Fabeln von Magnus Gottfried Lichtwer

Die beraubte Fabel
Das Wiesel und die Hühner
Das Glück und der Traum
Der Fuchs


Die beraubte Fabel
Es zog die Göttin aller Dichter
Die Fabel in ein fremdes Land,
Wo eine Rotte Bösewichter
Sie einsam auf der Straße fand.

Ihr Beutel, den sie liefern müssen,
Befand sich leer; sie soll die Schuld
Mit dem Verlust der Kleider büßen,
Die Göttin litt es mit Geduld.

Mehr, als man hoffte, warb gefunden,
Man nahm ihr alles,' was geschah?
Die Fabel selber war verschwunden,
Es stund die bloße Wahrheit da.
Beschämt fiel hier die Rotte nieder,
Verzeih uns, Göttin, das Vergehn,
Hier hast du deine Kleider wieder,
Wer kann die Wahrheit nackend sehn?


Das Wiesel und die Hühner
Nach Recht und Urteil, mit dem Prügel
Ward vor dem frohen Hausgeflügel
Ein Dieb und andrer Tullian,
Ein schlimmes Wiesel, abgetan.
Ein Hof voll Hühner sah ihn leiden,
Und gackerte dabei vor Freuden.
Nur eine Henne blieb betrübt,
Und sprach: Man bricht des Räubers Glieder;
Allein die Tat ist schon verübt,
Wer gibt mir meine Kinder wieder?
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Das Glück und der Traum
Es lag und schlummerte in eines Hirten Laube
Das Glück, das müde Glück, den meisten Teil der Nacht,
Wenn es ein Held gewusst, er hält' es, wie ich glaube,
Mit hunderttausend Mann bewacht.
Hier flog ein Traum vorbei, und störte seinen Schlummer,
Ihm rief das halb erwachte Glück:
Du kommst mir recht erwünscht, bei meinem großen Kummer,
Doch sage mir, woher kommst du so spät zurück?

Ich komme mit dem Morgenwinde,
Versetzt der Schatten, aus der Stadt,
Von einem Wohlgestalten Kinde,
Dem meine Gegenwart die Nacht verkürzet hat.
Das Glück Hub freundlich an zu lachen,
Und sprach, wenn es dir so gefällt,
So sage mir, was du für Sachen
ihm diese Nacht durch vorgestellt.

Er sprach: Ich kam mit Kutsch und Pferden,
Die Türen sprangen, als ich sprach,
Mir trat mit sittsamen Gebärden.
Ein Heer vergoldter Diener nach.
Ich war Baron, und zwar kein neuer,
Ich hatte Geld, ich wollte frein,
Begütert, Herr Baron, und Freier,
Die Wörter gehn durch Mark und Bein.
Geschenke folgten jedem Blicke,
Du weißt, was ein Geschenke tut,'
Und dieser Sprache, liebes Glücke,
Sind doch die Mädchen gar zu gut.
Zuletzt fiel ich ihr selbst zu Füßen,
Ich bat sie, und erhielt ihr Wort,
Sie gab mir ihre Hand zu küssen,
Da kam der Tag, und trieb mich fort.
Indessen wird mein Kind gewiss vergnügt erwachen,
Und sagt sie niemand nichts von mir,
So wird sie heimlich doch den ganzen Morgen lachen.
Mir geht es nicht so gut, wie dir,
Antwortete das Glück mit traurigen Gebärden,
Ich kam vor kurzer Zeit in eines Kaufmanns Haus,
Den ließ ich reich und edel werden,
Es ward ein halber Graf daraus.
Doch gestern wandt' ich ihm den Rücken,
Da hing er sich an einen Baum;
Warum muss es dir besser glücken,
Bin ich nicht, gleich wie du, ein Traum?
top
Der Fuchs
Es fand ein Fuchs ein Buch im Grase.
Ein Buch im Grase? sagest du?
Wie kam das Buch ins Gras? Mein Freund, lass mich in Ruh,

Ich sag, erfand es da, und fand es mit der Nase,
So lautet, sag ich, der Bericht,
Und fänd er es im Grase nicht,
Wo hätt er es denn sonst gefunden?
Das Buch in Leder eingebunden,
Das Meister Fuchs im Grase fand,
War, o beweinenswürd'ger Schade!
Die weltberühmte Vulpiade,
Sonst Reinecke der Fuchs genannt.
Es steckte zwar der Fuchs die Nase tief hinein,
Es schien, als hätt er Lust, zu lesen;
Allein wie konnt es möglich sein?
Er war auf Schulen nie gewesen.
Der gute Schlucker suchte hier
Ein Pflaster für den leeren Magen,
Er suchte Fleisch, und fand Papier.
Er wollte schon den Band zernagen,
Da er im Buche selbst sein Bildnis hier und da
Nicht ohne Schrecken glänzen sah.
Sofort ward es von ihm durchbildert;
Und seht! der Fuchs erstaunt.
Er fand sich überall
Bei manchem Glücks und Unglücksfall,
Recht nach dem Leben abgeschildert.
Vor andern rührt ihn die Gefahr,
Die ihn bis untern Galgen brachte,
Und gar zum armen Sünder machte,
Weil alles so natürlich war.
Man sprach das Urteil über ihn,
Der weiße Stab lag ihm zu Füßen.
Der Galgen stund vor ihm', und schien
Ihn schon als Hauswirt zu begrüßen.
Der Kater Hinz hielt einen Strick,
Und hieß ihn auf die Leiter treten ,
Der Bär Hub an, mit ihm zu beten
So nahe schien allhier sein letzter Augenblick.
Hier schimpft und sprach der Hühnerdieb:
Entweder mein Gedächtniskasten
Hat so viel Löcher als ein Sieb,
Wo nicht, so lügen die Phantasien,
Die dies gemalt, mit allem Fleiß:
Denn nach der Bilder Sinn zu raten,
So stehn hier viel von meinen Taten,
Davon ich. keine Silbe weiß.

Was da der Fuchs sagt, würden wir'
Von hundert alten Helden hören,
Wenn sie der Bücher, die wir hier
Von ihnen lesen, kündig wären.

Die Laster und die Strafe
Die Kinder des verworfnen Drachen,
Die Lasier, reisten über Land,
Um anderswo sich was zu machen,
Weil sich zu Haufe Mangel fand.
Das Gras erstarb, wo sie gegangen,
Der Wald war kahl, die Felder wild,
Die Straße war mit Molch und Schlangen,
Die Lust mit Eulen angefüllt.
Jetzt sahn sie ungefähr zurücke,
Es folgte jemand nach, und wer?
Die Strafe hinkte mit der Krücke
Ganz langsam hinter ihnen her.
Du holst uns diesmal, rief der Haufen,
Gewiss nicht ein: doch diese sprach:
Fahrt ihr nur immer fort zu laufen,
Ich komm oft spät, doch richtig nach.

Der Affe und Bär
Ein Aff und Bär, zween nahe Vettern,
Gleich groß, gleich näschig, und gleich alt,
Auch gleich geschickt im Steig' und Klettern
Durchstrichen eifrig Feld und Wald.
Um ihrer Magen Zorn zu stillen,
Der Bär ging langsam, traurig, krumm,
Als wie ein Schuldner, und fing Grillen,
Der Affe sah sich munter um.
Der Hunger macht ihm leichte Glieder,
Ein Luftsprung kostet ihn nicht viel,
Jetzt sieht er auf, jetzt vor sich nieder,
Ein Affe lebt und stirbt im Spiel.
Was nützen diese Fleischergänge,
Rief hier der Affe mit Verdruss,
Wenn ich auf einen Baum mich schwänge,
Daraus sich alles zeigen muss,
So dürften wir nicht länger suchen,
Sofort bemerkt er einen Baum,
Die Königin der hohen Buchen,
Er kroch hinauf, man sah ihn kaum.
Drauf setzt er sich, beroch das Wetter,
Guckt endlich wieder in den Wald;
O Vetter, schrie er, lieber Vetter,
Du bist ja wie ein Zwerg gestalt.
Was ist dir immer widerfahren,
Du bist noch einer Erbse groß,
Da wir sonst gleicher Lange waren.
O Vetterchen, dich hör ich bloß,
Antwortete der Bär erbittert,
Und nun ward das Gezänke scharf,
Bis, da sie endlich ausgewittert,
Der Affe sich herunter warf.
Wie nun? Rief Petz, so bald er drunten;
Wie nun? versetzt der Bavian,
Warst du denn oben, und du unten?
Sie sahen sich verwundernd an,
Du bist ein Bär, und du ein Affe,
Fiel Äff und Bär einander ein,
Hier ist nichts, das uns Nutzen schaffe,
Die Buche muss bezaubert sein.

Wenn du einmal an Ehren steigst,
Und deinen Freunden und Verwandten,
Die dich als Ihresgleichen kannten,
Ein fremd und stolzes Auge zeigst,
So geh in dich, und untersuche
Der Fabel Sinn, er weist auf dich,
Denn glaube mir nur sicherlich,
Du bist das Äffchen auf der Buche.

Fabeln von Lichtwer