Fabeln von Christian Fürchtegott Gellert

Christian Fürchtegott Gellert  (1715–1769)
Der Tod der Fliege und der Mücke
Die Nachtigall und die Lerche
Der Zeisig
Der Tanzbär
Das Füllen
Der Fuchs und die Elster


Der Kuckuck
Der Hund
Die Spinne
Die Biene und die Henne


Der Tod der Fliege und der Mücke
Der Tod der Fliege heißt mich dichten;
Der Tod der Mücke heischt mein Lied.
Und kläglich will ich dir berichten,
Wie jene starb, und die verschied.

Sie setzte sich, die junge Fliege,
Voll Mut auf einen Becher Wein;
Entschloss sich, tat drei gute Züge,
Und sank vor Lust ins Glas hinein.

Die Mücke sah die Freundin liegen.
„Dies Grabmal“, sprach sie, „will ich scheun“,
Am Lichte will ich mich vergnügen,
Und nicht an einem Becher Wein.

Allein verblendet von dem Scheine,
Ging sie der Lust so eifrig nach;
Verbrannte sich die kleinen Beine,
Und starb nach einem kurzen Ach.

Ihr, die ihr euren Trieb zu nähren,
In dem Vergnügen selbst verdarbt!
Ruht wohl, und lasst' zu euren Ehren
Mich sagen, dass ihr menschlich starbt.

Die Nachtigall und die Lerche
Die Nachtigall sang einst mit vieler Kunst;
Ihr Lied erwarb der ganzen Gegend Gunst,
Die Blätter in den Gipfeln schwiegen,
Und fühlten ein geheim Vergnügen.
Der Vögel Chor vergaß der Ruh,
Und hörte Philomelen zu.
Aurora selbst verzog am Horizonte,
Weil sie die Sängerin nicht genug bewundern konnte.
Denn auch die Götter rührt der Schall
Der angenehmen Nachtigall;
Und ihr, der Göttin, ihr zu Ehren,
Ließ Philomele sich noch zweimal schöner hören.
Sie schweigt darauf. Die Lerche naht sich ihr,
Und spricht: „Du singst viel reizender als wir;
Dir wird mit Recht der Vorzug zugesprochen:
Doch eins gefällt uns nicht an dir,
Du singst das ganze Jahr nicht mehr als wenig Wochen.“
Doch Philomele lacht und spricht:
„Dein bittrer Vorwurf kränkt mich nicht,
Und wird mir ewig Ehre bringen.
Ich singe kurze Zeit. Warum? Um schön zu singen.
Ich folg im Singen der Natur;
Solange sie gebeut, solange sing ich nur;
Sobald sie nicht gebeut, so hör ich auf zu singen;
Denn die Natur lässt sich nicht zwingen.“

O Dichter, denkt an Philomelen,
Singt nicht, solang ihr singen wollt.
Natur und Geist, die euch beseelen,
Sind euch nur wenig Jahre hold.
Soll euer Witz die Welt entzücken:
So singt, solang ihr feurig seid,
Und öffnet euch mit Meisterstücken
Den Eingang in die Ewigkeit.
Singt geistreich der Natur zu Ehren,
Und scheint euch die nicht mehr geneigt:
So eilt, um rühmlich aufzuhören,
Eh ihr zu spät mit Schande schweigt.
Wer, sprecht ihr, will den Dichter zwingen?
Er bindet sich an keine Zeit.
So fahrt denn fort, noch alt zu singen,
Und singt euch um die Ewigkeit.

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Der Zeisig
Ein Zeisig war’s und eine Nachtigall,
Die einst zu gleicher Zeit vor Damons Fenster hingen.
Die Nachtigall fing an, ihr göttlich Lied zu singen,
Und Damons kleinem Sohn gefiel der süße Schall.
„Ach welcher singt von beiden doch so schön?
Den Vogel möcht ich wirklich sehn!“
Der Vater macht ihm diese Freude,
Er nimmt die Vögel gleich herein.
„Hier“, spricht er, „sind sie alle beide;
Doch welcher wird der schöne Sänger sein?
Getraust du dich, mir das zu sagen?“
Der Sohn lässt sich nicht zweimal fragen,
Schnell weist er auf den Zeisig hin:
„Der“, spricht er, „muss es sein, so wahr ich ehrlich bin.
Wie schön und gelb ist sein Gefieder!
Drum singt er auch so schöne Lieder;
Dem andern sieht man’s gleich an seinen Federn an,
Dass er nichts Kluges singen kann.“

Sagt, ob man im gemeinen Leben
Nicht oft wie dieser Knabe schließt?
Wem Farb und Kleid ein Ansehn geben,
Der hat Verstand, so dumm er ist.
Stax kömmt, und kaum ist Stax erschienen:
So hält man ihn auch schon für klug.
Warum? Seht nur auf seine Mienen,
Wie vorteilhaft ist jeder Zug!
Ein andrer hat zwar viel Geschicke;
Doch weil die Miene nichts verspricht:
So schließt man, bei dem ersten Blicke,
Aus dem Gesicht, aus der Perücke,
Dass ihm Verstand und Witz gebricht.

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Der Tanzbär
Ein Bär, der lange Zeit sein Brot ertanzen müssen,
Entrann und wählte sich den ersten Aufenthalt.
Die Bären grüßten ihn mit brüderlichen Küssen,
Und brummten freudig durch den Wald.
Und wo ein Bär den andern sah:
So hieß es: Petz ist wieder da!
Der Bär erzählte drauf, was er in fremden Landen
Für Abenteuer ausgestanden,
Was er gesehn, gehört, getan!
Und fing, da er vom Tanzen redte,
Als ging er noch an seiner Kette,
Auf polnisch schön zu tanzen an.
Die Brüder, die ihn tanzen sahn,
Bewunderten die Wendung seiner Glieder,
Und gleich versuchten es die Brüder;
Allein anstatt, wie er, zu gehn:
So konnten sie kaum aufrecht stehn,
Und mancher fiel die Länge lang danieder.
Um desto mehr ließ sich der Tänzer sehn;
Doch seine Kunst verdross den ganzen Haufen.
Fort, schrien alle, fort mit dir!
Du Narr willst klüger sein, als wir?
Man zwang den Petz, davonzulaufen.

Sei nicht geschickt, man wird dich wenig hassen,
Weil dir dann jeder ähnlich ist;
Doch je geschickter du vor vielen andern bist;
Je mehr nimm dich in Acht, dich prahlend sehn zu lassen.
Wahr ist’s, man wird auf kurze Zeit
Von deinen Künsten rühmlich sprechen;
Doch traue nicht, bald folgt der Neid,
Und macht aus der Geschicklichkeit
Ein unvergebliches Verbrechen.

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Das Füllen
Ein Füllen, das die schwere Bürde
Des stolzen Reiters nie gefühlt,
Den blanken Zaum für eine Würde
Der zugerittnen Pferde hielt;
Dies Füllen lief nach allen Pferden,
Worauf es einen Mann erblickt,
Und wünschte, bald ein Ross zu werden,
Das Sattel, Zaum und Reiter schmückt.
Wie selten kennt die Ehrbegierde
Das Glück, das sie zu wünschen pflegt!
Das Reitzeug, die gewünschte Zierde,
Wird diesem Füllen aufgelegt.
Man führt es streichelnd hin und wider,
Dass es den Zwang gewöhnen soll;
Stolz geht das Füllen auf und nieder,
Und stolz gefällt sich’s selber wohl.

Es kam mit prächtigen Gebärden
Zurück in den verlassnen Stand,
Und machte wiehernd allen Pferden
Sein neu erhaltnes Glück bekannt.
Ach! sprach es zu dem nächsten Gaule,
Mich lobten alle, die mich sahn;
Ein roter Zaum lief aus dem Maule
Die schwarzen Mähnen stolz hinan.

Allein wie ging’s am andern Tage?
Das Füllen kam betrübt zurück,
Und schwitzend sprach es: Welche Plage
Ist nicht mein eingebildet Glück!
Zwar dient der Zaum mich auszuputzen;
Doch darum ward er nicht gemacht.
Er ist zu meines Reuters Nutzen
Und meiner Sklaverei erdacht.

Was wünscht man sich bei jungen Tagen?
Ein Glück, das in die Augen fällt;
Das Glück, ein prächtig Amt zu tragen,
Das keiner doch zu spät erhält.
Man eilt vergnügt, es zu erreichen,
Und, seiner Freiheit ungetreu,
Eilt man nach stolzen Ehrenzeichen,
Und desto tiefrer Sklaverei.

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Der Fuchs und die Elster
Zur Elster sprach der Fuchs: „O, wenn ich fragen mag,
Was sprichst du doch den ganzen Tag?
Du sprichst wohl von besondern Dingen?“
„Die Wahrheit“, rief sie, „breit ich aus.
Was keines weiß herauszubringen,
Bring ich durch meinen Fleiß heraus,
Vorn Adler bis zur Fledermaus.“
„Dürft ich“, versetzt der Fuchs, „mit Bitten dich beschweren:
So wünscht ich mir, etwas von deiner Kunst zu hören.“

So wie ein weiser Arzt, der auf der Bühne steht,
Und seine Künste rühmt, bald vor, bald rückwärts geht,
Ein seidnes Schnupftuch nimmt, sich räuspert, und dann spricht:
So lief die Elster auch den Ast bald auf, bald nieder,
Und strich an einem Zweig den Schnabel hin und wider,
Und macht ein sehr gelehrt Gesicht.
Drauf fängt sie ernsthaft an, und spricht:
„Ich diene gern mit meinen Gaben,
Denn ich behalte nichts für mich.
Nicht wahr, Sie denken doch, dass Sie vier Füße haben?
Allein, Herr Fuchs, Sie irren sich.
Nur zugehört! Sie werden’s finden,
Denn ich beweis es gleich mit Gründen.

Ihr Fuß bewegt sich, wenn er geht,
Und er bewegt sich nicht, solang er stillesteht;
Doch merken Sie, was ich jetzt sagen werde,
Denn dieses ist es noch nicht ganz.
Sooft Ihr Fuß nur geht, so geht er auf der Erde.
Betrachten Sie nun Ihren Schwanz.
Sie sehen, wenn Ihr Fuß sich reget,
Dass auch Ihr Schwanz sich mit beweget;
Jetzt ist Ihr Fuß bald hier, bald dort,
Und so geht auch Ihr Schwanz mit auf der Erde fort,
Sooft Sie nach den Hühnern reisen.
Daraus zieh ich nunmehr den Schluss:
Ihr Schwanz, das sei Ihr fünfter Fuß;
Und dies, Herr Fuchs, war zu beweisen.“

Ja, dieses hat uns noch gefehlt!
Wie freu ich mich, dass es bei Tieren
Auch große Geister gibt, die alles demonstrieren!
Mir hat’s der Fuchs für ganz gewiss erzählt.
„Je minder sie verstehn“, sprach dieses schlaue Vieh,
„Um desto mehr beweisen sie.“
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Der Kuckuck
Der Kuckuck sprach mit einem Star,
Der aus der Stadt entflohen war.
„Was spricht man“, fing er an zu schreien,
„Was spricht man in der Stadt von unsern Melodeien?
Was spricht man von der Nachtigall?“
„Die ganze Stadt lobt ihre Lieder.“
„Und von der Lerche?“, rief er wieder.
„Die halbe Stadt lobt ihrer Stimme Schall.“
„Und von der Amsel?“, fuhr er fort.
„Auch diese lobt man hier und dort.“
„Ich muss dich doch noch etwas fragen:
Was«, rief er, »spricht man denn von mir?“
„Das“, sprach der Star, „das weiß ich nicht zu sagen;
Denn keine Seele redt von dir.“
„So will ich“, fuhr er fort, „mich an dem Undank rächen,
Und ewig von mir selber sprechen.“
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Der Hund
Phylax, der so manche Nacht
Haus und Hof getreu bewacht,
Und oft ganzen Diebesbanden
Durch sein Bellen widerstanden;
Phylax, dem Lips Tullian,
Der doch gut zu stehlen wusste,
Selber zweimal weichen musste;
Diesen fiel ein Fieber an.
Alle Nachbarn gaben Rat.
Krummholzöl und Mithridat
Musste sich der Hund bequemen,
Wider Willen einzunehmen.
Selbst des Nachbar Gastwirts Müh,
Der vordem in fremden Landen,
Als ein Doktor, ausgestanden,
War vergebens bei dem Vieh.

Kaum erscholl die schlimme Post,
Als von ihrer Mittagskost,
Alle Brüder und Bekannten,
Phylax zu besuchen, rannten.
Pantelon, sein bester Freund,
Leckt ihm an dem heißen Munde.
O, erseufzt er, bittre Stunde!
O! wer hätte das gemeint?

„Ach!“, rief Phylax, „Pantelon!
Ist’s nicht wahr, ich sterbe schon?
Hätt’ ich nur nichts eingenommen,
Wär ich wohl davongekommen.
Sterb’ ich Ärmster so geschwind:
O! So kannst du sicher schreien,
Dass die vielen Arzeneien
Meines Todes Quelle sind.

Wie zufrieden schlief ich ein!
Sollt ich nur so manches Bein,
Das ich mir verscharren müssen,
Vor dem Tode noch genießen.
Dieses macht mich kummervoll,
Dass ich diesen Schatz vergessen,
Nicht vor meinem Ende fressen,
Auch nicht mit mir nehmen soll.

Liebst du mich, und bist du treu:
O! So hole sie herbei;
Eines wirst du bei den Linden,
An dem Gartentore finden;
Eines, lieber Pantelon,
Hab ich nur noch gestern Morgen
In dem Winterreis verborgen;
Aber friss mir nichts davon.“

Pantelon war fortgerannt,
Brachte treulich, was er fand;
Phylax roch, bei schwachem Mute,
Noch den Dunst von seinem Gute.
Endlich, da sein Auge bricht,
Spricht er: „Lass mir alles liegen!
Sterb’ ich, so sollst du es kriegen;
Aber, Bruder, eher nicht.

Sollt ich nur so glücklich sein,
Und das schöne Schinkenbein,
Das ich - doch ich mag’s nicht sagen,
Wo ich dieses hingetragen.
Werd ich wiederum gesund:
Will ich dir, bei meinem Leben,
Auch die beste Hälfte geben;
Ja du sollst –“ Hier starb der Hund.

Der Geizhals bleibt im Tode karg;
Zween Blicke wirft er auf den Sarg,
Und tausend wirft er mit Entsetzen
Nach den mit Angst verwahrten Schätzen.
O schwere Last der Eitelkeit!
Um schlecht zu leben, schwer zu sterben,
Sucht man sich Güter zu erwerben;
Verdient ein solches Glück wohl Neid?

top
Die Spinne
Hochmütig über ihre Künste,
Warf vom durchsichtigen Gespinste
Die Spinne manchen finstern Blick
Auf einen Seidenwurm zurück;
So aufgebläht, wie ein Pedant,
Der jetzt, von seinem Wert erhitzet,
In Werken seiner eignen Hand
Bis an den Bart vergraben sitzet,
Und auf den Schüler, der ihn grüßt,
Den Blick mit halben Augen schießt.
Der Seidenwurm, den erst vor wenig Tagen
Der Herr zur Lust mit sich ins Haus getragen,
Sieht dieser Spinne lange zu,
Und fragt zuletzt: „Was webst denn du?“
„Unwissender!“, lässt sich die Spinn erbittert hören,
„Du kannst mich noch durch solche Fragen stören?
Ich webe für die Ewigkeit!“
Doch kaum erteilet sie den trotzigen Bescheid:
So reißt die Magd, mit Borsten in den Händen,
Von den noch nicht geputzten Wänden
Die Spinne nebst der Ewigkeit.

Die Kunst sei noch so groß, die dein Verstand besitzet,
Sie bleibt doch lächerlich, wenn sie der Welt nicht nützet.
Verdient, ruft ein Pedant, mein Fleiß denn keinen Dank?
Nein! Denn er hilft nichts mehr, als andrer Müßiggang.

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Die Biene und die Henne
„Nun, Biene“, sprach die träge Henne,
„Dies muss ich in der Tat gestehn,
So lange Zeit, als ich dich kenne:
So seh’ ich dich auch müßiggehn.
Du sinnst auf nichts, als dein Vergnügen;
Im Garten auf die Blumen fliegen,
Und ihren Blüten Saft entziehn,
Mag eben nicht so sehr bemühn.
Bleib immer auf der Nelke sitzen,
Dann fliege zu dem Rosenstrauch,
Wär’ ich wie du, ich tät es auch.
Was brauchst du andern viel zu nützen?
Genug, dass wir so manchen Morgen
Mit Eiern unser Haus versorgen.«
„O!“, rief die Biene: „Spotte nicht!
Du denkst, weil ich bei meiner Pflicht
Nicht so, wie du bei einem Eie,
Aus vollem Halse zehnmal schreie:
So, denkst du, wär ich ohne Fleiß.
Der Bienenstock sei mein Beweis,
Wer Kunst und Arbeit besser kenne,
Ich, oder eine träge Henne?
Denn wenn wir auf den Blumen liegen:
So sind wir nicht auf uns bedacht;
Wir sammeln Saft, der Honig macht,
Um fremde Zungen zu vergnügen.
Macht unser Fleiß kein groß Geräusch,
Und schreien wir bei warmen Tagen,
Wenn wir den Saft in Zellen tragen,
Uns nicht, wie du im Neste, heisch:
So präge dir es jetzt und ein:
Wir hassen allen stolzen Schein;
Und wer uns kennen will, der muss in Rost und Kuchen
Fleiß, Kunst und Ordnung untersuchen.

Auch hat uns die Natur beschenkt,
Und einen Stachel eingesenkt,
Damit wir die bestrafen sollen,
Die, was sie selber nicht verstehn,
Doch meistern, und verachten wollen:
Drum, Henne! rat ich dir, zu gehn.“

O Spötter, der mit stolzer Miene,
In sich verliebt, die Dichtkunst schilt;
Dich unterrichtet dieses Bild.
Die Dichtkunst ist die stille Biene;
Und willst du selbst die Henne sein:
So trifft die Fabel völlig ein.
Du fragst, was nützt die Poesie?
Sie lehrt und unterrichtet nie.
Allein wie kannst du doch so fragen?
Du siehst an dir, wozu sie nützt:
Dem, der nicht viel Verstand besitzt,
Die Wahrheit, durch ein Bild, zu sagen.

C. F. Gellerts sämtliche Schriften: (Moral und Oden) 1774

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