Fabeln des Sophos
Das Wiesel und die Feile
Der Mann und der Tod
Der Esel und die Baumgrille
Der Fuchs und der Löwe
Die Hasen und die Füchse
Der Hase und der Fuchs
Der Hirsch
Der Hirsch und die Jäger
Der Hirte, das Schaf und der Löwe
Der Hund und der Schmied
Der Jäger und der Hund
Der Löwe und die beiden Stiere
Der Mensch und der Schwan
Der Mann und die Schlangen
Der Mistkäfer und die Biene
Der Rabe und der Hirte
Die beiden Hähne
Die Fliege und der Wolf
Die Hunde und der Adler
Die Schwalbe und die Krähe
Die Taube und das Becken
Das Wiesel und die Feile
Ein Wiesel ging einst in den Laden eines Schmiedes und fand darin eine Feile, an
der es leckte, während seine Zunge dabei blutete. Das Wiesel freute sich jedoch
darüber, bis es die Zunge völlig aufgerieben hatte.
Dieses belehrt diejenigen, die alle Genüsse lieben und dabei auch das, was
sie besitzen, verzehren.
Der Mann und der Tod
Ein Mann trug ein Bündchen Holz und ging den Weg entlang. Als er jedoch müde
wurde, legte er das Bündchen nieder und wünschte den Tod mit den Worten: „O
Tod!“, herbei. Der Tod kam nun auch und fragte: „Weshalb hast du mich gerufen?“
Da erwiderte ihm der Mann: „Damit du diese Last, dieses Bündchen auf mich
legst.“
Dies bekundet, wie der Mensch ein elendes Leben mehr als den Tod liebt, wenn ihm
auch Vieles in der Welt Verdruss verursacht.
Der Fuchs und der Löwe
Ein Fuchs, der einen Löwen sah, welcher in einer Höhle gefangen war, stellte
sich vor den Eingang derselben und schmähte ihn. Da rief ihm der Löwe zu: „Nicht
du, Fuchs, schmähst mich, sondern mein Unglück.“
Dieses lehrt, dass die großen Männer, sobald das Unglück bei ihnen einkehrt,
von den Geringen mit Schmähungen beworfen werden.
Die Hasen und die Füchse
Die Hasen hatten einst mit den Adlern Krieg begonnen und luden nun die Füchse
ein, um ihnen Hilfe zu leisten. Diese erwiderten ihnen jedoch: „Wenn wir nicht
wüssten, wer ihr seid und mit wem ihr kämpft, würden wir euch beistehen.“
Dies lehrt, dass der Mensch nie mit Stärkeren, als er ist, einen Kampf
eingeht.
Der Hase und der Fuchs
Ein durstiger Hase stieg einst in einen Brunnen, um seinen Durst zu stillen.
Nachdem er ein wenig getrunken hatte, konnte er jedoch nicht wieder
hinaufsteigen. So fand ihn ein Fuchs, der vorbeikam und rief ihm zu: „Du hast in
der Tat sehr töricht gehandelt, dass du nicht überlegt hast, wie du hinunter und
wieder emporsteigen kannst.“
Dies lehrt, dass es dem Menschen nicht zieme, irgendetwas ohne Rat zu tun.
Der Esel und die Baumgrille
Ein Esel hatte gehört, dass die Baumgrille, ein Singvogel, eine angenehme Stimme
habe. Einst vernahm er auch ihren Gesang und fragte sie nun: „Was hast du denn
gegessen, dass deine Stimme so lieblich klingt?“ Hierauf erwiderte sie ihm:
„Die Luft ist meine Nahrung.“ Der Esel, der nun wollte, dass seine Stimme
ähnlich sei, sperrte sein Maul gegen die Luft auf und stand so, bis er vor
Hunger starb.
Dies lehrt, dass es sich für den Menschen nicht gehört, nach etwas zu streben, dass
nicht in seiner Natur liegt.
Der Mann und die Schlangen
Ein Mann sah zwei Schlangen, die miteinander kämpften und sich gegenseitig
bissen. Als er so von Ferne stand, sah er eine andere Schlange, die herankam und
sie trennte. Da rief er ihnen zu: „Wenn diese Schlange nicht noch bösartiger
wäre als ihr beide, würde sie zurückgeschreckt worden sein.“
Dies lehrt, dass böse Menschen sich nu zu ihresgleichen gesellen.
Der Mistkäfer und die Biene
Ein Mistkäfer sah eine Biene, die eine Menge Honig bereitete und erbat sich von
ihr, ihr Schüler werden zu dürfen. Sie erfüllte seinen Wunsch; als er jedoch
keinen Honig bereiten konnte, stach ihn die Biene mit ihrem Stachel und tötete
ihn. Im Sterben sprach er nun: „Mit Recht ist mir dieses geschehen! Denn ich,
der ich mich nur mit Mist beschäftige, habe mich dem Honig genähert.“
Dies lehrt, dass der Mensch sich niemals einem Geschäft unterziehen solle,
das er nicht versteht.
Der Hirsch
Ein Hirsch wurde krank und von Schmerzen befallen; da kamen Tiere, um ihn
zu besuchen, und aßen alle Kräuter weg, die in seiner Umgebung wuchsen. Als nun
der Hirsch von seiner Krankheit genesen war, starb er vor Hunger.
Dies lehrt, dass viele Freunde ein Nachteil für den kleinen Mann sind.
Der Hirsch und die Jäger
Ein Hirsch empfand Durst und stieg zu einer Quelle hinab, um Wasser zu trinken.
Als er hier jedoch seine dünnen Füße im Wasserspiegel erblickte, betrübte er
sich sehr, die Pracht seines Geweihes erfüllte ihn hingegen mit großer Freude.
Plötzlich stürzten von der Höhe eines Hügels Jäger auf ihn los. So weit sich nun
das offene Feld erstreckte, floh er und sie erreichten ihn nicht; als er aber
ins Dickicht geriet, verwickelte sich sein Geweih in die Bäume desselben und die
Jäger erreichten ihn und töteten ihn. Im Sterben sprach nun der Hirsch: „Wehe
mir, worüber ich mich grämte, das brachte mir Freude; was mich aber fröhlich
stimmte, das richtete mich zu Grunde.“
Dies lehrt den Menschen, dass er nur das lobe, was sich ihm bereits als
Helfer bewährt hat.
Der Hirte, das Schaf und der Löwe
Ein Hirte, dem ein Schaf verloren gegangen war, tat ein Gelübde, ein anderes
Schaf Gott zu opfern, wenn er jenes wieder fände. Hierauf ging er umher
und fand es in der Tat, aber gerade als ein Löwe es auf dem Felde verzehrte. Als
dies der Hirte erblickte, tat er abermals ein Gelübde, noch ein anderes Schaf
Gott zu opfern, wenn der Löwe ihn am Leben lasse.
Dies lehrt, dass der Mensch alles, was er besitzt, hingibt, um sich vom Tode
zu befreien.
Der Hund und der Schmied
Der Hund eines
Schmiedes schlief, solange sein Herr arbeitete; sobald aber der Tisch
angerichtet wurde, wachte er auf und näherte sich dem Tische. Als sein Herr dies
bemerkte, sprach er: „O, du böser Hund! Beim Schall der Hämmer wachst du nicht
auf, beim Geräusch der Zähne aber weicht bald dein Schlaf.“
Dieses ist gegen diejenigen gerichtet, welche das hören, was sie gern haben,
das aber nicht vernehmen, was sie nicht haben wollen.
Der Jäger und der Hund
Ein Jäger sah einen Hund, der seinen Herrn verloren hatte und nun umherirrte.
Als jener ihm unaufhörlich Brot zuwarf, rief ihm der Hund zu:
„Geh, Mann, geh weg, denn deine Liebe erschreckt mich.“
Das Gute derer, die geben ohne zu nehmen, entspringt nicht aus
Menschlichkeit, sondern sie spenden nur, um Vorteil zu erlangen.
Der Löwe und die beiden Stiere
Ein Löwe griff zwei Stiere an; da diese aber gleichen Sinnes waren, hielten sie
ihn durch ihre Hörner ab. Als nun der Löwe vernahm, dass sie so große Kraft
besaßen, trat er in listiger Weise an einen von ihnen heran und verglich sich
mit ihm dahin, dass er dem Stier nichts zu leide tun werde, wenn dieser ihm
seinen Genossen ausliefern würde. Der Stier willigte darein und lieferte in der
Tat seinen Freund aus, als er ihn traf. Hierauf tötete aber der Löwe beide.
Dies gleicht Provinzen, die niemand besiegen kann, so lange sie fest
zusammenhalten; erhebt sich jedoch die Zwietracht zwischen ihnen, gehen sie bald
zu Grunde.
Der Mensch und der Schwan
Der Mensch und der Schwan bekunden, dass die Tage des Menschen traurig
dahingehen; denn der Mensch weint, wenn er von der Mutter geboren wird,
gleichsam über die Mühsal, die er zu ertragen haben wird; der Schwan hingegen
singt, wenn er von der Mutter zur Welt gebracht wird, weil er über jedes Übel
lacht.
Dies lehrt nun, dass das Leben der Menschenkinder trauervoll ist.
Der Stier und der Löwe
Ein Stier fand einen schlafenden Löwen, den er mit seinem Horne durchbohrte und
tötete. Die Mutter des Löwen, die in der Ferne stand, weinte darüber; so
erblickte sie ein Waldesel, der ihr zurief: „Wie viele
Menschen weinen, die Eltern derer, die dein Sohn, wenn er ihrer ansichtig wurde,
tötete und so dem Verderben preisgab.“
Dies lehrt, dass diejenigen, die ihr eignes Verbrechen übersehen, andere
anklagen.
Die beiden Hähne
Zwei Hähne kämpften miteinander. Der, welcher
unterlegen war, verbarg sich alsbald an irgend einem
Orte, während der Sieger auf ein Dach stieg und seine
Stimme laut ertönen ließ. Als er jedoch so prahlend
oben stand, erblickte ihn ein Adler und machte ihn zur
Beute.
Dies lehrt, dass es dem Menschen nicht ziemt, sich seines Reichtums allzu
sehr zu freuen und zu rühmen.
Die Fliege und der Wolf
Eine Fliege sah einen Wolf in eine Herde einfallen und viele Schafe zerreißen.
Endlich erblickte ihn jedoch der Hirte und ließ seine Hunde auf ihn los, die ihn
bissen. Da rief die Fliege dem Wolf zu: „Nun, du böswilliges Tier, wo ist deine
Kraft, die du vor kurzem gezeigt hast. Und jetzt vermagst du vor den Hunden
nicht standzuhalten?“ Hierauf erwiderte ihr jedoch der Wolf: „Ich verstehe nur
mein Handwerk.“
Dies lehrt, dass ein jeder Mensch nur in s e i n e r Kunst
erfahren ist.
Die Hunde und der Adler
Hunde fanden die Haut eines Löwen und zerrissen sie. Da rief ein Adler, der sie
sah, ihnen zu: „Wäre er nur am Leben gewesen, hättet ihr gesehen, wie die Zähne
und Nägel des Löwen stärker, als die euren sind.“
Dies ist gegen solche gerichtet, welche diejenigen verachten, die von Not und
Drangsal überfallen werden.
Die Schwalbe und die Krähe
Die Schwalbe und die Krähe stritten einst über die Schönheit; da sprach die
Krähe zur Schwalbe: „Deine Schönheit ist nur im Frühlingsmonat sichtbar, die
meinige hingegen zu welcher Zeit ich will.“
Dies bekundet, dass der Körper nicht das Vorzüglichste ist; nur wer Geistesstärke
und Heiligkeit besitzt, hat nichts zu fürchten.
Dies lehrt ferner, wie nur die Guten dauernd schön sind.
Die
Taube und das Becken
Eine Taube, die nach Wasser dürstete, erblickte ein auf eine Wand gemaltes
Becken. Eilig flog sie darauf zu und zerschmetterte durch ihr großes Ungestüm an
der Wand. Im Sterben sprach sie aber: „Wehe mir, wie sehr unglücklich bin ich!
Ich überlegte nicht und ging darauf durch mein Ungestüm zu Grunde.“
Dies lehrt, dass Überlegung viel besser als Gier ist.
Der Rabe und der Hirte
Ein Rabe sah, wie ein Adler ein Schaf aus einer Herde raubte und wollte ihm
hierin nachahmen. Als er nun den Widder einer Herde erblickte, sprang er daher
auf ihn, um ihn zu erbeuten; es verwickelten sich ihm jedoch die Krallen in die
Wolle des Widders, so dass der Hirte ihn ergriff und tötete.
Ähnlich aber sind diejenigen, welche sich solchen gleichstellen, die stärker
sind, denn sie zeigen sich nicht nur als Schwächlinge, sondern sterben sogar.
Quelle: Die Fabeln des Sophos, Julius Landsberger, 1859, Schreibweise angepasst.
Syrisches Original der griechischen Fabeln des Syntipas.
Der Rabe und der Fuchs als Fabel von Äsop
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