Fabeln von Aesop

Äsop (um 600 v. Chr.), Fabeldichter

(+) Sehr beliebte Fabel
Das Gefecht der Erdvögel ...
Das Lamm und der Wolf (+)
Das Pferd und der Löwe
Der Adler und die Krähe
Der Adler und die Schildkröte
Der Affe und der Fuchs


Der alte Hund und sein Herr
Der Bauch und die anderen Glieder
Der Bauer und die Schlange
Der Eber und der Esel
Der Esel und der Fuchs (+)
Der Frosch und der Ochse
Der Esel und das Pferd
Der Esel und der Hund
Der Fuchs und der Storch (+)
Der Fuchs und die Weintrauben (+)
Der Hahn und der Diamant (+)
Der Hirsch und das Pferd
Der Hirsch und das Schaf
Der Hirsch und der Jäger (+)
Der Holzhacker und der Wald
Der Hund und das Stück Fleisch
Der Hund und der Dieb
Der kranke Geier


Der Löwe auf der Jagd
Der Löwe und die Maus
Der Pfau und die Nachtigall
Der Rabe und der Fuchs (+)
Der Sperber und die Taube
Der Vogelsteller und die Amsel(+)
Der vom Alter entkräftete Löwe
Das Wiesel und der Fuchs
Der Wolf und der Jäger
Der Wolf und der Kopf
Der Wolf und der Kranich (+)
Die Ameise und die Fliege
Die junge Ziege und der Wolf
Die mit Pfauenfedern geschmückte...
Die Ratte und der Frosch
Die Schlange und der Bauer
Die Schlange und die Feile
Die Schwalbe und andere Vögel
Die Stadtmaus und die Feldmaus (+)
Die Tauben und ihr König der Falke
Die Wölfe und die Schafe
Zwei Freunde und ein Bär
Zwei Frösche
(+) Sehr beliebte Fabel


Das Gefecht der Vögel und der Erdtiere
Um zu entscheiden, wer den Vorzug unter ihnen habe und zur Verteidigung ihrer Ehre erklärten die Vögel und Erdtiere einander den Krieg. Sie lieferten sich eine Schlacht und der Sieg wankte hin und her. Die Fledermaus bildete sich ein, dass die Vögel überwunden würden und schlug sich deswegen auf die Seite der Erdtiere. Ihre Vermutung schlug fehl. Die Vögel erhielten einen vollkommenen Sieg und die in ihrer Erwartung betrogene Fledermaus wurde aus der Gesellschaft der Vögel verstoßen. Sie schämte und betrübte sich hierüber so sehr, dass sie sich seit dieser Zeit nicht mehr getraut, am hellen Tag auszufliegen und sich nur bei Nacht sehen lässt.

Es ist gefährlich, sich auf die Seite einer Partei zu schlagen, wenn man nicht des Ausganges gewiss ist.
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Das Lamm und der Wolf
Der Wolf, der aus einer Quelle trank, bemerkte ein Lamm, das unten an dieser Quelle seinen Durst stillte. Er fuhr es zornig an und warf ihm vor, dass es ihm das Wasser getrübt hätte. Zu seiner Entschuldigung brachte das Lamm vor, dass es ja unter ihm trinke, und dass die Quelle nicht aufwärts laufen könne.
Noch mehr ergrimmt hierüber sagte der Wolf dem Lamm, dass es vor einem halben Jahr übel von ihm gesprochen hätte. „Damals war ich noch nicht geboren“, erwiderte das Lamm. - „Also muss es dein Vater oder deine Mutter gewesen sein“, versetzte der Wolf, fiel dann, ohne andere Ursachen anzuführen, über das Lamm her und verzehrte es unter dem Vorwand, die böse Gesinnung und den Hass seiner Eltern an ihm zu bestrafen.

Wenn böse Menschen die Macht in Händen haben, so fehlt es ihnen nie an einem Vorwande, diejenigen zu unterdrücken, die in ihrer Gewalt sind.
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Das Pferd und der Löwe
Ein alter Löwe, der nicht mehr mit der vorigen Geschwindigkeit jagen konnte, bekam Hunger auf ein Pferd, das er auf seinem Weg antraf. Es kam ihm der Einfall, einen Arzt vorzustellen und das Pferd zu fragen, wie es mit seiner Gesundheit stehe. Das Pferd bemerkte die böse Absicht des Löwen und antwortete, dass es sich nicht gar wohl befände, weil es sich einen Dorn in den Fuß getreten habe, der es sehr schmerzte.

Der Löwe erbot sich sogleich, ihm solchen herauszuziehen. Das Pferd nahm das Anerbieten an und stellte sich in Positur. Als sich nun der Löwe näherte, um den Dorn heraus zu ziehen, versetzte ihm das Pferd mit ausgestrecktem Fuß einen derben Schlag auf die Stirne, ergriff dann die Flucht und ließ den Löwen in einem erbärmlichen Zustande und voller Verzweiflung, dass ihm sein Streich nicht gelungen war.

Betrüger werden zu ihrer Strafe oft selbst betrogen.
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Der Adler und die Krähe
Ein Adler wollte gerne eine Auster verzehren, konnte aber weder durch Gewalt noch durch Geschicklichkeit ein Mittel finden, sie zu öffnen.

Die Krähe riet ihm, sich hoch in die Luft zu schwingen und die Auster auf die Steine fallen zu lassen, damit sie zerbreche. Der Adler folge dem Rat. Die Krähe lauerte unten, um zu sehen, wie es geschehen würde und da alles glücklich ging, machte sie sich über die aufgesprungene Auster her und verschlang sie; dem Adler ließ sie bloß die Schalen zum Lohne seiner Leichtgläubigkeit.

Bist du klug, so glaube nie eigennützigen Ratschlägen.
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Der Adler und die Schildkröte
Eine Schildkröte wünschte von einem Adler das Fliegen zu lernen. Der Adler war gutmütig und verwehrte ihr den Wunsch, doch je mehr er der Schildkröte beweisen wollte, dass der Wunsch ihr Schaden zufügen könne, umso mehr bestand sie darauf.

Um dem ein Ende zu bereiten, trug der Adler die Schildkröte bis in die Wolken hinauf und ließ sie herabstürzen. Am Boden angelangt,  zerschmetterte sie und büßte damit für ihre Dummheit.

Trachte nicht nach Dingen, die die Natur dir versagt hat; was die Natur versagt, kann niemand haben.
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Der Affe und der Fuchs
In einer allgemeinen Versammlung der Tiere sprang der Affe mit so großer Geschicklichkeit und Leichtigkeit, dass sie ihn mit dem Beifall der ganzen Versammlung zu ihrem König wählten.

Der Fuchs, der seine Erhebung mit Neid ansah, hatte in einem Graben Fleisch wahrgenommen, das unter Netzen verborgen lag. Er führe den Affen zu dem Rand des Grabens, sagte, er habe einen Schatz angetroffen, den sich der König nach den Gesetzen zueignen müsste: Er hieß ihn also geschwind sich dieses Schatzes bemächtigen. Der Affe stieg unbedacht in den Graben und wurde im Netz gefangen, das er nicht wahrnahm. Als er sich gefangen sah, warf er dem Fuchse Treulosigkeit vor. „Mein Herr Affe“, erwiderte der Fuchs, „da du so unvorsichtig bist, wie kannst du die Herrschaft über alle anderen Tiere verlangen?“

Wer sich nicht selbst beherrschen kann, soll sich nie zum Herrn über andere aufwerfen.
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Der alte Hund und sein Herr
Ein Jäger, der einen Hirsch verfolgte, ermahnte seinen Hund, geschwinder zu laufen, doch vom Alter geschwächt hatte dieser nicht mehr die Leichtigkeit, die ihm in der Jugend eigen war und sein Herr trieb ihn durch Prügel zum stärkeren Laufen an.

Wegen dieser üblen Behandlung beklagte sich der Hund bei seinem Herrn. Er stellte ihm vor, dass er ihm in der Jugend alle möglichen Dienste geleistet und dass es nicht Mangel an Zuneigung, sondern Abnahme an Kräften sei, wenn er jetzt diese Dienste nicht mehr tun könne. Zugleich bat er ihn, dass er ihn gelinder behandeln möge, damit die Welt glaube, dass ein Herr die treuen Dienste nicht vergessen habe, die ihm sein Hund in der Jugend geleistet hat.

Gute Hilfe wird nur zu bald vergessen.
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Der Bauch und die anderen Glieder
Die Glieder des Körpers fingen einst mit dem Bauch einen Prozess an und verlangten von ihm, dass er gleich den übrigen Gliedmaßen arbeite, wenn er ernährt sein wollte. Er stellte ihnen viele Male vor, dass er Speise bedürfe, aber die Hand schlug sie ihm ab und da ihm die notwendige Speise entzogen war, so verfiel er bald in große Mattigkeit.

Durch die große Hungersnot, in der sich der Magen befand, litten auch die übrigen Glieder. Zu spät erkannten sie nun ihren Irrtum. Die Hand wollte nun dem Magen Speise zuführen: Allein er war zu sehr geschwächt und konnte sie nicht annehmen. Er ging zugrunde und alle übrigen Glieder des Körpers starben mit ihm.

Wer dem König die notwendigen Zuwendungen entzieht, arbeitet an seinem eigenen Untergang. Oder:
Der Magen isst und nutzt zugleich
Der König isst sein eigen Reich
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Der Bauer und die Schlange
Ein Bauer fand im Schnee eine Schlange, die vor Kälte ganz erstarrt war. Er trug sie in seine Hütte und legte sie ans Feuer. Kaum hatte sie sich erwärmt und wieder erholt, so fing sie an ihr Gift durch die ganze Hütte auszubreiten.

Über einen so schändlichen Undank aufgebracht, machte ihr der Bauer große Vorwürfe und verband zugleich die Strafe damit. Er nahm eine Holzaxt und schlug die undankbare Schlange, die ihm Gutes mit Bösem vergalt und ihrem Wohltäter das Leben rauben wollte, in tausend Stücke.

So glaubt mancher sich einem Freund verbunden zu haben und hat bloß eine Schlange genährt.
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Der Eber und der Esel
Ein Esel begegnete von ungefähr einem Eber und fing an, sich über denselben lustig zu machen und ihn zu verspotten. Vor Grimm zitternd hatte der Eber anfänglich Lust, ihn in Stücke zu zerreißen.
Aber plötzlich machte er die Betrachtung, dass ein elender Esel seines Zorns und seiner Rache nicht würdig sei und sagte daher zu ihm: „Unglücklicher, ich würde dich wegen deiner Vermessenheit züchtigen, wenn du der Mühe wert wärst, aber du bist meiner Rache nicht würdig. Dich schützt deine Dummheit, Dummheit rettet dir das Leben.“

Wer edel denkt, schämt sich an Toren und Nichtswürdigen Rache zu nehmen.
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Der Esel und der Fuchs
Ein Esel und ein Fuchs lebten lange Zeit als Freunde und sie gingen auch miteinander auf die Jagd. Einmal begegnete ihnen plötzlich ein Löwe und der Fuchs fürchtete, er könne nicht mehr fliehen. Da sprach er zum Löwen:

„Oh, großmütiger König! Ich weiß, vor dir brauche ich mich nicht zu fürchten. Wenn ich dir das Fleisch meines dummen Gefährten anbieten kann, so bin ich dir zu Diensten.“

Der Löwe wollte ihn verschonen und der Fuchs geleitete den Esel in eine Falle, aus der er sich nicht mehr befreien konnte.

Nun ergriff der Löwe den Fuchs mit den Worten: „Der Esel ist mir gewiss, aber dich zerreiße ich wegen deiner Falschheit zuerst.“

Den Verrat benutzt man wohl, aber den Verräter liebt man doch nicht.
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Der Frosch und der Ochse
Der Frosch erblickte eines Tages einen Ochsen, der eben über eine Wiese ging und der Frosch schmeichelte sich, dass er wohl eben so groß werden könnte wie dieses Tier. Er wandte also alle Mühe an, die faltige Haut seines Körpers aufzublähen und fragte seine Gefährten, ob seine Gestalt anfing, jener des Ochsen ähnlich zu werden.

Sie antworteten mit - nein. Er strengte also neue Kräfte an, um sich aufzublasen und fragte die Frösche noch einmal, ob er nun bald der Größe des Ochsen gleich wäre. Sie gaben ihm die vorige Antwort. Das schreckte den Frosch nicht ab; allein die Gewalt, die er anwandte, um sich aufzublähen, machte, dass er an der Stelle zerplatzte.

Die Kleinen finden ihr Verderben, wenn sie den Großen gleich sein wollen.
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Der Esel und das Pferd
Ein kostbar geschmücktes Pferd begegnete einem armen Esel, der unter seiner schweren Last seufzte. Übermütig durch sein schönes Geschirr erfüllte das Pferd die Luft mit Wiehern und schrie dem Esel zu, ihm Platz zu machen. Der von Schrecken überwältigte Esel gehorchte sogleich.

Nach einiger Zeit begegnete ihm der Esel und wunderte sich über seine so außerordentliche Veränderung. Was denn aus dem schönen Zeug, aus seiner reichen Decke und dem vergoldeten Gebiss geworden sei, das es so stolz und hochmütig machte und es mit Verachtung auf diejenigen herabsehen ließ, die sich jetzt mit ihm auf keinen Tausch einlassen würden?

Verachtung ist immer die Strafe der Hochmütigen, wenn sie zu Fall kommen.
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Der Esel und der Hund
Ein Hund liebkoste seinen Herrn, dieser tat dem Hunde dafür gütlich und liebkoste ihn wieder. Ein Esel, der im Hause übel gehalten und geschlagen wurde, wurde hierüber eifersüchtig. Er glaubte, dass bloß die Liebkosungen an den guten Tagen des Hundes Schuld waren. Um also sein Elend zu erleichtern, nahm er sich vor, seinen Herrn ebenso zu liebkosen, in der Hoffnung, dann auch so wie der Hund mit guten Speisen gefüttert zu werden.

Einige Tage darauf fand er seinen Herrn im Großvaterstuhl schlafen; er fing nun seine Liebkosungen an, legte ihm die beiden Vorderfüße auf die Schulter, ließ seine Eselsstimme erschallen und glaubte so seinem Herrn durch diese wohlklingenden Töne ein Vergnügen zu machen. Allein der durch dieses Geschrei aufgewachte Herr rief seine Knechte, die den Esel für seine Höflichkeiten und Liebkosungen derb prügelten.

Übel angebrachte Höflichkeiten finden selten eine gute Aufnahme.
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Der Fuchs und der Storch    (Online-Übung Quiz zur Fabel)
Ein Fuchs lud einen Storch zu sich nach Hause ein und setzte ihm die leckersten Speisen vor, aber nur auf ganz flachen Schüsseln, aus denen der Storch mit seinem langen Schnabel nichts fressen konnte. Gefräßig wie der Fuchs war, hatte er das ganze Mahl für sich allein und bat den Storch obendrein, es sich schmecken zu lassen.
Der Storch fühlte sich betrogen, doch lobte er die gute Bewirtung und lud seinerseits den Fuchs zu sich ein. Der Fuchs ahnte, dass der Storch sich rächen wollte und wies die Einladung ab. Doch der Storch drängte ihn freundlich und so blieb dem Fuchs nichts anderes übrig, als die Einladung anzunehmen.
Am nächsten Tag fand der Fuchs alle möglichen Leckerbissen aufgetischt, aber nur in Geschirr, das lange Hälse hatte. „Lass es dir munden“, rief ihm der Storch zu, „und fühle dich wie zu Hause.“ Und er fraß mit seinem Schnabel ebenfalls alles allein, während der Fuchs ungehalten nur das Äußere des Geschirrs belecken konnte und außer dem Geruch des Essens nichts davon hatte.
Hungrig stand er vom Tisch auf und gestand, dass ihn der Storch für seine Gemeinheit hinlänglich gestraft habe.

Was du nicht willst, dass man dir tu',
Das füg' auch keinem anderen zu.

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Der Fuchs und die Weintrauben
Ein Fuchs erblickte auf einem hohen Baum mehrere Weintrauben, die ihm zum Genusse reizten. Er gab sich alle Mühle und versuchte mehrere Sprünge, aber es war ihm nicht möglich, sie zu erreichen.

Da er nun sah, dass seine Mühle vergebens sei, so verbarg er seinen Verdruss und sagte im Weggehen: „Ich will diese Trauben nicht essen, sie sind mir zu grün und allzu sauer.“

So wird oft das Verdienst verkleinert, weil wir ihn nicht erreichen können.
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Der Hahn und der Diamant   (Der Hahn und der Edelstein)
Ein Hahn scharrte auf einem Misthaufen und fand einen Diamanten. Er betrachtete ihn aufmerksam von allen Seiten und sprach: „Was soll mir dieser Stein nützen? Er hat wohl für einen Juwelier einen schätzbaren Wert, aber mir wäre ein Weizenkörnchen viel lieber.“
Das Nützliche ist dem Schönen vorzuziehen, besonders, wenn der Wert des Letzteren in der Einbildung besteht.
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Der Hirsch und das Pferd
Ein Pferd, das Gebiss und Zaum noch nicht kannte, verklagte bei einem Bauern einen Hirsch, weil er ihm auf seiner Weide das Gras fraß und bat ihn um Beistand, sich an demselben zu rächen. „Ich will wohl“, sagte der Bauer, „doch unter der Bedingung, dass du in allem nach meinem Willen tust.“

Das Pferd war es zufrieden: Der Bauer legte ihm also einen Sattel auf den Rücken und ein Gebiss ins Maul. Er setzte sich dann auf das Pferd, verfolgte den Hirsch, erreichte und erlegte ihn. Das Pferde wieherte vor Freude, als es sich gerächt sah; der Bauer aber, der nun erkannte, wie nützlich ihm das Pferd in der Folge wäre, setzte es nicht wieder in Freiheit, sondern spannte es vor seinen Pflug.

Der Rachgierige wird oft das eigene Opfer seiner Rache.
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Der Hirsch und das Schaf
Vor einem Wolfe verklagte der Hirsch ein Schaf und forderte von diesem ein Scheffel Getreide wieder, obwohl es ihm doch nichts schuldig war. Gleichwohl verurteilte es der Wolf, das zu bezahlen, was der Hirsch von ihm forderte. Das Schaf gelobte, dass es den Spruch erfüllen und zur vorgeschriebenen Zeit bezahlen wolle.

Als die Frist verflossen war, erinnerte der Hirsch das Schaf; dies aber protestierte gegen das Urteil und verweigerte die Zahlung mit dem Zusatz, dass es dieselbe aus bloßer Furcht vor seinem Feinde, dem Wolfe, versprochen hätte und dass es daher nicht verpflichtet sei zu bezahlen, was es schuldig war.

Niemand muss Versprechen halten, die ungerechterweise durch Furcht oder Gewalt abgezwungen wurden.
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Der Hirsch und der Jäger
Ein Hirsch, der sich in einem Brunnen spiegelte, wurde von der Schönheit seines Geweihes ganz entzückt; aber seine hageren und dünnen Schenkel gefielen ihm ganz und gar nicht. Indem er sich so betrachtete, kam unvermutet ein Jäger mit Hunden und stieß ins Horn. Dieses Geräusch trieb den Hirsch in die Flucht und er gewann auf dem freien Felde durch die Leichtigkeit seiner Schenkel einen großen Vorsprung vor den Hunden.

Allein immer stärker vom Jäger verfolgt, verbarg sich der Hirsch in einem Walde, wo er sich mit seinem Geweih in den Baumästen verwickelte und hängen blieb. Hier erkannte er seinen Irrtum und sah ein, wie nützlich ihm seine Schenkel waren, um ihn von seinen Verfolgern zu befreien und wie unglücklich ihn sein Geweih machte, dessen Schönheit er so sehr bewunderte und das nun die Ursache seines Todes ist.

Wir bewundern oft Eigenschaften an uns, die der Weg zu unserem Unglück sind.
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Der Holzhacker und der Wald
Ein Holzhacker kam in einen Wald und bat ihn um die Erlaubnis, etwas Holz zu einem Stiel für seine Axt abhauen zu dürfen.

Der Wald bewilligte es, bald aber hatte er Ursache, seine Entscheidung zu bereuen. Der Holzhacker bediente sich nun seiner Axt, große Äste von den Bäumen abzuhauen und beraubte so den Wald seiner vornehmsten Zierde. Der gute Wald konnte es nicht verwehren, denn er hatte dem Holzhauer die Waffe selbst in die Hände gegeben.

Es bedienen sich Undankbare oft der empfangenen Wohltaten gegen ihre Wohltäter.
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Der Hund und das Stück Fleisch   (Der Hund und sein Schatten)
Ein Hund, der auf einem Stege über einen Bach ging, trug in seiner Schnauze ein Stück Fleisch, das sich beim Sonnenschein im Wasser spiegelte und viel größer erschien, als es in der Natur war.

Vor Gier haschte er nach dem, was er da im Wasser sah und da er nach dem Schatten schnappte, entfiel ihm, was er wirklich im Munde trug. Auf diese Art ward seine Gefräßigkeit bestraft und er erfuhr zu seinem Schaden, dass es klüger sei, zu bewahren, was man besitzt, als dem nachzutrachten, was man nicht hat.

Wer dem Ungewissen nachjagt, verliert oft das Gewisse darüber.
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Der Hund und der Dieb
Um zu stehlen, schlich sich des Nachts ein Dieb heimlich in ein Haus und bot dem Hunde, der es bewachte, Brot an, damit er ihn vom Bellen abhielt.

Allein dieser getreue Wächter schlug es aus und sagte zu ihm: „Niederträchtiger! Ich kenne deine Absicht. Du willst mich daran hindern zu bellen, damit du meinen Herrn umso freier bestehlen kannst. Ich werde mich aber vor deiner Bestechung wohl hüten und dein Geschenk nicht annehmen.“ Hierauf fing der Hund an so heftig zu bellen, dass alle Diener des Hauses darüber erwachten und den Dieb verjagten.

Der Hund ist hier das schöne Bild eines treuen, unbestechlichen Dieners.
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Die junge Ziege und der Wolf
Eine junge Ziege verließ den Stall, um auf die Weide zu gehen und schärfte ihrem Jungen mit Nachdruck ein, dass es in ihrer Abwesenheit ja niemandem die Türe öffne. Kaum war sie fort, so klopfte schon ein Wolf an die Stalltüre; er ahmte die Stimme der Ziege nach und befahl dem Zieglein, dass es aufmache. Dieses Tier dachte an die Lehren seiner Mutter. Es blickte durch eine Öffnung und erkannte den Wolf. „Ich werde die Türe nicht öffnen“, sagte es, „denn obschon du die Stimme einer Ziege nachmachst, so sehe ich doch an deiner Gestalt, dass du ein Wolf bist, der mich nur zu verschlingen sucht.“

Wer den weisen Lehren der Eltern folgt, gerät nicht leicht in Unglück.

Wer überlegt, bevor er handelt, gerät nicht leicht in Unglück. (neu)
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Der kranke Geier
Ein Geier, der sehr krank war, aber doch nicht alle Hoffnung verlor durch die Kraft der Arzneimittel wieder zu genesen, beschwor seine Mutter, sie möchte doch hingehen und die Götter bitten, dass sie ihm die Gesundheit wieder schenken.

„Ach! Mein Sohn“, erwiderte sie, „du wirst wohl vergeblich von den Göttern Hilfe erwarten, da du so oft ihre Altäre und die Opfer entweiht hast, die ihnen die Menschen brachten.“

Wie kann der Hilfe erwarten, der Gott und die Menschen beleidigt?
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Der Löwe auf der Jagd
Ein Löwe, ein Esel und ein Fuchs waren in Gesellschaft auf die Jagd gegangen. Sie fingen einen Hirsch und viele andere Tiere. Der Löwe befahl dem Esel, den Raub zu teilen. Dieser machte ganz gleiche Teile daraus und ließ den anderen die freie Auswahl. Der Löwe ergrimmte über diese Gleichheit, fiel über den Esel her und zerriss ihn in Stücke.

Dann wandte er sich dem Fuchs zu und befahl ihm eine andere Teilung zu machen. Der Fuchs legte nun alles auf die Seite des Löwen und behielt nur einen sehr kleinen Teil für sich. „Wer hat dich“, fragte der Löwe, „eine so weise Einteilung machen gelehrt?“ - „Das klägliche Schicksal des Esels“, antwortete der Fuchs.

Nur wer lebt, kann sich gegen Unrecht wehren.
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Der Löwe und die Maus
Müde und entkräftet von Hitze schlief ein Löwe im Schatten eines Baumes. Ein Haufen Mäuse, die da versammelt waren, liefen über ihn weg und belustigte sich. Der Löwe erwachte und ertappte mit seiner ausgestreckten Tatze eine Maus. Ohne Hoffnung zu entkommen, bat sie den Löwen wegen ihrer Verwegenheit und Unhöflichkeit um Vergebung und stellte ihm vor, dass sie seines Zorns nicht würdig wäre.

Der Löwe war von dieser demütigen Vorstellung gerührt und ließ die Gefangene los, weil er es zugleich unanständig fand, ein so verächtliches Tier zu töten, das keiner Verteidigung fähig ist.

Bald darauf ereignete es sich, dass der Löwe, indem er die Wälder durchstrich, in die Netze der Jäger fiel. Er fing an aus allen Kräften zu brüllen, es war ihm aber nicht möglich, sich loszumachen. Die Maus erkannte aus dem Brüllen des Löwen, dass er gefangen sei. Aus Erkenntlichkeit, dass er ihr das Leben schenkte, lief sie hin, zernagte das Netz, dass er sich retten konnte.

Man verachte keinen Menschen, auch der unbedeutendste kann uns nützlich sein.
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Der Pfau und die Nachtigall
Einst beklagte sich der Pfau bei der Göttin Juno, dass seine raue, unangenehme Stimme ihn bei den anderen Vögeln verächtlich mache, da im Gegenteil die Nachtigall alle durch melodischen Gesang entzückt.

„Du hast Recht“, sagte Juno, „allein die Götter haben es so geordnet. Wenn die Nachtigall dich durch ihre Stimme übertrifft, so übertriffst du sie durch die Schönheit deines Gefieders. Stärke ist des Adlers Anteil. Die Krähe deutet auf Unglücksfälle; jedes muss mit seinem Los zufrieden sein und sich dem Willen der Götter unterwerfen.“

Man begnüge sich mit seinen eigenen und beneide nie die Vorzüge anderer.
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Der Rabe und der Fuchs  “Der Rabe und der Fuchs“ La Fontaine
Ein Rabe hatte sich auf einen Baum gesetzt, um einen Käse zu verzehren, den er im Schnabel hielt. Ein Fuchs erblickte ihn und bekam Lust, ihm diesen Raub zu entführen. Um seinen Zweck zu erreichen, fing er an, seine schönen Federn zu loben. Als er merkte, dass dieses Lob gefiel, sagte er ferner: „Es ist ewig schade, dass dein Gesang nicht mit deinen übrigen Eigenschaften überein stimmt.“

Der Rabe wollte den Fuchs überzeugen, dass sein Gesang nicht unangenehm sei, er fing an zu singen und ließ darüber den Käse fallen.

Der Fuchs bemächtigte sich des Käses und fraß ihn vor des Raben Augen, der beschämt war, dass er sich von den falschen Lobsprüchen des Fuchses verführen ließ.

Lobsprüche aus dem Munde falscher Fremder sind die gefährlichsten Fallstricke.
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Der Sperber und die Taube

Indem er eine Taube verfolgen wollte, fiel ein Sperber aus Unvorsicht in das Garn (Netz), das ein Bauer aufgestellt hatte. Wie er sich so gefangen sah, wandte er alle Beredsamkeit auf, um den Bauer zu bewegen, dass er ihm die Freiheit wieder schenke.

Unter anderen Beweggründen sagte er zu ihm, dass er ihm nie etwa zu Leibe getan hätte. „Das mag wohl sein“, antwortete der Bauer, „aber die Taube, die du jetzt so hitzig und mit der Absicht, sie zu zerfleischen, verfolgt hast, hat dir auch nie etwas zu Leide getan.“

Die Gerechtigkeit muss die Bösen bestrafen und die Unschuld schützen.
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Der Vogelsteller und die Amsel
Um Vögel zu fangen, richtete ein Vogelfänger sein Netz auf. Die Amsel, die ihm von Ferne zusah, fragte ihn, was er hier mache. Ich baue eine Stadt, antwortete er ihr und entfernte sich. Die Amsel, die seiner Aufrichtigkeit traute, war nun neugierig, die Arbeit zu besehen, kam aber dem Netze zu nahe und blieb hängen.

„Ach“, sagte sie zum Vogelsteller, der eiligst herbeilief, „wenn du lauter solche Städte baust, so wirst du nicht viele Einwohner bekommen.“

Nie glaube man einem Feinde, dass er für unser Bestes arbeite.
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Der vom Alter entkräftete Löwe
Ein Löwe, der in seinen jungen Jahren die Gewalt und Stärke missbrauchte, die ihm die Natur über andere Tiere gab, hatte sich viele Feinde gemacht.

Als sie ihn vom Alter geschwächt sahen, beschlossen sie einhellig, sich an ihm wegen seiner Grausamkeit zu rächen und ihm Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Der Eber verwundete ihn mit seinen Waffen, der Ochs stieß ihn mit seinen Hörnern, aber am empfindlichsten fiel es dem Löwen, dass ihm der Esel, der geringste und verächtlichste von seinen Feinden, zu seiner Beschimpfung einige Schläge mit dem Hufe versetzte.

Wer sich im Glück übermütig erhebt, findet im Unglück nicht leicht einen Freund.
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Das Wiesel und der Fuchs
Von Hunger getrieben schlich sich ein Fuchs durch eine sehr enge Öffnung in eine Scheune. Als er sich satt gefressen hatte, wollte der durch eben dieselbe Öffnung wieder hinaus; allein der angeschwollene Leib hinderte ihn daran.

Das Wiesel sah seine Verlegenheit und eilte ihm einen guten Rat zu geben. „Um aus der Scheune zu kommen“, sagte es zu ihm, „musst du so lange warten, bis du ausgehungert und so mager geworden bist, als du hineingingst.“

Reichtum und Überfluss sind oft beschwerlicher als die Dürftigkeit und mancher lebt nur wieder glücklich, wenn er in seinen vorigen Stand zurücktritt.
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Der Wolf und der Jäger
Ein Wolf wurde von den Jägern heftig verfolgt und da er schon ganz ermattet war, so verzweifelte er an seiner Rettung. Von ungefähr begegnete er einem Holzhacker, der ihn auf vieles Bitten in seine Hütte aufnahm und ihn in einem Winkel versteckte.

Bald darauf kamen die Jäger bei seiner Hütte an und fragten, ob er den Wolf nicht gesehen habe. Er antwortete ihnen mit 'Nein', gab ihnen aber zugleich mit Finger und Augen ein Zeichen, dass er in seiner Hütte verborgen sei. Sie suchten, fanden ihn aber zum Glück nicht und zogen wieder weiter.

Der Wolf machte sich nun aus dem Staub, ohne dem Holzhacker für den Zufluchtsort zu danken. Der Holzhacker warf ihm seinen Undank vor, der Wolf aber antwortete: „Ich würde nicht ohne Dank von dir scheiden, wenn deine Hand und deine Augen mit deinen Worten übereingestimmt hätten.“

Wer wahren Dank fordert, darf keine zweideutigen Dienste geleistet haben.
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Der Wolf und der Kopf
Der Wolf ging in die Werkstätte eines Bildhauers, wo er einen sehr schönen und zierlich geschnitzten Kopf fand. Er drehte ihn von allen Seiten herum und betrachtete ihn lange Zeit, ohne dass der Kopf sich rührte oder einen Laut von sich gab.

„O, der schöne Kopf!“, rief endlich der Wolf. „Ein wahres Meisterstück, aber es ist ewig Schade, dass er kein Gehirn hat und nicht das geringste Lebenszeichen von sich geben kann.“

Man beurteile die Verdienste eines Menschen nicht nach dem Äußeren. Was nützt eine schöne Gestalt, wenn sie sich nicht mit Schönheiten des Geistes verbunden ist.
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Der Wolf und der Kranich
Ein Wolf, dem ein Bein in der Kehle steckte, versprach dem Kranich eine Belohnung, wenn er ihm das Bein, das ihn so schmerzte, mit seinem Schnabel wieder herausziehen wollte.

Der Kranich leistete ihm diesen Dienst und forderte dann die Bezahlung, worüber sie einig geworden waren. Allein der Wolf sagte mit spöttischem Hohngelächter und Zähnefletschen zu ihm: „Sei froh, dass du deinen Kopf gesund und unverletzt wieder aus dem Rachen eines Wolfes zurückgebracht hast und nicht zu deinem Schaden erfuhrst, wie spitzig seine Zähne sind.“

Wer bösen Menschen einen Dienst tut, darf von Glück reden, wenn er, statt belohnt zu werden, mit heiler Haut davonkommt.
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Die Ameise und die Fliege
Eines Tages geriet die Ameise mit der Fliege in Streit, die sich rühmte, dass sie wie die Vögel fliege, in fürstlichen Palästen wohne und ohne alle Mühe immer eine gute Tafel halte. Sie warf der Ameise ihre niedere Geburt vor, dass sie beständig auf der Erde herumkrieche und durch Fleiß und Arbeit ihren Lebensunterhalt suche. Sie sei genötigt, einige Körner zu zernagen und in Höhlen zu wohnen.

Auf diese Vorwürfe antwortete die Ameise, sie wäre mit ihrem Schicksale zufrieden und eine sichere, eigene Wohnung gefiel ihr besser, als ein irrendes, herumschweifendes Leben: Brunnenwasser und Getreidekörner schienen ihr von auserlesenen Geschmack, weil sie Früchte ihrer Arbeit wären; da hingegen sich die Fliegen einem Jeden beschwerlich und verächtlich mache.

Ein arbeitsames Leben ist dem Müßiggang vorzuziehen.
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Die mit Pfauenfedern geschmückte Elster
Eine eitle Elster schmückte sich mit Pfauenfedern, die sie hier und da zusammengelesen hatte. Dieser geborgte Putz machte sie so stolz, dass sie die anderen Elstern verachtete. Sie sonderte sich von ihnen ab und mengte sich dreist unter einen Haufen Pfauen, die den Betrug erkannten und ihr die falschen Federn abrupften.

Nach dieser Misshandlung wollte die beschämte Elster wieder zu ihren Brüdern zurückkehren, diese aber wiesen sie mit Gewalt zurück, zerbissen sie und rissen ihr auch die ungeborgten Federn aus. Und da sah sie sich nicht nur von anderen Vögeln, sondern selbst von ihrem eigenen Geschlechte verachtet.

Wer sich mit fremden Federn schmückt, wird früher oder später der Welt zum Hohn.
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Die Ratte und der Frosch
Zur Zeit, wo die Ratten und Frösche miteinander Krieg führten, nahm ein Frosch eine Ratte gefangen und versprach ihr, sie gut zu halten. Er lud sie auf seinen Rücken, um sie über einen Fluss zu bringen, über den er übersetzen musste, wenn er wieder zu dem Hause der Seinigen gelangen wollte.

Aber indem sich der Treulose mitten auf der Überfahrt befand, wandte er alle Kräfte auf, die Ratte abzuschütteln und zu ersäufen; diese aber klammerte sich so fest an ihn an, dass er sie auf keine Art loswerden konnte. Ein Raubvogel erblickte sie in ihrem Kampf, stürzte auf sie herab und führte sie beide als seinen Raub fort.

So benutzen die Römer die Streitigkeiten unter den Griechen, um sie zu verschlingen.
Oder:
Zwei, die unter den Augen des Feindes streiten, verlieren immer.
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Die Schlange und der Bauer
Ein Bauer erzürnte einst über eine Schlange, die er unterhielt und verfolgte sie mit aufgehobenem Stocke. Die Schlange entwischte nach einigen empfangenen Wunden. Seit diesem Auftritte geriet der Bauer in eine große Armut und hielt die üble Behandlung der Schlange für die Ursache seines Unglücks.

Er suchte sie wieder auf und bat sie in sein Haus zu kommen. Die Schlange entschuldigte sich und sagte, sie könne sich nicht dazu entschließen, weil sie mit einem so unverträglichen Menschen nicht in Einigkeit leben könne. „Meine Wunden“, setzte sie hinzu, sind zwar geheilt, „ich kann aber die Erinnerung an deine Grausamkeit nicht aus meinem Herzen bringen.“

Mit Unrecht erlittene Beleidigungen werden nicht leicht vergessen.
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Die Schlange und die Feile
Eine Schlange, die sich in die Schmiede eines Schlossers einschließen ließ, wollte sein ganzes Werkzeug zernagen. Anfangs griff sie den Amboss an, da sie aber von demselben nichts abbekommen konnte, machte sie sich über die Feile her, in der Meinung, dabei besser ihre Rechnung zu finden.

Die Feile lachte wegen ihrer eitlen Bemühungen und sagte: „Dummes Tier! Wie groß ist deine Torheit! Könntest du mich wohl mit deinen Zähnen zernagen, mich, die ich das Eisen zernage und den Amboss in Staub verwandeln kann, den du nicht einmal hast anzwacken können?“

Verleumder können einen ehrlichen Mann angreifen, aber sie werden nie über seine Tugend siegen.
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Die Schwalbe und andere Vögel
Als die Jahreszeit eintrat, wo man Lein (Flachs) zu säen pflegt, versuchte die Schwalbe die anderen Vögel zu überreden, dass sie sich der Saat widersetzen, weil daraus ein ihnen höchst schädliches Kraut entstehen würde. Die anderen Vögel spotteten ihres Rates und nannten es eine unnötige Furcht und Sorge. Wie der Leim aus der Erde hervorkam, riet sie ihnen, denselben auszureißen, auch diese Warnung verachteten sie. Der Lein fing nun an zu reifen und die Schwalbe riet ihnen, die Körner auszuhacken, allein sie gaben sich deswegen keine Mühle.

Als nun die Schwalbe sah, dass alle Bemühungen vergebens waren, so sonderte sie sich von den anderen Vögeln ab und suchte die Freundschaft und den Umgang mit Menschen. Seit dieser Zeit baut sie in Häusern ungestört ihr Nest. Die übrigen Vögel aber, die dem guten Rate der Schwalbe nicht folgten, wurden ein Opfer der Garne und Netze, die man aus dem Lein verfertigt hatte und sie bedauerten zu spät, dass sie den Rat der Schwalbe verschmähten.

Wer einen guten Rat zu schnell verwirft, soll später nicht klagen.
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Die Stadtmaus und die Feldmaus
Eines Tages besuchte eine Stadtmaus eine ihrer Freundinnen, eine Feldmaus, welche sie mit einem Mahl aus Wurzeln und Nüssen bediente. Nach der Mahlzeit nahm die Stadtmaus von ihrer Wirtin Abschied, die ihr in den nächsten Tagen einen Gegenbesuch versprach.

Sie kam und man bewirtete sie herrlich mit Bäckerei und Käse; allein die Tafel ward oft durch die Diener des Hauses gestört, die von allen Seiten hin- und herliefen und der Feldmaus tödliche Ängste verursachten, so dass sie sich aus Furcht nicht zu essen getraute. Daher sagte sie zur Stadtmaus, dass sie eine sparsame, in Ruhe genossene Mahlzeit und ihre ländliche Armut allen Herrlichkeiten der Städte und einem Überfluss voll Gefahren und Unruhen vorziehe.

Eine ruhige Armut ist dem unsicheren Überflusse vorzuziehen.
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Die Tauben und ihr König, der Falke
Die Tauben glaubten sich außer Stande, den Überfällen und Gewalttätigkeiten der Geier zu widerstehen, von denen sie bekriegt wurden. Sie beschlossen daher, den Falken zu ihrem Könige zu wählen, um unter seinem Schutze den Geiern die Spitze zu bieten.

Gar bald bereuten sie ihre Wahl, denn ihr neuer König behandelte sie wie ein erklärter Feind. Er zerriss und fraß sie und sie sahen kein Mittel zu ihrer Befreiung. Voll Verzweiflung und Betrübnis sagten nun die Tauben, dass es ihnen leichter gewesen wäre, die Überfälle der Geier zu ertragen als die Tyrannei des Falken.

Es ist eine große Torheit, sich einem mächtigen Feind in die Arme zu werfen, um Schutz gegen einen kleineren Feind zu finden.
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Die Wölfe und die Schafe
Nach einem langen und blutigen Krieg machten die Wölfe und Schafe einen Waffenstillstand und schlossen den Vergleich, einander als Sicherheit Geiseln zu geben. Die Schafe überließen den Wölfen ihre Hunde und die Wölfe übergaben ihre Jungen den Schafen.

Als nun die jungen Wölfe heranwuchsen, überfielen sie die armen Schafe und zerrissen sie ohne Widerstand, weil sie nicht mehr ihre Hunde als Beschützer hatten; die Wölfe aber zerrissen die Hunde, die nicht auf der Hut waren und im Vertrauen auf den wechselseitigen Vertrag sich vollkommen sicher glaubten.

Einem Feinde, der sich zum Scheine versöhnt, ist nie zu trauen.
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Zwei Freunde und ein Bär
Zwei Freunde wollten sich gegenseitig beistehen und alles Gute und Schlechte dieser Welt miteinander teilen. Auf der Wanderschaft kam ihnen auf einem engen Waldweg ein Bär entgegen.

Zu zweit wären sie vielleicht stärker als der Bär gewesen, aber der eine, dem sein Leben sehr lieb war, kletterte unvermittelt auf einen Baum und ließ den anderen trotz des guten Vorsatzes allein. Der andere, der sich vom Freund verlassen glaubte, hatte kaum Zeit zu überlegen und warf sich platt auf den Boden, um sich tot zu stellen.

Der Bär näherte sich dem am Boden Liegenden, beschnüffelte ihn und leckte seine Ohren. Da der Bär ihn für tot hielt, trollte es sich bald seiner Wege.

Nachdem der Bär fort, die Gefahr damit beseitigt war, stieg der Ängstliche vom Baum herab und fragte den Tapferen, was ihm der Bär zugeflüstert habe?

„Eine ausgezeichnete Warnung“, antwortete dieser, „nur leider wusste ich vorher nicht davon und hätte sie auch kaum geglaubt.“

Vertraue nicht auf Menschen,
die Freunde in der Not allein lassen.
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Zwei Frösche
Ein Sumpf trocknete während eines langen und heißen Sommers aus und so brachen die Frösche dieses Sumpfes auf, um einen gastlicheren Ort zu finden, der ihr Leben sichern sollte.

Auf ihrer Wanderschaft kamen zwei dieser Frösche zu einem tiefen Brunnen, der noch Wasser führte.

„Ei! Sieh da!“, rief der eine. „Wir haben ein feuchtes Plätzchen gefunden, lass uns hineinhüpfen! Längst haben wir genug gelitten.“

„Halt!“, erwiderte der andere. „Wenn auch dieser Brunnen versiegt, sind wir dann nicht rettungslos verloren?“

Was dir schnell hilft, kann sich gegen dich wenden.