Sagen der Brüder Grimm
Der Rattenfänger von Hameln (Unheimliches)
Arbeitsblatt
Sage Rattenfänger zu Hameln
Die drei Bergleute im Kuttenberg (Gott)
Der Berggeist (Geister)
Das Riesen-Spielzeug (Riesen)
Riesen-Säulen (Riesen)
Der Kobold in der Mühle (Kobolde)
Die Müllerin
Die Teufelsmühle (Teufel)
Der Werwolf (Tiere)
Die Kinder zu Hameln. (Der Rattenfänger von Hameln)
Arbeitsblatt
Im Jahr 1284 ließ sich zu Hameln ein wunderlicher Mann sehen. Er hatte einen
Rock von vielfarbigem, bunten Tuch an, weshalb er wohl Bundting hieß, und
gab sich für einen Rattenfänger aus, indem er versprach, gegen ein gewisses Geld
die Stadt von allen Mäusen und Ratten zu befreien. Die Bürger wurden mit ihm
einig und sicherten ihm einen bestimmten Lohn zu. Der Rattenfänger zog demnach
ein Pfeifchen heraus und pfiff, da kamen alsbald die Ratten und Mäuse aus allen
Häusern hervor gekrochen und sammelten sich um ihn herum. Als er nun meinte, es
wäre keine zurück, ging er hinaus und der ganze Haufen folgte ihm und so führte
er sie an die Weser; dort schürzte er seine Kleider und trat in das Wassers,
worauf ihm alle die Tiere folgten und hineinstürzend ertranken.
Nachdem die Bürger aber von ihrer Plage befreit waren, bereuten sie den
versprochenen Lohn und sie verweigerten ihn dem Manne unter allerlei
Ausflüchten, so dass er zornig und erbittert wegging. Am 26. Juni auf Johannis
und Pauli Tag, morgens früh sieben Uhr, nach andern zu Mittag, erschien er
wieder, jetzt in Gestalt eines Jägers mit schrecklichem Angesicht und mit einem
roten, wunderlichen Hut und ließ seine Pfeife in den Gassen hören. Alsbald kamen
diesmal nicht Ratten und Mäuse, sondern Kinder, Knaben und Mägdlein vom vierten
Jahr an in großer Anzahl gelaufen, worunter auch die schon erwachsene Tochter
des Bürgermeisters war. Der ganze Schwarm folgte ihm nach und er führte sie
hinaus in einen Berg, wo er mit ihnen verschwand. Dies hatte ein Kindermädchen
gesehen, welches mit einem Kind auf dem Arm von fern nachgezogen war, danach
umkehrte und das Gerücht in die Stadt brachte. Die Eltern liefen haufenweise vor
alle Tore und suchten mit betrübtem Herzen ihre Kinder; die Mütter erhoben ein
jämmerliches Schreien und Weinen.
Von Stund an wurden Boten zu Wasser und Land an alle Orte herumgeschickt, zu
erkundigen, ob man die Kinder oder auch nur einige davon gesehen habe, aber
alles vergeblich. Es waren im Ganzen hundertdreißig verloren. Zwei sollen, wie
einige sagen, sich verspätet und zurückgekommen sein, wovon aber das eine blind,
das andere stumm gewesen, also dass das blinde den Ort nicht hat zeigen können,
aber wohl erzählen, wie sie dem Spielmann gefolgt waren; das stumme aber den Ort
gewiesen, ob es gleich nichts gehört. Ein Knäblein war im Hemd mitgelaufen und
kehrte um, seinen Rock zu holen, wodurch es dem Unglück entging; denn als es
zurückkam, waren die andern schon in der Grube eines Hügels, die noch gezeigt
wird, verschwunden.
Die Straße, wodurch die Kinder zum Tor hinausgegangen, hieß noch in der Mitte
des 18. Jahrhunderts (wohl noch heute) die bunge-lose (trommel–tonlose,
stille), weil dort weder getanzt noch musiziert werden sollte. Ja, wenn eine
Braut mit Musik zur Kirche gebracht wurde, mussten die Spielleute über die Gasse
hin stillschweigen. Der Berg bei Hameln, wo die Kinder verschwanden, heißt der
Poppenberg, wo links und rechts zwei Steine in Kreuzform aufgerichtet worden
sind. Einige sagen, die Kinder wären in eine Höhle geführt worden und in
Siebenbürgen wieder herausgekommen.
Die Bürger von Hameln haben die Begebenheit in ihr Stadtbuch einzeichnen lassen
und pflegten in ihren Ausschreiben nach dem Verlust ihrer Kinder Jahr und Tag zu
zählen. Nach Seyfried ist der 22. statt des 26. Juni im Stadtbuch angegeben. An
dem Rathaus standen folgende Zeilen:
Im Jahr 1284 na Christi gebort
tho Hamel worden uthgevort
hundert und dreißig Kinder dasülvest geborn
dorch einen Piper under den Köppen verlorn.
...
Im Jahr 1572 ließ der Burgermeister die Geschichte in die Kirchenfenster
abbilden mit der nötigen Überschrift, welche größtenteils unleserlich geworden.
Auch ist eine Münze darauf geprägt.

Die Sage von dem Rattenfänger zu Hameln.*
Es begab sich vor nun bald sechshundert Jahren, da war die kleine Stadt Hameln
an der Weser von einem eigenen Missgeschick heimgesucht. Es hatte sich dort eine
solche Menge Ratten und Mäusen eingenistet, dass man sich ihrer gar nicht mehr
erwehren konnte. Keine auch noch so gut verwahrte und verschlossene
Vorratskammer war mehr vor ihrem zahlreichen Besuch sicher. Sie liefen in Küchen
und Kellern den Bewohnern unter den Füßen umher, naschten und verunreinigten
alle Vorräte. Kein Schmalztopf war sicher vor ihnen, in die Schinken und anderes
Rauchfleisch machten sie sich ganze Höhlen und weder Brot noch Speisereste
konnten sicher genug vor ihren Zähnen bewahrt werden. Sie achteten weder Schloss
noch Riegel an den Küchenschränken, wenn sie etwas Genießbares darin witterten,
so nagten sie sich einen eigenen Eingang durch die geschlossene Tür. In
Gesellschaft und wo sich ein paar Frauen auf der Straße begegneten, waren darum
Mäuse und Ratten der einzige Gegenstand ihrer Gespräche, immer erzählte man sich
einander nur die erlittenen Verluste und Unfälle. Auf den Speichern saßen und
liefen sie zu Hunderten um die Kornhaufen herum und zerrten an ihnen und
verunreinigten sie. Man hatte wohl Katzen angeschafft, stellte Fallen aller Art,
aber nichts half. Wenn man auch einige tötete, so waren gleich wieder andere für
sie da.
Das war eine rechte Sorge für die Mütter wie für die Väter. Die Vorgesetzten der
Stadt, der Bürgermeister und die Stadtältesten hatten sich schon mehrmals zur
Beratung versammelt, wie man dem Übel abhelfen könne, aber noch niemand hatte
ein anwendbares Mittel dagegen gefunden.
Einst saßen sie wieder in ihrer Sorge beisammen und hielten Rat. Da hörten sie,
dass auf der Straße etwas Ungewöhnliches vorgehen müsse, denn man vernahm ein
rasches Zusammenlaufen der Leute und dazwischen das fröhliche Lachen und
Geschrei der Jugend. Neugierig eilten die Versammelten an ihre Fenster. Da sahen
sie einen Mann in wunderlich buntem Aufzug, begleitet von einem Heer
Gassenbuben, aber auch von manchen sonst ganz ehrbaren Erwachsenen, die sich dem
Zuge angeschlossen hatten.
Der Fremde hatte eine sehr lange, spitze von rotem und blauem Zeug
zusammengesetzte Kappe auf dem Kopf, an deren bis auf seine Schulter
herabhängendem Zipfel ein kleines hell klingendes Glöckchen hing. Um den Hals
trug er einen großen, weißen, weit abstehenden Kragen, sein Kleid war aus lauter
handgroßen Lappen von den verschiedensten grell leuchtenden Farben
zusammengesetzt. Seine Schuhe waren von hellgelbem Leder und mit hoch hinauf
gebogenen Schnabelspitzen versehen. Um die Fußknöchel„ an den Schultern und
Ellenbogen wie auch um die Handwurzel trug er große Bandschleifen von den
lebhaftesten Farben und in der Hand eine Art Peitsche, die aber statt der
geflochtenen Schnur mit gleichen Bändern verziert war. An der linken Seite hing
ihm ein kurzes Schwert in hell blinkender Scheide.
Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und mit ihm der ganze Haufen seiner Begleiter.
Dann zog er ein kleines, nur fingerlanges Pfeifchen aus der Tasche und pfiff
darauf in sehr hohen Tönen eine ganz luftige Weise und sang hierauf ein Lied, in
dem die höchsten, schrillen Töne mit dem tiefsten Bass wunderlich abwechselten.
Die Worte des Liedes, das er sang, waren folgende:
„Ich bin der Pfeifer, bin der Sänger.
Der weltbekannte Rattenfänger,
Den diese altberühmte Stadt,
Gewiss besonders nötig hat.
Und wären's Ratten, noch so viele,
Und Mäuse, vollauf mit dem Spiele,
Von allen säubr' ich diesen Ort,
Sie müssen miteinander fort!“ (Nach Goethe.)
„Wenn man sich darauf verlassen könnte“, sagte der Bürgermeister zu den
Stadtältesten, „wenn er in Wahrheit die Stadt von der Ratten- und Mäuseplage
befreien könnte, so wäre es schon der Mühe wert, sich mit ihm in eine
Unterhandlung einzulassen. Ich ließe mich es viel kosten, wenn er mir die Mäuse
von meinem Fruchtspeicher entfernen könnte.“ „Ich auch! Ich auch!“, fielen die
Stadtältesten ein. Bald kamen sie in dem Beschluss überein, den Mann herauf zu
rufen, um zu erfahren, was er für sein Kunststück verlange.
Während man nach ihm schickte und ihn erwartete, bemerkte ein Stadtältester:
„Wenn er den Preis für die einzelnen Häuser zu hoch macht, so tut er es
vielleicht billiger, wenn wir ihm die Mäuse und Ratten der ganzen Stadt
anbieten.“ „Das versteht sich.“, antwortete der Bürgermeister. „Die ganze Stadt
muss er säubern; einzelne Häuser würden bald von den Nachbarshäusern aus wieder
mit dem Gesindel bevölkert werden.“ Ein anderer Stadtältester meinte, dann könne
die Zahlung ja auch die Stadtkasse übernehmen. „Das versteht sich! Es ist ja
eine Stadtangelegenheit.“, antwortete er.
Der weltbekannte Rattenfänger kam und der Bürgermeister befragte ihn über seine
Kunst und ob er sicher versprechen könne, dass er die ganze Stadt von dem
Ungeziefer reinige. „Jawohl! Jawohl! Ohne Zweifel.“, versicherte er. Auf die
weitere Frage, ob er auch Sicherheit dafür leisten wolle, antwortete er wieder
mit einem bereitwilligem „Jawohl!". „Welche Sicherheit könnt ihr uns denn
geben?", fragte ein Stadtältester. „Ich gebe euch ja mein Wort darauf, ich, der
weit gereiste, weltbekannte Rattenfänger!", antwortete er, indem er sich mit
Stolz auf die Brust klopfte. „Was wollt Ihr mehr?" - „Das versteht sich.",
entgegnete der Bürgermeister. „Ihr gebt euer Wort, macht euer Hokuspokus, nehmt
euern Lohn und geht. Gott weiß, wohin? Wenn ihr dann fort seid, kommen die Mäuse
und Ratten wieder. Wie könnten wir es vor den Bürgern verantworten, wenn wir so
das Geld aus der Stadtkasse gleichsam hinausgeworfen hätten?"
Indem er so sprach und mit dem Fremden in Unterhandlung stand, ließ seine Frau
ihm sagen, er möge doch um Gottes Willen mit dem fremden Rattenfänger einen
Vertrag abschließen, um doch einmal die Ratten und Mäuse loszuwerden. Sie habe
ihm zu Mittag eine Rahmtorte backen wollen, da habe sie ja gar in dem großen
Rahmtopf eine Ratte gefunden, die darin ertrunken sei. Den Rahm könne man
natürlich nicht mehr brauchen und er müsse sich jetzt mit einem Zwiebelkuchen
begnügen. „Schlimm, schlimm!", versetzte der Bürgermeister auf diese Botschaft.
„Ja. Das versteht sich. Die Ratten müssen mit fort! Zur Stadt hinaus um jeden
Preis! Schade um die Rahmtorte!"
Da der Rattenfänger fest behauptete, er werde und könne keine bessere Bürgschaft
leisten als sein Wort, so flüsterte der Bürgermeister seinem Nachbarn von den
Stadtältesten zu: „Gib jetzt acht. Ich krieg' ihn doch daran, dass wir wider
seinen Willen eine Bürgschaft haben." Dann wendete er sich zu dem Fremden und
sagte: „Nun, ich nehme denn euer Wort als Bürgschaft an. Doch eine Bedingung
müsst ihr euch gefallen lassen. Unsere Stadtkasse ist eben jetzt ziemlich
ausgeleert. Darum bezahlen wir euch jetzt nur die Hälfte eurer Forderung, die
andere Hälfte könnt Ihr dann im nächsten Jahr bei uns abholen.“ „So können wir
uns immer an die zweite Hälfte halten. Damit haben wir ihn ja in der Hand!“,
flüsterte er seinem Nachbarn zu.
Der Rattenfänger lächelte aber über die Bedingung sehr verschmitzt und erklärte,
er wolle ihm denn den Willen tun und ihm die zweite Hälfte als Unterpfand
zurücklassen. Sie sollten ihm also jetzt hundert Taler geben, die andern hundert
wollte er nach Jahresfrist abholen. Der Vertrag wurde abgeschlossen und
niedergeschrieben. Der Rattenfänger entfernte sich mit dem Versprechen, morgen
früh sogleich das Geschäft zu besorgen.
In der Frühe des andern Morgens war in allen Häusern schon alles munter.
Jedermann war begierig zu sehen, wie der Wundermann die Ratten und Mäuse
wegschaffen werde. Einige meinten, er werde sie in den Häusern durch irgendeine
Lockpfeife in einen Sack sammeln. Der Arzt, der zugleich in jener Zeit Apotheker
war, behauptete, er werde sie durch ein Gift vertilgen; andere vermuteten, er
besitze vielleicht ganz besonders gute Fallen, durch welche er sie wegfange,
noch andere dachten, er habe wohl einige besonders auf den Rattenfang gut
abgerichtete Hunde, über die Dauer der für sein Geschäft nötigen Zeit hatte er
ja gar nichts gesagt und auch nichts versprochen. Vielleicht brauchte er ein
Vierteljahr dazu. Dann konnte er mit solchen Mitteln wohl sein Versprechen
erfüllen. Aber dann schien es vielen auch nicht so viel Geld wert. Doch der
wunderbare Mann brauchte weder Lockpfeife noch Gift, weder Fallen noch
abgerichtete Hunde, auch bedurfte er kein Vierteljahr für sein Geschäft.
Die ehrlichen Einwohner von Hameln hörten, sobald die Glocke sieben schlug,
einen hellen Pfeifenton erschallen. Damit durchzog der Rattenfänger die Stadt
und wo er so pfeifend an einem Hause vorbeikam, da stürzten eilig aus den
Haustüren, von den Dächern, aus den Dachfenstern und durch die Dachrinnen aus
allen Fenstern, kurz aus jeder Öffnung ganze Heere von Ratten und Mäusen heraus
und folgten in immer dichterem Zuge hinter dem Pfeifer her. So zog er durch alle
Gassen des Städtchens, ging ihnen voran und endlich zum Tore hinaus. Das
Gewimmel der kleinen Tiere im Zuge, so breit wie die Straße, in eiliger Hast
hinter ihm her.
Mit Staunen sahen die Bewohner der Stadt dem merkwürdigen Schauspiel zu. Die
Kinder, die neugierig und jubelnd nachgelaufen waren, erzählten bei ihrer
Rückkehr, er sei bis an das Ufer der Weser gegangen, dort habe er einen kleinen
Laib Brot in die Höhe gehalten und den Ratten und Mäusen gezeigt und ihn dann
weit hinaus in die Wellen des Flusses geworfen. Das ganze Heer sei darauf in das
Wasser gesprungen, um nach dem Brot hin zu schwimmen; sie seien aber alle
ersoffen und von den Wellen verschlungen worden, dass keine Spur mehr von ihnen
zu sehen wäre. Während sie den Tieren nachgesehen haben, hätten sie auf den
Wundermann nicht Acht gehabt und als sie sich nachher nach ihm umgesehen hatten,
sei er verschwunden gewesen.
Die Stadtältesten waren durch das Pfeifen und das Gejubel der Kinder auch auf
die Straße hinausgelockt worden und zum Marktplatz gegangen. Dort standen sie im
Gespräch mit dem Bürgermeister, der durch sein Fenster heraus sah. Einer sagte
zu ihm: „Hört, Bürgermeister, der hat die zweihundert Taler schnell verdient
gehabt. Und er hätte dabei ja nicht einmal eine Auslage zu machen für das ganze
Geschäft. Er hätte es viel billiger tun können.“ „Das versteht sich", sagte der
Bürgermeister. „Es ist zu viel. Wir müssen noch etwas davon herunterhandeln.“
„Wenn er es tut!", wendete der Älteste ein. „Er muss es tun! Das versteht
sich!“, rief dieser dagegen. „Wir haben ihn ja immer in der Hand mit der einen
Hälfte.“ - „Ja“, versetzte lachend der andere. „Meine Frau hat mich darüber
aufgeklärt. Die meint, es sei ein dummer Streich, dass man die Bedingung wegen
der zweiten Hälfte gemacht habe, ehe er noch seine Forderung nannte. Die habe er
dann so hoch gestellt, dass er mit der ersten Hälfte hinlänglich bezahlt und
ganz zufrieden sein könne und er werde künftig gar nicht danach fragen. Ich
meine, dass meine Alte Recht hat und dass es wirklich ein dummer Streich war." -
„Das versteht sich!", rief der Bürgermeister wieder im Eifer aus. „Da haben wir
freilich einen Fehler gemacht. Aber wartet nur! Ich mache das Versehen wieder
gut. Der Bursche mit seinen bunten Lappen und Bändern soll sehen, mit wem er es
zu tun hat. Lasst mich nur machen. Gar nichts kriegt er. Das versteht sich!"
Der Wundermann kam am andern Morgen, um die fehlende Hälfte mit hundert Talern
in Empfang zu nehmen. Der Bürgermeister hielt ihm vor, das sei eine Sache, bei
der die Stadtältesten mitwirken müssten. Die Anweisung zu einer so bedeutenden
Zahlung müsse von ihnen allen ausgestellt werden. Als darauf alle versammelt
waren, richtete er die Frage an sie: „Was meint ihr, ihr Herren? Hat der Mann
sein Versprechen gehörig erfüllt? Sind alle Ratten und Mäuse aus euern Häusern
verschwunden?"
„Was kann man sagen?", antwortete ein Stadtältester. „Es scheint wohl so,
aber wer bürgt uns dafür, dass sie nicht heute oder morgen wiederkommen?" Da
versetzte der Wundermann: „Wärt ihr nur mit hinausgegangen, so hättet ihr sehen
können. dass ich sie alle in die Wellen des Flusses geschickt habe, wo sie
gewiss umgekommen find. Diese kommen euch gewiss nicht wieder. Gebt mir mein
Geld und damit ist die Sache erledigt" - „Das versteht sich!", antwortete der
Bürgermeister. „Aber doch nicht so ganz. Die Sache hat noch einen Haken. Ihr
habt kein Gift, keine Falle oder sonst ein natürliches Mittel gegen die Tiere
angewendet, wodurch sonst Christenmenschen solch Geschmeiß vertilgen. Ihr habt
nur gepfiffen. Dafür gebe ich euch keinen Pfifferling. Dann ist es überhaupt
nicht mit rechten Dingen zugegangen. Es war gleichsam nur eine Art Zauberei,
womit Ihr die armen Tiere verblendet habt. Aber alle Zauberei ist vor Gott ein
Gräuel, das dürfen wir als gute Christen nicht noch bezahlen oder belohnen.“
„Ihr meint also, ich sollte für die große Wohltat, die ich eurer Stadt erwiesen
habe, gar nichts bekommen?“, fragte der Rattenfänger. „Das versteht sich!
Richtig, richtig! Ihr habt das rechte Wort gesprochen.“, antwortete der
Bürgermeister und die Ältesten stimmten mit ein. „Sollen wir euch gar solche
Teufelskünste noch bezahlen? Für eure schwarze Kunst hat unsere Stadtkasse kein
Geld.“ - „Ist das euer Ernst? Euer letztes Wort?“, fragte der Fremde und der
Bürgermeister antwortete: „Das versteht sich, unser letztes Wort!“ - „Nun, dann
versteht sich's auch, dass ich mich auf andere Art entschädige!“, fuhr der
Rattenfänger mit grimmiger Miene heraus. Morgen ist Sonntag. Wenn ihr aus der
Kirche kommt, so werdet ihr an mich denken!“ Damit verließ er die Versammlung.
Sie berieten noch kurz, was er wohl mit seiner Drohung gemeint haben könne. Doch
beachtete man sie nicht sehr in der Freude, dass man ganz ohne Zahlung nun doch
die große Plage losgeworden sei.
Als es am andern Morgen zum Gottesdienst läutete, gingen die Männer und Frauen,
junge Burschen und erwachsene Mädchen, zur Kirche. Aus Vorsicht ließ man die
Kinder zu Hause, damit sie die Haustüren verschlossen halten und auf die
Herdfeuer achten sollten. Sobald der laute Gesang in der Kirche erscholl, kam
auch der Rattenfänger durch die Straßen daher und pfiff wieder auf seiner
kleinen Pfeife und sang wieder hier und da einen Vers. Der lautete:
„Es ist der schlecht belohnte Sänger,
Mitunter auch ein Kinderfänger,
Der selbst die wildesten bezwingt,
Wenn er mit seinen Peitschen singt.
Und wären Knaben noch so trutzig,
Und wären Mädchen noch so stutzig,
Sie laufen alle hintendrein."
Bald öffnete hier ein Knabe, dort ein Mädchen die Haustüre und schlüpfte heraus
und lief dem lustigen Pfeifer nach. Und wo er durch eine Gasse zog, kamen
überall die fröhlichen Kinder heraus und schlossen sich dem Zug an. Als er sich
aber umschaute und den großen Haufen übersah, der ihm schon folgte, da ging er
zum Tore hinaus und ihm folgten mit lautem, fröhlichem Jubel und Geschrei die
Kinder nach. Und er kam mit ihnen bis an den Hügel, den man den Koppenberg
nannte und wo er sich mit einer steilen Abdachung von der Ebene erhebt, öffnete
er sich mit einem Male zu einem weiten Eingang, durch den der Wundermann mit den
Kindern verschwand.
Ein fünfzehnjähriges Kindermädchen, das zur Aufsicht eines kleinen Kindes zu
Hause gelassen worden war, war auch aus Neugier dem lustigen Pfeifer gefolgt,
hatte sich aber doch nicht gewagt, mit dem unruhigen, schreienden Kind weiter
mitzugehen, sondern war am Tore stehen geblieben und hatte zugesehen, wie sich
der ganze Zug dort in dem geöffneten Berge verlor.
Als aber nun die Gemeinde nach beendigtem Gottesdienst aus der Kirche nach Hause
kam und so viele ihre Haustüren offen stehend fanden und die Kinder auf ihren
Ruf nicht hörten und herbeikamen, da liefen Mütter und Väter und Brüder und
Schwestern mit ängstlichem Rufen suchend durch die Stadt, durch alle Straßen und
an allen Plätzen, - aber alles Suchen war vergeblich. Das Kindermädchen
erzählte, was es gesehen hatte, es musste die Suchenden hinausführen und ihnen
die Stelle zeigen, wo sie in dem Berg verschwunden waren. Aber die Anhöhe des
Koppenberges war ganz dieselbe wie sie immer gewesen war. - Da war keine Spur
von einer Tür oder einem Eingang zu einer Höhle zu entdecken.
Großer Jammer herrschte in den meisten Häusern der Stadt. Als man die
Verschwundenen zusammenzählte, fehlten an Knaben und Mädchen
einhundertunddreißig.
Wie man kurz vorher den Bürgermeister und die Stadtältesten gepriesen hatte, so
hörte man jetzt nur Flüche und Verwünschungen über ihren Leichtsinn, dass sie
einem so wunderlichen und hergelaufenen Mann vertraut und dadurch so großes
Unglück über die Stadt gebracht hätten.

Die drei Bergleute im Kuttenberg. (Mündlich in Hessen)
In Böhmen liegt der Kuttenberg, darin arbeiteten drei Bergleute lange Jahre und
verdienten damit für Frau und Kind das Brot ehrlich. Als sie morgens in den Berg
gingen, so nahmen sie dreierlei mit: erstens ihr Gebetbuch, zweitens ihr Licht,
aber nur auf einen Tag mit Öl versehen, drittens ihr bisschen Brot, das reichte
auch nur auf einen Tag. Ehe sie die Arbeit anfingen, taten sie ihr Gebet zu
Gott, dass er sie in dem Berge schützen möge und danach fingen sie getrost und
fleißig an zu arbeiten. Es trug sich zu, als sie einen Tag gearbeitet hatten und
es bald Abend war, dass der Berg vorne einfiel und der Eingang verschüttet
wurde. Da meinten sie begraben zu sein und sprachen: „Ach Gott! Wir armen
Bergleute, wir müssen nun Hungers sterben! Wir haben nur einen Tag Brot zu essen
und einen Tag Öl auf dem Licht!“ Nun beteten sie zu Gott und dachten bald zu
sterben, doch wollten sie nicht müßig sein, solange sie noch Kräfte hatten,
arbeiteten fort und fort und beteten. Also geschah es, dass ihr Licht sieben
Jahr brannte und ihr kleines bisschen Brot, von dem sie tagtäglich aßen, ward
auch nicht alle, sondern blieb eben so groß und sie meinten, die sieben Jahre
wären nur ein Tag. Doch da sie sich nicht ihr Haar schneiden und den Bart
abnehmen konnten, waren diese ellenlang gewachsen. Die Weiber hielten
unterdessen ihre Männer für tot, meinten, sie würden sie nimmermehr wieder sehen
und dachten daran, andere zu heiraten.
Nun geschah es, dass einer von den dreien unter der Erde so recht von Herzen
wünschte: „Ach! Könnt ich noch einmal das Tageslicht sehen, so wollt’ ich gerne
sterben!“ Der Zweite sprach: „Ach! Könnt ich noch einmal daheim mit meiner Frau
zu Tische sitzen und essen, so wollt’ ich gerne sterben!“ Da sprach auch der
Dritte: „Ach! Könnt ich nur noch ein Jahr friedlich und vergnügt mit meiner Frau
leben, so wollt’ ich gerne sterben!“ Wie sie das gesprochen hatten, so krachte
der Berg gewaltig und übermächtig und sprang auseinander, da ging der erste hin
zu dem Ritz und schaute hinauf und sah den blauen Himmel und wie er sich am
Tageslicht gefreut hatte, sank er augenblicklich tot nieder. Der Berg aber ging
immer mehr auseinander, sodass der Riss größer ward, da arbeiteten die beiden
andern fort, hackten sich Treppen, krochen hinauf und kamen endlich heraus. Sie
gingen nun fort in ihr Dorf und in ihre Häuser und suchten ihre Weiber, aber die
wollten sie nicht mehr kennen. Sie sprachen: „Habt ihr denn keine Männer
gehabt?“ „Ja", antworteten jene, „aber die sind schon sieben Jahre tot und
liegen im Kuttenberg begraben!“ Der Zweite sprach zu seiner Frau: „Ich bin dein
Mann“, aber sie wollt’ es nicht glauben, weil er den ellenlangen Bart hatte und
ganz unkenntlich war. Da sagte er: „Hol mir das Bartmesser, das oben in dem
Wandschrank liegen wird und ein Stückchen Seife dazu.“ Nun nahm er sich den Bart
ab, kämmte und wusch sich und als er fertig war, sah sie, dass es ihr Mann war.
Sie freute sich herzlich, holte Essen und Trinken so gut sie es hatte, deckte
den Tisch und sie setzten sich zusammen hin und aßen vergnügt miteinander. Wie
aber der Mann satt war und eben den letzten Bissen Brot gegessen hatte, da fiel
er um und war tot. Der dritte Bergmann wohnte ein ganzes Jahr in Stille und
Frieden mit seiner Frau zusammen, als es herum war, zu derselben Stunde aber, wo
er aus dem Berg gekommen war, fiel er und seine Frau mit ihm tot hin. Also hatte
Gott ihre Wünsche ihrer Frömmigkeit wegen erfüllt.

Der Berggeist. (Mündliche Erzählung)
Der Berg-Geist, Meister Hämmerling, Berg-Mönch genannt, zeigt sich zuweilen in der Tiefe, gewöhnlich als ein Riese in einer schwarzen Mönchskutte. In einem Bergwerk der Graubündner Alpen erschien er oft und war besonders am Freitag geschäfftig, das ausgegrabene Erz aus einem Eimer in den andern zu schütten; der Eigentümer des Bergwerks durfte sich das nicht verdrießen lassen, wurde aber auch niemals von ihm beleidigt. Dagegen als einmal ein Arbeiter, zornig über dies vergebliche Handtieren, den Geist schalt und verfluchte, fasste ihn dieser mit so großer Gewalt, dass er zwar nicht starb, aber das Antlitz sich ihm umkehrte. Im Annaberg, in der Höhle, welche der Rosenkranz heißt, hat er zwölf Bergleute während der Arbeit angehaucht, wovon sie tot liegen geblieben sind und die Grube ist, obgleich silberreich, nicht weiter abgebaut worden. Hier hat er sich in Gestalt eines Rosses mit langem Hals gezeigt, furchtbar blickende Augen auf der Stirne. Zu Schneeberg ist er aber als ein schwarzer Mönch in der St. Georgen-Grube erschienen und hat einen Bergknappen ergriffen, von der Erde aufgehoben und eben in die Grube, die früher silberreich war, so hart niedergesetzt, dass ihm seine Glieder verletzt waren. Am Harz hat er einmal einen bösen Steiger, der die Bergleute quälte, bestraft. Denn als dieser zu Tage fuhr stellte er sich ihm unsichtbar über die Grube und als er empor kam, drückte ihm der Geist mit den Knien den Kopf zusammen.

Das Riesen-Spielzeug. (Mündlich von einem Förster)
Im Elsass auf der Burg Nideck, die an einem hohen Berg bei einem Wasserfall
liegt, waren die Ritter vor langen Zeiten große Riesen. Einmal ging das
Riesen-Fräulein herab ins Tal, wollte sehen, wie es da unten wäre und kam bis
fast nach Haslach auf ein vor dem Wald gelegenes Ackerfeld, das gerade von den
Bauern bestellt ward. Es blieb vor Verwunderung stehen und schaute den Pflug,
die Pferde und Leute an, das ihr alles etwas Neues war. „Ei", sprach sie, und
ging herzu, „das nehme ich mir mit.“ Da kniete sie nieder zur Erde, breitete
ihre Schürze aus, strich mit der Hand über das Feld, fing alles zusammen und tat
es hinein. Nun lief sie ganz vergnügt nach Haus, den Felsen hinaufspringend, wo
der Berg so steil ist, dass ein Mensch mühsam klettern muss, da tat sie einen
Schritt und war oben.
Der Ritter saß gerade am Tisch, als sie eintrat. „Ei, mein Kind", sprach er,
„was bringst du da, die Freude schaut dir ja aus den Augen heraus.“ Sie machte
geschwind ihre Schürze auf und ließ ihn hineinblicken. „Was hast du so
Zappeliges darin?“ „Ei Vater, gar zu artiges Spielding! So was Schönes hab ich
mein Lebtag noch nicht gehabt.“ Darauf nahm sie eins nach dem andern heraus und
stellte es auf den Tisch: den Pflug, die Bauern mit ihren Pferden; lief herum,
schaute es an, lachte und schlug vor Freude in die Hände, wie sich das kleine
Wesen darauf hin und her bewegte. Der Vater aber sprach: „Kind, das ist kein
Spielzeug, da hast du was Schönes angestiftet! Geh nur gleich und trag's wieder
hinab ins Tal.“ Das Fräulein weinte, es half aber nichts. „Mir ist der Bauer
kein Spielzeug, sagt der Ritter ernsthaft, ich möchte nicht, dass du murrst,
kram alles sachte wieder ein und trag's an den Platz, wo du’s genommen hast.
Baut der Bauer nicht sein Ackerfeld, so haben wir Riesen auf unserm Felsen-Nest
nichts zu leben.“

Riesen-Säulen.
Bei Miltenberg oder Kleinen-Haubach auf einem hohen Gebirge im Walde sind neun gewaltige, große, steinerne Säulen zu sehen und daran die Handgriffe, wie sie von den Riesen im Arbeiten herumgedreht worden, damit eine Brücke über den Main zu bauen; solches haben die alten Leute je nach und nach ihren Kindern erzählt, auch dass in dieser Gegend vor Zeiten viele Riesen sich aufgehalten.

Der Kobold in der Mühle. (Aus mündlicher Erzählung)
Es machten einmal zwei Studenten von Rinteln eine Fußreise. Sie planten in einem
Dorf zu übernachten, weil aber ein heftiger Regen fiel und die Finsternis so
sehr überhand nahm, dass sie nicht weiter konnten, gingen sie zu einer in der
Nähe liegenden Mühle, klopften und baten um Nachtherberge. Der Müller wollte
anfangs nicht hören, endlich gab er ihren inständigen Bitten nach, öffnete die
Türe und führte sie in eine Stube. Sie waren beide hungrig und durstig und da
auf dem Tisch eine Schüssel mit Speise und eine Kanne mit Bier stand, baten sie
den Müller darum und waren bereitwillig, es zu bezahlen. Der Müller aber
schlug's ab, selbst nicht ein Stück Brot wollte er ihnen geben und nur die harte
Bank als Ruhebett gönnen. „Die Speise und der Trank", sprach er, „gehört dem
Hausgeist, ist euch das Leben lieb, so lasst beides unberührt, sonst aber habt
ihr kein Leid zu befürchten, lärmt's in der Nacht vielleicht, so bleibt nur
still liegen und schlafen.“ Mit diesen Worten ging er hinaus und schloss die
Türe hinter sich zu.
Die zwei Studenten legten sich zum Schlafe nieder, aber etwa nach einer Stunde
fiel den einen der Hunger so übermächtig an, dass er sich aufrichtete und die
Schüssel suchte. Der andere, ein Magister, warnte ihn, er sollte dem Teufel
lassen, was dem Teufel gewidmet wäre, aber er antwortete: „Ich habe ein besser
Recht dazu als der Teufel“, setzte sich an den Tisch und aß nach Herzenslust, so
dass wenig von dem Gemüse übrig blieb. Danach fasste er die Bierkanne, tat einen
guten, pommerschen Zug und nachdem er also seine Begierde etwas gestillt, legte
er sich wieder zu seinem Gesellen. Doch als ihn über eine Weile der Durst aufs
neue plagte, stand er noch einmal auf und tat einen zweiten so herzhaften Zug,
dass er dem Hausgeist nur die Neige hinterließ. Nachdem er sich's also selbst
gesegnet und wohl bekommen geheißen, legte er sich und schlief ein.
Es blieb alles ruhig bis zur Mitternacht, aber kaum war die herum, so kam der
Kobold mit großem Lärm hereingefahren, wovon beide mit Schrecken erwachten. Er
brauste ein paar Mal in der Stube auf und ab, dann setzte er sich, als wollte er
seine Mahlzeit halten, zu dem Tisch und sie hörten deutlich, wie er die Schüssel
herbeirückte. Gleich drauf setzte er sie, als wäre er ärgerlich, hart nieder,
ergriff die Kanne und drückte den Deckel auf, ließ ihn aber gleich wieder
ungestüm zuklappen. Nun begann er seine Arbeit, wischte den Tisch, danach die
Tischfüße sorgfältig ab und kehrte dann, wie mit einem Besen, den Boden fleißig
ab. Als das geschehen war, ging er noch einmal zur Schüssel und Kanne zurück, ob
es jetzt vielleicht besser damit stehe, stieß aber beides wieder zornig hin.
Darauf fuhr er in seiner Arbeit fort, kam zu den Bänken, wusch, scheuerte, rieb
sie, unten und oben; als er zu der Stelle gelangte, wo die beiden Studenten
lagen, zog er vorüber und nahm das übrige Stück unter ihren Füßen in die Arbeit.
Wie er zu Ende war, fing er an der Bank oben zum zweiten Mal an und überging
auch zum zweiten Mal die Gäste. Zum dritten Mal aber, als er an sie kam, strich
er dem einen, der nichts genossen hatte, über die Haare und den ganzen Leib,
ohne ihm im Geringsten weh zu tun. Den andern aber packte er an den Füßen, riss
ihn von der Bank herab, zog ihn ein paar Mal auf dem Erdboden herum, bis er ihn
endlich liegen ließ und hinter den Ofen lief, wo er ihn laut auslachte. Der
Student kroch zu der Bank zurück, aber nach einer Viertelstunde begann der
Kobold seine Arbeit von neuem: kehrte, säuberte, wischte. Die beiden lagen da,
in Angst zitternd, den einen fühlte er, als er an ihn kam, ganz lind an, aber
den andern warf er wieder zur Erde und ließ hinter dem Ofen ein grobes und
spottendes Lachen hören.
Die Studenten wollten nun nicht mehr auf der Bank liegen, standen auf und
erhoben vor der verschlossenen Türe ein lautes Geschrei, aber es hörte niemand
darauf. Sie beschlossen endlich, sich auf den platten Boden hart nebeneinander
zu legen, aber der Kobold ließ sie nicht ruhen. Er begann sein Spiel zum dritten
Mal, kam und zog den Schuldigen herum und lachte ihn aus. Dieser war zuletzt
wütend geworden, zog seinen Degen, stach und hieb in die Ecke, wo das Gelächter
herschallte und forderte den Kobold mit Drohworten auf, hervorzukommen. Dann
setzte er sich mit seiner Waffe auf die Bank, zu erwarten, was weiter geschehen
würde, aber der Lärm hörte auf und alles blieb ruhig.
Der Müller erklärte ihnen am Morgen, dass sie seiner Ermahnung nicht gefolgt und
die Speise nicht unangerührt gelassen; es hätte ihnen leicht das Leben kosten
können.

Die Müllerin. (Mündlich, aus Österreich)
Zwischen Ems und Wels in Österreich lebte auf einer einsamen Mühle ein Müller,
der war an einem Sonntagmorgen, nach üblicher Weise, mit allen seinen Knechten
in die Kirche gegangen und nur seine Frau, die ihre Niederkunft bald erwartete,
daheim geblieben. Als die Müllerin so allein saß, kam die Hebamme, gleichsam zum
Besuch, zu sehen, wie es mit ihr stehe. Die Müllerin war ihr freundlich, trug
etwas auf und sie setzten sich zusammen an den Tisch. Während sie aßen, ließ die
Hebamme das Messer fallen und sprach: „Hebt mir einmal das Messer auf!“ „Ei!",
antwortete die Müllerin, „Ihr redet wunderlich, ihr wisst doch, dass mir
das Bücken saurer wird, als euch,“ doch ließ sie’s hingehen, hob das Messer auf,
reichte es ihr, und wie sie es reichte, noch im Bücken, fasste die Hebamme das
Messer in die Faust, zückte und sprach: „nun gebt mir euer Geld, das bar bei
euch liegt, oder ich stech' euch die kalte Klinge in die Brust!“ Die Müllerin
erschrak, fasste sich aber und sagte: „Kommt mit mir hinüber in die Kammer, da
liegt im Schrank, was wir haben, und nehmt's.“ Die Hebamme folgte ihr, nahm das
Geld aus dem Schrank und, weil es ihrer Habsucht nicht genug war, suchte sie
noch weiter in andern Fächern. Diesen Augenblick benutzte die Müllerin, trat
schnell hinaus und schloss die Türe fest zu und da vor den Fenstern starke
eiserne Gitter standen, so war die Hebamme in der Kammer eingefangen. Nun rief
die Frau ihr siebenjähriges Söhnlein und sprach: „Eil dich und lauf zum Vater in
die Kirche, ich bät ihn, eilends mit seinen Knechten heimzukommen, ich wäre in
großer Gefahr.“ Das Kind lief fort, aber nicht weit von der Mühle traf es auf
den Mann der Hebamme, der verabredetermaßen kam, den Raub fortzutragen. Als er
das Kind sah, fasste er’s und riss es mit sich zur Mühle zurück. Die Müllerin,
die, ihren Mann erwartend, am Fenster stand, sah ihn kommen, verschloss alsbald
die Haustüre und schob alle Riegel vor. Als der Mann heran war, rief er, sie
sollte ihm die Türe öffnen und, da sie es nicht tat, stieß er wütend dagegen und
hoffte sie einzutreten. Die Müllerin schrie nun mit allen Kräften zu einem
Fenster hinaus nach Hilfe, aber, weil die Mühle zu fern, auch mit Gebüsch
umwachsen lag, ward sie von niemand gehört. Indes wich die Tür den Stößen des
Mannes nicht und da er sah, in welche Gefahr er und seine Frau gerate, wenn er
sich so lang aufhalte, bis der Müller aus der Kirche komme, zog er sein Messer
und rief der Müllerin: „Wo ihr nicht gleich öffnet, so stech' ich das Kind vor
euern Augen nieder und zünde die Mühle euch über dem Kopf an“, fasste auch das
Kind, dass es laut zu schreien anfing. Da eilte die Müllerin und wollte die Tür
öffnen, aber wie sie davor stand, ging ihr der Gedanken durchs Herz, dass der
Mörder sie nur herauslocken wolle, um sie selbst und mit ihr das Kind in ihrem
Leibe zu töten, so dass sie ein paar Augenblicke schwankte. Der Mann zauderte
nicht, stach dem Knaben das Messer in die Brust, lief dann um die Mühle und
suchte einen Eingang. Da fiel der Müllerin, die von dem allem nichts wusste,
ein, sie wollte die Räder in Bewegung setzen, vielleicht lockte das am Sonntag
ungewöhnliche Klappern Menschen zu ihrer Hilfe herbei. Der Mörder aber wollte
gerade durch das stehende Rad in die Mühle eindringen, hatte eben den Fuß
auf eine Speiche gesetzt und war ohne Zweifel hineingeschlüpft, als in dem
nämlichen Augenblick, nach Gottes wundervoller Schickung, das losgelassene Rad
anhub sich zu drehen, ihn hinunterschlug und jämmerlich zermalmte.
Bald darauf kam der Müller mit seinen Knechten heim. Als er die Kammer
aufschloss, worin die Hebamme gefangen war, lag sie tot auf der Erde und war vor
Angst und Schrecken vom Schlag gerührt.

Die Teufelsmühle.
Auf dem Gipfel des Rammberges liegen teils zerstreute, teils geschichtete Granitblöcke, welche man des Teufels Mühle nennt. Ein Müller hatte sich am Abhang des Bergs eine Windmühle erbaut, der es aber zuweilen an Wind fehlte. Da wünschte er sich oft eine, die oben auf dem Berggipfel stünde und beständig im Gang bliebe. Menschenhänden war sie aber unmöglich zu erbauen. Weil der Müller keine Ruh darüber hatte, erschien ihm der Teufel und sie dingten (verhandelten) lange miteinander. Endlich verschrieb ihm der Müller seine Seele gegen dreißig Jahre langes Leben und eine tadelfreie Mühle von sechs Gängen, auf dem Gipfel des Rammbergs, die aber in der nächstfolgenden Nacht vor Hahnenschrei fix und fertig gebaut sein müsste. Der Teufel hielt sein Wort und holte nach Mitternacht den Müller ab, dass er die fertige Mühle besichtigen und übernehmen wolle. Der Müller fand alles in vollkommner Ordnung und war zitternd bereit, sie zu übernehmen, als er eben noch entdeckte, dass einer von den unentbehrlichen Steinen fehlte. Der Teufel gestand den Mangel und wollte ihn augenblicklich ersetzen. Und schon schwebte er durch die Lüfte mit dem Stein, da krähte der Hahn auf der unteren Mühle. Wütend fasste der böse Feind das Gebäude, riss Flügel, Räder und Wellen herab und streute sie weit umher. Dann schleuderte er auch die Felsen, dass sie den Rammberg bedeckten. Nur ein kleiner Teil der Grundlage blieb stehen zum Angedenken seiner Mühle.

Der Werwolf. (Mündlich in Hessen)
Ein Soldat erzählte folgende Geschichte, die seinem eigenen Großvater begegnet
sein soll. Dieser, sein Großvater, sei einmal in den Wald Holzhauen gegangen,
mit einem Gevatter und noch einem Dritten, welchen Dritten man immer im Verdacht
gehabt, dass es nicht ganz richtig mit ihm gewesen; doch so hätte man nichts
Gewisses davon zu sagen gewusst. Nun hätten die Drei ihre Arbeit getan und waren
müde geworden, worauf dieser Dritte vorgeschlagen, ob sie nicht ein bisschen
ausschlafen wollten. Das sei denn nun so geschehen, jeder hatte sich nieder an
den Boden gelegt; er, der Großvater, aber nur so getan, als schliefe er und die
Augen ein wenig aufgemacht. Da hatte der Dritte erst recht um sich gesehen, ob
die andern auch schliefen und als er solches geglaubt, auf einmal den Gürtel
abgeworfen und wäre ein Werwolf gewesen, doch sehe ein solcher Werwolf nicht
ganz aus, wie ein natürlicher Wolf, sondern etwas anders. Darauf wäre er
weggelaufen zu einer nahen Wiese, wo gerade ein junges Fohlen graste, das hätte
er angefallen und gefressen mit Haut und Haar. Danach wäre er zurückgekommen,
hätte den Gürtel wieder umgetan und nun, wie vor, in menschlicher Gestalt
dagelegen. Nach einer kleinen Weile, als sie alle zusammen aufgestanden, wären
sie heim nach der Stadt gegangen und wie sie eben am Schlagbaum gewesen, hätte
jener Dritte über Magenweh geklagt. Da hätte ihm der Großvater heimlich ins Ohr
geraunt: „Das will ich wohl glauben, wenn man ein Pferd mit Haut und Haar in den
Leib gegessen hat.“ – Jener aber habe geantwortet: „Hättest du mir das im Wald
gesagt, so solltest du es jetzt nicht mehr sagen.“
Ein Weib hatte die Gestalt eines Werwolfs angenommen und war also einem Schäfer,
den sie gehasst, in die Herde gefallen und hatte ihm großen Schaden getan. Der
Schäfer aber verwundete den Wolf durch einen Beilwurf in die Hüfte, so dass er
in ein Gebüsch kroch. Da ging der Schäfer ihm nach und gedachte ihn ganz zu
überwältigen, aber er fand ein Weib, beschäftigt, mit einem abgerissenen Stück
ihres Kleides das aus der Wunde strömende Blut zu stillen.
Zu Lüttich wurden im Jahr 1610 zwei Zauberer hingerichtet, weil sie sich in
Werwölfe verwandelt und viel Kinder getötet. Sie hatten einen Knaben bei sich
von zwölf Jahren, welchen der Teufel zum Raben machte, wenn sie Raub zerrissen
und gefressen.

Quelle: Deutsche Sagen, Brüder Grimm, Berlin 1816. Schreibweise angepasst.
*Deutsche Sagen und Märchen, Albert Ludwig Grimm, Leipzig 1872.
Aufsätze schreiben für Klasse 5, Klasse 6, Klasse 7, Klasse 8:
Sagen von Gottschalck
Die goldenen Kohlen
Die Gegensteine
Das weiße Reh
Die Teufelsmauern
Der Mäuseturm (Pröhle)
Der Mäuseturm (Gottschalck)
Die Teufelsmühle
Die Sage mit Übungen
Sage: Beispiele, Aufbau und Merkmale. Die Sage für die Klasse 4, Klasse 5, Klasse 6. Sagen: Sagen im Unterricht 5. Klasse und 6. Klasse. Lernen an Stationen. Stationenlernen für Sagen im Unterricht. Die Sage im Deutschunterricht - Unterrichtseinheit und Unterrichtsmaterial.
Sagen mit Merkmalen, Beispielen und Übungen