Die Sagen von Gottschalck
Sagen mit Beispielen
Die goldenen Kohlen
Die Gegensteine
Das weiße Reh
Die Teufelsmauern
Der Mäuseturm (Pröhle)
Der Mäuseturm (Gottschalck)
Die Teufelsmühle
Die goldenen Kohlen (Sage)
Nahe bei der Stadt Aschersleben liegt in dem engen Tale, das die Eine
durchfließt, eine Mühle. Groß und stattlich sind ihre Gebäude, die Wohlhabenheit
des Besitzers verkündend. Früher lebte aber einer ihrer Eigentümer in großer
Armut, bis ihn folgende wunderbare Begebenheit schnell zu einer nie gekannten
noch erwarteten Wohlhabenheit verhalf.
Ein bei ihm dienendes Mädchen erwachte einst mitten in der Nacht. Sie sah ihr
Kämmerlein durch das Mondlicht erhellt, glaubte, der Tag breche schon an und
erschrak gewaltig, dass sie vielleicht die Zeit verschlafen habe. In wenigen
Minuten hatte sie sich angekleidet und schlich nun leise, damit es der Herr
nicht hören sollte, zur Küche, um Feuer anzumachen. Sie pickte und pickte, aber
Zunder, Stahl und Stein versagten ihr hartnäckig den Dienst. Da fällt ihr Blick
auf das Küchenfenster und – da glüht ihr drüben von der andern Seite des Berges
her ein helles Kohlenfeuer entgegen. Zwar wundert es sie, wo das Feuer da an den
grünen Berg herkomme; indessen hält sie die Gelegenheit für gut, sich gleich
Feuer zu verschaffen, wirft das Feuerzeug weg, ergreift eine hölzerne Mulde und
geht hin nach der Stelle, um sich Kohlen zu holen.
Als sie näher kommt, sieht sie, dass Männer mit sonderbaren Gesichtszügen und in
einer längst veralteten Tracht sich schweigend und unbeweglich um das
Feuer´gelagert haben. Mutig von Natur und weder was Arges ahndend noch wollend,
lässt sie sich durch diese Erscheinung nicht irre machen, geht darauf zu, füllt
rasch ihr Gefäß mit den glühenden Kohlen, eilt nach der Mühle zurück und ist
froh, auf diese Weise gleich viel Feuer auf einmal erlangt zu haben.
Kaum aber hat sie die Kohlen auf den Herd geschüttet und sich nach Holz
niedergebückt, als sie auch alle schon wieder erloschen sind. Sie wundert und
ärgert sich darüber, bläst und bläst, dass sie ganz außer Atem kommt, aber,
nichts da – die Kohlen sind tot und bleiben tot. Schnell nimmt sie das Gefäß,
eilt wieder hinaus, um frische Kohlen zu holen und sucht sich nun die größten
und glühendsten aus, denkend: die werden doch glühend bleiben. Aber kaum liegen
diese auf dem Herde, so sind sie auch schon wieder schwarz und tot.
Unbegreiflich ist ihr dies abermalige Erlöschen. Sie schüttelt den Kopf, ist
unschlüssig, was sie tun soll, geht indessen zum dritten Mal hinaus, Kohlen zu
holen, doch mit dem festen Vorsatz, zum letzten Mal. Wie die beiden ersten Male,
füllt sie furchtlos ihr Gefäß mit den besten Kohlen an, aber, indem sie sich
umdreht um zurück zu gehen, hört sie hinter sich mit drohender Stimme rufen:
„Nun komm nicht wieder!“
Von Furcht plötzlich ergriffen, läuft sie hastig der Mühle zu und wirft mit
einem heimlichen Schauder die Kohlen auf den Herd, welche, wie die vorigen, im
Nu verlöschen. Eiskalt läuft es ihr über den ganzen Leib, sie zittert und blickt
scheu und bange durch das Küchenfenster nach dem Feuer hin. Das dauert ungefähr
zwei Minuten, da fängt die Turmuhr in der Stadt an zu schlagen. Sie schlägt und
schlägt eine lange Reihe. Jetzt ertönt der letzte, der zwölfte Schlag und – weg
ist das hell glühende Kohlenfeuer, weg sind die seltsamen Gestalten, nicht eine
Spur davon ist noch sichtbar.
Von den Schrecken der Mitternacht ergriffen, von den Schauern der Geisterwelt
angeweht, eilt sie aus der Küche, ihrem Kämmerlein zu, verbirgt sich tief in ihr
Bett, zittert und bebt und schläft endlich, von der ungewöhnlichen Spannung
ermüdet, ein.
Am andern Morgen erwacht zuerst der Müller. Da noch alles im Hause schläft, so
geht er in die Küche, um selbst Feuer anzumachen. Aber wie erstaunt er, als es
ihm vom Herde wie lauter Gold entgegenstrahlt. Er untersucht und findet – pure
gediegene Goldstücke.
Ob er dem unschuldigen Dienstmädchen, das ihn in argloser Einfalt so reichlich
beschenkte, dankbar war, das verschweigt die Sage; aber seitdem stieg ein
schönes großes Mühlengebäude auf dem Grunde des alten ärmlichen hervor und der
Besitzer war nun ein reicher, reicher Mann.

Die Gegensteine. (Sage)
Zwischen Ballenstedt und Quedlinburg liegen auf einer Anhöhe zwei isoliert
stehende Sandsteinfelsen, die Gegensteine genannt. Vermutlich heißen sie
deswegen so, weil sie seitwärts gegeneinander liegen. Der eine, der etwas
niedriger als der andere liegt, gibt, wenn man gegen seine Mittagsseite spricht,
jeden Ton, jedes Wort im Echo zurück, und heißt daher „der Laute“. Der andere
besitzt diese Eigenschaft nicht und man nennt ihn „den Stummen“.
Böse Geister trieben hier sonst ihr Wesen und dem Wanderer war es grausend und
fürchterlich, bei nächtlicher Weile vorbei zu gehen. Doch wichen sie Menschen,
die reines Gewissens und vertrauend auf Gott, ihnen gerade entgegengingen.
Einst, es war im Frühjahr, ritt kurz vor Sonnenaufgang ein Ackermann aus
Ballenstedt auf seinem vor Alter und kärglichem Futter matten Pferde zwischen
den Gegensteinen durch, um auf seinem dahinter liegenden Acker zu säen. Des
öfter schon gerittenen Weges kundig, saß er in Gedanken vor sich hin auf dem
alten Gaule. Erst als er seinen Acker erreicht hatte, blickt er um sich. Aber
wie erstaunte er! Die Gegend war ganz verändert und vor ihm zeigte sich eine
tiefe und geräumige Höhle. Nie hatte er sie bemerkt und konnte sich auch gar
nicht erinnern, je davon gehört zu haben. Die Neugierde trieb ihn an, sich ihrer
Öffnung zu nähern. Da erblickte er eine große Pfanne voll Gold, auf selbiger
eine silberne Tafel, in welche Zahlen eingegraben waren, neben dieser eine
schöne neue Peitsche, dabei aber einen, alle diese Kostbarkeiten bewachenden,
großen, schwarzen Hund mit feurigen Augen.
Lange stand er vor den schönen Sachen, musterte sie sorgfältig und war
unentschlossen, was er tun solle. Die Peitsche wünschte er sehnlich zu haben und
eine Hand voll Geld auch. In Gedanken berechnete er schon, wie er seine Umstände
dann verbessern und ein gemächlicheres Leben führen könne, wenn nur der fatale
Hund nicht gewesen wäre. Indessen nahm er sich doch ein Herz, ging näher, sah
dabei immer den schwarzen Wächter an und da dieser ganz ruhig lag, wollte er
schon zugreifen; aber da erhob sich dieser, knurrte, fletschte die Zähne und der
Ackermann trat zitternd zurück. Drei Mal wagte er es, so zuzugreifen und
jedes Mal widersetzte sich das Tier. Da wurde er unwillig, fluchte, und wünschte
laut den Hund zu allen Teufeln. Was geschah! Der Nebel verschwand, weg war der
Hund und vor dem erschrockenen Manne erhob sich ein Wesen, halb tierischer, halb
menschlicher Gestalt, wie nur je das böse Gewissen den Teufel sich ausmalt.
Unwillig schüttelte es seinen Kopf und mit Sausen und Brausen fuhr es hoch in
der Luft mit der Pfanne und Tafel nach einem der Gegensteine hin, trat mit dem
Fuße davor, und – von einander teilte sich dieser, nahm das Ungetüm ein, und
schwapp – da fuhren beide Teile wieder zusammen.
Der Ackermann stand da und wusste nicht, wie ihm geschehen. – Lange hörte er
noch das Klingeln des Geldes, wie es hinunter in den Gegenstein fiel. Nur die
Tafel sah er noch und viele Zahlen darauf, welche die Summen des Schatzes
anzeigten.
Wo die Höhle gewesen, wusste er nicht mehr; die Peitsche lag zwar da, aber er
rührte sie nicht an, denn sie war ja vom Teufel.
Hier in dem Gegensteine sitzt nun das Ungetüm noch und verspottet die
Vorübergehenden; denn fragt man es, so erhält man immer dieselbe Antwort. Alle
Töne und Stimmen ahmt es nach, spukt auch, aber sehr selten, in menschlicher
Gestalt um Mitternacht in der Gegend umher, um den Wanderer zu irren.

Das weiße Reh.
Bei Baden im Badenschen heißt eine Höhe „der Hasensprung.“ An dieser rieselt in
dem etwas verwilderten Steinwäldchen unter einer Eiche aus altem Gemäuer eine
Quelle hervor, heimlich und frisch. Stärker läuft sie beim Vollmond, weniger
stark beim abnehmenden Lichte.
Von diesem Brünnlein geht folgende Sage:
Ein Jüngling kam einst beim ersten Morgenrot in diesen Hain und sah auf einer
blumenreichen Wiese ein milchweißes Reh weiden. Das seltsame Tier gefiel ihm
sehr.
„Das muss ich haben!“, rief er aus, schlich leise darauf zu, streckte schon,
zitternd vor Begierde, die Hand darnach aus, aber – dort lief es hin und zum
Brunnen, auf dessen Einfassung eine Jungfrau von wunderbarer Schönheit saß. In
ihren Schoß legte es seinen Kopf.
Der Jüngling blieb unbeweglich stehen und staunte die liebliche Erscheinung an.
Er wusste nicht, was er beginnen sollte. Die Furcht trieb ihn zu fliehen, aber
die Schönheit der Jungfrau hielt ihn gefesselt.
„Was tu’ ich?“, fragte er sich eben leise; da winkte ihm die Jungfrau, rückwärts
zu schauen. Er tat’s, sah aber nichts. Jetzt drehte er sich wieder um und – fort
war das milchweiße Reh, fort war die schöne Jungfrau. Nie sah sie der Jüngling
wieder, so oft er auch mit anbrechendem Tage die Wiese betrat, die rieselnde
Quelle begrüßte.

Die Teufelsmauern. (Sage)
Der Teufelsmauern gibt es mehrere. Zwei davon befinden sich an der Nordseite des
Harzes, zwischen den Städten Blankenburg und Ballenstedt. Die eine besteht aus
einer unzähligen Menge von Steinen, welche in einer langen Linie, die sich durch
den Wald zieht, aufeinander gehäuft sind, als hätte man eine hohe lange Mauer
abgetragen. Da die Steine von keiner ungewöhnlichen Größe sind und locker
aufeinander wie hingeschüttet liegen, so wird man versucht, zu glauben, dass sie
von Menschenhänden zur Errichtung eines Gebäudes hierher gebracht wurden oder
dass ein Gebäude hier stand und abgebrochen wurde. Die wahre Ursache ihrer
entstandenen Aufhäufung möchte sich kaum aufdecken lassen.
Diese Teufelsmauer liegt hoch oben auf den Vorharzgebirgen.
Nicht fern davon, am Fuße dieser Gebirge, im flachen Lande, findet man die
andere Teufelsmauer. Diese ist ein schmaler Felsenriff, der bei der Stadt
Blankenburg anhebt und mit Unterbrechungen sich an zwei Stunden lang fortzieht.
Seine Klippen ragen in grotesken Gestalten auf dem Rücken eines niedrigen
Bergzugs, Heidelberg genannt, hervor und gleichen sehr täuschend einer von
ungeheueren Quadern aufgeführten Riesenmauer.
Von diesen beiden Teufelsmauern erzählt das Volk folgendes Märchen (Sage):
Der Teufel habe lange Zeit mit Gott um die Herrschaft der Erde gestritten.
Endlich sei zwischen ihnen eine Teilung derselben verabredet und die Grenze
gezogen worden. Um nun diese genau zu bezeichnen und auch die Verkündiger der
Lehre Jesu von seinem Anteil zurück zu halten, hätte der Teufel die vorhin
zuerst erwähnte Mauer errichtet. Bald wäre ihm aber sein Reich nicht groß genug
gewesen, er hätte von Gott noch eine Vergrößerung verlangt und auch erhalten;
worauf er jene Mauer wieder umgeworfen und die zweite errichtet gehabt.
Eine dritte Teufelsmauer gibt es im Süden Deutschlands. Sie fängt bei Pföring an
der Donau an, läuft über die Landstraße von Nürnberg nach Ingolstadt hinweg und
so fort bis in die Vorstadt von Gunzenhausen, dann nach Dünkelsbühl, über die
Jaxt durch das Fürstentum Oettingen und bis an den Neckar.
Diese viele Stunden lange Mauer ist ein von Menschenhänden errichtetes Werk und
stammt noch aus den Zeiten der römischen Herrschaft in Deutschland her. Kaiser
Hadrian errichtete hier zuerst eine Landwehre, indem er lange starke Pfähle
einschlagen und mit Weißdorn dicht bepflanzen ließ, was eine undurchdringliche
Hecke bildete. Die Römer nannten es Vallatum, die Deutsche Pfahlhecke.
Kaiser Probus ließ hierauf eine Mauer mit vielen Türmen daneben aufführen, wovon
noch jetzt kleine Reste übrig sind.
Der gemeine Mann, der ein solches riesiges Unternehmen menschlichen Kräften
nicht zutraute, schrieb es dem Teufel zu. Man nannte es eine Teufelsmauer und
erzählt dabei, so wie bei jenen Teufelsmauern, dass der Teufel von Gott ein
Stück der Erde als Eigentum verlangt habe. Gott habe auch eingewilligt und ihm
so viel abzutreten versprochen, als er in einer Nacht vor dem ersten
Hahnenschrei mit einer Mauer umgeben könne. Der Teufel habe darauf das Werk
begonnen, sei auch fast damit fertig gewesen, als der Hahn sich hatte hören
lassen. Wütend über die fehlgeschlagene Hoffnung hätte er alles wieder
umgestürzt und die mühsam zusammengetragenen Steinklumpen umhergeschleudert.
Eine vierte Teufelsmauer ist bei Lieberose in der Niederlausitz zu finden.
Mit dem Besitzer des Gojazer Gasthofs bei Lieberose machte der Teufel einst ein
Bündnis, worin er von seiner Seite ihm versprach, in einer Nacht um seinen
Weinberg und sämtlichen Acker eine Mauer aufzuführen, den Hofraum zu pflastern
und damit vor dem ersten Hahnenschrei fertig zu sein. Wozu sich jener dagegen
verpflichtete, verschweigt die Sage. Wahrscheinlich aber musste er ihm seine
Seele, der gewöhnliche Preis, um den der Böse solche Dienste leistete,
verschreiben.
Aber so rüstig und emsig auch der Teufel arbeitete, so krähte doch der Hahn
früher, als er fertig und eben im Begriffe war, im Hofe noch einen großen Stein
anzubringen. Diesen nahm er voll Zorn und warf ihn, ob er gleich fünfzehn
Zentner schwer war, mit einer Hand über das Tor hinweg, wo er vor mehreren
Jahren noch mit fünf Löchern, die seine Finger eingedrückt hatten, lag.
Noch sieht man die um den Weinberg aus ungeheueren Feld- und Bruchsteinen
aufgeführte Mauer, die nur eine teuflische Macht so bauen konnte und findet
viele Äcker mit großen Steinen eingefasst.

Der Mäuseturm.* (Sage)
Im zehnten Jahrhundert nach Christi Geburt lebte der Erzbischof Hatto von Mainz.
Er hatte nicht den Grundsatz „Geben ist seliger denn nehmen“, gehörte im
Gegenteil zu jenen vornehmen und reichen geistlichen Herren, von denen man
sagte, dass sie jeden, der bei ihnen eintrat, nur fragten „Was bringen Sie?“,
weil sie nur an das Eintreiben von Zehnten und Sporteln gewöhnt waren und die
Gebote des Herrn, die Gebote der Liebe und Barmherzigkeit, selbst nicht hielten.
Zu den Zeiten dieses Bischofes Hattonis nun geschah es, dass eine große
Hungersnot am Maine und am Rheine ausbrach. Hatto hatte viel Korn in Mainz
aufgespeichert, das er als Zehnten von den Feldern weit um Mainz her hatte
abholen lassen. Denn auch für ihn wie für die andern Erzbischöfe galt der
Spruch: „Von der Huf’ ein Wispel, von der Huf’ ein Wispel.“ Und alle die Wispel
hatte er nach Mainz fahren lassen und da lagen sie in seinem Magazine, bis die
Preise in die Höhe gingen, dann aber „schlug er los“, wie der Geschäftsausdruck
lautet, trotz seiner erzbischöflichen Würde immer zu den höchsten Preisen und
mit Korn beladen gingen seine Schiffe rheinauf und rheinab.
Die Hungersnot am Rhein war entstanden, wie die Hungersnot gewöhnlich entsteht.
Im Frühling hatten lange Zeit die Nachtfröste Schäden angerichtet, im Sommer
aber hatte es fast täglich geregnet, das Getreide hatte sich gelagert und musste
an vielen Stellen wie Gras als Futter für das liebe Vieh abgemäht werden.
Die Obsternte der Mainzer und die Weinernte der Winzer war auch missraten. Da
holten die Kellermeister des Erzbischofs die alten Jahrgänge des Weins hervor
und das Volk hörte auf der Straße, dass es im erzbischöflichen Palaste alle Tage
herrlich und in Freuden herging. „Hoch, hoch, Erzbischof Hatto!“, hörte man
seine Gäste an brechenden Tafeln rufen. Und es war richtig, Erzbischof Hatto war
ein vortrefflicher Wirt, nur ein Diener des Herrn nach dem Herzen Jesu war er
nicht.
Vergebens versammelten sich die Hungernden um die Burg zu Mainz und schrien nach
Brot. Er ließ sie abweisen und als sie wieder kamen und nur verlangten, dass er
das Korn zu einem billigeren Preise verkaufen solle, verweigerte er ihnen auch
das. Endlich kam das Volk noch einmal wieder, wollte den vollen Preis entrichten
und verlangte nur, dass ihm Teilzahlungen gestattet würden. „Erst Geld, dann
Ware!“, rief aber der Bischof und dabei blieb er.
Aber das Volk kam immer wieder, selbst als Hatto die Leute durch bewaffnete
Knechte hatte vom Schloßhofe treiben lassen.
Da gab der harte Mann einem Verwalter Befehl, die Leute in eine der Scheunen
eintreten zu lassen, wo sie mit wahrer Gier etwas Korn auf der Tenne
betrachteten. Sie ahnten nichts Schlimmes, als sich die Scheune gleich darauf
wieder hinter ihnen schloss. Sie glaubten nur, dass sie etwas warten sollten, um
einen günstigen Bescheid von dem Erzbischof zu erhalten oder wenigstens in
Unterhandlungen mit demselben eintreten zu dürfen. Allein der Erzbischof hatte
beschlossen, sich nun seiner Dränger ein für allemal zu entledigen. Er ließ die
Scheune an vier Ecken anzünden.
Als nun die unglücklichen Opfer des Geizes und der Rohheit des Bischofs ein
Klagegeschrei erhoben, sagte dieser wohlgefällig zu seinen erschrockenen Gästen:
„Hört nur, wie die Mäuse in der Scheune piepen!“, wie es denn in der Tat in
einer wohlgefüllten Scheune nicht leicht an Mäusen zu fehlen pflegt, so dass das
Piepen der Mäuse in einer wohlgefüllten Scheune sonst für den Erntesegen des
Jahres wohl das beste Zeugnis ablegt.
Als aber die Scheuer soeben geschlossen worden war, hinkte noch eine alte Frau
am Stocke daher, die um etwas Mehl bitten wollte. Sie hörte diese Worte des
Bischofs und wünschte ihm dafür, dass die Mäuse all sein Mehl und sein Korn und
dann ihn selbst fressen sollten.
Ihre Verwünschung wurde erfüllt. In der Scheune, wo der Bischof die Menschen
hatte verbrennen lassen, zeigten sich während der Nacht Scharen von Mäusen, die
sich bald über alle Scheunen, Kornspeicher, Mühlen und Mehlkammern verbreiteten.
Der Bischof selbst konnte sich ihrer nicht erwehren, denn sie drangen in sein
Schlafgemach ein, ließen ihm durch ihr Geknusper in der Nacht keine Ruhe und
hüpften bald auch im Speisezimmer auf seiner fürstlichen Tafel umher.
Bischof Hatto erinnerte sich jetzt an die Verwünschung der Alten und es ward ihm
bange für sein Leben. Er ließ seinen Baumeister kommen und befahl ihm den
Mäuseturm mit mehreren Gemächern und einer Schlafkammer ganz freistehend in die
Wellen des Rheins bei Bingen zu bauen, wo der Rhein am wildesten flutet. Durch
keinerlei Brücke sollte er mit dem Lande verbunden sein. Wollten die Mäuse ihn
dann nach dem Mäuseturme verfolgen, so sollten sie alle im Rheine ertrinken. Mit
Vergnügen beobachtete er nun die Mäuse, welche seine Diener in der Mausefalle
fingen und in einen Eimer mit Wasser warfen. Eine Zeit lang schwammen sie
aufgerichtet wie die Tanzbären im Wasser hin und her, sperrten den Mund auf wie
eine Karpfenschnauze und versanken bald darauf tot im Wasser. So sollte es
seinen Feinden, den Mäusen, auch im Rheine ergehen, wenn sie ihm nach dem
Mäuseturme folgen wollten.
Als der Mäuseturm fertig war, ließ er sich an einem schönen Sommerabende
hinüberschaffen. Er schaute bei Sonnenuntergang hinaus auf den Rhein und freute
sich über seine Schiffe, die noch mit Korn oder Mehl beladen nach den nächsten
Städten vorbeifuhren, damit die Bäcker, die ihm schweres Geld für die Ladung
bezahlten, am andern Morgen die Binger mit Gebäck versehen konnten. Zufrieden
schaute er auf die großen Wellen, welche den Mäuseturm umspielten und jede Woge
kam ihm wie ein Panzer gegen die Mäuse vor. Er dachte einen recht langen und
ruhigen Schlaf zu tun. Seine Dienerschaft schickte er fort. Als sie aber am
andern Morgen wiederkam, fand sie nur noch das Skelett des Erzbischofs. Das
Übrige hatten die Mäuse gefressen. Sie waren ihm durch den Rhein gefolgt.
Der Mäuseturm.
Wer die reizenden Gegenden des Rheins von Mainz bis Koblenz durchwanderte oder
auf den klaren Fluten des alten deutschen Stroms die großen Bilder einer großen
Natur vor dem trunkenen Auge magisch vorüberziehen ließ, dem zaubert auch gewiss
die Erinnerung das Bild des alten wankenden Turms herbei, dessen Namen er hier
als Überschrift liest; sieht ihn wieder vor sich, wie er auf der kleinen Insel
unter Bingen, nahe dem linken Ufer, dem Rhein entsteigt und hört noch den
geschwätzigen Schiffer, der ihm mit ernster Miene die seltsame Mähre des Turms
erzählte, und schaudernd, ob des schrecklichen Beispiels von bestrafter
Pfaffengrausamkeit alter Zeiten, ein „Gott sei bei uns!“ ausrief.
Es war nämlich im Jahre nach Christi Geburt 968, als Hatto II., der Ostfranken
Herzog mit dem Beinamen Bonosus, Abt zu Fulda, ein Mann von großer Klugheit und
überhaupt glänzenden Geistesgaben, zum Erzbischof von Mainz erwählt ward. Er war
aber ein hartherziger Mann und dem Geize sehr ergeben, häufte daher Schätze auf
Schätze und verwahrte sie sorgfältig.
Während seiner Regierung geschah es nun, dass zu Mainz und in der umliegenden
Gegend eine so große Hungersnot eintrat, dass die Armen aus Mangel an
Lebensmitteln ihr Leben nicht mehr fristen konnten, dahinstarben. Ein großer
Haufe drängte sich vor Hattos Schloss und bestürmte ihn mit flehentlichen Bitten
um Linderung ihrer Not.
Der hartherzige Mann verweigerte es ihnen und schalt sie, dass sie müßiges
schlechtes Volk wären und nicht arbeiten wollten. Die Armen wurden ungestümer
und forderten mit furchtbarer Stimme Brot. Da ließ Hatto eine große Anzahl
Hungriger, unter dem Vorwand, als sollten Früchte und Lebensmittel unter ihnen
ausgeteilt werden, in einige Kornhäuser sich sammeln, ließ sie dann zuschließen
und in Brand stecken, so dass alle den elenden Tod in den Flammen starben; und
während der Unglücklichen Klagegeschrei aus dem Feuer himmelan stieg, rief er
mit ruchloser Fühllosigkeit den Mithelfern des Verbrechens zu: „Hört ihr, wie
die Mäuse pfeifen!“ –
Aber es schwieg nicht bei dieser Gräueltat die Rache des Himmels, die einen
wunderbaren und noch nie erhörten Tod über Hatto verhängte. Es entstand nämlich
und stürzte aus der Asche der erbärmlich Verbrannten ein solches Heer Mäuse auf
ihn zu, dass, wohin er sich auch wenden mochte, diese Tiere mit Bissen ihn
verfolgten. Flüchtete er sich auf die steilsten und höchsten Orte, – an den
Wänden hinauf kletterten sie ihm nach. Schloss er sich noch so eng ein, so
drangen sie durch die kleinsten Ritzen, stürmten in überschwänglicher Menge auf
ihn los und bissen, zerfleischten und zernagten ihn. Und so groß war ihr
Ungestüm, dass, je heftiger man sie abzutreiben suchte, mit desto stärkerer und
erneuerter Wut sie auf ihn los gingen, – ja, wo sie an Wänden und Tapeten seinen
Namen fanden, den nagten sie weg.
Als sich nun der Bischof in dieser jämmerlichen Lage zu Lande nirgends sicher
sah, da suchte er im Wasser Hilfe. Er ließ deshalb schnell einen Turm in den
Rhein bauen und floh in einem Kahn dahin. Durch doppeltes Bollwerk sich sicher
wähnend, hoffte er, der reißende Strom werde den Mäusen den Zugang zu ihm
verwehren und er so vor ihrer Wut gerettet sein. Allein auch hier entging er der
göttlichen Rache nicht. Die Mäuse schwammen in so ungeheurer Anzahl über den
Strom, dass sie, obgleich eine Menge ersoff, dennoch Tausende am Turme
anlangten. Nun kletterten sie an den Mauern hinauf, drangen überall ein, dem
Bischofe nach und zerfleischten ihn so, dass er endlich des jämmerlichsten Todes
sterben musste.

Die Teufelsmühle. (Sage)
Im Bernburgischen Anteile des Harzes gibt es einen hohen Berg, der „Ramberg“
heißt und drei Stunden von Ballenstedt entfernt ist. Auf seiner abgerundeten
Oberfläche liegen Granit-Felsstücken von ungeheurer Größe in sonderbaren Gruppen
auf einandergetürmt und rings umher, auf tausend Schritte weit hinab, ist der
Berg mit großen und kleinern Granitstücken übersät. Wahrscheinlich bildeten sie
vormals alle eine hohe Felsenpyramide, die bei einer Erschütterung oder bei
einer andern Begebenheit auf der Erde einstürzte und wodurch ihre Bestandteile
in solche unzählige Bruchstücke umhergeschleudert wurden. Jene Gruppe von Felsen
führt den Namen Teufelsmühle, zu dessen Erklärung das Volk sich
folgendes Mährchen erzählt.
Am Fuße des Rambergs hatte ein Müller eine Windmühle. Lange schon stand sie da,
war seit Jahrhunderten bei seiner Familie gewesen, immer vom Vater auf den Sohn
fortgeerbt, hatte stets ihren Mann genährt und ruhige genügsame Bewohner gehabt.
Kaum aber war unser Müller Besitzer davon, als er hier und da Mängel und Fehler
an ihr bemerkte. Besonders klagte er über den wenigen Wind, den er habe und
verfiel daher auf die Idee, auf die höchste Spitze des Rambergs eine neue Mühle
zu erbauen. Aber wie dies bewerkstelligen? – Wie sollte er diese gegen die
heftigen Windstürme auf dieser Höhe sichern? Wo den Baumeister dazu hernehmen?
Diese Hindernisse und die daraus fließende Folge, dass seine Idee nie ausgeführt
werden könne, machten ihn äußerst verdrießlich. Ungeduldig wälzte er sich oft
des Nachts auf seinem Lager herum, tat jede Arbeit mit Missvergnügen und war Tor
(dumm) genug, nicht einzusehen, dass er nach der Erreichung seines Wunsches
nicht zufriedener als zuvor sein werde.
Der gehörnte Schwarze, der sich damals weit mehr um alle Kleinigkeiten der
Menschen bekümmerte, gegenwärtig aber dieses undankbare Geschäft den Menschen
selbst überlassen hat, witterte nicht so bald die Wünsche des Windmüllers, als
er ihm einst des Nachts erschien und seine gehorsamen Dienste anbot.
Dem Müller kam das nun zwar ganz gelegen, allein die Bedingungen, welche der
Böse ihm machte, seine Seele ihm dafür zu verschreiben, wollte er gar nicht
akzeptieren. So gern er auch seinen Wunsch ausgeführt gesehen, so konnte er sich
doch nicht gleich entschließen, den Vertrag einzugehen und bat sich daher einige
Tage Bedenkzeit aus.
Hatte der Müller vorher keine Ruhe gehabt, so hatte er sie nun noch weniger.
Gedankenvoll ging er die Tage der Bedenkzeit um seine Wohnung herum, betrachtete
sie überall genau, um zu untersuchen, ob er es nicht lieber beim Alten lassen
solle und war schon im Begriff, es zu tun, als eine zweitägige Windstille
eintrat, die ihn außer Stand setzte, ein Korn zu mahlen. Dieser Umstand
bestimmte ihn, dem Teufel den Bau zu einer neuen Mühle zu überlassen und sich
ihm dafür mit Leib und Seele zu verschreiben. Der Böse kam zur bestimmten Zeit
wieder. Der Müller verschrieb sich ihm mit seinem Blute als Eigentum und erhielt
dagegen die Versicherung, dass er noch dreißig Jahre leben solle und dass er ihm
eine ganz tadellose Mühle von sechs Gängen auf die Spitze des Rambergs, und zwar
in der darauf folgenden Nacht schon, noch vor dem ersten Hahnengeschrei, erbauen
wolle.
Kaum senkten sich die Schatten nieder, als der höllische Baumeister sein Werk
begann. Er türmte Felsen auf Felsen, die ihm seine Helfershelfer vom Brocken
herüber warfen und siehe – die Mühle stand in wenigen Viertelstunden da. Groß
und dauerhaft war das Werk, für eine Ewigkeit fest genug. Da ging er zum Müller
hinab, um ihn hinzuführen, das Werk zu zeigen und es seiner Prüfung zu
unterwerfen. Zitternd und von Angst erfüllt folgte ihm dieser. Es war eine
finstere Sommernacht; die Winde sausten in den Wipfeln der hohen Eichen und
Tannen, den Himmel überzogen schwarze Regenwolken, Blitze durchleuchteten die
dunkeln Wassermassen, doppelt und dreifach krachte der Donner in den tiefen
Tälern, die Erde bebte, und unserm Müller das Herz. Gern wäre er umgekehrt, gern
mit dem väterlichen Erbe jetzt zufrieden gewesen, allein zu spät war seine Reue.
Nur die Hoffnung stärkte ihn, irgendeinen Fehler an dem Bau zu entdecken. Aber
wie erstarrte er, als eine vollkommen eingerichtete Windmühle vor ihm stand,
deren mächtige Flügel sich langsam herumwälzten.
Mit selbstzufriednem Hohngelächter fragte ihn der Teufel, ob er etwas daran
auszusetzen habe.
„Nichts, gar nichts!“, stotterte der bebende Müller und wollte schon das Werk
unter den versprochenen Bedingungen annehmen, als er plötzlich „Halt!“ schrie
und seinen Bauherrn auf einen noch fehlenden unentbehrlichen Stein aufmerksam
machte.
Zwar leugnete der Geschwänzte die große Notwendigkeit des Steines lange, da aber
der Müller darauf beharrte, dass er noch eingesetzt werde, so erklärte er sich
dazu bereit.
Schon schwebte er in der Luft mit dem fehlenden Stein, siehe, da krähte unten
auf der Mühle der Hahn.
„Halt!“, schrie der Müller nochmals, „wir sind quitt!“ und fort lief er, seiner
alten Wohnung zu.
Wütend über den verfehlten Zweck fasste der Teufel das Gebäude, riss Flügel,
Räder und Wellen auseinander, schmiss sie in die Luft, schleuderte die hoch in
die Wolken aufgetürmten Felsen umher, dass sie den ganzen Ramberg bedeckten und
nur der kleine noch vorhandene Teil der Grundlage blieb zum ewigen Andenken
stehen. Doch war dies nicht die einzige Rache, die er nahm; denn kaum dass der
Müller mit leichterem Herzen seine alte Wohnung wieder erreicht hatte, so warf
der Unhold ein Felsstück hinab auf die morsche Hütte und zertrümmerte sie mit
allen ihren Bewohnern im Nu.
Quelle: Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, Friedrich Gottschalck, 1814.
Rheinlands schönste Sagen und Gedichte, Heinrich Pröhle, 1886. Schreibweise
angepasst.
Die Sage in Klasse 4, Klasse 5, Klasse 6 und Klasse 7.
Sagen der Brüder Grimm
Der Rattenfänger von Hameln
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Der Werwolf (Tiere)
Die Sage mit Beispielen
Sage: Beispiele, Aufbau und Merkmale. Die Sage für die Klasse 6, Klasse 7, Klasse 8.
Sagen mit Merkmalen, Beispielen und Übungen