1 Merkmale Sprache im Nationalsozialismus
Merkmale
Die nationalsozialistische Sprache wirkte im Alltag der Menschen wie eine ständige Vergiftung, die das Mitgefühl für Menschen außerhalb der „Volksgemeinschaft“ zerstörte. So wurde durch die Sprache unter anderem die Hemmschwelle für eigene Untaten oder eigene Bereicherung herabgesetzt. Massenmord und Terror wurden nicht zuletzt durch beschönigende Ausdrücke möglich.
Superlative
In der nationalsozialistischen Sprache wurden häufig Wendungen benutzt wie:
dem totalsten …, gigantisch, ungeheuer, hundertfünfzigprozentig, die größten Gefahren ... „Wollt Ihr den totalen Krieg? Wollt Ihr ihn, wenn nötig totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?“ (Goebbels)
Superlative sollten Personen und Leistungen der Nationalsozialisten positiv darstellen, überhöhen. Auch Adjektive, die inhaltlich einen Superlativ darstellen, wurden gesteigert. Ebenfalls das Gegenteil, eine durchgehend negative Darstellung, sollte mit Superlativen erreicht werden:
„Die Urheber dieses niederträchtigsten Schurkenstreiches ...“ Mein Kampf S. 217 „ ... der in wirtschaftlichen Dingen zunächst die unverschämtesten Versprechungen bietet.“ Mein Kampf S. 354
Superlative und Übertreibungen sollten die Gegner der Nationalsozialisten herabwürdigen und Argumente überflüssig machen. Was zählte, war die Emotion, die beim Hörer oder Leser entstand.
Abkürzungen
Auffälligkeiten der Sprache im Nationalsozialismus
BDM (Bund Deutscher Mädel), HJ (Hitlerjugend), KDF (Kraft durch Freude), KZ (Konzentrationslager), NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation)…
Die vielen Abkürzungen im Nationalsozialismus sind bedingt durch die Konzentration auf alles Militärische. Zudem sind sie Ausdruck für die Mechanisierung (Entmenschlichung) der Gesellschaft im Nationalsozialismus. Die Häufigkeit der Abkürzungen sorgt dafür, dass über die Bedeutung der Abkürzungen nicht mehr nachgedacht wird.
Euphemismen
Auch durch selbst geschaffene Begriffe, die ursprüngliche Bedeutungen ins Gegenteil verkehren, missbrauchten Nationalsozialisten die Sprache:
Endlösung der Judenfrage (systematische Ermordung), Sonderbehandlung, ausräumen, sonderbetreuen, ausschalten, Ausscheidung (Mord), auswanderungslustige Juden (Menschen müssen vor der Ermordung fliehen), Ballastexistenzen (nach Meinung der Nationalsozialisten wertlose Menschen, die zu ermorden sind), Kristallnacht (die Zerstörung von Synagogen), Heimatfront ...
Durch Euphemismen (Beschönigungen) in der Sprache des Nationalsozialismus wird
unmenschliches Handeln verdeckt, aber gleichzeitig damit auch denkbar und
aussprechbar gemacht. Der Begriff „Endlösung“ soll auf Menschen positiv wirken.
Hinter diesem scheinbar positiven Begriff verbirgt sich der geplante Massenmord
an Juden.
Mit dem Begriff „Heimatfront“ wird den Menschen die Bedrohung
durch einen äußeren Feind näher gebracht. Durch die empfundene Bedrohung sollte
der Zusammenhalt im Inneren gestärkt werden. Die Ablehnung gegenüber Menschen,
die nicht Nationalsozialisten waren, wurde gefördert. Textbeispiel:
„Ganz gleich zu welcher Art von Widerstand man sich entschloß, immer war die erste Voraussetzung die Ausscheidung des marxistischen Giftes aus unserem Volkskörper.“ Mein Kampf S. 772f
Begriffe wie „hart“ und „rücksichtslos“ haben eine negative Bedeutung. Dadurch, dass die Nationalsozialisten diese Begriffe im Zusammenhang mit dem politischen Gegner nutzten, wurde die negative Bedeutung ins Positive verkehrt. Es war vom moralischen Standpunkt aus gesehen plötzlich richtig, rücksichtslos zu sein.
Entmenschlichung
Menschen werden mit Begriffen wie „Parasit“, „Schädling“ oder
„schädlicher Bazillus“ bezeichnet. Menschen mit den Metaphern
„Parasiten“, „Schädlinge“ und „Bazillus“ zu bezeichnen, bedeutete sie zu
entmenschlichen. So sollte die Sprache das Mitgefühl für alle Menschen
zerstören, die nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehörten. Diese extremste Form der
Ausgrenzung bereitete sprachlich die massenhafte Ermordung von Menschen vor.
Kranke Menschen bezeichnet Hitler als „defekte“ Menschen und weist ihnen damit
den Charakter einer Sache oder eines Gegenstandes zu, mit der man es zu tun hat,
aber nicht mit Menschen. Im hierzu aufgeführten Beispiel wird zudem der Begriff
Humanität in sein Gegenteil verkehrt: Menschlichkeit wird zur Unmenschlichkeit.
Beispiele für die Entmenschlichung im nationalsozialistischen Sprachgebrauch:
„Sein (die jüdische Bevölkerung) Sich-Weiterverbreiten aber ist eine typische
Erscheinung für alle
Parasiten; er sucht immer neuen Nährboden für seine Rasse.“ Adolf
Hitler, Mein Kampf S. 334
„Er ist und bleibt der ewige Parasit, ein Schmarotzer, der wie
ein schädlicher
Bazillus sich immer mehr ausbreitet, sowie nur ein günstiger Nährboden
dazu einlädt.“ Adolf Hitler, Mein Kampf S. 334
„Es entspricht dies einer Humanität, die, um dem einen nicht wehe zu tun,
hundert andere zugrunde gehen läßt. Die Forderung, daß defekten Menschen die
Zeugung anderer ebenso defekter Nachkommen unmöglich gemacht wird, ist eine
Forderung klarster Vernunft und bedeutet in ihrer planmäßigen Durchführung die
humanste Tat der Menschheit. Sie wird Millionen von Unglücklichen unverdiente
Leiden.“ Adolf Hitler, Mein Kampf S. 279
Religiöser Sprachgebrauch
Nationalsozialisten verwendeten in ihrer Sprache häufig Begriffe wie ewig,
heilig, fromm, Glaube, Glaubensbekenntnis, Vorsehung, Mission, Opfer,
unsterblicher Glaube, ewige Hoffnung, Vorsehung, Weihe, Herr, segne unseren
Kampf, der Glaube an den Führer …. Im nationalsozialistischen Sprachgebrauch
wurden häufig Begriffe aus der Religion benutzt, um den eigenen Standpunkt
aufzuwerten und als unangreifbar darzustellen.
Religiöse Begriffe deutete man für die verbrecherischen
Interessen der Nationalsozialisten um. Nicht nur Begriffe aus der Religion
wurden verwendet, auch Zeremonien wie Aufmärsche und Versammlungen sollten einen
entsprechenden religiösen Charakter erhalten. Offensichtlich unheilige Dinge
wurden ebenso ins Gegenteil umgedeutet: der heilige Krieg.
Textbeispiele:
„Und drei Stunden später hatte ich vor mir eine wogende Masse voll heiligster
Empörung und maßlosestem Grimm.“ Mein Kampf S. 524
„Allmächtiger Gott, segne dereinst unsere Waffen; sei so gerecht, wie du es
immer warst; urteile jetzt, ob wir die Freiheit nun verdienen; Herr, segne
unseren Kampf!“ Mein Kampf S. 715
„... ein politisches Glaubensbekenntnis, ...“ Mein Kampf S. 424
„... daß der Sieg ewig nur im Angriff liegt.“ Adolf Hitler, Mein Kampf S. 440
Im Christentum bedeutet der Begriff Dreieinigkeit (Trinität), dass Gott drei
Seinsweisen hat: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Eine Entsprechung zeigt sich im
Segen: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Die Sprache im Nationalsozialismus knüpft an diese Trinität an, indem man
„Ein
Volk, ein Reich, ein Führer“ skandiert und dies auf vielen Bildern, in
Reden und Radiosendungen gebetsmühlenartig wiederholt. Auch hierdurch erschließt
sich die Sprache des Nationalsozialismus Begriffe aus der Religion, entkernt
deren Aussagekraft und funktioniert sie zu einem Mittel um, das die Menschen
glauben lassen soll, einer höheren Macht zu dienen, letztlich aber mit dem
Ergebnis von Terror und Mord.
Übersteigerte Emotionalität
Die übertriebene Verwendung von gefühlsbetonten Bestandteilen in der Sprache
bedeutete nicht, mehr Mitgefühl zu schaffen. Positives Gefühl galt nur für die
eigene Gruppe, Außenstehende traf der Hass umso stärker.
Textbeispiele
„Ungeheuer waren die Lasten, die man dem deutschen Volke zumutete, unerhört seine Opfer an Steuern und an Blut, und dennoch mußte jeder nicht gänzlich Blinde erkennen, daß dieses alles umsonst sein würde.“ Mein Kampf S. 13 „Mußten sie sich nicht öffnen und die stummen, schlamm- und blutbedeckten Helden als Rachegeister in die Heimat senden, die sie um das höchste Opfer, das auf dieser Welt der Mann seinem Volke zu bringen vermag, so hohnvoll betrogen hatte.“ Mein Kampf S. 224
Bei diesen Beispielen handelt es sich um die übertriebene Darstellung
von Gefühlen (Emotionalität). Ziele der Nationalsozialisten wurden mit
übertriebenem gefühlsmäßigem Ausdruck überdeckt. Die Sprache brauchte keinen
wirklichen Informationswert, sondern sollte Gefühle beim Zuhörer wachrufen.
Gefühle lassen sich leichter lenken, als kompliziert zu
argumentieren, um damit zu überzeugen. Der Gehalt von Informationen wurde
unwichtig. Dass diese Wirkung kein Zufall war, zeigt folgendes Zitat von Adolf
Hitler:
„Je bescheidener dann ihr (Propaganda) wissenschaftlicher Ballast ist, und je mehr sie ausschließlich auf das Fühlen der Masse Rücksicht nimmt, um so durchschlagender der Erfolg. Dieser aber ist der beste Beweis für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Propaganda und nicht die gelungene Befriedigung einiger Gelehrter oder ästhetischer Jünglinge.“ Mein Kampf S. 198
Masse statt Individuum
Der einzelne Mensch besaß im Nationalsozialismus keinen Wert. Die Masse der Menschen wurde als „Material“ angesehen.
„Der Staat hat die Verpflichtung, mit äußerster Sorgfalt und Genauigkeit aus der
Gesamtzahl der Volksgenossen das von Natur aus ersichtlich befähigte
Menschenmaterial herauszusieben und im Dienste der Allgemeinheit zu verwenden.“
Mein Kampf S. 481f
„… eine breitere Menschenmasse auf sich zu verpflichten …“ Mein Kampf S. 511
„… sollte nun alle acht Tage, also wöchentlich einmal, eine große
Massenversammlung stattfinden.“ Mein Kampf S. 518
„Bei der geringen Denkfähigkeit der breiten Masse wundere man sich nicht über
den Erfolg.“ Mein Kampf S. 52
Im Nationalsozialismus zählte nicht mehr das Individuum (der einzelne Mensch), sondern nur der Mensch als winziger Teil der „Volksgemeinschaft“. Massenaufmärsche, Kundgebungen, Fackelzüge und Fahnenappelle sollten Gefühle wecken und den Verstand betäuben. Der Einzelne gab seine Individualität zugunsten der Masse auf. Der Mensch wurde auf eine Sache reduziert, auf Material.
Ausrufe und Beschimpfungen
Beschimpfungen und Schmähworte verstärkten die Wirkung nationalsozialistischer Sprache und bereiteten die Basis für Hass und Aggression. In der Regeln werden Beschimpfungen und Ausrufe zur Steigerung der emotionalen Wirkung einer Rede eingesetzt. Oft werden sie mit weiteren Merkmalen nationalsozialistischer Sprache kombiniert.
„Jawohl, so liegen die Dinge, meine tapferen Herren Wortprotestler!“
Mein Kampf S. 710
„... und daß die ansonst schwachen Grüppchen dadurch plötzlich
zu einer Macht geworden seien. D i e s i s t j e d o c h m e i
s t e n s f a l s c h!“ Mein Kampf S. 568s
„Planmäßig schänden diese schwarzen Völkerparasiten
unsere unerfahrenen, jungen blonden Mädchen und zerstören dadurch etwas, was auf
dieser Welt nicht mehr ersetzt werden kann.“ Mein Kampf S. 630
„... dieses Lumpenpack niemals etwa aus Motiven, wie sie
vielleicht bei der anderen Menschheit glaubhaft oder wenigstens verständlich
wären, etwas unternimmt. Gott bewahre!“ Mein Kampf S. 94
Neologismen
Wortneuschöpfungen wie „fremdvölkisch“, „Blutschande“, „Endlösung“, „Herrenblut“ nutzten die Nationalsozialisten, um durch pathetische Sprache die eigenen Interessen aufzuwerten und unangreifbar zu machen. Die Auseinandersetzung mit Argumenten, Kommunikation suchte diese Form der Sprache nicht. Militärische Begriffe werden im Nationalsozialismus mit neutralen Ausdrücken kombiniert und damit umgewertet.
„Mir erschien die Riesenstadt als die Verkörperung der Blutschande.“
Mein Kampf S. 135
„... er wird der Herr so lange bleiben, so lange nicht auch er der
Blutschande zum Opfer fällt. Das Ergebnis jeder Rassenkreuzung
ist also, ganz kurz gesagt, immer Folgendes:
a) Niedersenkung des Niveaus der höheren Rasse,
b) körperlicher und geistiger Rückgang und damit der Beginn eines, wenn auch
langsam, so doch sicher fortschreitenden Siechtums.“ Mein Kampf S. 314
„Unbewußt wird der Rest des einstigen Herrenblutes sich der
neuen Erscheinung zuwenden, und was erst nur dem Zwange möglich war, kann nun
dem eigenen Willen gelingen.“ Mein Kampf S. 320
„Geburtenschlacht“,
„Arbeitsfront“, „Kriegsweihnacht“
Befehlsartiger Sprachstil
In die Alltagssprache fügten die Nationalsozialisten die Sprache des Militärs immer stärker in die Alltagssprache ein. Der Widerspruch gehört beim Militär zu den Dingen, die nicht akzeptiert werden, Zuwiderhandelnde müssen oft mit bedrohlichen Folgen rechnen. Widerspruch setzt eigenes Denken und Kritikfähigkeit voraus. Eine Gesellschaft, die streng hierarchisch und nach dem Führerprinzip organisiert ist, verwendet militärische, imperative Sprache, um Kritik im Ansatz zu verhindern. Ein Befehl muss diesem Denken nach sofort und widerspruchsfrei ausgeführt werden. Abschätzige Begriffe wie „ausradieren“, „vernichten“, „aufreiben“ ... entmenschlichen zudem den Inhalt ihrer Aussagen.
„Sie muß dem Volk die Augen öffnen über die fremden Nationen
und
muß den wahren Feind unserer heutigen Welt immer und immer
wieder in Erinnerung bringen. An Stelle des Hasses gegen Arier, von denen uns
fast alles trennen kann, mit denen uns jedoch gemeinsames Blut oder die große
Linie einer zusammengehörigen Kultur verbindet,
muß sie den bösen Feind der Menschheit, als den wirklichen
Urheber allen Leides, dem allgemeinen Zorne weihen. Sorgen aber muß
sie dafür, daß wenigstens in unserem Lande der tödlichste Gegner erkannt und der
Kampf ...“ A. Hitler, Mein Kampf S 527f
„In dieser Schule soll der Knabe zum Mann gewandelt werden; und
in dieser Schule
soll er nicht nur gehorchen lernen, sondern dadurch auch die
Voraussetzung zum späteren Befehlen erwerben. Er
soll lernen zu schweigen, nicht nur, wenn er mit Recht getadelt
wird, sondern soll auch lernen, wenn nötig, Unrecht schweigend
zu ertragen.“ A. Hitler, Mein Kampf S. 459
„Das Volk soll
anfangen, einheitlich zu denken, einheitlich zu reagieren ...“ Goebbels
15.3.1933
Wurzeln des Sprachgebrauchs im Nationalsozialismus
Die Wurzeln des Sprachgebrauchs der Nationalsozialisten finden sich in der Militärsprache des Kaiserreichs, den Stigmatisierungen durch das Kaiserreich und auch in den Zeiten davor, wie im Antisemitismus, den bereits Martin Luther (Von den Juden und ihren Lügen, Martin Luther, 1543) verbreitete. Auch Hass und Vorurteile gegen Sinti und Roma haben ihre Wurzeln bereits im Mittelalter.
Sprachgebrauch und Vokabular in der nationalsozialistischen Propaganda sind durch Merkmale erkennbar.
Der nationalsozialistische Staat beeinflusste den Sprachgebrauch direkt. Die Anforderungen an diesen Sprachgebrauch und die Wirkung beschrieb Hitler in „Mein Kampf“.