Balladen Beispiele - Goethe, Schiller, Fontane ...


Schiller Balladen Balladen Merkmale Brücke am Tay
Der Erlkönig Der Zauberlehrling John Maynard
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Johann Wolfgang von Goethe (Balladen)

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Der Zauberlehrling

Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben;
Seine Wort' und Werke
Merkt' ich, und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu' ich Wunder auch.

Walle! Walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe,
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.
Und nun komm, du alter Besen!
Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
Bist schon lange Knecht gewesen;
Nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
Oben sein ein Kopf,
Eile nun und gehe
Mit dem Wassertopf.

Walle! Walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe,
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Seht, er läuft zum Ufer nieder;
Wahrlich! Ist schon an dem Flusse
Und mit Blitzesschnelle wieder
Ist er hier im raschen Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
Voll mit Wasser füllt!

Stehe! sehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! -
Ach, ich merk' es! Wehe! wehe!
Hab' ich doch das Wort vergessen!

Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen.
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
Bringt er schnell herein,
Ach! und hundert Flüsse
Stürzen auf mich ein.

Rein, nicht länger
Kann ich's lassen;
Will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach! nun wird im immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!

O, du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh' ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
Der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
Steh doch wieder still!

Willst's am Ende
Gar nicht lassen?
Will dich fassen
Will dich halten,
Und das alte Holz behende
Mit dem scharfen Beile spalten.

Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nun auf dich werfe,
Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
Krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich! Brav getroffen!
Steht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
Und ich atme frei!

Wehe! wehe!
Beide Teile
Stehn in Eile
Schon, als Knechte,
Völlig fertig in der Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

Und sie laufen! Nass und nässer
Wird's im Saal und auf den Stufen.
Welch' entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! Hör' mich rufen! -
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd' ich nun nicht los.

„In die Ecke,
Besen! Besen!
Seid's gewesen.
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister."

Theodor Fontane

John Maynard

John Maynard!

„Wer ist John Maynard?"

„John Maynard war unser Steuermann,
Aushielt er, bis er das Ufer gewann,
Er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard."

***

Die "Schwalbe" fliegt über den Eriesee,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
Von Detroit fliegt sie nach Buffalo -
Die Herzen aber sind frei und froh,
Und die Passagiere mit Kindern und Fraun
Im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,
Und plaudernd an John Maynard heran
Tritt alles: „Wie weit noch, Steuermann?"
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
"Noch dreißig Minuten ... Halbe Stund."

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei -
Da klingt's aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
„Feuer!" war es, was da klang,
Ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
Ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
Und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

Und die Passagiere, buntgemengt,
Am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
Am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
Am Steuer aber lagert sich's dicht,
Und ein Jammern wird laut: "Wo sind wir? Wo?"
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. -

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
Der Kapitän nach dem Steuer späht,
Er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
Aber durchs Sprachrohr fragt er an:
„Noch da, John Maynard?"
„Ja, Herr. Ich bin."
„Auf den Strand! In die Brandung!"
„Ich halte drauf hin."
Und das Schiffvolk jubelt: "Halt aus! Hallo!"
Und noch zehn Minuten bis Buffalo. -

„Noch da, John Maynard?" Und Antwort schallt's
Mit ersterbender Stimme: "Ja, Herr, ich halt's!"
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
Jagt er die "Schwalbe" mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo!

***

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt.

***

Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell'n
Himmelan aus Kirchen und Kapell'n,
Ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
Ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
Und kein Aug im Zuge, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
Mit Blumen schließen sie das Grab,
Und mit goldner Schrift in den Marmorstein
Schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

„Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
Hielt er das Steuer fest in der Hand,
Er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard!"

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Friedrich von Schiller (Balladen)

Der Handschuh

Vor seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf hohem Balkone
Die Damen in schönem Kranz.
Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der zweite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt,
Und sieht sich stumm
Rings um
Mit langem Gähnen
Und schüttelt die Mähnen
Und streckt die Glieder
Und legt sich nieder.

Und der König winkt wieder. -
Da öffnet sich behend
Ein zweites Tor,
Daraus rennt
Mit wildem Sprunge
Ein Tiger hervor.
Wie er den Löwen erschaut,
Brüllt er laut,
Schlägt mit dem Schweif
Einen furchtbaren Reif
Und recket die Zunge,
Und im Kreise scheu
Umgeht er den Leu,
Grimmig schnurrend;
Drauf streckt er sich murrend
Zur Seite nieder.

Und der König winkt wieder. -
Da speit das doppelt geöffnete Haus
Zwei Leoparden auf einmal aus.
Die stürzen mit mutiger Kampfbegier
Auf das Tigertier;
Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen.
Und der Leu mit Gebrüll
Richtet sich auf, da wird's still;
Und herum im Kreis,
Von Mordsucht heiß,
Lagern sich die gräulichen Katzen.

Da fällt von des Altans Rand
Ein Handtuch von schöner Hand
Zwischen den Tiger und den Leu'n
Mitten hinein.

Und zu Ritter Delorges, spottender Weis',
Wendet sich Fräulein Kunigunde:
"Herr Ritter, ist eure Liebe so heiß,
Wie ihr mir's schwört zu jeder Stunde,
Ei, so hebt mir den Handschuh auf!"

Und der Ritter in schnellem Lauf
Steigt hinab in den furchtbar'n Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der Ungeheuer Mitte
Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.

Und mit Erstaunen und mit Grauen
Sehen's die Ritter und Edelfrauen,
Und gelassen bringt er den Handschuh zurück.
Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde.
Aber mit zärtlichem Liebesblick -
Er verheißt ihm sein nahes Glück -
Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und er wirft ihr den Handschuh in's Gesicht.
"Den Dank, Dame, begehr' ich nicht!"
Und verlässt sie zur selben Stunde.
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Theodor Fontane (Balladen)

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
ein Birnbaum in seinem Garten stand,
und kam die goldene Herbsteszeit
und die Birnen leuchteten weit und breit,
da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
und kam in Pantinen ein Junge daher,
so rief er: "Junge, wist' 'ne Beer?"
und kam ein Mädel, so rief er: "Lütt Dirn,
kumm man röwer, ich hebb' 'ne Birn."

So ging es viel Jahre, bis lobesam
der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
wieder lachten die Birnen weit und breit,
da sagte von Ribbeck: "Ich scheide nun ab,
legt mir eine Birne mit ins Grab."
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
trugen von Ribbeck sie hinaus,
alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
sangen "Jesus meine Zuversicht",
und die Kinder klagten, das Herze schwer:
"He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?"

So klagten die Kinder. Das war nicht recht,
ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht.
Der neue freilich, der knausert und spart,
hält Park und Birnbaum strenge verwahrt,
aber der alte, vorahnend schon
und voll Misstrau'n gegen den eigenen Sohn,
der wusste genau, was damals er tat,
als um eine Birn' ins Grab er bat,
und im dritten Jahr, aus dem stillen Haus
ein Birnbaumsprössling sprosst heraus.

Und die Jahre gehen wohl auf und ab,
längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
und in der goldenen Herbsteszeit
leuchtet's wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' über'n Kirchhof her,
so flüstert's im Baume: "Wiste 'ne Beer?"
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: "Lütt Dirn,
kumm man röwer, ich gew' di 'ne Birn."
So spendet Segen noch immer die Hand
des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

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Gustav Schwab (Balladen)

Der Reiter vom Bodensee

Der Reiter reitet durchs helle Tal,
aufs Schneefeld schimmert der Sonne Strahl.

Er trabet im Schweiß durch den kalten Schnee,
er will noch heut’ an den Bodensee.

Noch heut mit dem Pferd an den sichern Kahn,
will drüben landen vor Nacht noch an.

Auf schlimmem Weg über Dorn und Stein,
er braust auf rüstigem Ross feldein.

Aus den Bergen heraus, ins ebene Land,
da sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand.

Weit hinter ihm schwindet Dorf und Stadt,
der Weg wird eben, die Bahn wird glatt.

In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus,
die Bäume gingen, die Felsen aus;

So flieget er hin eine Meile und zwei,
er hört in den Lüften der Schneegans Schrei;

Es flattert das Wasserhuhn empor,
nicht anderen Laut vernimmt sein Ohr.

Keinen Wandersmann sein Auge schaut,
der ihm den rechten Pfad vertraut.

Fort geht’s wie auf Samt, auf dem weichen Schnee.
Wann rauscht das Wasser? Wann glänzt der See?

Da bricht der Abend, der frühe, herein,
von Lichtern blinket ein ferner Schein.

Es hebt aus den Nebeln sich Baum an Baum,
und Hügel schließen den weiten Raum.

Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn,
dem Rosse gibt er den scharfen Sporn.

Und Hunde bellen empor am Pferd,
und es winkt im Dorf ihm der warme Herd.

„Willkommen am Fenster, Mägdelein,
an den See, an den See, wie weit mag’ s sein?“

Die Maid, die staunet den Reiter an:
„Der See liegt hinter dir und der Kahn.

Und deckt’ ihn die Rinde mit Eis nicht zu,
ich spräch’, aus dem Nachen stiegest du.“

Der Fremde schaudert, er atmet schwer:
„Dort hinten die Ebene, die ritt ich her!“

Da recket die Magd die Arm’ in die Höh:
„Herr Gott, so rittest du über den See!

An den Schlund, an die Tiefe bodenlos
Hat gepocht des rasenden Hufes Stoß!

Und unter dir zürnten die Wasser nicht?
Nicht krachte hinunter die Rinde dicht?

Und warst nicht die Speise der stummen Brut,
der hungrigen Hecht’ in der kalten Flut?“

Sie rufet das Dorf herbei zu der Mär,
es stellen die Knaben sich um ihn her;

Die Mütter, die Greise, sie sammeln sich:
„Glückseliger Mann, ja segne du dich!

Herein zum Ofen, zum dampfenden Tisch,
brich mit uns das Brot und iss vom Fisch!“

Der Reiter erstarret auf seinem Pferd,
er hat nur das erste Wort gehört.

Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar,
dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr.

Es siehet sein Blick nur den grässlichen Schlund,
sein Geist versinkt in den schwarzen Grund.

Im Ohre donnerts wie krachend Eis,
wie die Well’ umrieselt ihn kalter Schweiß.

Da seufzt er, da sinkt er vom Ross herab,
da ward ihm am Ufer ein trocken Grab.

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Johann Wolfgang von Goethe (Balladen)

Der Erlkönig

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? -
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig, mit Kron' und Schweif! -
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. -!

Du liebes Kind, komm geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir,
Manch' bunte Blumen sind an dem Strand,
meine Mutter hat manch gülden Gewand. -

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht
was Erlenkönig mir leise verspricht? -
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. -

Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
meine Töchter führen den nächtlichen Reihn,
und wiegen und tanzen und singen dich ein. -

Mein Vater, mein Vater und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düsteren Ort? -
Mein Sohn, mein Sohn! Ich seh es genau!
Es scheinen die alten Weiden so grau! -

Ich liebe dich! Mich reizt deine schöne Gestalt;
und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt. -
Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! -

Den Vater grauset's, er reitet geschwind,
er hält in den Armen das ächzende Kind,
erreicht den Hof mit Müh und Not;
in seinen Armen das Kind war tot.

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Annette von Droste-Hülshoff (Balladen)

Der Knabe im Moor

O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt! –
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!

Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind –
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstige Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.

Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnlenor',
Die den Haspel dreht im Geröhre!

Voran, voran, nur immer im Lauf,
Voran als woll' es ihn holen!
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigemann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!

Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
„Ho, ho, meine arme Seele!"
Der Knabe springt wie ein wundes Reh;
Wär' nicht Schutzengel in seiner Näh',
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwele.

Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, um Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
O schaurig war's in der Heide!

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Theodor Fontane

Die Brück' am Tay

When shall we three meet again?
(Shakespeare: Macbeth)

„Wann treffen wir drei wieder zusamm'?"
„Um die siebente Stund', am Brückendamm."
„Am Mittelpfeiler."
„Ich lösch die Flamm'."
„Ich mit."
„Ich komme vom Norden her."
„Und ich vom Süden."
„Und ich vom Meer."

„Hei, das gibt ein Ringelreihn,
und die Brücke muß in den Grund hinein."
„Und der Zug, der in die Brücke tritt
um die siebente Stund'?"
„Ei, der muß mit."
„Muß mit."
„Tand, Tand
ist das Gebild von Menschenhand."

Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut', ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu,
sehen und warten, ob nicht ein Licht
übers Wasser hin „ich komme" spricht,
„ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
ich, der Edinburger Zug."

Und der Brückner jetzt: „Ich seh einen Schein
am andern Ufer. Das muß er sein.
Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,
unser Johnie kommt und will seinen Baum,
und was noch am Baume von Lichtern ist,
zünd alles an wie zum heiligen Christ,
der will heuer zweimal mit uns sein, -
und in elf Minuten ist er herein."

Und es war der Zug. Am Süderturm
keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,
und Johnie spricht: „Die Brücke noch!
Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
die bleiben Sieger in solchem Kampf,
und wie's auch rast und ringt und rennt,
wir kriegen es unter: das Element.

Und unser Stolz ist unsre Brück';
ich lache, denk ich an früher zurück,
an all den Jammer und all die Not
mit dem elend alten Schifferboot;
wie manche liebe Christfestnacht
hab ich im Fährhaus zugebracht
und sah unsrer Fenster lichten Schein
und zählte und konnte nicht drüben sein."

Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu;
denn wütender wurde der Winde Spiel,
und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel,
erglüht es in niederschießender Pracht
überm Wasser unten... Und wieder ist Nacht.

„Wann treffen wir drei wieder zusamm'?"
„Um Mitternacht, am Bergeskamm."
„Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm."
„Ich komme."
„Ich mit."
„Ich nenn euch die Zahl."
„Und ich die Namen."
„Und ich die Qual."
„Hei!
Wie Splitter brach das Gebälk entzwei."
„Tand, Tand
ist das Gebilde von Menschenhand."

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Annette von Droste-Hülshoff (Balladen)

Die Vergeltung

I
Der Kapitän steht an der Spiere,
Das Fernrohr in gebräunter Hand,
Dem schwarzgelockten Passagiere
Hat er den Rücken zugewandt.
Nach einem Wolkenstreif in Sinnen
Die beiden wie zwei Pfeiler sehn,
Der Fremde spricht: „Was braut da drinnen?"
„Der Teufel", brummt der Kapitän.

Da hebt von morschen Balkens Trümmer
Ein Kranker seine feuchte Stirn,
Des Äthers Blau, der See Geflimmer,
Ach, alles quält sein fiebernd Hirn!
Er lässt die Blicke, schwer und düster,
Entlängs dem harten Pfühle gehn,
Die eingegrabnen Worte liest er:
„Batavia. Fünfhundert Zehn."

Die Wolke steigt, zur Mittagsstunde
Das Schiff ächzt auf der Wellen Höhn,
Gezisch, Geheul aus wüstem Grunde,
Die Bohlen weichen mit Gestöhn.
„Jesus, Marie! wir sind verloren!"
Vom Mast geschleudert der Matros,
Ein dumpfer Krach in aller Ohren,
Und langsam löst der Bau sich los.

Noch liegt der Kranke am Verdecke,
Um seinen Balken fest geklemmt,
Da kömmt die Flut, und eine Strecke
Wird er ins wüste Meer geschwemmt.
Was nicht geläng der Kräfte Sporne,
Das leistet ihm der starre Krampf,
Und wie ein Narwall mit dem Horne
Schießt fort er durch der Wellen Dampf.

Wie lange so? er weiß es nimmer,
Dann trifft ein Strahl des Auges Ball,
Und langsam schwimmt er mit der Trümmer
Auf ödem glitzerndem Kristall.
Das Schiff! – die Mannschaft! – sie versanken.
Doch nein, dort auf der Wasserbahn,
Dort sieht den Passagier er schwanken
In einer Kiste morschem Kahn.

Armselge Lade! sie wird sinken,
Er strengt die heisre Stimme an:
„Nur grade! Freund, du drückst zur Linken!"
Und immer näher schwankt's heran,
Und immer näher treibt die Trümmer,
Wie ein verwehtes Möwennest;
„Courage!" ruft der kranke Schwimmer,
„Mich dünkt ich sehe Land im West!"

Nun rühren sich der Fähren Ende,
Er sieht des fremden Auges Blitz,
Da plötzlich fühlt er starke Hände,
Fühlt wütend sich gezerrt vom Sitz.
„Barmherzigkeit! ich kann nicht kämpfen."
Er klammert dort, er klemmt sich hier;
Ein heisrer Schrei, den Wellen dämpfen,
In Balken schwimmt der Passagier.

Dann hat er kräftig sich geschwungen,
Und schaukelt durch das öde Blau,
Er sieht das Land wie Dämmerungen
Enttauchen und zergehn in Grau.
Noch lange ist er so geschwommen,
Umflattert von der Möwe Schrei,
Dann hat ein Schiff ihn aufgenommen,
Viktoria! nun ist er frei!

II
Drei kurze Monde sind verronnen,
Und die Fregatte liegt am Strand,
Wo mittags sich die Robben sonnen,
Und Bursche klettern übern Rand,
Den Mädchen ist's ein Abenteuer
Es zu erschaun vom fernen Riff,
Denn noch zerstört ist nicht geheuer
Das greuliche Korsarenschiff.

Und vor der Stadt da ist ein Waten,
Ein Wühlen durch das Kiesgeschrill,
Da die verrufenen Piraten
Ein jeder sterben sehen will.
Aus Strandgebälken, morsch, zertrümmert,
Hat man den Galgen, dicht am Meer,
In wüster Eile aufgezimmert.
Dort dräut er von der Düne her!

Welch ein Getümmel an den Schranken! –
„Da kömmt der Frei – der Hessel jetzt –
Da bringen sie den schwarzen Franken,
Der hat geleugnet bis zuletzt."
„Schiffbrüchig sei er hergeschwommen",
Höhnt eine Alte: „Ei, wie kühn!
Doch keiner sprach zu seinem Frommen,
Die ganze Bande gegen ihn."

Der Passagier, am Galgen stehend,
Hohläugig, mit zerbrochnem Mut,
Zu jedem Räuber flüstert flehend:
„Was tat dir mein unschuldig Blut!
Barmherzigkeit! – so muss ich sterben
Durch des Gesindels Lügenwort,
O mög die Seele euch verderben!"
Da zieht ihn schon der Scherge fort.

Er sieht die Menge wogend spalten –
Er hört das Summen im Gewühl –
Nun weiß er, dass des Himmels Walten
Nur seiner Pfaffen Gaukelspiel!
Und als er in des Hohnes Stolze
Will starren nach den Ätherhöhn,
Da liest er an des Galgens Holze:
„Batavia. Fünfhundert Zehn."

Frank Wedekind (Ballade)

Brigitte B.

Ein junges Mädchen kam nach Baden,
Brigitte B. war sie genannt,
fand Stellung dort in einem Laden,
wo sie gut angeschrieben stand.

Die Dame, schon ein wenig älter,
war dem Geschäfte zugetan,
der Herr ein höherer Angestellter
der königlichen Eisenbahn.

Die Dame sagt nun eines Tages,
wie man zu Nacht gegessen hat:
Nimm dies Paket, mein Kind, und trag es
zu der Baronin vor der Stadt.

Auf diesem Wege traf Brigitte
jedoch ein Individium,
das hat an sie nur eine Bitte,
wenn nicht, dann bringe er sie um.

Brigitte, völlig unerfahren,
gab sich ihm mehr aus Mitleid hin.
Drauf ging er fort mit ihren Waren
und ließ sie in der Lage drin.

Sie konnt es anfangs gar nicht fassen,
dann lief sie heulend und gestand,
dass sie sich hat verführen lassen,
was die Madam begreiflich fand.

Dass aber dabei die Turnüre
für die Baronin vor der Stadt
gestohlen worden sei, das schnüre
das Herz ihr ab, sie hab sie satt.

Brigitte warf sich vor ihr nieder,
sie sei gewiß nicht mehr so dumm;
den Abend aber schlief sie wieder
bei ihrem Individium.

Und als die Herrschaft dann um Pfingsten
ausflog mit dem Gesangverein,
lud sie ihn ohne die geringsten
Bedenken abends zu sich ein.

Sofort ließ er sich alles zeigen,
den Schreibtisch und den Kassenschrank,
macht die Papiere sich zu eigen
und zollt ihr nicht mal mehr den Dank.

Brigitte, als sie nun gesehen,
was ihr Geliebter angericht,
entwich auf unhörbaren Zehen,
dem Ehepaar aus dem Gesicht.

Vorgestern hat man sie gefangen,
es läßt sich nicht erzählen wo;
dem Jüngling, der die Tat begangen,
dem ging es gestern ebenso. 

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Friedrich von Schiller (Ballade)

Die Bürgschaft

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Damon, den Dolch im Gewande;
ihn schlugen die Häscher in Bande.
„Was wolltest Du mit dem Dolche, sprich!"
entgegnet ihm finster der Wüterich.
„Die Stadt vom Tyrannen befreien!"
„Das sollst Du am Kreuze bereuen."

„Ich bin", spricht jener, „zum Sterben bereit
und bitte nicht um mein Leben:
Doch willst du Gnade mir geben,
Ich flehe dich um drei Tage Zeit,
bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
ihn magst du, entrinn ich, erwürgen."

Da lächelt der König mit arger List
und spricht nach kurzem Bedenken:
„Drei Tage will ich Dir schenken;
doch wisse: wenn sie verstrichen die Frist,
eh' du zurück mir gegeben bist,
so muß er statt deiner erblassen,
doch dir ist die Strafe erlassen."

Und er kommt zum Freunde: „Der König gebeut,
dass ich am Kreuz mit dem Leben
bezahle das frevelnde Streben.
Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,
bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
So bleib' du dem König zum Pfande,
bis ich komme, zu lösen die Bande."

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund
und liefert sich aus dem Tyrannen,
der andere ziehet von dannen.
Und ehe das dritte Morgenrot scheint,
hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,
eilt heim mit sorgender Seele,
damit er die Frist nicht verfehle.

Da gießt unendlicher Regen herab,
von den Bergen stürzen die Quellen,
und die Bäche, die Ströme schwellen,
und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab;
da reißet die Brücke der Strudel hinab.
Und donnernd sprengen die Wogen
des Gewölbes krachenden Bogen.

Und trostlos irrt er an Ufers Rand;
und wie weit er auch spähet und blicket
und die Stimme, die rufende schicket,
da stößt kein Nachen vom sicheren Strand,
der ihn setzte an das gewünschte Land,
kein Schiffer lenket die Fähre
und der wilde Strom wird zum Meer.

Da er sinkt ans Ufer und weint und fleht,
die Hände zum Zeus erhoben:
„Oh hemme des Stromes Toben!
Es eilen die Stunden, im Mittag steht
die Sonne, und wenn sie niedergeht,
und ich kann die Stadt nicht erreichen,
so muß der Freund mir erbleichen."

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,
und Welle auf Welle zerrinnet,
und Stunde an Stunde entrinnet.
Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut
und wirft sich hinein in die brausende Flut
und teilt mit gewaltigen Armen
den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

Und gewinnt das Ufer und eilet fort
und danket dem rettenden Gotte;
da stürzet die raubende Rotte
hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord
und hemmet des Wanderers Eile
mit drohend geschwungener Keule.

„Was wollt ihr?" ruft er vor Schrecken bleich,
„Ich habe nichts als mein Leben,
das muß ich dem Könige geben!"
Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:
„Um des Freundes willen, erbarmet euch!"
und drei mit gewaltigen Streichen
erlegt er, die andern entweichen.

Und die Sonne versendet glühenden Brand,
und von der unendlichen Mühe
ermattet, sinken die Knie.
„Oh hast Du mich gnädig aus Räubershand,
aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land,
und soll hier verschmachtend verderben
und der Freund mir, der liebende, sterben!"

Und horch! Da sprudelt es silberhell,
ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,
und stille hält er zu lauschen.
Und sieh, aus dem Felsen geschwätzig, schnell
springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
und freudig bückt er sich nieder
und erfrischet die brennenden Glieder.

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
und malt auf den glänzenden Matten
der Bäume gigantische Schatten.
Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn,
will eilenden Laufes vorüber fliehn,
da hört er die Worte sie sagen:
„Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen."

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
ihn jagen der Sorge Qualen,
da schimmern in Abendrots Strahlen
von ferne die Zinnen von Syrakus,
und entgegen kommt ihm Philostratus,
des Hauses redlicher Hüter,
der erkennet entsetzt den Gebieter:

„Zurück! Du rettest den Freund nicht mehr,
so rette das eigene Leben!
Den Tod erleidet er eben.
Von Stunde zu Stunde gewartet' er
mit hoffender Seele der Wiederkehr.
Ihm konnte den mutigen Glauben
der Hohn des Tyrannen nicht rauben."

„Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht
ein Retter willkommen erscheinen,
so soll mich der Tod ihm vereinen.
Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht,
dass der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,
er schlachte der Opfer zweie
und glaube an Liebe und Treue!"

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor
Und sieht das Kreuz schon erhöhet,
das die Menge gaffend umstehet.
An dem Seile schon zieht man den Freund empor;
da zertrennt er gewaltig den dichten Chor:
„Mich, Henker", ruft er, „erwürget!
Hier bin ich, für den er gebürget!"

Und Erstaunen ergreift das Volk umher,
In den Armen liegen sich beide
und weinen vor Schmerzen und Freude.
Da sieht man kein Auge tränenleer,
und zum König bringt man die Wundermär',
der fühlt ein menschliches Rühren,
läßt schnell vor den Thron sie führen.

Und blicket sie lange verwundert an,
drauf spricht er: „Es ist euch gelungen,
ihr habt das Herz mir bezwungen.
Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn.
So nehmt auch mich zum Genossen an.
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
in eurem Bunde der Dritte."

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Friedrich von Schiller

Der Taucher

„Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp,
Zu tauchen in diesen Schlund?
Einen goldnen Becher werf ich hinab,
Verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.
Wer mir den Becher kann wieder zeigen,
Er mag ihn behalten, er ist sein eigen."

Der König spricht es und wirft von der Höh
Der Klippe, die schroff und steil
hinausdrängt in die unendliche See,
Den Becher in der Charybde Geheul.
„Wer ist der Beherzte, ich frage wieder,
Zu tauchen in diese Tiefe nieder?"

Und die Ritter, die Knappen um ihn her
Vernehmen's und schweigen still,
Sehen hinab in das wilde Meer,
Und keiner den Becher gewinnen will.
Und der König zum drittenmal wieder fraget:
„ist keiner, der sich hinunter waget?"

Doch alles noch stumm bleibt wie zuvor;
Und ein Edelknecht, sanft und keck,
Tritt aus der Knappen zagendem Chor,
Und den Gürtel wirft er, den Mantel weg.
Und alle die Männer umher und Frauen
Auf den herrlichen Jüngling verwundert schauen.

Und wie er tritt an des Felsen Hang
Und blickt in den Schlund hinab,
Die Wasser, die sie hinunterschlang,
Die Charybde jetzt brüllend wiedergab.
Und wie mit des fernen Donners Getose
Entstürzen sie schäumend dem finstern Schoße.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Flut auf Flut sich ohn' Ende drängt,
Und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
Als wollte das Meer noch ein Meer gebären.

Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt,
Und schwarz aus dem weißen Schaum
Klafft hinunter ein gähnender Spalt,
Grundlos, als ging's in den Höllenraum,
Und reißend sieht man die brandenden Wogen
Hinab in den strudelnden Trichter gezogen.

Jetzt schnell, eh die Brandung wiederkehrt,
Der Jüngling sich Gott befiehlt,
Und - ein Schrei des Entsetzens wird rings gehört,
Und schon hat ihn der Wirbel hinweggespült,
Und geheimnisvoll über dem kühnen Schwimmer
Schließt sich der Rachen; er zeigt sich nimmer.

Und stille wird's über dem Wasserschlund,
In der Tiefe nur brauset es hohl,
Und bebend hört man von Mund zu Mund:
„Hochherziger Jüngling, fahre wohl!"
Und hohler und hohler hört man's heulen,
Und es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem Weilen.

Und wärfst Du die Krone selber hinein
Und sprächst: wer mir bringet die Kron',
Er soll sie tragen und König sein -
Mich gelüstete nicht nach dem teuren Lohn.
Was die heulende Tiefe da unten verhehle,
Das erzählt keine lebende gückliche Seele.

Wohl manches Fahrzeug, vom Strudel gefasst,
Schoß jäh in die Tiefe hinab,
Doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und Mast
Hervor aus dem alles verschlingenden Grab. -
Und heller und heller, wie Sturmes Sausen,
Hört man's näher und immer näher brausen.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Well' auf Well' sich ohn' Ende drängt,
Und wie mit des fernen Donners Getose
Entstürzt es brüllend dem finstern Schoße.

Und sieh! aus dem finster flutenden Schoß
Da hebet sich's schwanenweiß,
Und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloß,
Und es rudert mit Kraft und mit emsigen Fleiß,
Und er ist's, und hoch in seiner Linken
Schwinkt er den Becher mit freudigem Winken.

Und atmete lang und atmete tief
Und begrüßte das himmlische Licht.
Mit Frohlocken es einer dem andern rief:
„Er lebt! er ist da! es behielt ihn nicht!
Aus dem Grab, aus der strudelnden Wasserhöhle
Hat der Brave gerettet die lebende Seele!"

Und er kommt; es umringt ihn die jubelnde Schar;
Zu des Königs Füßen er sinkt,
Den Becher reicht er ihm kniend dar,
Und der König der lieblichen Tochter winkt,
Die füllt ihn mit funkelndem Wein bis zum Rande,
Und der Jüngling sich also zum König wandte:

„Lang lebe der König! Es freue sich,
Wer da atmet im rosigen Licht!
Da unten aber ist's fürchterlich,
Und der Mensch versuche die Götter nicht
Und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
Was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen.

Es riß mich hinunter blitzesschnell,
Da stürzt mir aus felsichtem Schacht
Wildflutend entgegen ein reißender Quell:
Mich packte des Doppelstroms wütende Macht,
Und wie einen Kreisel mit schwindelndem Drehen
Trieb mich's um, ich konnte nicht widerstehen.

Da zeigte mir Gott, zu dem ich rief,
In der höchsten schrecklichen Not,
Aus der Tiefe ragend ein Felsenriff,
Das erfasst ich behend und entrann dem Tod -
Und da hing auch der Becher an spitzen Korallen.
Sonst wär er ins Bodenlose gefallen.

Denn unter mir lag's noch bergetief
In purpurner Finsternis da,
Und ob's hier dem Ohre gleich ewig schlief,
Das Auge mit Schaudern hinunter sah,
Wie's von Salamandern und Molchen und Drachen
Sich regt in dem furchtbaren Höllenrachen.

Schwarz wimmelten da in grausem Gemisch
Zu scheußlichen Klumpen geballt,
Der stachlichte Roche, der Klippenfisch,
Des Hammers greuliche Ungestalt,
Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne
Der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne.

Und da hing ich und war's mir mit Grausen bewußt,
Von der menschlichen Hilfe so weit,
Unter Larven die einzige fühlende Brust,
Allein in der grässlichen Einsamkeit,
Tief unter dem Schall der menschlichen Rede
Bei den Ungeheuern der traurigen Öde.

Und schaudernd dacht ich's, da kroch's heran,
Regte hundert Gelenke zugleich,
Will schnappen nach mir - in des Schreckens Wahn
Laß ich los der Koralle umklammerten Zweig;
Gleich faßt mich der Strudel mit rasendem Toben,
Doch es war mir zum Heil, er riß mich nach oben."

Der König darob sich verwundert schier
und spricht: „Der Becher ist dein,
Und diesen Ring noch bestimm' ich dir,
Geschmückt mit dem köstlichen Edelgestein,
Versuchst du's noch einmal und bringst mir Kunde,
Was du sahst auf des Meers tiefunterstem Grunde."

Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl,
Und mit schmeichelndem Munde sie fleht:
„Lasst, Vater, genug sein das grausame Spiel!
Er hat Euch bestanden, was keiner besteht,
Und könnt Ihr des Herzens Gelüsten nicht zähmen,
So mögen die Ritter den Knappen beschämen."

Drauf der König greift nach dem Becher schnell,
In den Strudel ihn schleudert hinein:
„Und schaffst du den Becher mir wieder zur Stell',
So sollst du der trefflichste Ritter mir sein
Und sollst sie als Ehgemahl heut noch umarmen,
Die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen."

Da ergreift's ihm die Seele mit Himmelsgewalt,
Und es blitzt aus den Augen ihm kühn,
Und er siehet erröten die schöne Gestalt
Und sieht sie erbleichen und sinken hin -
Da treibt's ihn, den köstlichen Preis zu erwerben,
Und stürzt hinunter auf Leben und Sterben.

Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück,
Sie verkündigt der donnernde Schall -
Da bückt sich's hinunter mit liebendem Blick:
Es kommen, es kommen die Wasser all,
Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
Den Jüngling bringt keines wieder.

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Otto Ernst

Nis Randers

Krachen und Heulen und berstende Nacht,
Dunkel und Flammen in rasender Jagd -
Ein Schrei durch die Brandung!

Und brennt der Himmel, so sieht mans gut:
Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut;
Gleich holt sichs der Abgrund.

Nis Randers lugt - und ohne Hast
Spricht er: „Da hängt noch ein Mann im Mast;
Wir müssen ihn holen."

Da fasst ihn die Mutter: „Du steigst mir nicht ein!
Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
Ich wills, deine Mutter!

Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn;
Drei Jahre verschollen ist Uwe schon,
Mein Uwe, mein Uwe!"

Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
„Und seine Mutter?"

Nun springt er ins Boot und mit ihm noch sechs:
Hohes, hartes Friesengewächs;
Schon sausen die Ruder.

Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz!
Nun muß es zerschmettern...! Nein, es blieb ganz!...
Wie lange? Wie lange?

Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer
Die menschenfressenden Rosse daher;
Sie schnauben und schäumen.

Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt!
Eins auf den Nacken des andern springt
Mit stampfenden Hufen!

Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt!
Was da? - Ein Boot, das landwärts hält -
Sie sind es! Sie kommen!

Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt...
Still - ruft da nicht einer! - Er schreits durch die Hand:
„Sagt Mutter, 's ist Uwe!"

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Johann Wolfgang von Goethe

Die Braut von Korinth

Nach Korinthus von Athen gezogen
kam ein Jüngling, dort noch unbekannt.
Einen Bürger hofft er sich gewogen;
beide Väter waren gastverwandt,
hatten frühe schon
Töchterchen und Sohn
Braut und Bräutigam voraus genannt.

Aber wird er auch willkommen scheinen,
wenn er teuer nicht die Gunst erkauft?
Er ist noch ein Heide mit den Seinen,
und sie sind schon Christen und getauft.
Keimt ein Glaube neu,
wird oft Lieb und Treu
wie ein böses Unkraut ausgerauft.

Und schon lag das ganze Haus im Stillen,
Vater, Töchter, nur die Mutter wacht;
sie empfängt den Gast mit bestem Willen,
gleich ins Prunkgemach wird er gebracht.
Wein und Essen prangt,
eh er es verlangt:
so versorgend wünscht sie gute Nacht.

Aber bei dem wohlbestellten Essen
wird die Lust der Speise nicht erregt:
Müdigkeit läßt Speis und Trank vergessen,
dass er angekleidet sich aufs Bette legt;
und er schlummert fast,
als ein seltner Gast
sich zur offnen Tür herein bewegt.

Denn er, sieht bei seiner Lampe Schimmer,
tritt, mit weißem Schleier und Gewand,
sittsam still ein Mädchen in das Zimmer,
um die Stirn ein schwarz' und goldnes Band.
Wie sie ihn erblickt,
hebt sie, die erschrickt,
mit Erstaunen eine weiße Hand.

Bin ich, rief sie aus, so fremd im Hause,
dass ich von dem Gaste nichts vernahm!
Ach, so hält man mich in meiner Klause,
Und nun überfällt mich hier die Scham.
Ruhe nur so fort
auf dem Lager dort,
und ich gehe schnell, so wie ich kam.

Bleibe, schönes Mädchen! ruft der Knabe,
rafft von seinem Lager sich geschwind:
hier ist Ceres', hier ist Bacchus' Gabe,
und du bringst den Amor, liebes Kind!
Bist vor Schrecken blaß!
Liebe, komm und laß,
laß uns sehn, wie froh die Götter sind.

Ferne bleib, o Jüngling! bleibe stehen;
ich gehöre nicht den Freuden an.
Schon der letzte Schritt ist, ach! geschehen,
durch der guten Mutter kranken Wahn,
die genesend schwur,
Jugend und Natur
sei dem Himmel künftig untertan.

Und der alten Götter bunt Gewimmel
hat sogleich das stille Haus geleert;
unsichtbar wird einer nur im Himmel
und ein Heiland wird am Kreuz verehrt.
Opfer fallen hier,
weder Lamm noch Stier,
aber Menschenopfer unerhört.

Und er fragt und wäget alle Worte,
deren keines seinem Geist entgeht.
Ist es möglich, dass am stillen Orte
die geliebte Braut hier vor mir steht?
Sei die meine nur!
Unsrer Väter Schwur
hat vom Himmel Segen uns erfleht.

Mich erhälst du nicht, du gute Seele!
Meiner zweiten Schwester gönnt man dich.
Wenn ich mich in stiller Klause quäle,
ach! in ihren Armen denk an mich,
die an dich nur denkt,
die sich liebend kränkt;
in die Erde bald verbirgt sie sich.

Nein! bei dieser Flamme sei's geschworen,
gütig weist sie Hymen uns voraus;
bist der Freude nicht und mir verloren,
kommst mit mir in meines Vaters Haus.
Liebchen, bleibe hier!
Feire gleich mit mir
unerwartet unsern Hochzeitsschmaus.

Und schon wechseln sie der Treue Zeichen;
golden reicht sie ihm die Kette dar,
und er will ihr eine Schale reichen,
silbern, künstlich, wie nicht eine war.
Die ist nicht für mich;
doch ich bitte dich,
eine Locke gib von deinem Haar.

Eben schlug die dumpfe Geisterstunde,
und nun schien es ihr erst wohl zu sein,
gierig schlürfte sich mit blassem Munde
nun den dunkel blutgefärbten Wein;
doch vom Weizenbrot,
das er freundlich bot,
nahm sie nicht den kleinsten Bissen ein.

Und dem Jüngling reichte sie die Schale,
der wie sie nun hastig lüsternd trank.
Liebe fordert er beim stillen Mahle;
ach, sein armes Herz war liebekrank.
Doch sie widersteht,
wie er immer fleht,
bis er weinend auf das Bette sank.

Und sie kommt und wirft sich zu ihm nieder.
Ach, wie ungern seh ich dich gequält,
aber ach, berührst du meine Glieder,
fühlst du schaudernd, was ich dir verhehlt:
Wie der Schnee so weiß,
aber kalt wie Eis,
ist das Liebchen, dass du dir erwählt.

Heftig faßt er sie mit starken Armen,
von der Liebe Jugendkraft durchmannt:
Hoffe doch, bei mir noch zu erwarmen,
wärst du selbst mir aus dem Grab gesandt!
Wechselhauch und Kuß!
Liebesüberfluß!
Brennst du nicht und fühlest mich entbrannt?

Liebe schließet fester sie zusammen,
Tränen mischen sich in ihre Lust;
gierig saugt sie seines Mundes Flammen,
eins ist nur im andern sich bewußt.
Seine Liebeswut
wärmt ihr starres Blut,
doch es schlägt kein Herz in ihrer Brust.

Unterdessen schleichet auf dem Gange
häuslich spät die Mutter noch vorbei,
horchet an der Tür und horchet lange,
welch ein sonderbarer Ton es sei:
Klag- und Wonnelaut
Bräutigams und Braut
und des Liebestammelns Raserei.

Unbeweglich bleibt sie an der Türe,
weil sie erst sich überzeugen muß,
und sie hört die höchsten Liebesschwüre,
Lieb- und Schmeichelworte mit Verdruß:
Still! der Hahn erwacht! -
aber morgen Nacht
bist du wieder da? - und Kuß auf Kuß.

Länger hält die Mutter nicht das Zürnen,
öffnet das bekannte Schloß geschwind:
Gibt es hier im Hause solche Dirnen,
die dem Fremden gleich zu Willen sind?
So zur Tür herein.
Bei der Lampe Schein
sieht sie - Gott! sie sieht ihr eigen Kind.

Und der Jüngling will im ersten Schrecken
mit des Mädchens eignem Schleierflor,
mit dem Teppich die Geliebte decken;
doch sie windet gleich sich selbst hervor.
Wie mit Geists Gewalt,
hebt sich die Gestalt
lang und langsam sich im Bett empor.

Mutter! Mutter! spricht sie hohle Worte,
so mißgönnt Ihr mir die schöne Nacht,
ihr vertriebt mich von dem warmen Orte!
Bin ich zur Verzweiflung nur erwacht?
Ist's Euch nicht genug,
dass ins Leichentuch,
dass Ihr früh mich in das Grab gebracht?

Aber aus der schwerbedeckten Enge
treibet mich ein eigenes Gericht.
Eurer Priester summende Gesänge
und ihr Segen haben kein Gewicht;
Salz und Wasser kühlt
nicht, wo Jugend fühlt,
Ach! die Erde kühlt die Liebe nicht!

Dieser Jüngling war mir erst versprochen,
als noch Venus' heitrer Tempel stand.
Mutter, habt ihr doch das Wort gebrochen,
weil ein fremd, ein falsch Gelübd Euch band!
Doch kein Gott erhört,
wenn die Mutter schwört,
zu versagen ihrer Tochter Hand.

Aus dem Grabe werd ich ausgetrieben,
noch zu suchen das vermißte Gut
und den schon verlornen Mann zu lieben
und zu saugen seines Herzens Blut.
Ist's um den geschehn
muß nach andern gehn,
und das junge Volk erliegt der Wut.

Schöner Jüngling, kannst nicht länger leben;
du versiechest nun an diesem Ort.
Meine Kette hab ich dir gegeben;
deine Locke nehm ich mit mir fort.
Sieh sie an genau!
Morgen bist du grau,
und nur braun erscheinst du wieder dort.

Höre, Mutter, nun die letzte Bitte:
Einen Scheiterhaufen schichte du;
Öffne meine bange, kleine Hütte,
bring in Flammen Liebende zur Ruh!
Wenn der Funke sprüht,
wenn die Asche glüht,
eilen wir den alten Göttern zu.

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Heinrich Heine

Das Sklavenschiff

1

Der Superkargo Mynher van Koek
Sitzt rechnend in seiner Kajüte;
Er kalkuliert der Ladung Betrag
Und die probabeln Profite

„Der Gummi ist gut, der Pfeffer ist gut,
Dreihundert Säcke und Fässer;
Ich habe Goldstaub und Elfenbein -
Die schwarze Ware ist besser.

Sechshundert Neger tauschte ich ein
Spottwohlfeil am Senegalflusse
Das Fleisch ist hart, die Sehnen sind stramm,
Wie Eisen vom besten Gusse.

Ich hab zum Tausche Branntewein,
Glasperlen und Stahlzeug gegeben;
Gewinne daran achthundert Prozent,
Bleibt mir die Hälfte am Leben.

Bleiben mir Neger dreihundert nur
Im Hafen von Rio-Janeiro,
Zahlt dort mir hundert Dukaten per Stück
Das Haus Gonzales Perreiro"

Da plötzlich wird Mynher van Koek
Aus seinen Gedanken gerissen;
Der Schiffschirurgius tritt herein,
Der Doktor van der Smissen.

Das ist eine klapperdürre Figur,
Die Nase voll roter Warzen -
„Nun, Wasserfeldscherer", ruft van Koek,
„Wie gehts meinen lieben Schwarzen?"

Der Doktor dankt der Nachfrage und spricht:
„Ich bin zu melden gekommen,
dass heute Nacht die Sterblichkeit
Bedeutend zugenommen.

Im Durchschnitt starben täglich zwei,
Doch heute starben sieben,
Vier Männer, drei Frauen - Ich hab den Verlust
Sogleich in die Kladde geschrieben.

Ich inspizierte die Leichen genau;
Denn diese Schelme stellen
Sich manchmal tot, damit man sie
Hinabwirft in die Wellen.

Ich nahm den Toten die Eisen ab;
Und wie ich gewöhnlich tue,
Ich ließ die Leichen werfen ins Meer
Des Morgens in der Fruhe.

Es schossen alsbald hervor aus der Flut
Haifische, ganze Heere,
Sie lieben so sehr das Negerfleisch;
Das sind meine Pensionäre.

Sie folgten unseres Schiffes Spur,
Seit wir verlassen die Küste;
Die Bestien wittern den Leichengeruch
Mit schnupperndem Fraßgelüste.

Es ist possierlich anzusehn,
Wie sie nach den Toten schnappen!
Die faßt den Kopf, die faßt das Bein,
Die andern schlucken die Lappen.

Ist alles verschlungen, dann tummeln sie sich
Vergnügt um des Schiffes Planken
Und glotzen mich an, als wollten sie
Sich für das Frühstück bedanken."

Doch seufzend fällt ihm in die Red
Van Koek: „Wie kann ich lindern
Das Übel? wie kann ich die Progression
Der Sterblichkeit verhindern?"

Der Doktor erwidert: „Durch eigne Schuld
Sind viele Schwarze gestorben;
Ihr schlechter Odem hat die Luft
Im Schiffsraum so sehr verdorben.

Auch starben viele durch Melancholie,
Dieweil sie sich tödlich langweilen;
Durch etwas Luft, Musik und Tanz
läßt sich die Krankheit heilen."

Da ruft van Koek: „Ein guter Rat!
Mein teurer Wasserfeldscherer
Ist klug wie Aristoteles,
Des Alexanders Lehrer.

Der Präsident der Sozietät
Der Tulpenveredlung im Delfte
Ist sehr gescheit, doch hat er nicht
Von Eurem Verstande die Hälfte.

Musik! Musik! Die Schwarzen solln
Hier auf dem Verdecke tanzen.
Und wer sich beim Hopsen nicht amüsiert,
Den soll die Peitsche kuranzen."

2

Hoch aus dem blauen Himmelszelt
Viel tausend Sterne schauen,
Sehnsüchtig glänzend, groß und klug,
Wie Augen von schönen Frauen.

Sie blicken hinunter in das Meer,
Das weithin überzogen
Mit phosphorstrahlendem Purpurduft;
Wollüstig girren die Wogen.

Kein Segel flattert am Sklavenschiff,
Es liegt wie abgetakelt;
Doch schimmern Laternen auf dem Verdeck,
Wo Tanzmusik spektakelt.

Die Fiedel streicht der Steuermann,
Der Koch, der spielt die Flöte,
Ein Schiffsjung schlägt die Trommel dazu,
Der Doktor bläst die Trompete.

Wohl hundert Neger, Männer und Fraun,
Sie jauchzen und hopsen und kreisen
Wie toll herum; bei jedem Sprung
Taktmäßig klirren die Eisen.

Sie stampfen den Boden mit tobender Lust,
Und manche schwarze Schöne
Umschlingt wollüstig den nackten Genoß -
Dazwischen ächzende Töne.

Der Büttel ist maitre des plaisirs,
Und hat mit Peitschenhieben
Die lässigen Tänzer stimuliert,
Zum Frohsinn angetrieben.

Und Dideldumdei und Schnedderedeng!
Der Lärm lockt aus den Tiefen
Die Ungetüme der Wasserwelt,
Die dort blödsinnig schliefen.

Schlaftrunken kommen geschwommen heran
Haifische, viele hundert;
Sie glotzen nach dem Schiff hinauf,
Sie sind verdutzt, verwundert.

Sie merken, dass die Frühstückstund
Noch nicht gekommen, und gähnen,
Aufsperrend den Rachen; die Kiefer sind
Bepflanzt mit Sägezähnen.

Und Dideldumdei und Schnedderedeng -
Es nehmen kein Ende die Tänze.
Die Haifische beißen vor Ungeduld
Sich selber in die Schwänze.

Ich glaube, sie lieben nicht die Musik,
Wie viele von ihrem Gelichter.
Trau keiner Bestie, die nicht liebt
Musik! sagt Albions großer Dichter.

Und Schnedderedeng und Dideldumdei -
Die Tänze nehmen kein Ende.
Am Fockmast steht Mynher van Koek
Und faltet betend die Hände:

„Um Christi willen verschone, o Herr,
Das Leben der schwarzen Sünder!
Erzürnten sie dich, so weißt du ja,
Sie sind so dumm wie die Rinder.

Verschone ihr Leben um Christi willn,
Der für uns alle gestorben!
Denn bleiben mir nicht dreihundert Stück,
So ist mein Geschäft verdorben."

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Adelbert von Chamisso

Das Riesenspielzeug

Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,
die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand;
sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.

Einst kam das Riesenfräulein aus jener Burg hervor,
erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Tor
und stieg hinab den Abhang bis in das Tal hinein,
neugierig zu erkunden, wie’s unten möchte sein.

Mit wen’gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald,
erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald,
und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld
erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt.

Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut,
bemerkt sie einen Bauer, der seinen Acker baut;
es kriecht das kleine Wesen einher so sonderbar,
es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar.

„Ei! artig Spielding!“ ruft sie, „das nehm’ ich mit nach Haus!“
Sie knieet nieder, spreitet behend ihr Tüchlein aus
und feget mit den Händen, was sich da alles regt,
zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammenschlägt,

und eilt mit freud’gen Sprüngen, man weiß, wie Kinder sind,
zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind:
„Ei Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön!
So Allerliebstes sah ich noch nie auf unsern Höh’n.“

Der Alte saß am Tische und trank den kühlen Wein,
er schaut sie an behaglich, er fragt das Töchterlein:
„Was Zappeliges bringst du in deinem Tuch herbei?
Du hüpfest ja vor Freuden; laß sehen, was es sei.“

Sie spreitet aus das Tüchlein und fängt behutsam an,
den Bauer aufzustellen, den Pflug und das Gespann;
wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut,
so klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut.

Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht:
„Was hast du angerichtet? Das ist kein Spielzeug nicht!
Wo du es hergenommen, da trag es wieder hin,
der Bauer ist kein Spielzeug, was kommt dir in den Sinn?

Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot;
denn wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot;
es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor,
der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor“

Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,
die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand;
sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
und fragst Du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.

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Quelle: u. a. Deutsches Balladenbuch, 1865
Arbeitsblätter zu Balladen
Unterrichtseinheit zum Thema Balladen für Klasse 7, Klasse 8, Klasse 9 und Klasse 10.

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Balladen
Diese Themen werden im Kapitel "Balladen" behandelt: Balladen im Unterricht. Balladentexte, Klassenarbeiten Unterrichtseinheit und Unterrichtsmaterial zu Balladen.

Die bekanntesten Balladen von Goethe, Droste-Hülshoff, Schwab, Schiller und Fontane. Balladen für Klasse 7, Klasse 8, Klasse 9 und Klasse 10. Arbeiten / Tests / Klassenarbeiten zu Balladen.