Novelle - Das Erdbeben in Chili - von Kleist
Das Erdbeben in Chili.
An St. Jago, der Hauptstadt des Königreichs Chili, stand gerade in dem
Augenblicke der großen Erderschütterung vom Jahre 1647, bei welcher viele
tausend Menschen ihren Untergang fanden, ein junger auf ein Verbrechen
angeklagter Spanier, Namens Jeronimo Rugera, an einem Pfeiler des
Gefängnisses, in welches man ihn eingesperrt hatte, und wollte sich erhenken.
Don Heurico Asteron, einer der reichsten Edelleute der Stadt, hatte ihn
ungefähr ein Jahr zuvor aus seinem Hause, wo er als Lehrer angestellt war,
entfernt, weil er sich mit Donna Josephe, seiner einzigen Tochter, in
einem zärtlichen Einverständnis befunden hatte. Eine geheime Bestellung, die dem
alten Don, nachdem er die Tochter
nachdrücklich gewarnt hatte, durch die hämische Aufmerksamkeit seines stolzen
Sohnes verraten worden war, entrüstete ihn dergestalt, dass er sie in dem
Karmeliter-Kloster unsrer lieben Frauen vom Berge daselbst unterbrachte.
Durch einen glücklichen Zufall hatte Jeronimo hier die Verbindung von Neuem
anzuknüpfen gewusst und in einer verschwiegenen Nacht den Klostergarten zum
Schauplatze seines vollen Glückes gemacht. Es war am Fronleichnamsfest, und die
feierliche Prozession der Nonnen, welchen die Novizen folgten, nahm eben ihren
Anfang, als die unglückliche Josephe bei dem Anklange der Glocken in Mutterwehen
auf den Stufen der Kathedrale niedersank.
Dieser Vorfall machte außerordentliches Aufsehen; man brachte die junge Sünderin
ohne Rücksicht auf ihren Zustand sogleich in ein Gefängnis, und kaum war sie aus
den Wochen erstanden, als ihr schon auf Befehl des Erzbischofs der geschärfteste
Prozess gemacht ward. Man sprach in der Stadt mit einer so großen Erbitterung
von diesem Skandal, und die Zungen fielen so scharf über das ganze Kloster her,
in welchem er sich zugetragen hatte, dass weder die Fürbitte der Familie Asteron
noch auch sogar der Wunsch der Äbtissin selbst, welche das junge Mädchen wegen
ihres sonst untadelhaften Betragens lieb gewonnen hatte, die Strenge, mit
welcher das klösterliche Gesetz sie bedrohte, mildern konnte. Alles was
geschehen konnte war, dass der Feuertod, zu dem sie verurteilt wurde, zur großen
Entrüstung der Matronen und Jungfrauen von St. Jago durch einen Machtspruch des
Vizekönigs in eine Enthauptung verwandelt ward.
Man vermietete in den Straßen, durch welche der Hinrichtungszug gehen sollte,
die Fenster, man trug die Dächer der Häuser ab, und die frommen Töchter der
Stadt luden ihre Freundinnen ein, um dem Schauspiele, das der göttlichen Rache
gegeben wurde, an ihrer schwesterlichen Seite beizuwohnen.
Jeronimo, der inzwischen auch in ein Gefängnis gesetzt worden war, wollte die
Besinnung verlieren, als er diese ungeheure Wendung der Dinge erfuhr. Vergebens
sann er auf Rettung; überall, wohin ihn auch der Fittig der vermessensten
Gedanken trug, stieß er auf Riegel und Mauern, und ein Versuch die Gitterfenster
zu durchfeilen, zog ihm, da er entdeckt ward, eine nur noch engere Einsperrung
zu. Er warf sich vor dem Bildnisse der heiligen Mutter Gottes nieder und betete
mit unendlicher Inbrunst zu ihr, als der Einzigen, von der ihm jetzt noch
Rettung kommen könnte.
Doch der gefürchtete Tag erschien, und mit ihm in seiner Brust die Überzeugung
von der völligen Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Die Glocken, welche Josephen
zum Richtplatz begleiteten, ertönten, und Verzweiflung bemächtigte sich seiner
Seele. Das Leben schien ihm verhasst, und er beschloss, sich durch einen Strick,
den ihm der Zufall gelassen hatte, den Tod zu geben. Eben stand er, wie schon
gesagt, an einem Wandpfeiler und befestigte den Strick, der ihn dieser
jammervollen Welt entreißen sollte, an eine Eisenklammer, die an dem Gesimse
derselben eingefugt war; als plötzlich der größte Teil der Stadt mit einem
Gekrache, als ob das Firmament einstürzte, versank und alles, was Leben atmete,
unter seinen Trümmern begrub. Jeronimo Rugera war starr vor Entsetzen; und
gleich als ob sein ganzes Bewusstsein zerschmettert worden wäre, hielt er sich
jetzt an dem Pfeiler, an welchem er hatte sterben wollen, um nicht umzufallen.
Der Boden wankte unter seinen Füßen, alle Wände des Gefängnisses rissen, der
ganze Bau neigte sich nach der Straße zu einzustürzen, und nur der seinem
langsamen Fall begegnende Fall des gegenüberstehenden Gebäudes verhinderte durch
eine zufällige Wölbung die gänzliche Zubodenstreckung desselben. Zitternd, mit
sträubenden Haaren und Knien, die unter ihm brechen wollten, glitt Jeronimo über
den schief gesenkten Fußboden hinweg der Öffnung zu, die der Zusammenschlag
beider Häuser in die vordere Wand des Gefängnisses eingerissen hatte.
Kaum befand er sich im Freien, als die ganze schon erschütterte Straße auf eine
zweite Bewegung der Erde völlig zusammenfiel. Besinnungslos, wie er sich aus
diesem allgemeinen Verderben retten würde, eilte er über Schutt und Gebälk
hinweg, indessen der Tod von allen Seilen Angriffe auf ihn machte, nach einem
der nächsten Thore der Stadt. Hier stürzte noch ein Haus zusammen und jagte ihn,
die Trümmer weit umherschleudernd, in eine Nebenstraße; hier leckte die Flamme
schon, in Dampfwolken blitzend, aus allen Giebeln und trieb ihn schreckenvoll in
eine andere; hier wälzte sich, aus seinem Gestade gehoben, der Mapochofluss auf
ihn heran und riss ihn brüllend in eine dritte. Hier lag ein Haufen
Erschlagener, hier ächzte noch eine Stimme unter dem Schutte, hier schrieen
Leute von brennenden Dächern herab, hier kämpften Menschen und Tiere mit den
Wellen, hier war ein mutiger Retter bemüht zu helfen: hier stand ein anderer,
bleich wie der Tod, und streckte sprachlos zitternde Hände zum Himmel. Als
Jeronimo das Tor erreicht und einen Hügel jenseits desselben bestiegen hatte,
sank er ohnmächtig auf demselben nieder.
Er mochte wohl eine Viertelstunde in der tiefsten Bewusstlosigkeit gelegen
haben, als er endlich wieder erwachte und sich mit nach der Stadt gekehrtem
Rücken halb auf dem Erdboden erhob. Er befühlte sich Stirn und Brust, unwissend,
was er aus seinem Zustande machen sollte, und ein unsägliches Wonnegefühl
ergriff ihn, als ein Westwind vom Meere her sein wiederkehrendes Leben anwehte,
und sein Auge sich nach allen Richtungen über die blühende Gegend von St, Jago
hinwandte. Nur die verstörten Menschenhaufen, die sich überall blicken ließen,
beklemmten sein Herz; er begriff nicht, was ihn und sie hierher geführt haben
konnte und erst, da er sich umkehrte, und die Stadt hinter sich verfunken sah,
erinnerte er sich des schrecklichen Augenblicks, den er erlebt hatte. Er senkte
sich so tief, dass seine Stirn den Boden berührte, Gott für seine wunderbare
Errettung zu danken; und als ob der eine entsetzliche Eindruck, der sich seinem
Gemüt eingeprägt, alle früheren daraus verdrängt hätte, weinte er vor Lust, dass
er sich des lieblichen Lebens voll bunter Erscheinungen noch erfreue.
Drauf, als er eines Ringes an seiner Hand gewahrte, erinnerte er sich plötzlich
auch Josephens; und mit ihr seines Gefängnisses, der Glocken, die er dort gehört
hatte, und des Augenblicks, der dem Einsturze desselben vorangegangen war. Tiefe
Schwermut erfüllte wieder seine Brust; sein Gebet fing ihn zu reuen an, und
fürchterlich schien ihm das Wesen, das über den Wolken waltet. Er mischte sich
unter das Volk, das überall mit Rettung des Eigentums beschäftigt aus den Toren
stürzte, und wagte schüchtern nach der Tochter Asterons und ob die Hinrichtung
an ihr vollzogen worden sei, zu fragen; doch niemand war, der ihm umständliche
Auskunft gab. Eine Frau, die auf einem fast zur Erde gedrückten Nacken eine
ungeheure Last von Gerätschaften und zwei Kinder an der Brust hängend trug,
sagte im Vorbeigehen, als ob sie es selbst angesehen hätte, dass sie enthauptet
worden sei. Jeronimo kehrte sich um; und da er, wenn er die Zeit berechnete,
selbst an ihrer Vollendung nicht zweifeln konnte, so setzte er sich in einem
einsamen Walde nieder und überließ sich seinem vollen Schmerz. Er wünschte, dass
die zerstörende Gewalt der Natur von neuem über ihn einbrechen möchte. Er
begriff nicht, warum er dem Tode, den seine jammervolle Seele suchte, in jenen
Augenblicken, da er ihm freiwillig von allen Seiten rettend erschien, entflohen
sei. Er nahm sich selbst vor, nicht zu wanken, wenn auch jetzt die Eichen
entwurzelt werden und ihre Wipfel über ihn zusammenstürzen sollten. Darauf nun,
da er sich ausgeweint hatte, und ihm mitten unter den heißesten Tränen die
Hoffnung wieder erschienen war, stand er auf, und durchstreifte nach allen
Richtungen das Feld. Jeden Berggipfel, auf dem sich die Menschen versammelt
hatten, besuchte er; auf allen Wegen, wo sich der Strom der Flucht noch bewegte,
begegnete er ihnen; wo nur irgend ein weibliches Gewand im Winde flatterte, da
trug ihn sein zitternder Fuß hin; doch keines deckte die geliebte Tochter
Asterons. Die Sonne neigte sich und mit ihr seine Hoffnung schon wieder zum
Untergange, als er den Rand eines Felsens betrat, und sich ihm die Aussicht in
ein weites, nur von wenig Menschen besuchtes Tal eröffnete. Er durchlief,
unschlüssig was er tun sollte, die einzelnen Gruppen derselben, und wollte sich
schon wieder wenden, als er plötzlich an einer Quelle, die die Schlucht
bewässerte, ein junges Weib erblickte, beschäftigt ein Kind in ihren Fluten zu
reinigen. Und das Herz hüpfte ihm bei diesem Anblick; er sprang voll Ahnung über
die Gesteine herab und rief: o Mutter Gottes, du heilige! und erkannte Josephen,
als sie sich bei dem Geräusche schüchtern umsah. Mit welcher Seligkeit umarmten
sie sich, die Unglücklichen, die ein Wunder des Himmels gerettet hatte!
Josephe war auf ihrem Gang zum Tode dem Richtplatze schon ganz nahe gewesen, als
durch den krachenden Einsturz der Gebäude plötzlich der ganze Hinrichtungszug
auseinander gesprengt ward. Ihre ersten entsetzensvollen Schritte trugen sie
hierauf dem nächsten Tore zu; doch die Besinnung kehrte ihr bald wieder, und sie
wandte sich um, nach dem Kloster zu eilen, wo ihr kleiner hilfloser Knabe
zurückgeblieben war. Sie fand das ganze Kloster schon in Flammen, und die
Äbtissin, die ihr in jenen Augenblicken, die ihre letzten sein sollten, Sorge
für den Säugling angelobt hatte, schrie eben vor den Pforten stehend nach Hilfe
um ihn zu retten. Josephe stürzte sich unerschrocken durch den Dampf, der ihr
entgegenqualmte, in das von allen Seiten schon zusammenfallende Gebäude, und
gleich als ob alle Engel des Himmels sie umschirmten, trat sie mit ihm
unbeschädigt wieder aus dem Portal hervor. Sie wollte der Äbtissin, welche die
Hände über ihr Haupt zusammenschlug, eben in die Arme sinken, als diese mit fast
allen ihren Klosterfrauen von einem herab fallenden Giebel des Hauses auf eine
schmähliche Art erschlagen ward. Josephe bebte bei diesem entsetzlichen Anblick
zurück; sie drückte der Äbtissin flüchtig die Augen zu, und floh, ganz von
Schrecken erfüllt, den teuren Knaben, den ihr der Himmel wieder geschenkt hatte,
dem Verderben zu entreißen.
Sie hatte noch wenig Schritte getan, als ihr auch schon die Leiche des
Erzbischofs begegnete, die man soeben zerschmettert aus dem Schutt der
Kathedrale hervorgezogen hatte. Der Palast des Vizekönigs war versunken, der
Gerichtshof, in welchem ihr das Urteil gesprochen worden war, stand in Flammen,
und an die Stelle, wo sich ihr väterliches Haus befunden hatte, war ein See
getreten, und kochte rötliche Dämpfe aus. Josephe raffte alle ihre Kräfte
zusammen, sich zu halten. Sie schritt, den Jammer von ihrer Brust entfernend,
mutig mit ihrer Beute von Straße zu Straße, und war schon dem Tore nah, als sie
auch das Gefängnis, in welchem Jeronimo geseufzt hatte, in Trümmern sah. Bei
diesem Anblicke wankte sie und wollte besinnungslos an einer Ecke niedersinken;
doch in demselben Augenblick jagte sie der Sturz eines Gebäudes hinter ihr, das
die Erschütterungen schon ganz aufgelöst hatten, durch das Entsetzen gestärkt,
wieder auf; sie küsste das Kind, drückte sich die Tränen aus den Augen und
erreichte, nicht mehr auf die Gräuel, die sie umringten achtend, das Tor. Als
sie sich im Freien sah, schloss sie bald, dass nicht jeder, der ein
zertrümmertes Gebäude bewohnt hatte, unter ihm notwendig müsse zerschmettert
worden sein.
An dem nächsten Scheidewege stand sie still und harrte, ob nicht einer, der ihr
nach dem kleinen Philipp der liebste auf der Well war, noch erscheinen würde.
Sie ging, weil niemand kam und das Gewühl der Menschen anwuchs, weiter, und
kehrte sich wieder um und harrte wieder; und schlich, viel Tränen vergießend, in
ein dunkles von Pinien beschattetes Tal, um seiner Seele, die sie entflohen
glaubte, nachzubeten; und fand ihn hier diesen Geliebten, im Tale und Seligkeit,
als ob es das Tal von Eden gewesen wäre.
Dies alles erzählte sie jetzt voll Rührung dem Jeronimo und reichte ihm, da sie
vollendet hatte, den Knaben zum Küssen dar. — Jeronimo nahm ihn und hätschelte
ihn in unsäglicher Vaterfreude, und verschloss ihm, da er das fremde Antlitz
anweinte, mit Liebkosungen ohne Ende den Mund. Indessen war die schönste Nacht
herabgestiegen, voll wundermilden Duftes, so silberglänzend und still, wie nur
ein Dichter davon träumen mag. Überall längs der Talquelle hatten sich im
Schimmer des Mondscheins Menschen niedergelassen, und bereiteten sich sanfte
Lager von Moos und Laub, um von einem so qualvollen Tage auszuruhen. Und weil
die Armen immer noch jammerten: dieser, dass er sein Haus, jener, dass er Weib
und Kind, und der dritte, dass er alles verloren habe, so schlichen Jeronimo und
Josephe in ein dichteres Gebüsch, um durch das heimliche Gejauchze ihrer Seelen
niemand zu betrüben. Sie fanden einen prachtvollen Granatapfelbaum, der seine
Zweige voll duftender Früchte weit ausbreitete und die Nachtigall flötete im
Wipfel ihr wollüstiges Lied. Hier ließ sich Jeronimo am Stamme nieder und
Josephe in seinem, Philipp in Josephens Schoß, saßen sie von seinem Mantel
bedeckt und ruhten. Der Baumschatten zog mit seinen zerstreuten Lichtern über
sie hinweg und der Mond erblasste schon wieder vor der Morgenröte, ehe sie
einschliefen. Denn Unendliches hatten sie zu schwatzen vom Klostergarten und den
Gefängnissen und was sie um einander gelitten hätten; und waren sehr gerührt,
wenn sie dachten, wie viel Elend über die Welt kommen musste, damit sie
glücklich würden!
Sie beschlossen, sobald die Erderschütterungen aufgehört haben würden, nach La
Conception zu gehen, wo Josephe eine vertraute Freundin hatte, sich mit einem
kleinen Vorschuss, den sie von ihr zu erhalten hoffte, von dort nach Spanien
einzuschiffen, wo Jeronimos mütterliche Verwandten wohnten, und daselbst ihr
glückliches Leben zu beschließen. Hierauf unter vielen Küssen schliefen sie ein.
Als sie erwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel und sie bemerkten in
ihrer Nahe mehrere Familien beschäftigt, sich am Feuer ein kleines Morgenbrot zu
bereiten. Jeronimo dachte eben auch, wie er Nahrung für die Seinigen
herbeischaffen sollte, als ein junger, wohlgekleideter Mann, mit einem Kinde auf
dem Arm, zu Josephen trat, und sie mit Bescheidenheit fragte, ob sie diesem
armen Wurme, dessen Mutter dort unter den Bäumen beschädigt liege, nicht auf
kurze Zeit ihre Brust reichen wolle? Josephe war ein wenig verwirrt, als sie in
ihm einen Bekannten erblickte; doch da er, indem er ihre Verwirrung falsch
deutete, fortfuhr: es ist nur auf wenige Augenblicke, Donna Josephe, und dieses
Kind hat seit jener Stunde, die uns alle unglücklich gemacht hat, nichts
genossen; so sagte sie: Ich schwieg aus einem andern Grunde, Don Fernando; in
diesen schrecklichen Zeiten weigert sich niemand, von dem, was er besitzen mag,
mitzuteilen und nahm den kleinen Fremdling, indem sie ihr eignes Kind dem Vater
gab und legte ihn an ihre Brust. Don Fernando war sehr dankbar für diese Güte
und fragte, ob sie sich nicht mit ihm zu jener Gesellschaft verfügen wollten, wo
eben jetzt beim Feuer ein kleines Frühstück bereitet werde. Josephe antwortete,
dass sie dies Anerbieten mit Vergnügen annehmen würde und folgte ihm, da auch
Jeronimo nichts einzuwenden hatte, zu seiner Familie, wo sie auf das innigste
und zärtlichste von Don Fernandos beiden Schwägerinnen, die sie als sehr würdige
junge Damen kannte, empfangen ward.
Donna Elvire, Don Fernandos Gemahlin, welche schwer an den Füßen verwundet auf
der Erde lag, zog Josephen, da sie ihren abgehärmten Knaben an der Brust
derselben sah, mit vieler Freundlichkeit zu sich nieder. Auch Don Pedro, sein
Schwiegervater, der an der Schulter verwundet war, nickte ihr liebreich mit dem
Haupte zu. —
In Jeronimos und Josephens Brust regten sich Gedanken von
seltsamer Art. Wenn sie sich mit so vieler Vertraulichkeit und Güte behandelt
sahen, so wussten sie nicht, was sie von der Vergangenheit denken sollten, vom
Richtplatze, von dem Gefängnisse und der Glocke; und ob sie bloß davon geträumt
hätten. Es war, als ob die Gemüter seit dem fürchterlichen Schlage, der sie
durchdröhnt hatte, alle versöhnt wären. Sie konnten in der Erinnerung gar nicht
weiter als bis auf ihn zurückgehen. Nur Donna Elisabeth, welche bei einer
Freundin auf das Schauspiel des gestrigen Morgens eingeladen worden war, die
Einladung aber nicht angenommen hatte, ruhte zuweilen mit träumerischem Blicke
auf Josephen; doch der Bericht, der über irgend ein neues grässliches Unglück
erstattet ward, riss ihre der Gegenwart kaum entflohene Seele schon wieder in
dieselbe zurück.
Man erzählte, wie die Stadt gleich nach der ersten
Haupterschütterung von Weibern ganz voll gewesen, die vor den Augen aller Männer
niedergekommen seien; wie die Mönche darin mit dem Kruzifix in der Hand
umhergelaufen wären und geschrieen hätten, das Ende der Welt sei da; wie man
einer Wache, die auf Befehl des Vizekönigs verlangte eine Kirche zu räumen,
geantwortet hätte, es gäbe keinen Vizekönig von Chili mehr! wie der Vizekönig in
den schrecklichsten Augenblicken hätte müssen Galgen aufrichten lassen, um der
Dieberei Einhalt zu tun; und wie ein Unschuldiger, der sich von hinten durch ein
brennendes Haus gerettet, von dem Besitzer aus Übereilung ergriffen und sogleich
auch aufgeknüpft worden wäre.
Donna Elvire, bei deren Verletzungen Josephe viel beschäftigt war, hatte in
einem Augenblick, da gerade die Erzählungen sich am lebhaftesten kreuzten,
Gelegenheit genommen sie zu fragen, wie es denn ihr an diesem fürchterlichen Tag
ergangen sei. Und da Josephe ihr mit beklemmtem Herzen einige Hauptzüge davon
angab, so ward ihr die Wollust, Tränen in die Augen dieser Dame treten zu sehen;
Donna Elvire ergriff ihre Hand und drückte sie, und winkte ihr zu schweigen.
Josephe dünkte sich unter den Seligen. Ein Gefühl, das sie nicht unterdrücken
konnte, nannte den verflossnen Tag, so viel Elend er auch über die Welt gebracht
hatte, eine Wohltat, wie der Himmel noch keine über sie verhängt hatte. Und in
der Tat schien mitten in diesen grässlichen Augenblicken, in welchen alle
irdischen Güter der Menschen zu Grunde gingen und die ganze Natur verschüttet zu
werden drohte, der menschliche Geist selbst wie eine schöne Blume aufzugehen.
Auf den Feldern, so weit das Auge reichte, sah man Menschen von allen Ständen
durcheinander liegen, Fürsten und Bettler, Matronen und Bäuerinnen, Staatsbeamte
und Tagelöhner, Klosterherren und Klosterfrauen einander bemitleiden, sich
wechselseitig Hilfe reichen, von dem, was sie zur Erhaltung ihres Lebens
gerettet haben mochten, freudig mitteilen, als ob das allgemeine Unglück alles,
was ihm entronnen war, zu einer Familie gemacht hätte.
Statt der nichts sagenden Unterhaltungen, zu welchen sonst die Welt an den
Teetischen den Stoff hergegeben hatte, erzählte man jetzt Beispiele von
ungeheueren Taten; Menschen, die man sonst in der Gesellschaft wenig geachtet
hatte, hatten Römergröße gezeigt; Beispiele zu Haufen von Unerschrockenheit, von
freudiger Verachtung der Gefahr, von Selbstverleugnung und der göttlichen
Aufopferung, von ungesäumter Wegwerfung des Lebens, als ob es, dem
nichtswürdigsten Gute gleich, auf dem nächsten Schritte schon wieder gefunden
wurde. Ja da nicht einer war, für den nicht an diesem Tage etwas Rührendes
geschehen wäre oder der nicht selbst etwas Großmütiges getan hätte, so war der
Schmerz in jeder Menschenbrust mit so viel süßer Lust vermischt, dass sich gar
nicht angeben ließ, ob die Summe des allgemeinen Wohlseins nicht von der einen
Seite um eben so viel gewachsen war, als sie von der andern abgenommen hatte.
Jeronimo nahm Josephen, nachdem sich beide in diesen Betrachtungen
stillschweigend erschöpft hatten, beim Arm, und führte sie mit unaussprechlicher
Heiterkeit unter den schattigen Lauben des Granatwaldes auf und nieder. Er sagte
ihr, dass er bei dieser Stimmung der Gemüter und dem Umsturz aller Verhältnisse
seinen Entschluss, sich nach Europa einzuschiffen aufgebe; dass er vor dem
Vizekönig, der sich seiner Sache immer günstig gezeigt, falls er noch am Leben
sei, einen Fußfall wagen würde; und dass er Hoffnung habe (wobei er ihr einen
Kuss aufdrückte), mit ihr in Chili zurückzubleiben. Josephe antwortete, dass
ähnliche Gedanken in ihr aufgestiegen wären; dass auch sie nicht mehr, falls ihr
Vater nur noch am Leben sei, ihn zu versöhnen zweifle; dass sie aber statt des
Fußfalles lieber nach La Conception zu gehen, und von dort aus schriftlich das
Versöhnungsgeschäft mit dem Vizekönig zu betreiben rate, wo man auf jeden Fall
in der Nähe des Hafens wäre, und für den besten, wenn das Geschäft die
erwünschte Wendung nähme, ja leicht wieder nach St. Jago zurückkehren könnte.
Nach einer kurzen Ueberlegung gab Jeronimo der Klugheit dieser Maßregel seinen
Beifall, führte sie noch ein wenig, die heitern Momente der Zukunft
überfliegend, in den Gängen umher und kehrte mit ihr zur Gesellschaft zurück.
Inzwischen war der Nachmittag herangekommen, und die Gemüter der
herumschwärmenden Flüchtlinge hatten sich, da die Erdstöße nachließen, nur kaum
wieder ein wenig beruhigt, als sich schon die Nachricht verbreitete, dass in der
Dominikanerkirche, der einzigen, welche das Erdbeben verschont hatte, eine
feierliche Messe von dem Prälaten des Klosters selbst gelesen werden würde, den
Himmel um Verhütung ferneren Unglücks anzuflehen.
nDas Volk brach schon ans allen Gegenden auf und eilte in Strömen zur Stadt. In
Don Fernandos Gesellschaft ward die Frage aufgeworfen, ob man nicht auch an
dieser Feierlichkeit Teil nehmen und sich dem allgemeinen Zuge anschließen
solle. Donna Elisabeth erinnerte mit einiger Beklemmung, was für ein Unheil
gestern in der Kirche vorgefallen sei; dass solche Dankfeste ja wiederholt
werden würden und dass man sich der Empfindung alsdann, weil die Gefahr schon
mehr vorüber wäre, mit desto größerer Heiterkeit und Ruhe überlassen könnte.
Josephe äußerte, indem sie mit einiger Begeisterung sogleich aufstand, dass sie
den Drang, ihr Antlitz vor dem Schöpfer in den Staub zu legen, niemals lebhafter
empfunden habe als eben jetzt, wo er seine unbegreifliche und erhabene Macht so
entwickle. Donna Elvire erklärte sich mit Lebhaftigkeit für Josephens Meinung.
Sie bestand darauf, dass man die Messe hören sollte und rief Don Fernando auf,
die Gesellschaft zu führen, worauf sich alles, Donna Elisabeth auch, von den
Sitzen erhob. Da man jedoch letztere mit heftig arbeitender Brust die kleinen
Anstalten zum Aufbruche zaudernd betreiben sah, und sie auf die Frage, was ihr
fehle, antwortete, sie wisse nicht, welch eine unglückliche Ahnung in ihr sei,
so beruhigte sie Donna Elvire, und forderte sie auf, bei ihr und ihrem kranken
Vater zurückzubleiben. Josephe sagte: so werden Sie mir wohl, Donna Elisabeth,
diesen kleinen Liebling abnehmen, der sich schon wieder, wie Sie sehen, bei mir
eingefunden hat. Sehr gern, antwortete Donna Elisabeth, und machte Anstalten ihn
zu ergreifen; doch da dieser über das Unrecht, das ihm geschah, kläglich schrie
und auf keine Art darein willigte, so sagte Josephe lächelnd, dass sie ihn nur
behalten wolle, und küsste ihn wieder still. Hierauf bot Don Fernando, dem die
ganze Würdigkeit und Anmut ihres Betragens sehr gefiel, ihr den Arm; Jeronimo,
welcher den kleinen Philipp trug, führte Donna Constanzen; die übrigen
Mitglieder, die sich bei der Gesellschaft eingefunden hatten, folgten: und in
dieser Ordnung ging der Zug nach der Stadt.
Sie waren kaum fünfzig Schritte gegangen, als man Donna Elisabeth, welche
inzwischen heftig und heimlich mit Donna Elvire gesprochen hatte: Don Fernando!
rufen horte, und dem Zuge mit unruhigen Tritten nacheilen sah. Don Fernando
hielt und kehrte sich um; harrte ihrer, ohne Josephen loszulassen und fragte, da
sie, gleich als ob sie auf sein Entgegenkommen wartete, in einiger Ferne stehen
blieb, was sie wolle. Donna Elisabeth näherte sich ihm hierauf, obschon wie es
schien mit Widerwillen, und rannte ihm, doch so, dass Josephe es nicht hören
konnte, einige Worte ins Ohr. Nun? fragte Don Fernando: und das Unglück, das
daraus entstehen kann? Donna Elisabeth fuhr fort, ihm mit verstörtem Gesicht ins
Ohr zu zischeln. Don Fernando stieg eine Röte des Unwillens ins Gesicht; er
antwortete: es wäre gut! Donna Elvire möchte sich beruhigen; und führte seine
Dame weiter. —
Als sie in der Kirche der Dominikaner ankamen, ließ
sich die Orgel schon mit musikalischer Pracht hören und eine unermessliche
Menschenmenge wogte darin. Das Gedränge erstreckte sich bis weit vor den
Portalen auf den Vorplatz der Kirche hinaus, und an den Wänden hoch in den
Rahmen der Gemälde hingen Knaben und hielten mit erwartungsvollen Blicken ihre
Mützen in der Hand. Von allen Kronleuchtern strahlte es herab, die Pfeiler
warfen bei der einbrechenden Dämmerung geheimnisvolle Schatten, die große von
gefärbtem Glase gearbeitete Rose in der Kirche äußerstem Hintergrunde glühte wie
die Abendsonne selbst, die sie erleuchtete, und Stille herrschte, da die Orgel
jetzt schwieg, in der ganzen Versammlung, als hätte keiner einen Laut in der
Brust. Niemals schlug aus einem christlichen Dom eine solche Flamme der Inbrunst
Novellen, wie heute aus dem Dominikanerdom zu St. Jago; und keine menschliche
Brust gab wärmere Glut dazu her als Jeronimo' und Josephens!
Die
Feierlichkeit fing mit einer Predigt an, die der ältesten Chorherren einer, mit
dem Festschmuck angetan, von der Kanzel hielt. Er begann gleich mit Lob, Preis
und Dank, seine zitternden, vom Chorhemde weit umflossenen Hände hoch Novellen
erhebend, dass noch Menschen seien auf diesem in Trümmer zerfallenden Teile der
Welt, fähig zu Gott empor zu stammeln. Er schilderte, was auf den Wink des
Allmächtigen geschehen war; das Weltgericht kann nicht entsetzlicher sein; und
als er das gestrige Erdbeben gleichwohl, auf einen Riss, den der Dom erhalten
hatte, hinzeigend, einen bloßen Vorboten davon nannte, lief ein Schauder über
die ganze Versammlung. Hierauf kam er im Flusse priesterlicher Beredsamkeit auf
das Sittenverderbnis der Stadt; Gräuel, wie Sodom und Gomorrha sie nicht sahen,
straft' er an ihr; und nur der unendlichen Langmut Gottes schrieb er es zu, dass
sie noch nicht gänzlich vom Erdboden vertilgt worden sei.
Aber wie dem
Dolche gleich fuhr es durch die von dieser Predigt schon ganz zerrissenen Herzen
unserer beiden Unglücklichen, als der Chorherr bei dieser Gelegenheit
umständlich des Frevels erwähnte, der in dem Klostergarten der Karmeliterinnen
verübt worden war; die Schonung, die er bei der Welt gefunden hatte, gottlos
nannte, und in einer von Verwünschungen erfüllten Seitenwendung die Seelen der
Täler, wörtlich genannt, allen Fürsten der Holle übergab! Donna Constanze rief,
indem sie an Jeronimos Armen zuckte: Don Fernando! Doch dieser antwortete so
nachdrücklich und doch so heimlich, wie sich beides verbinden ließ: „Sie
schweigen, Donna, Sie rühren auch den Augapfel nicht, und tun als ob Sie in eine
Ohnmacht versänken; worauf wir die Kirche verlassen." Doch ehe Donna Constanze
diese sinnreiche zur Rettung erfundene Maßregel noch ausgeführt hatte, rief
schon eine Stimme, des Chorherrn Predigt laut unterbrechend, aus: Weichet fern
hinweg, ihr Bürger von St. Jago, hier stehen diese gottlosen Menschen! Und als
eine andere Stimme schreckenvoll, indessen sich ein weiter Kreis des Entsetzens
um sie bildete, fragte: Wo? Hier! versetzte ein Dritter und zog, heiliger
Ruchlosigkeit voll, Josephen bei den Haaren nieder, dass sie mit Don Fernandos
Sohne zu Boden getaumelt wäre, wenn dieser sie nicht gehalten hätte. Seid ihr
wahnsinnig? rief der Jüngling und schlug den Arm um Josephen: „Ich bin Don
Fernando Ormez, Sohn des Kommandanten der Stadt, den ihr alle kennt." Don
Fernando Ormez? rief, dicht vor ihn hingestellt, ein Schuhflicker, der für
Josephen gearbeitet hatte und diese wenigstens so genau kannte als ihre kleinen
Füße. Wer ist der Vater zu diesem Kinde? wandte er sich mit frechem Trotz zur
Tochter Asterons. Don Fernando erblasste bei dieser Frage. Er sah bald den
Jeronimo schüchtern an, bald überflog er die Versammlung, ob nicht einer sei,
der ihn kenne? Josephe rief, von entsetzlichen Verhältnissen gedrängt: dies ist
nicht mein Kind, Meister Pedrillo, wie er glaubt; indem sie in unendlicher Angst
der Seele auf Don Fernando blickte: Dieser junge Herr ist Don Fernando Ormez,
Sohn des Kommandanten der Stadt, den ihr alle kennt! Der Schuster fragte: Wer
von euch, ihr Bürger, kennt diesen jungen Mann? Und mehrere der Umstehenden
wiederholten: Wer kennt den Jeronimo Rugera? Der trete vor! Nun traf es sich,
dass in demselben Augenblicke der kleine Juan, durch den Tumult erschreckt, von
Josephens Brust weg Don Fernando in die Arme strebte. Hierauf: Er ist der Vater!
schrie eine Stimme; und er ist Jeronimo Rugera, eine andere; und: Sie find die
gotteslästerlichen Menschen! Eine dritte; und: Steinigt sie! Steinigt sie! Die
ganze im Tempel Jesu versammelte Christenheit! Drauf jetzt Jeronimo: Halt! ihr
Unmenschlichen! Wenn ihr den Jeronimo Rugera sucht: Hier ist er! Befreit jenen
Mann, welcher unschuldig ist! —
Der wütende Haufen, durch die Äußerung Jeronimos verwirrt, stutzte; mehrere
Hände ließen Don Fernando los; und da in demselben Augenblick ein Marineoffizier
von bedeutendem Rang herbeieilte, und indem er sich durch den Tumult drängte,
fragte: Don Fernando Ormez! Was ist euch widerfahren? So antwortete dieser, nun
völlig befreit, mit wahrhaft heldenmütiger Besonnenheit: Ja sehen Sie, Don
Alonzo, die Mordknechte! Ich wäre verloren gewesen, wenn dieser würdige Mann
sich nicht, die rasende Menge zu beruhigen, für Jeronimo Rugera ausgegeben
hätte. Verhaften Sie ihn, wenn sie die Güte haben wollen, nebst dieser jungen
Dame zu ihrer beiderseitigen Sicherheit; und diesen Nichtswürdigen, indem er
Meister Pedrillo ergriff, der den ganzen Aufruhr angezettelt hat! Der Schuster
rief: Don Alonzo Onoreja, ich frage euch auf euer Gewissen, ist dieses Mädchen
nicht Josephe Asteron? Da nun Don Alonzo, welcher Josephen sehr genau kannte,
mit der Antwort zauderte, und mehrere Stimmen, dadurch von neuem zur Wut
entflammt, riefen: Sie ist's, sie ist's! und: Bringt sie zu Tode! So setzte
Josephe den kleinen Philipp, den Jeronimo bisher getragen hatte, samt dem
kleinen Juan auf Don Fernandos Arm, und sprach: Gehen Sie, Don Fernando, retten
Sie ihre beiden Kinder, und überlassen Sie uns unserm Schicksale!
Don
Fernando nahm die beiden Kinder und sagte, er wolle eher umkommen als zugeben,
dass seiner Gesellschaft etwas zu Leide geschehe. Er bot Josephen, nachdem er
sich den Degen des Marineoffiziers ausgebeten hatte, den Arm, und forderte das
hintere Paar auf ihm zu folgen. Sie kamen auch wirklich, indem man ihnen bei
solchen Anstalten mit hinlänglicher Ehrerbietigkeit Platz machte, aus der Kirche
heraus, und glaubten sich gerettet. Doch kaum waren sie auf den von Menschen
gleichfalls erfüllten Vorplatz derselben getreten, als eine Stimme aus dem
rasenden Haufen, der sie verfolgt hatte, rief: Dies ist Jeronimo Rugera, ihr
Bürger, denn ich bin sein eigner Vater! und ihn an Donna Constanzens Seite mit
einem ungeheuren Keulenschlage zu Boden streckte. Jesus Maria! rief Donna
Constanze und floh zu ihrem Schwager; doch: Klostermetze! erscholl es schon, mit
einem zweiten Keulenschlage von einer andern Seite, der sie leblos neben
Jeronimo niederwarf. Ungeheuer! rief ein Unbekannter: dies war Donna Constanze
Zares! Warum belogen sie uns! antwortete der Schuster; sucht die Rechte auf und
bringt sie um! Don Fernando, als er Constanzens Leichnam erblickte, glühte vor
Zorn; er zog und schwang das Schwert, und hieb, dass er ihn gespalten hätte, den
fanatischen Mordknecht, der diese Gräuel veranlasst, wenn derselbe nicht durch
eine Wendung dem wütenden Schlag entwichen wäre. Doch da er die Menge, die auf
ihn eindrang, nicht überwältigen konnte: Leben Sie wohl, Don Fernando mit den
Kindern! rief Josephe — und: Hier mordet mich, ihr blutdürstenden Tiger! und
stürzte sich freiwillig unter sie, um dem Kampf ein Ende zu machen. Meister
Pedrillo schlug sie mit der Keule nieder. Darauf ganz mit ihrem Blute bespritzt:
Schickt ihr den Bastard zur Hölle nach! rief er, und drang mit noch
ungesättigter Mordlust von neuem vor.
Don Fernando, dieser göttliche
Held, stand jetzt, den Rücken an die Kirche gelehnt; in der Linken hielt er die
Kinder, in der Rechten das Schwert. Mit jedem Hiebe wetterstrahlte er einen zu
Boden; ein Löwe wehrt sich nicht besser. Sieben Bluthunde lagen tot vor ihm, der
Fürst der satanischen Rotte selbst war verwundet. Doch Meister Pedrillo ruhte
nicht eher, als bis er der Kinder eines bei den Beinen von deiner Brust
gerissen, und, hoch her im Kreise geschwungen, an eines Kirchpfeilers Ecke
zerschmettert hatte. Hierauf ward es still und alles entfernte sich. Don
Fernando, als er seinen kleinen Juan vor sich liegen sah mit aus dem Hirne
vorquellendem Mark, hob voll namenlosen Schmerzes seine Augen Novellen.
Der Marineoffizier fand sich wieder bei ihm ein, suchte ihn zu trösten und
versicherte ihn, dass seine Untätigkeit bei diesem Unglück, obschon durch
mehrere Umstände gerechtfertigt, ihn reue; doch Don Fernando sagte, dass ihm
nichts vorzuwerfen sei und bat ihn nur die Leichname jetzt fortschaffen zu
helfen. Man trug sie alle bei der Finsternis der einbrechenden Nacht in Don
Alonzos Wohnung, wohin Don Fernando ihnen, viel über das Antlitz des kleinen
Philipp weinend, folgte. Er übernachtete auch bei Don Alonzo, und säumte lange
unter falschen Vorspiegelungen, seine Gemahlin von dem ganzen Umfang des
Unglücks zu unterrichten; einmal weil sie krank war, und dann, weil er auch
nicht wusste, wie sie sein Verhalten bei dieser Begebenheit beurteilen würde;
doch kurze Zeit nachher, durch einen Besuch zufällig von allem, was geschehen
war, benachrichtigt, weinte diese treffliche Dame im Stillen ihren mütterlichen
Schmerz aus und fiel ihm mit dem Rest einer erglänzenden Träne eines Morgens um
den Hals und küsste ihn. Don Fernando und Donna Elvire nahmen hierauf den
kleinen Fremdling zum Pflegesohn an; und wenn Don Fernando Philippen mit Juan
verglich, und wie er beide erworben hatte, so war es ihm fast, als müsste er
sich freuen.
Die Novelle
Einen Aufsatz zu Novellen schreiben für Klasse 5, Klasse 6, Klasse 7,
Klasse8, Klasse 9, Klasse 10:
Bericht -
Reportage
Bildinterpretation
Gegenstandsbeschreibung
Freie Erzählung
Gedichte
interpretieren
Gedichte 5 - 6
Inhaltsangabe
Nacherzählung
Personenbeschreibung
Textinterpretation
Vorgangsbeschreibung
Textgattungen
Zeitungsbericht
Novellen von Heinrich von Kleist im Deutschunterricht.