähre, welche den Tittone hergetragen hatte, so ließen sie einen prächtigen, von sechs Löwen gezogenen Wagen erscheinen, in welchen sie alle Fünft sich setzten. So fuhren sie den ganzen Tag dahin und fanden am Abend eine Herberge, wo sie sich, während die Mahlzeit bereitet wurde, heiter die Zeit vertrieben. Nach dem Essen, als man sich niederlegte, taten auch die Brüder, als wollten sie zu Bette gehen; sie reisten aber die ganze Nacht hindurch, dergestalt, dass am Morgen, als die Sterne, scheuen Mädchen gleich, den Anblick der Sonne flohen, sie sich mit ihren Frauen in derselben Herberge wiederfanden.

Nach langen Umarmungen und Freuden über Freuden, setzten sich alle acht in denselben Wagen und erreichten nach langer Fahrt Verdecolle, wo der König und die Königin unglaubliche Freude hatten, ihre schon verloren geglaubten vier Kinder und die drei Schwiegersöhne als drei schöne Männer wieder zu sehen. Sie meldeten den Königen von Belprato und von Merovalle das Glück ihrer Kinder und beide kamen auch zu den Festen, und machten die Freude noch größer und allgemeiner, und alles vergangene Leid war vergessen: Eine Stunde Zufriedenheit vergisst leicht tausend Jahre Leid.
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Quelle: Märchen aller Völker, Schreibweise angepasst

Das Märchen für Klasse 3, Klasse 4, Klasse 5 und Klasse 6.

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