2 Text der Ballade - Brück am Tay
Theodor Fontane
Die Brück' am Tay
When shall we three meet again?
(Shakespeare: Macbeth)
(1)
„Wann treffen wir drei wieder zusamm'?“
„Um die siebente
Stund', am Brückendamm.“
„Am Mittelpfeiler.“
„Ich lösch die
Flamm'.“
„Ich mit.“
„Ich komme vom Norden her.“
„Und ich
vom Süden.“
„Und ich vom Meer.“
„Hei, das gibt ein
Ringelreihn,
und die Brücke muß in den Grund hinein.“
„Und der
Zug, der in die Brücke tritt
um die siebente Stund'?“
„Ei, der
muß mit.“
„Muß mit.“
„Tand, Tand
ist das Gebild von
Menschenhand.“
(2)
Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen
nach Süden aus,
und die Brücknersleut', ohne Rast und Ruh
und
in Bangen sehen nach Süden zu,
sehen und warten, ob nicht ein Licht
übers Wasser hin „ich komme“ spricht,
„ich komme, trotz Nacht und
Sturmesflug,
ich, der Edinburger Zug.“
(3)
Und der Brückner jetzt: „Ich seh einen Schein
am andern
Ufer. Das muß er sein.
Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,
unser Johnie kommt und will seinen Baum,
und was noch am Baume von
Lichtern ist,
zünd alles an wie zum heiligen Christ,
der will
heuer zweimal mit uns sein, -
und in elf Minuten ist er herein.“
(4)
Und es war der Zug. Am Süderturm
keucht er vorbei jetzt
gegen den Sturm,
und Johnie spricht: „Die Brücke noch!
Aber
was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter
Dampf,
die bleiben Sieger in solchem Kampf,
und wie's auch
rast und ringt und rennt,
wir kriegen es unter: das Element.
(5)
Und unser Stolz ist unsre Brück';
ich lache, denk ich an
früher zurück,
an all den Jammer und all die Not
mit dem elend
alten Schifferboot;
wie manche liebe Christfestnacht
hab ich
im Fährhaus zugebracht
und sah unsrer Fenster lichten Schein
und zählte und konnte nicht drüben sein.“
(6)
Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen
nach Süden aus,
und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh
und in
Bangen sehen nach Süden zu;
denn wütender wurde der Winde Spiel,
und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel,
erglüht es in
niederschießender Pracht
überm Wasser unten ... Und wieder ist Nacht.
(7)
„Wann treffen wir drei wieder zusamm'?“
„Um Mitternacht, am
Bergeskamm.“
„Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.“
„Ich komme.“
„Ich mit.“
„Ich nenn euch die Zahl.“
„Und ich die Namen.“
„Und ich die Qual.“
„Hei!
Wie Splitter brach das Gebälk
entzwei.“
„Tand, Tand
ist das Gebilde von Menschenhand.“
Zusammenfassung der Ballade „Die Brück' am Tay“
Die Ballade „Die Brück' am Tay“ von Theodor Storm erzählt die tragische Geschichte eines Brückenbaues und
des Fehlschlags eines Brückenbaus. Im Mittelpunkt steht ein Ingenieur, der den Auftrag erhält, eine Brücke
über den Fluss Tay in Schottland zu bauen. Trotz widriger Umstände und warnender Stimmen
wegen der Unsicherheit der Brücke, drängt der Ingenieur darauf, die Brücke
alsbald fertigzustellen. Am Tag der Einweihung stürzt die Brücke unter den Fahrgästen
des Zuges ein. Viele Todesopfer sind die Folge.
Die Ballade brings die Anmaßung des Ingenieurs und die Folgen von Übermut und Ignoranz
trotz all der Warnungen vor den Gefahren zur Sprache. Die Katastrophe des Brückeneinsturzes
ermahnt den Leser, die eigene Verantwortung und die Naturgewalten nicht zu unterschätzen.